06.08.2018

Anforderungen an die Dokumentation von Vergabeentscheidungen

Welche Dokumentationspflichten muss der öffentliche Auftraggeber beachten?

Anforderungen an die Dokumentation von Vergabeentscheidungen

Welche Dokumentationspflichten muss der öffentliche Auftraggeber beachten?

Die Pflicht zur Dokumentation obliegt dem jeweiligen öffentlichen Auftraggeber, der eine Leistung beschafft. | © Stockwerk-Fotodesign - stock.ado
Die Pflicht zur Dokumentation obliegt dem jeweiligen öffentlichen Auftraggeber, der eine Leistung beschafft. | © Stockwerk-Fotodesign - stock.ado

Dokumentationspflichten in europaweiten Vergabeverfahren

Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben (§ 97 Abs. 1 GWB). Ferner sind die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu behandeln (§ 97 Abs. 2  GWB). Zur Gewährleistung eines transparenten und fairen Verfahrens (und damit einhergehend zur Vermeidung von Manipulationen) sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, die wesentlichen Entscheidungen auf jeder Stufe des Vergabeverfahrens von Beginn an fortlaufend in Textform, d.h. schriftlich nach § 126 b BGB zu dokumentieren. Die Pflicht zur Dokumentation obliegt dem jeweiligen öffentlichen Auftraggeber, der eine Leistung beschafft. Dies gilt auch dann, wenn der öffentliche Auftraggeber sich bei der Durchführung des Vergabeverfahrens von (beratenden) Dritten unterstützen lässt. Der Dritte kann (auch) bei der Dokumentation des Verfahrens (lediglich) unterstützen; die wesentlichen Entscheidungen des Verfahrens muss indes der öffentliche Auftraggeber treffen bzw. verantworten. Dementsprechend ist auch die Dokumentation von einem zuständigen, namentlich benannten Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers zu unterzeichnen.

Sämtliche Verfahrensordnungen enthalten – mehr oder weniger detaillierte – Regelungen zur Dokumentation und zu inhaltlichen Mindestanforderungen an diese (z.B. § 8 VgV für Liefer- und Dienstleistungen, § 20 EU VOB/A i.V.m § 8 VgV für Bauleistungen, § 8 SektVO für Sektorenaufträge, § 6 KonzVgV für Konzessionen, ferner § 6 UVgO für Unterschwellenvergaben. Daneben gibt es in den Vergabeverordnungen teilweise noch Dokumentationsvorgaben in Einzelbestimmungen, z.B. § 9 Abs. 2 VgV zur Dokumentation etwaiger mündlicher Kommunikation im Vergabeverfahren und § 56 Abs. 5 VgV zur Dokumentation der Nachforderung fehlender Erklärungen/Unterlagen).

Umfassende, transparente und verständliche Dokumentationspflicht

Die Dokumentation des Verfahrens ist umfassend zu verstehen. Sie beinhaltet neben den wesentlichen Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers im Verfahren z.B. auch die Dokumentation der Kommunikation mit Unternehmen (Bieterfragen und -antworten), interne Beratungen und die Vorbereitung der Auftragsbekanntmachung (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 VgV). Ein wichtiger Bestandteil der Dokumentation ist der Vergabevermerk über das Vergabeverfahren mit bestimmten Mindestangaben (vgl. § 8 Abs. 2 VgV).


Die Dokumentation, der Vergabevermerk sowie Teilnahmeanträge und Angebote sind mit ihren Anlagen bis zum Ende der Laufzeit des Vertrags aufzubewahren, mindestens jedoch für 3 Jahre ab dem Tag des Zuschlags (§ 8 Abs. 4 VgV).

Die umfassende Dokumentationspflicht zielt darauf ab, dass sowohl Bieter als auch Nachprüfungsinstanzen die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen können und ein effektiver Rechtsschutz für die Bieter gewährleistet wird. Die Dokumentation des Verfahrens muss daher so transparent und verständlich sein, dass auch mit der Sachlage vertraute Dritte (Vergabekammern und Gerichte sowie unterlegene Bieter, ggf. aber auch Förder- und Prüfbehörden, sofern mit öffentlichen Mitteln (teil-)finanzierte Leistungen ausgeschrieben werden) die wesentlichen Entscheidungen des Verfahrens, insbesondere auch die abschließende Vergabeentscheidung zugunsten eines Bieters und zulasten anderer Bieter, nachvollziehen können.

