15.11.2014

Schrottimmobilien: Was tun?

Bauaufsichtliche Kompetenzen zur Beseitigung verwahrloster Anlagen

Schrottimmobilien: Was tun?

Bauaufsichtliche Kompetenzen zur Beseitigung verwahrloster Anlagen

Verfallene Immobilien sind für die Kommunen ein Problem – gesetzliche Regelungen helfen bislang nicht weiter. | © beugdesign - Fotolia
Verfallene Immobilien sind für die Kommunen ein Problem – gesetzliche Regelungen helfen bislang nicht weiter. | © beugdesign - Fotolia

Zahlreiche Kommunen oder ganze Regionen kämpfen gegen eine wachsende Zahl von leerstehenden, verwahrlosten und verfallenden Immobilien an. In einem bereits 2009 vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung herausgegebenen Leitfaden (Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien – Praxis Heft 65) heißt es einleitend dazu, dass der Umgang mit derartigen Immobilien wegen der hierdurch erschwerten geordneten und sinnvollen Nutzung des betroffenen Bereiches eine große Herausforderung für die Gemeinden und die anderen damit befassten Akteure darstellt. Daran hat sich seitdem nichts geändert.

Solange von einer legal errichteten, verwahrlosten und verfallenden Immobilie keine konkrete Gefahr ausgeht, fehlt es in den meisten Bundesländern an den Voraussetzungen für ein zulässiges Eingreifen der Bauaufsichtsbehörde. In den Bundesländern Brandenburg (§ 74 Abs. 2 BbgBO), Bremen (§ 79 Abs. 2 BremLO), Niedersachsen (§ 79 Abs. 3 NBauO), Rheinland-Pfalz (§ 82 RhPfBauO), dem Saarland (§ 82a LBO) und seit April 2014 auch im Freistaat Thüringen (§ 79 Abs. 2 ThürBO) hat der jeweilige Landesgesetzgeber durch Aufnahme einer speziellen Befugnis versucht, den bestehenden Handlungsspielraum der Bauaufsichtsbehörden (bzw. im Saarland unmittelbar den der Gemeinden) zu erweitern. Eine umfassende Inanspruchnahme dieser Befugnis ist gleichwohl nicht zu erwarten, da bereits die Annahme des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist. Das soll beispielhaft am Wortlaut der Thüringer Regelung (§ 79 Abs. 2 ThürBO) erläutert werden:

„Die Bauaufsichtsbehörde kann die Beseitigung einer Anlage auch dann anordnen, wenn diese nicht genutzt wird und zu verfallen droht und ein öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse an ihrem Erhalt nicht besteht.”


Nicht ausgeübte Nutzung?

Die Bewertung der Nutzung bezieht sich ausschließlich auf die Ausübung der baurechtlich zulässigen Nutzung der Anlage. Nur für diese besteht eine verfestigte Rechtsposition, die durch die schon bisher vorhandenen Befugnisse nicht überwunden werden kann. Nicht ausgeübt wird die Nutzung somit dann, wenn die Anlage in tatsächlicher Weise überhaupt nicht oder abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen genutzt wird.

Die Nichtausübung muss auch dauerhaft sein, jede denkbare oder gar erkennbare Wiederaufnahme der Nutzung steht der Annahme der Nichtausübung entgegen. Erklärt sich der Berechtigte nicht entsprechend, muss die so erforderliche Dauerhaftigkeit anhand von Indizien ermittelt werden. Hierzu ist der Zeitraum der bisherigen Nichtnutzung heranzuziehen. Wird die Anlage über einen mehrere Jahre hinweg dauernden Zeitraum nicht genutzt, so ist der Rückschluss auf eine dauerhafte Nutzungsaufgabe zulässig. Es dürfte umgekehrt dagegen nicht ausreichend sein, bereits nach einer nur kurzen Zeitspanne eine fehlende Nutzung anzunehmen. Der genau dazwischen liegende Zeitraum lässt sich dagegen nicht eindeutig vorgeben und wird der Einzelfallbestimmung überlassen bleiben.

Drohender Verfall?

Die Vorschrift des § 79 Abs. 2 ThürBO 2014 setzt weiter voraus, dass der Verfall der Anlage droht. Mit dieser Formulierung setzt sich der Thüringer Gesetzgeber von den Formulierungen in den Vorschriften anderer Bundesländer teilweise ab. Auch diese knüpfen zwar an den Verfall einer baulichen Anlage, unterscheiden aber den Zeitpunkt. In Bremen muss die Anlage im Verfall „begriffen” sein (§ 79 Abs. 2 LBO Bremen), in Niedersachen muss sie sich ebenfalls im Verfallprozess befinden und tatsächlich „verfallen” (§ 79 Abs. 3 Satz 1 NBauO). Der drohende Verfall knüpft somit erkennbar an einen früheren Zeitpunkt an, der eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die Ermittlung eines hohen Maßes an Wahrscheinlichkeit erforderlich macht.

