15.11.2014

Erben – verloren in der Cloud?

Gedanken zum Umgang mit digitalem Erbgut

Erben – verloren in der Cloud?

Gedanken zum Umgang mit digitalem Erbgut

In der modernen Welt erwarten den Erben zahlreiche digitale Hürden. | © fotogestoeber - Fotolia
In der modernen Welt erwarten den Erben zahlreiche digitale Hürden. | © fotogestoeber - Fotolia

Wenn ein ehemaliger Erdenbürger dereinst im Himmel auf seiner Wolke angekommen sein wird, werden seine Erben feststellen, dass sein digitales Vermächtnis teilweise ebenfalls in einer Wolke wohnt.

Angenommen, der Verblichene hat gemäß einer verbreiteten Übung elektronische Besitztümer wie e-Books, Videos, Musikdateien, geteilte Erinnerungsfotos, Adresslisten, Mailinhalte und -Anhänge auf passwortgeschützten Benutzerkonten in der sogenannten Cloud angehäuft, dann kann es für seinen Universalsukzessor diverse Hürden geben, das Erbe tatsächlich anzutreten, auch wenn er über einen Erbschein verfügt.

Die technischen Benutzungsbedingungen und die Vertragsklauseln der Online-Anbieter sind häufig darauf ausgerichtet, den Online-Nutzer eindeutig zu identifizieren. Im Erbfall ändert sich aber die Identität des Berechtigten zwangsläufig, sodass Verwerfungen vorprogrammiert sind.


Gescannter Erbschein?

Eine ähnliche Fallkonstellation ergibt sich im Todesfall bei der elektronischen Kommunikation mit Behörden und Gerichten. Der Bürger, der über amtlich vorgesehene Instrumente des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) – wie z. B. ein elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) mit Authentifizierung per Signaturkarte – über laufende Verfahren mit staatlichen Stellen Kontakt hält und während eines solchen Verfahrens verstirbt, stellt seinen Gesamtrechtsnachfolger damit eventuell auch vor Aufgaben, für welche dieser gerne eine Schritt-für-Schritt-Anleitung hätte.

Die zugehörige Hypothese lautet: Zur generationenübergreifenden Kooperation im Erbfall gehört im Zeitalter elektronisch vermittelter Rechtspositionen notwendigerweise auch die Kooperation unter den verschiedenen involvierten Akteuren. Mit einem gescannten Erbschein allein kann der Rechtsnachfolger in vielen Fällen sein Erbe nicht effektiv antreten.

Die folgenden Beispiele aus dem öffentlichen und privaten Recht – teils mit Auslandsberührung – sollen dies deutlich machen.

Die Kommunikation mit Gerichten via EGVP

Laut Punkt 3.3 der Bekanntgabe des Einreichungsverfahrens aufgrund Artikel 1 § 3 der Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr in Baden-Württemberg (VO vom 11. Dezember 2006, GBl. S. 393) gilt für die Kommunikation via EGVP mit qualifizierter Signatur: „Elektronische Dokumente, die einem unterzeichneten Schriftstück gleichstehen (vgl. §§ 126, 126 a BGB), sind mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes zu versehen.”

Der Tod eines Beteiligten unterbricht ein anhängiges verwaltungsgerichtliches oder zivilgerichtliches Verfahren (§§ 239 ZPO, 173 VwGO); bei anwaltlicher Vertretung tritt keine Unterbrechung ein, aber das Verfahren kann ausgesetzt werden (§§ 246 ZPO, 173 VwGO). Es kann mit dem Erben fortgesetzt werden. Dieser ist nach Annahme der Erbschaft zur Fortführung des Rechtsstreits verpflichtet. Das Gericht kann ihn zur Aufnahme des Verfahrens und zur Verhandlung in der Hauptsache laden.

Nur angenommen, der Erblasser hatte das Verfahren via EGVP betrieben, dann müsste sich der Erbe mit der Signaturkarte authentifizieren, um den Prozess an der richtigen Stelle aufzunehmen. Die digitale Signatur ist aber an die Person des Inhabers gebunden, sodass die Benutzung einer „ererbten” Signaturkarte a priori problematisch ist.

Teilnahme am elektronischen Verwaltungsverfahren

Wenn ein Dienstleister gemäß EU-Dienstleistungsrichtlinie mit dem sogenannten einheitlichen Ansprechpartner in Baden-Württemberg fernkommuniziert, dann ist die erste Voraussetzung eine Registrierung bei service-bw.de mit E-Mail-Adresse, Benutzerkennung und Passwort oder künftig mit Hilfe des elektronischen Personalausweises ePa. (Quelle: http://www.service-bw.de/zfinder-bw-web/welcome.do?showMsbwDetails=1, abgerufen am 22. 10. 2014.)

Wenn also der Erbe eines derart registrierten Teilnehmers an einem elektronischen Verwaltungsverfahren dieses Verfahren nach dem Tod des Antragstellers weiter betreiben – oder verantwortungsvoll beenden – möchte, muss er die Mailadresse übernehmen können und die Passwörter kennen oder er muss den elektronischen Personalausweis des Erblassers benutzen, was in den objektiven Straftatbestand des Missbrauchs von Ausweisen mindestens hineinragt. Es könnte ihm auch unmöglich sein, da er im Normalfall die PIN zur eID seines Erblassers nicht kennt oder da der Ausweis eines Verstorbenen behördlich ungültig gemacht worden ist.

Angebote von Google und Facebook

Bei Google kann man eine Art elektronische Testamentsvollstreckung vorprogrammieren, indem man Einstellungen im „Kontoinaktivität-Manager für vertrauenswürdige Kontaktpersonen” vornimmt (Quelle: https://support.google.com/accounts/answer/3036514?hl=de).

Bei Facebook können Hinterbliebene das Nutzerkonto mit allen Veröffentlichungen löschen lassen. Dazu müssen sie Dokumente wie die Geburts- und Sterbeurkunde des Toten hochladen, ebenso den Erbschein (Quelle: https://de-de.facebook.com/help/contact/398036060275245). Dann kann ein Eintrag verschwinden. Die Facebook-Seite eines Verstorbenen kann aber auch in einen „Gedenkzustand” versetzt werden (Quelle: https://de-de.facebook.com/help/359046244166395/).

Unvererbliche E-Books

Wer bei Amazon Lizenzen für E-Books erworben hat und sich diese in Form einer digitalen Bibliothek auf den Kindle-Reader gezogen hat, könnte eventuell seinem Erben gar nichts davon weiterreichen, denn die Lizenzen sind laut allgemeinen Geschäftsbedingungen höchstpersönlich und nicht abtretbar, damit – vorbehaltlich der Gültigkeit der Geschäftsbedingungen im Rahmen des zwingenden Verbraucherschutzrechts – auch nicht vererblich (Quelle: http://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html?nodeId=200506200).

Hat der Erblasser bei Apple iTunes Store, dem iBook Store, dem App Store oder dem Mac App Store, deren AGBs teils differieren, teils aufeinander Bezug nehmen, Berechtigungen an elektronischen Gütern erworben, dann sind die Musikstücke, E-Books und Apps nur zum Teil gekauft, manchmal gemietet, oft aber nur lizenziert. (Rohwetter in http://www.zeit.de/2013/24/digitales-erbe/komplettansicht)

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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