03.04.2017

Stärkung oder Belastung?

Ausblick auf das urbane Baugebiet in der BauNVO

Stärkung oder Belastung?

Ausblick auf das urbane Baugebiet in der BauNVO

Für den Schutz der Nachbarrechte ist die Einordnung eines Gebiets als Mischgebiet oder Urbanes Gebiet elementar. | © Jakob Kamender - Fotolia
Für den Schutz der Nachbarrechte ist die Einordnung eines Gebiets als Mischgebiet oder Urbanes Gebiet elementar. | © Jakob Kamender - Fotolia

Hinweis der Redaktion: Durch eine Änderung des im folgenden Beitrag  vorgestellten Gesetzentwurfs entfallen die aufgezeigten Abgrenzungsschwierigkeiten dauerhaft. Auf die „Urbanen Gebiete“ findet § 34 Abs. 2 BauGB keine Anwendung, so § 245c Abs. 3 BauGB in der jetzt vom Bundestag beschlossenen Fassung.

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Am 30.11.2016 hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf für das »Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt« beschlossen. Mit Artikel 2, Ziffern 1-3 des Gesetzesentwurfs soll durch Einfügung eines neuen § 6a der Baunutzungsverordnung (BauNVO) ein neues Baugebiet implementiert wird. Dabei handelt es sich um das »Urbane Gebiet (MU)« als eine weitere Form der gemischten Baugebiete neben dem Dorf-, Misch- und Kerngebiet. Zugleich erhält das Urbane Gebiet Einzug in die TA Lärm, wobei die zulässigen Immissionsrichtwerte außerhalb von Gebäuden tagsüber 63 dB (A) und nachts 48 dB (A) betragen sollen. Nach dem Beschluss der Bundesregierung findet nun das förmliche Gesetzgebungsverfahren statt.


Darstellung der Gebietsart

Nach dem Regierungsentwurf dient das urbane Gebiet »dem Wohnen sowie der Unterbringung von Gewerbebetrieben und sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen, die die Wohnnutzung nicht wesentlich stören. Die Nutzungsmischung muss nicht gleichgewichtig sein«, § 6a Abs. 1 des Regierungsentwurfs.

Dabei liegt in der fehlenden Notwendigkeit der Nutzungsmischung bereits ein wesentlicher Unterschied zum Mischgebiet nach § 6 BauNVO. Die Rechtsprechung setzt für das Mischgebiet voraus, dass dort eine quantitative und qualitative Durchmischung der Nutzungsarten Wohnen und Gewerbe erfolgt.[1] Dies schließt aus, dass eine Nutzungsart übergewichtig in Erscheinung tritt und die andere Nutzungsart verdrängt.[2] Für das Urbane Gebiet gilt diese Einschränkung nach § 6a Abs. 1 S. 2 BauNVO ausdrücklich nicht.

Der weitere, wesentliche Unterschied zwischen den beiden Gebieten ergibt sich aus der TA Lärm. Dort sollen für das urbane Gebiet Lärmimmissionswerte von 63 dB (A) tagsüber und 48 dB (A) nachts zulässig sein. Damit bewegt sich das urbane Gebiet immissionsmäßig über dem Mischgebiet (60 dB (A) tagsüber / 45 dB (A) nachts), das jedoch die nahezu identische Zweckbestimmung hat, nämlich ebenfalls das Wohnen und die Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben. Ähnlich wie einem Kerngebiet (§ 7 BauNVO) können gemäß § 6a Abs. 4 BauNVO des Gesetzesentwurfs auch besondere Festsetzungen zur Feinsteuerung des Gebiets getroffen werden – nämlich, dass ein Teil der zulässigen Geschossfläche für Wohnungen oder gewerblich zu nutzen ist, im Erdgeschoss an der Straßenseite das Wohnen beschränkt wird oder oberhalb eines bestimmten Geschosses nur Wohnungen zulässig sind.

Abgrenzungsschwierigkeiten

Insbesondere bei faktischen Baugebieten (§ 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit der BauNVO) kann es zu Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der beiden Gebietsarten kommen. Relevant ist diese Einordnung beispielsweise im Rahmen von Nachbaranfechtungsklagen, wenn sich ein Nachbar entweder auf den Gebietsgewährleistungsanspruch oder das Gebot der Rücksichtnahme beruft. Bei beiden handelt es sich um zentrale (Abwehr)Rechtskonstrukte des öffentlichen Nachbarrechts.

Dabei ist für die Einordnung eines faktischen Baugebiets zu ermitteln, ob die die Vorhabengrundstück prägende Bebauung der näheren Umgebung einem Misch- oder Urbanen Gebiet im Sinne des § 6 BauNVO bzw. § 6a des Regierungsentwurfs entspricht. Ein faktisches Baugebiet liegt dann vor, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Gebiete der BauNVO mit seinen bei typisierender Betrachtungsweise jeweils allgemein und ausnahmsweise zulässigen Nutzungen entspricht und wenn die prägende Bedeutung der Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets entspricht.[3]

Dabei ergibt sich jedoch das Problem, dass das Mischgebiet nach § 6 BauNVO und das Urbane Gebiet nach § 6a des Regierungsentwurfs einen nahezu identischen Nutzungskatalog aufweisen und zudem auch die Zweckbestimmung des Baugebiets in Absatz 1 der jeweiligen Vorschrift nahezu gleich ist. Der einzige Unterschied in der Zweckbestimmung der Gebietsarten liegt darin, dass das Urbane Gebiet nicht gleichgewichtig gemischt sein muss. Dabei ist aber zu betonen, dass es nicht gleichgewichtig gemischt sein muss; jedoch darf eine Mischung vorliegen. Dies gibt der planenden Gemeinde zwar einen großen Handlungsspielraum, da sie in der Bestimmung des Verhältnisses von Wohnen zu gewerblicher Nutzung frei ist. Bei der Beurteilung eines faktischen Baugebiets bereitet dies jedoch erhebliche Schwierigkeiten. Dabei ist es gerade für das Schutzniveau im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme von zentraler Bedeutung, welche Gebietsart vorliegt, da die TA Lärm unterschiedliche Immissionsrichtwerte festlegt.