Der Begriff des Verfalls selbst wird im Gesetz nicht definiert. Es handelt sich um einen unbestimmten, der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Rechtsbegriff. Bisher besteht wenig Einigkeit darüber, wann ein solcher Verfall anzunehmen ist. Auch hier ist im Lichte der aus Artikel 14 Abs. 1 GG resultierenden Eigentumsgarantie jedenfalls Zurückhaltung bei der Annahme eines Verfalls geboten. Generell müssen deutlich erkennbare Schäden und Mängel an der Bausubstanz vorliegen. Diese führen allerdings lediglich dann zur Annahme eines drohenden Verfalls, wenn sie nur mit erheblichem zeitlichem und sachlichem Aufwand beseitigt werden können. Die Bauaufsichtsbehörde muss also gegebenenfalls unter Beiziehung eines Bausachverständigen eine Bewertung von Bausubstanz und Reparaturaufwand vornehmen, um daraus einen drohenden Verfall ableiten zu können. Je umfangreicher der prognostizierte Aufwand der Wiederherstellung ist, umso eher ist ein drohender Verfall anzunehmen.

Fehlendes Interesse am Erhalt?

Dem Beseitigungsbedürfnis darf letztlich auch weder ein öffentliches noch ein schutzwürdiges privates Interesse am Erhalt der baulichen Anlage gegenüberstehen.

Ein öffentliches Interesse kann sich nach Ansicht des Thüringer Gesetzgebers aus Belangen des Denkmalschutzes oder aus städtebaulichen Gründen ergeben. Zu diesen städtebaulichen Gründen zählt er auch die Vermeidung von Baulücken. Allgemein wird das Vorliegen eines öffentlichen Interesses im Sinne der Vorschrift jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn die Voraussetzungen für die Aufstellung einer Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorliegen. Insbesondere dürfte das aufgrund des Zwecks der Vorschrift (Abwehr von Verunstaltungen) insbesondere den Grund des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB betreffen, wonach die städtebauliche Eigenart des Gebiets aufgrund der jeweiligen städtebaulichen Gestalt maßgeblich für die Bewertung ist.

Das schutzwürdige private Interesse ergibt sich zunächst aus der jeweiligen Eigentümerstellung. Ein Eigentümer hat grundsätzlich Interesse daran, seine Anlage wieder zu nutzen. Ist er davon dauerhaft abgekommen, besteht dieses Interesse nicht. Hat er jedoch vor, das Anwesen wieder zu nutzen, so dürfte dieses Interesse als schutzwürdig anzusehen sein. Dabei muss es sich aber um eine ernsthafte Absicht handeln, deren Verwirklichung nicht unmöglich erscheint und glaubhaft gemacht wird. Je länger der Zeitraum der Verwahrlosung jedoch andauert, umso mehr müssen konkrete Anhaltspunkte für eine ernsthafte, zeitnahe Wiederverwertungsabsicht des Eigentümers bestehen.

Ob das Gleiche auch für den Inhaber der tatsächlichen Gewalt gilt, wird aus dem Inhalt der die Inhaberschaft begründenden Rechtsstellung sowie dem vorgetragenen Interesse am Erhalt der Anlage abzuleiten sein. Bei einer gewerblichen Überlassung von Anlagen im Rahmen eines Miet- oder Pachtverhältnisses können sich durchaus berücksichtigungsfähige schutzwürdige Interessen ergeben, wobei bereits die vorher zu bejahende Nutzungsaufgabe nur eine geringe Zahl von Fallgestaltungen als denkbar erscheinen lässt. Insbesondere wird in diesen Fällen weniger eine Schutzwürdigkeit auf Tatbestandsebene als auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung anzunehmen sein. Ausgeschlossen ist die Annahme eines schutzwürdigen privaten Interesses jedenfalls dann, wenn die Anlage unter keinem Gesichtspunkt mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln einer erneuten Nutzung zugeführt werden kann.

Geringe Praxisrelevanz

Selbst wenn das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen trotz der aufgeführten Schwierigkeiten bejaht werden kann, so stellen sich weitere Probleme auch auf der Rechtsfolgenseite, insbesondere bei der Ermessensausübung. Abschreckend dürften außerdem die hohen, mit einer Ersatzvornahme verbundenen Vollstreckungskosten wirken, die dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde jedenfalls entstehen werden und deren Beitreibung im Regelfall unmöglich sein wird. Solange den gesetzgeberischen Bemühungen somit keine finanziellen Förderungen durch die Länder flankierend zur Seite gestellt werden, bleibt den Regelungen die umfassende praktische Anwendung versagt.

Hinweis der Redaktion: Vertiefende Ausführungen des Autors zu diesem Thema finden Sie in den Thüringer Verwaltungsblättern, Heft 11/2014, S. 261 ff.: Die Beseitigungsanordnung auf Grundlage des § 79 Abs. 2 ThürBO 2014.

 

Prof. Dr. Sven Müller-Grune

Fachhochschule Schmalkalden, Fakultät Wirtschaftsrecht, Schmalkalden
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