Die Einhaltung der Dokumentationspflichten ist auch bieterschützend, d.h. Bieter können im Einzelfall allein durch die Verletzung der Dokumentationspflichten in ihren vergaberechtlich geschützten Rechten verletzt sein (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.08.2011 − VII-Verg 36/11). Die Verletzung von Dokumentationspflichten kann daher dazu führen, dass die Vergabekammer das Verfahren „in den Stand vor der fehlerhaften Dokumentation“ zurückversetzt, z.B. also die Wertung der Angebote wiederholen lässt. Dies gilt nur ausnahmsweise nicht, wenn dieser Verfahrensverstoß keinen relevanten Nachteil für den betreffenden Bieter hat, z.B. weil dessen Angebot schon aus rein formalen Gründen wegen verspäteter Angebotsabgabe nicht berücksichtigt werden kann.

Öffentliche Auftraggeber sind daher im eigenen Interesse „gut beraten“, Vergabeverfahren zeitnah, vollständig und nachvollziehbar zu dokumentieren. Denn auch im Streitfall vor der Vergabekammer gilt: „Der erste Eindruck zählt“. Die Heilung von Dokumentationsmängeln durch eine „nachgeschobene“ Dokumentation ist zwar nicht ausgeschlossen (BGH, Beschluss v. 08.02.2011, Az. X ZB 47/10), jedoch nur in engen Grenzen zulässig (so OLG Karlsruhe, Beschluss v. 31.01.2014, 15 Verg 10/13). Öffentliche Auftraggeber sollten die Dokumentationspflichten gleichwohl nicht nur als „notwendige, aber lästige Bürokratie“ verstehen. Sie zwingt nämlich zur kritischen Selbstreflexion und kann dadurch helfen, Fehler zu vermeiden.

Anforderungen an die Dokumentation von Vergabeentscheidungen

 Bei der Auswertung von Teilnahmeanträgen oder Angeboten haben öffentliche Auftraggeber häufig gewisse Beurteilungs- und Ermessensspielräume. So steht es beispielsweise bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen (anders als bei der Vergabe von Bauleistungen (vgl. § 16a EU Satz 1 VOB/A) im Ermessen der Auftraggeber, ob fehlende Unterlagen / Erklärungen nachgefordert werden (vgl. § 56 Abs. 2 VgV). Oder sie haben einen Beurteilungsspielraum bei der Bewertung von qualitativen Zuschlagskriterien (z.B. Konzepte). Gerade in diesen Fällen muss der öffentliche Auftraggeber seine Entscheidungen sehr sorgfältig und detailliert dokumentieren, damit die getroffenen Entscheidungen über den Ausgang des Vergabewettbewerbs im Streitfall nachvollziehbar sind.

Bei Ermessensentscheidungen muss aus der Dokumentation u.a. auch ersichtlich sein, dass der öffentliche Auftraggeber sein Ermessen überhaupt (pflichtgemäß) ausgeübt hat. Möchte der Auftraggeber z.B. von keinem Bieter bei Angebotsabgabe fehlende Erklärungen bzw. Nachweise nachfordern, sollte in der Verfahrensakte zumindest kurz begründet werden, weshalb von einer Nachforderung abgesehen wird (z.B. weil im Übrigen weitere vollständige und wertbare Angebote eingegangen sind). Dies gilt in ähnlicher Weise, wenn ein Auftraggeber ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufheben möchte (vgl. § 63 VgV). Insoweit muss begründet und dokumentiert werden, dass ein Aufhebungsgrund besteht und die Aufhebung des Vergabeverfahrens auch unter Berücksichtigung der Interessen von Bietern, die ein Angebot abgegeben haben, verhältnismäßig ist, d.h. dass keine weniger einschneidende Alternative in Betracht kommt (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 04.12.2013, 15 Verg 9/13).

