14.04.2025

Recht und Rassismus

Im Kontext der juristischen Ausbildung

Recht und Rassismus

Im Kontext der juristischen Ausbildung

Kulturelle Vielfalt im Behörden-Alltag
Was bedeutet es, kritisch Jura zu studieren und welche Verantwortung geht mit der anschließenden Praxis dieser Materie einher?  | © Ricochet64 - Fotolia

Rassismus ist eine komplexe Struktur und betrifft jeden Aspekt unseres Zusammenlebens.1Zum „Strukturcharakter rassistischer Benachteiligung“: Barskanmaz, Rassismus, Postkolonialismus und Recht – Zu einer deutschen Critical Race Theory?, Kritische Justiz 2008, S. 297. Die Beziehung von Recht und Rassismus ist vielfältig. Dieser Beitrag beleuchtet bestehende rassistische Kontinuitäten im Recht, denn: Eine rassismuskritische Perspektive erweitert das Verständnis für das Recht und dessen Wirkung. Er ist ein Angebot, Handlungsfähigkeit hinsichtlich der Selbstorganisation im juristischen Alltag und eine Anspruchshaltung an die eigene Ausbildung und Lehre (weiter-) zu entwickeln.

Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem. Diese Feststellung ist Prämisse für die Auseinandersetzung mit Rassismus im Recht. In einer Studie des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa)2Der gesamte Bericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors ist online abrufbar unter: NaDiRa-Studie | Rassismus und seine Symptome (zuletzt abgerufen 28.01.2025). gaben von April bis August 2021 5.000 Menschen in einer repräsentativen Umfrage Auskunft zu ihren persönlichen Erfahrungen mit Rassismus. Aus den Ergebnissen der Studie geht hervor, dass Rassismus keineswegs ein bloßes Randphänomen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, sondern vielmehr omnipräsent im alltäglichen Leben ist – somit also auch im Recht.

Auffällig ist, dass die Beschwerde über rassistische Diskriminierung häufig als emotionale Befindlichkeit abgetan wird, was angesichts der tatsächlich erlebten Diskriminierung besorgniserregend ist und Fragen zur Deutungshoheit über den Unrechtsgehalt diskriminierender Handlungen aufwirft.3Vertiefend zur Auseinandersetzung mit epistemischer Gewalt und Deutungshoheit: Hauck, Weiße Deutungshoheit statt Objektivität: Der „objektive Dritte“ und die systematische Abwertung rassismuserfahrener Perspektiven, Zeitschrift für Rechtssoziologie 2022; 42 (2), S. 153–175. Es gilt, rassistische Diskriminierung trotz bestehender Ignoranz sichtbar zu machen.


Wie sprechen wir über Rassismus?

Was ist überhaupt Rassismus? Was ist der Unterschied von institutionellem und strukturellem Rassismus? Was ist mit „othering“ und „tokenism“ gemeint? Was sind „bias“? Die Auseinandersetzung damit, was „wir“ genau meinen, wenn es um bestimmte Phänomene geht, ist essenziell für eine Auseinandersetzung mit dem Problem. Denn am Ende eines politischen Aushandlungsprozesses sind es eben Begriffe, die in die Form eines Gesetzes gegossen werden. Sie stellen somit die Grundlage für das juristische Arbeiten dar.

Exemplarisch: Die Streichung des „Rasse“-Begriffs aus dem Grundgesetz und das postkategoriale Antidiskriminierungsrecht

Zentral für diese Debatte ist die Frage, ob durch die Verwendung des Begriffes „Rasse“ eine biologistische und essenzialistische Konzeptualisierung legitimiert wird oder ob es gerade erforderlich ist, gesellschaftlichen Rassismus durch den Rückgriff auf diesen konnotierenden Begriff zu erfassen.4Vertiefend dazu: Liebscher, Das Problem heißt Rassismus. Zur Debatte um den Rasse-Begriff im Grundgesetz und den Vorteilen einer postkategori-alen Alternative, Verfassungsblog, 11.06.2020; online abrufbar unter: Das Problem heißt Rassismus – Verfassungsblog (zuletzt abgerufen 19.12.2024).
Einen Lösungsansatz sieht das postkategoriale Antidiskriminierungsrecht vor: Der essenzialisierenden Wirkung von biologistisch konnotierten Begriffen wie „Rasse“ sollen Definitionen und damit auch juristische Tatbestände entgegengesetzt werden, die die tatsächliche Diskriminierungserfahrung fassen und den diskriminierenden Mechanismus dahinter, also Rassialisierung statt Rasse, und damit zu einer adäquateren Erfassung von Unrechtserfahrungen Betroffener führen, statt vermeintliche Unterschiede verfassungsrechtlich zu normieren.5Zu den Vorteilen eines postkategorialen Antidiskriminierungsrechts auch:Liebscher, Das Problem heißt Rassismus: Zur Debatte um den Rasse-Be-griff im Grundgesetz und den Vorteilen einer postkategorialen Alternative, VerfBlog, 2020/6/11, https://verfassungsblog.de/das-problem- heisst-rassismus/, DOI: 10.17176/20200612-013647-0.
Ziel dieses Ansatzes ist es, die Komplexität der Bedeutung von Begriffen aufzuzeigen, aber auch zu reflektieren, wem in einer solchen Debatte zugehört wird, welchen Akteur:innen wir Deutungshoheit zusprechen und wie Recht Unrechtserfahrungen normieren kann, ohne diskriminierende Begriffe zu perpetuieren.

