17.04.2017

EuGH zur Errichtung von Zweckverbänden

Gericht klärt Voraussetzungen eines ausschreibungsfreien Organisationsakts

EuGH zur Errichtung von Zweckverbänden

Gericht klärt Voraussetzungen eines ausschreibungsfreien Organisationsakts

EuGH zur Errichtung von Zweckverbänden
Gründung eines Zweckverbands zur Abfallentsorgung auf dem europäischen Prüfstand | © oscarwhity - Fotolia

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 21.  12.  2016 (Rs.  C-51/15) entschieden, wann die Errichtung eines Zweckverbandes kein dem europäischen Vergaberecht unterliegender, ausschreibungsbedürftiger Vorgang, sondern eine dem Organisationsrecht unterfallende freie Entscheidung ist.

Vorlage des OLG Celle

Dem Urteil zugrunde lag eine Vorlage des OLG Celle zu folgendem Sachverhalt: Die Region Hannover und die Landeshauptstadt Hannover hatten gemeinsam beschlossen, durch Rechtsakt eine neue öffentlich-rechtliche Einrichtung zu gründen, um dieser im Bereich der Abfallentsorgung und -bewirtschaftung bestimmte Kompetenzen zu übertragen, von denen manche ursprünglich beiden Gebietskörperschaften zuzuordnen waren, andere jeweils einer von ihnen. Die neue Einrichtung wurde so ausgestattet, dass ihr die Erfüllung der diesen Kompetenzen entsprechenden Aufgaben ermöglicht wurde.

Die beiden Gebietskörperschaften übertrugen der Einrichtung dazu die finanziellen Mittel, die sie zuvor selbst für die Wahrnehmung dieser Aufgaben gebraucht hatten, und verpflichteten sich, etwaige Fehlbeträge in der Bilanz dieser Einrichtung auszugleichen. Der Einrichtung wurde gestattet, Gebühren festzusetzen und zu erheben und in geringem Umfang vergleichbare Umsätze mit Dritten durchzuführen. Die neue Einrichtung war bei ihrer Arbeitsweise unabhängig, musste aber die Entscheidungen einer aus Vertretern ihrer beiden Gründungskörperschaften bestehenden Verbandsversammlung beachten, die ein Organ dieser Einrichtung war und u. a. den Verbandsgeschäftsführer wählte.


Innerstaatliche Neuordnung von Kompetenzen geschützt

Der EuGH stellt als erstes klar, dass die Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb eines Mitgliedstaats unter den Schutz des Art.  4 Abs.  2 EUV falle, der die innerstaatliche Neuordnung von Kompetenzen einschließe. Die Umverteilung von Mitteln, die von der bisher zuständigen auf die nunmehr zuständige Stelle übertragen werden, sei nicht als Entrichtung eines Entgelts zu beurteilen. Es liege kein entgeltlicher Vertrag im Sinne der Richtlinie 2004/18 vor, denn Entgeltlichkeit impliziere, dass der öffentliche Auftraggeber, der einen öffentlichen Auftrag vergebe, gemäß diesem Auftrag gegen eine Gegenleistung eine Leistung erhalte, die für den öffentlichen Auftraggeber von unmittelbarem wirtschaftlichen Interesse sei. Das Synallagma eines Vertrages sei wesentliches Merkmal eines öffentlichen Auftrags. Die Entscheidung über die Zuweisung öffentlicher Befugnisse falle nicht in den Bereich wirtschaftlicher Vorgänge. Die Verpflichtung, die Einnahmen übersteigende Mehrkosten zu übernehmen, sei eine an Dritte gerichtete Garantie, die wegen des Grundsatzes, dass über das Vermögen einer öffentlichen Stelle kein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann, erforderlich sei. Das Bestehen eines solchen Grundsatzes falle als solches unter die interne Organisation des Mitgliedstaats.

Maßnahme der internen Organisation …

Allerdings muss eine Kompetenzübertragung zwischen öffentlichen Stellen, worauf der EuGH ausdrücklich hinweist, bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um als eine Maßnahme der internen Organisation angesehen werden zu können und damit unter die den Mitgliedstaaten durch Art. 4 Abs. 2 EUV garantierte Freiheit zu fallen. Eine Kompetenzübertragung müsse daher, damit sie als solche angesehen werden könne, nicht nur die mit der übertragenen Kompetenz verbundenen Zuständigkeiten, u. a. die Verpflichtung, den mit dieser Kompetenz verbundenen Aufgaben nachzukommen, sondern auch die damit einhergehenden Befugnisse umfassen.

Hierfür sei es erforderlich, dass die öffentliche Stelle, der eine Kompetenz übertragen werde, befugt sei, die Erfüllung der sich aus dieser Kompetenz ergebenden Aufgaben zu organisieren und den diese Aufgaben betreffenden rechtlichen Rahmen zu schaffen. Weiter müsse sie über eine finanzielle Unabhängigkeit verfügen, die es erlaube, die Finanzierung dieser Aufgaben sicherzustellen. Dies wäre nicht der Fall, wenn die ursprünglich zuständige Stelle die Hauptverantwortung für diese Aufgaben behielte, sich die finanzielle Kontrolle über diese vorbehielte oder den Entscheidungen, die die von ihr hinzugezogene Einrichtung treffen möchte, vorab zustimmen müsste.

Außerdem liege keine Kompetenzübertragung vor, wenn die neuerdings zuständige öffentliche Stelle von der betreffenden Befugnis nicht selbstständig und eigenverantwortlich Gebrauch machen könne. Eine solche Handlungsfreiheit bedeute allerdings nicht, dass die neuerdings zuständige Einrichtung jeglicher Einflussnahme durch eine andere öffentliche Einrichtung entzogen sein müsse; die Einrichtung, die eine Kompetenz übertrage, könne ein gewisses Überwachungsrecht für die mit der öffentlich-rechtlichen Dienstleistung verbundenen Aufgaben behalten. Eine Einmischung in konkrete Modalitäten der Auftragsdurchführung, die unter die übertragene Kompetenz fallen, müsse aber ausgeschlossen sein.

… unter drei Voraussetzungen

Es müssen damit drei Voraussetzungen vorliegen, um einen innerstaatlichen, nicht dem Vergaberecht unterliegenden Organisationsakt zu bejahen:

  1. Voraussetzung ist, dass der neu zuständigen Stelle die umfassende Aufgabenkompetenz einschließlich der daraus folgenden hoheitlichen Befugnisse übertragen ist.
  2. Voraussetzung ist, dass die neuerdings zuständige öffentliche Stelle von der betreffenden Befugnis selbstständig und eigenverantwortlich Gebrauch machen kann.
  3. Voraussetzung ist, dass die neu zuständige Stelle finanziell unabhängig ist.

Abgrenzung hoheitlicher Tätigkeiten von Marktaktivitäten

Der EuGH weist zudem auf Folgendes hin: Für die öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten oder für bestimmte Gruppen davon sei die Erlaubnis oder das Verbot der Ausübung einer außerhalb ihrer Wahrnehmung von Gemeinwohlaufgaben liegenden Tätigkeit auf dem Markt Teil der internen Ordnung der Mitgliedstaaten; diese müssten beurteilen, ob eine solche Tätigkeit mit den institutionellen und satzungsmäßigen Zielen dieser Stellen vereinbar sei. Die Tatsache, dass die von einer Kompetenzübertragung betroffenen öffentlichen Einrichtungen bestimmte Tätigkeiten auf dem Markt ausüben könnten oder nicht, falle also ebenfalls unter die interne Organisation der Mitgliedstaaten.

 

Michael Stemmer

Direktor a.D. beim Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband, München
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