Der BGH zu den Anforderungen an die Dokumentation qualitativer Zuschlagskriterien

Streitanfällig ist in der Vergaberechtspraxis oftmals auch die Bewertung qualitativer Wertungskriterien. Für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots steht es öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich frei, neben dem Preis oder den Kosten u.a. auch qualitative Zuschlagskriterien zu berücksichtigen (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 2 VgV). Hinsichtlich einer Vergabe von Postdienstleistungen, die als Zuschlagskriterien zu jeweils 50 % den Preis und „die Qualität der Leistungserbringung“ (letztere mit mehreren Unterkriterien) vorgesehen hatte, befasste sich der Bundesgerichtshof unlängst u.a. mit den Anforderungen an die Dokumentation qualitativer Zuschlagskriterien und führte hierzu instruktiv aus (vgl. BGH, Beschluss v. 04.04.2017, Az. X ZB 3/17 – Leitsatz 3):

„Der Gefahr einer Überbewertung qualitativer Wertungskriterien zum Nachteil einzelner Bieter ist durch eingehende Dokumentation des Wertungsprozesses zu begegnen. Die Nachprüfungsinstanzen untersuchen auf Rüge die Benotung des Angebots des Antragstellers als solche und in Relation zu den übrigen Angeboten, insbesondere zu demjenigen des Zuschlagsprätendenten, und darauf hin, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden.“

Der BGH hat es in der Entscheidung zwar für grundsätzlich zulässig erachtet, bei der Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien – ähnlich wie beim Deutschaufsatz – Schulnoten zu vergeben. Bloße Worthülsen zur Begründung der vergebenen Note (z.B. „das Konzept ist schlecht“) genügen indes nicht. Auch eine Wertung allein durch Eintragung von Punkten in die Bewertungsmatrix ist nicht aussagekräftig. Vielmehr muss aus der Dokumentation im Hinblick auf die Wertung qualitativer Zuschlagskriterien nachvollziehbar sein, aus welchen Gründen wie viele Punkte verteilt wurden, z.B. durch Aussagen wie „das Angebot des Bieters A hinsichtlich des Zuschlagskriteriums „Konzept“ ist im Vergleich zu den anderen Angeboten erheblich besser zu beurteilen, weil [….] und erhält daher X Punkte“. Bei der Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien haben Vergabestellen daher zwar einen – gerichtlich nicht überprüfbaren – Beurteilungsspielraum. Dies korreliert indes mit einem etwas erhöhten Begründungs- und Dokumentationsaufwand zum Nachweis, dass der Beurteilung sachgerechte, an der ausgeschriebenen Leistung ausgerichtete Überlegungen zugrunde liegen.

Der EuGH zu den Grenzen der Folgen unzureichender Dokumentationspflicht

Eine aktuelle Entscheidung des EuGH (Urteil v. 20.12.2017 – C-677/15 P (EUIPO./.European Dynamics Luxemburg SA)) zeigt andererseits auch Grenzen der Folgen von unzureichenden Begründungen und Verletzungen der Dokumentationspflicht in Bezug auf Zuschlagskriterien auf. Hinsichtlich der Frage, wann eine unzureichende Begründung oder ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unbeachtlich ist, urteilte der EuGH wie folgt (Rn. 49):

„Eine unzureichende Begründung oder ein offensichtlicher Beurteilungsfehler in Bezug auf ein Zuschlagskriterium [rechtfertigt] nicht die Nichtigerklärung einer Vergabeentscheidung, wenn diese andere Gesichtspunkte enthält, die für sich genommen genügen, um sie rechtlich zu begründen.“

Darauf, dass im konkreten Fall andere Gesichtspunkte die getroffene Entscheidung im Ergebnis rechtfertigen, sollte sich der öffentliche Auftraggeber aber nicht verlassen (müssen) und von vorneherein „besser mehr als weniger“ dokumentieren.

 

Dr. Beatrice Fabry

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht
Menold Bezler Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

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