13.04.2017

Arbeitsplatz und Aufstieg sichern

Zur Gleichstellung von behinderten mit schwerbehinderten Menschen

Arbeitsplatz und Aufstieg sichern

Zur Gleichstellung von behinderten mit schwerbehinderten Menschen

Das Diskriminierungsverbot der UN-Behindertenrechtskonvention wegen einer Behinderung bezieht sich auf alle Aspekte der Beschäftigung. | © Eisenhans - Fotolia
Das Diskriminierungsverbot der UN-Behindertenrechtskonvention wegen einer Behinderung bezieht sich auf alle Aspekte der Beschäftigung. | © Eisenhans - Fotolia

Arbeit im Sinne des Art.  27 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat eine zentrale menschenrechtliche Dimension: Die Vertragsstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, sichern und fördern danach die Verwirklichung des Rechts von Menschen mit Behinderung auf Arbeit. Art.  27 UN-BRK schließt dabei selbstverständlich den Erwerb der Behinderung während der Beschäftigung in seinen Schutzbereich ein. Die Konventionsnorm statuiert ein Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung in »allen Angelegenheiten im Zusammenhang mit einer Beschäftigung gleich welcher Art, einschließlich der Auswahl-, Einstellungs- und Beschäftigungsbedingungen, der Weiterbeschäftigung, des beruflichen Aufstiegs sowie sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen (…)«.

Art.  27 UN-BRK ist damit für das sozialrechtliche Institut der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung mit schwerbehinderten Menschen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) eine wichtige Auslegungshilfe. Zuständig für die Gleichstellung ist die Bundesagentur für Arbeit.

Voraussetzungen der Gleichstellung

Gemäß §  2 Abs.  2 SGB IX sind Menschen im Sinne dieses Gesetzes schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des Gesetzes haben.
Nach §  2 Abs.  3 SGB  IX sollen behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 30 oder 40, bei denen die übrigen Voraussetzungen des §  2 Abs.  2 SGB  IX vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB  IX nicht erlangen oder nicht behalten können, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden. Gleichgestellt werden können sowohl Arbeitslose als auch behinderte Menschen, die einen Arbeitsplatz innehaben, aber einen beruflichen Aufstieg anstreben, der ohne die Gleichstellung erschwert wäre (BSG, Urteil vom 06. 08. 2014, SozR 4–3250 §  2 Nr.  5).


Ziel der Gleichstellung

Ziel der Gleichstellung ist also die Unterstützung bei der Vermittlung oder die Sicherung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Dabei geht es um die Schaffung einer annähernd gleichen Konkurrenzfähigkeit im Verhältnis zu nichtbehinderten Beschäftigten mit gleichen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten. Geeignet ist ein Arbeitsplatz dann, wenn die beruflichen Anforderungen an den behinderten Menschen in dem konkreten Tätigkeitsfeld seinem individuellen Leistungsprofil entsprechen (vgl. Mrozynski, SGB  IX Teil  1, §  2 Rn.  39.)

Einen Ausschluss bestimmter Beschäftigungsgruppen von der Gleichstellung sieht das SGB  IX nicht vor. Dies wäre diskriminierend und vom Gesetzeswortlaut des §  73 Abs.  1 SGB  IX nicht gedeckt. So dürfen z.B. Beamte oder Richter, die einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis unterliegen und bei denen eine Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegeben ist, nicht von der Gleichstellung ausgeschlossen werden.

Schließlich wäre dies auch eine Verkennung der mit der Gleichstellung verbundenen Rechtsfolgen, die sich gerade nicht nur auf den besonderen Kündigungsschutz nach §  85 SGB  IX beschränkt, sondern mit zahlreichen weiteren gesetzlichen Nachteilsausgleichen nach dem SGB  IX verbunden ist, die Beschäftigten »mit Arbeitsplatzgarantie« nicht vorenthalten werden dürfen. Hierzu gehört u.a. die begleitende Hilfe im Arbeitsleben durch das Integrationsamt. Im Rahmen der begleitenden Hilfe können beispielsweise vom Integrationsamt die Kosten für die behinderungsgerechte Ausstattung eines Arbeitsplatzes übernommen werden.

Definition des Arbeitsplatzbegriffs

73 Abs.  1 SGB  IX, auf den in §  2 Abs.  3 SGB  IX verwiesen wird, regelt deshalb hinsichtlich des Arbeitsplatzbegriffs unmissverständlich folgendes: Arbeitsplätze im Sinne des Teils  2 sind alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Vor diesem Hintergrund liegt es auch auf der Hand, dass der in §  2 Abs.  3 SGB  IX verbürgte subjektiv-öffentliche Sozialrechtsanspruch von Menschen mit Behinderung auf Gleichstellung nicht unter Hinweis auf eine Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften abgelehnt werden darf.

Die Voraussetzungen der Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen sind für alle Beschäftigtengruppen bezogen auf die konkreten Anforderungen am Arbeitsplatz und die konkreten Einschränkungen des behinderten Menschen zu prüfen. Dabei muss zwischen der Behinderung und der Erforderlichkeit der Gleichstellung ein Ursachenzusammenhang bestehen. Hierbei gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Ein Ursachenzusammenhang ist nicht erst dann zu bejahen, wenn eine Kündigung bereits konkret droht oder gar ausgesprochen worden ist (BSG, Urteil vom 06. 08. 2014 – B 11 AL 16/13 R, Breithaupt 2015 S.  370).

Vielmehr muss der das Sozialrecht im Allgemeinen und das SGB  IX im Besonderen beherrschende Grundgedanke der Prävention – also der rechtzeitigen Hilfe – angemessen zum Tragen kommen. Nur so können behinderungsbedingte Nachteile für Beschäftigte bereits im Vorfeld abgewendet werden. Hierbei ist kein zu strenger Maßstab anzulegen.

Inklusion: Breite Palette an Instrumentarien

Zur Inklusion von (gleichgestellten) schwerbehinderten Menschen hält das SGB IX ganz im Sinne des Art.  27 UN-BRK eine breite Palette an Instrumentarien bereit, um behinderungsbedingte Einschränkungen am Arbeitsplatz auszugleichen und eine annähernd gleiche Konkurrenzfähigkeit im Verhältnis zu nichtbehinderten Beschäftigten mit gleichen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten zu erreichen. Dies reicht von der Förderung der Teilnahme an Maßnahmen zur Erweiterung beruflicher Kenntnisse bis zur psychosozialen Begleitung am Arbeitsplatz (vgl. §  102 Abs.  2 SGB  IX).

Die Gleichstellung nach §  2 Abs.  3 SGB  IX mit Schwerbehinderten durch die Bundesagentur für Arbeit eröffnet Arbeitslosen oder Beschäftigten mit einem Grad der Behinderung von 30 oder 40 wichtige Teilhabechancen im Arbeitsleben. Mit der Gleichstellung soll eine diskriminierungsfreie Beschäftigung für alle Beschäftigtengruppen sichergestellt werden. Die Anstrengungen hierfür sind auf der Basis des menschenrechtlichen Gehalts des Art.  27 UN-BRK zu verstärken.

 

 

 

 

Dr. Andreas Frank

Ministerialrat, Leiter des Referats III 1, Grundsatzfragen der Generationenpolitik und der Abteilung III, Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales
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