Gleichermaßen wird die Abgrenzung vom Urbanen Gebiet zur Gemengelage im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB, also einem Gebiet mit untypischer Nutzungsmischung, Probleme bereiten. In der Praxis wird oftmals versucht, Gemengelagen, die aus Wohn- und gewerblichen Nutzungen bestehen, über § 34 Abs.  2 BauGB in ein Mischgebiet zu »pressen«, obwohl die Voraussetzungen – eben eine gleichgewichtige Mischung aus Wohnen und den anderen zulässigen Nutzungen – oftmals nicht vorliegt. Da dem Urbanen Gebiet jedoch die Notwendigkeit der qualitativen und quantitativen Durchmischung fehlt, werden viele wohnlich geprägte Gemengelagen mit einzelnen, nicht störenden Gewerbebetrieben nun als Urbane Gebiete einzuordnen sein.

Folgen für das Nachbarrecht

Für den Schutz der Nachbarrechte ist die Einordnung eines Gebiets als Mischgebiet oder Urbanes Gebiet jedoch elementar. Unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme kann der Nachbar u.a. Bauvorhaben abwehren, die ihn unzumutbar belästigen, wobei beim Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe regelmäßig Lärmimmissionen einen zentralen Streitpunkt darstellen. Für die Beurteilung der Unzumutbarkeit von Lärmemissionen, die von einer gewerblichen Nutzung ausgehen, wird die TA Lärm als antizipiertes Sachverständigengutachten herangezogen[4]. Diese legt in Ziffer 6.1 entsprechend der planungsrechtlichen Gebietszuweisung Immissionsrichtwerte fest, bei deren Einhaltung von einer unzumutbaren Belästigung im Regelfall nicht ausgegangen werden kann.

Bei einem Mischgebiet beträgt dieser Immissionsrichtwert nach Ziffer 6.1. lit.) TA Lärm tagsüber 60 dB (A), nachts 45 dB (A). Im Urbanen Gebiet sollen die Richtwerte tagsüber 63 dB (A), nachts 48 dB (A) betragen. Das urbane Gebiet ist nach seiner gesetzlichen Konzeption also lauter als das Mischgebiet.

Dass Bewohnern allgemeiner Wohnnutzung tagsüber Belastungen von 63 dB (A) zugemutet werden sollen, ist neu. Bislang galt die Einschätzung, dass eine Wohnunverträglichkeit ab durchschnittlichen Immissionen von 60 dB (A) vorliegt; dies zeigt sich vor allem daran, dass in Gebieten mit Immissionsrichtwerten von mehr als 60 dB (A) eine allgemeine Wohnnutzung ausgeschlossen ist. Diese Schwelle soll für das Urbane Gebiet erhöht werden. Für wohngeprägte Gemengelagen potenziert sich die Problematik. Für Gemengelagen im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB sind die Immissionsrichtwerte gemäß Ziffer 6.1 heranzuziehen, die der Schutzwürdigkeit des konkreten Gebiets am ehesten entsprechen.[5] Für eine von Wohnen geprägte Gemengelage galt daher ein höheres Schutzniveau. Nun ist es möglich, dass die wohngeprägte Gemengelage ein Urbanes Gebiet darstellt und den Bewohnern eine Gesamtbelastung von 63 dB (A) zugemutet wird.

Ein Verstoß gegen gesunde Wohnverhältnisse, deren Schaffung allgemeiner Planungsgrundsatz nach §  1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB ist, liegt beim Urbanen Gebiet jedoch nicht vor. Zwar handelt es sich bei der Schaffung gesunder Wohnverhältnisse um ein subjektiv-öffentliches Recht, das aus Artikel 2 Abs. 2 S.  1 Grundgesetz hergeleitet wird. Eine Verletzung der gesunden Wohnverhältnisse im grundrechtskritischen Bereich sieht das Bundesverwaltungsgericht indes erst ab einer Gesamtbelastung von 70 dB (A) tagsüber und 60 dB (A) nachts.[6]

Fazit

Der Regierungsentwurf soll zu einer weiteren Verdichtung der Innenstädte führen, womit das Nebeneinander streitträchtiger Nutzungen gefördert wird. Wir halten den Entwurf daher nicht für eine »Stärkung des (neuen) Zusammenlebens« – wie es im Namen des Änderungsgesetzes heißt – sondern für eine Belastung des gemeinsamen Miteinanders.

 

[1] Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.02.1986 (4 C 31.83), in: NVwZ-RR 1986, 643-644.

[2] Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Kommentar zur BauNVO, 122. EL 2016, § 6 Rn. 10.

[3] Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Kommentar zum BauGB, 122. EL 2016, § 34 Rn. 79f.

[4] Z.B. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.02.1978 (Az. 1 C 102/76), in: BauR 1978, 201.

[5] Landmann/Rohmer, Kommentar zum Umweltrecht, 80. EL 2016, Band IV, TA Lärm, Ziff. 6 Rn. 15.

[6] Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.02.2005 (Az. 4 A 5.04).

 

Dr. Michael Terwiesche

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Düsseldorf
 

Wolfram Chowanietz

Rechtsanwalt, GTW Anwälte für Bau- und Immobilienrecht, Düsseldorf
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