Rassismus im Kontext der juristischen Ausbildung: Antirassismus als „übersehene“ Kernkompetenz

Wie schafft man rassismuskritische Räume an der Universität? Wieso ist das Asylrecht eigentlich nicht examensrelevant? Wo stoßen Studierende auf persönliche und strukturelle Grenzen in der Auseinandersetzung mit rassistischen Kontinuitäten im Recht?

Universitäre Binnenstrukturen

Bereits jetzt besteht eine Bandbreite an Initiativen, die im oftmals überladenen universitären Alltag einen kritischen Anspruch an das Studium implementieren wollen. Ihr Ziel: den Studierenden Anlaufstellen, Ressourcen und Vernetzung im universitären Leben bieten.6Exemplarisch sind für die Humboldt-Universität zu Berlin zu nennen: Räume für einen gemeinsamen Austausch, wie an vielen anderen Universitäten der Arbeitskreis kritischer Jurist:innen (AkJ), der sich mit marginalisierten Perspektiven im juristischen und rechtsrealen Raum beschäftigt, sowie die Hochschulgruppe BiJoC (Black, indigenous Jurastudierende of Colour). Diese setzt sich als feministische, antirassistische und machtkritische Hochschul-gruppe für mehr Sichtbarkeit von Anliegen von BiJoC-Jurastudierenden und eine solidarische Vernetzung ein. Vereint sind sie alle im Anliegen, den universitären Alltag mitzutragen und aktiv zu gestalten. Also nicht nur zu rezipieren, sondern mit- und umzudenken, mithin zu hinterfragen. Dabei fungieren sie als Mediator:innen zwischen Universität und der Studierendenschaft und sind damit essenziell für eine Vertretung vulnerabler Perspektiven auf Augenhöhe.
In gemeinsamer Anstrengung werden Anliegen auf die Agenda gebracht werden, vulnerable Stimmen sichtbar gemacht werden und das universitäre Leben aktiv mitgestaltet werden. Was dabei auffällt: Engagement im universitären Alltag ist möglich und erwünscht, wohingegen kritische Inhalte oftmals nur als „nice to have“ in Form von Wahlfächern oder Zusatzseminaren Eingang ins Curriculum von Studierenden finden.7Vertiefend dazu: Mangold, Diskriminierung und juristische Ausbildung, Ver- fassungsblog, 11.09.2024, online abrufbar unter: Diskriminierung und juris-tische Ausbildung – Verfassungsblog (zuletzt abgerufen am 28.01.2025). Im Rahmen von Refugee Law Clinics oder studentischer Rechtsberatung kann Erlerntes direkt in die Praxis umgesetzt werden. Sie stellen die Schnittstelle zwischen Kompetenzerweiterung und Sammlung erster Expertise in dem Bereich dar. Diese Angebote helfen, sich der verkürzten Annahme zu entziehen, dass Jura und Gerechtigkeit einander ausschließen.

Den gesamten Beitrag lesen Sie in unseren neuesten Ausgabe von „Recht Reloaded“.

 

Hilal Alwan

Studiert im 5. Semester Jura an der Humboldt-Universität zu Berlin
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  • 1
    Zum „Strukturcharakter rassistischer Benachteiligung“: Barskanmaz, Rassismus, Postkolonialismus und Recht – Zu einer deutschen Critical Race Theory?, Kritische Justiz 2008, S. 297.
  • 2
    Der gesamte Bericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors ist online abrufbar unter: NaDiRa-Studie | Rassismus und seine Symptome (zuletzt abgerufen 28.01.2025).
  • 3
    Vertiefend zur Auseinandersetzung mit epistemischer Gewalt und Deutungshoheit: Hauck, Weiße Deutungshoheit statt Objektivität: Der „objektive Dritte“ und die systematische Abwertung rassismuserfahrener Perspektiven, Zeitschrift für Rechtssoziologie 2022; 42 (2), S. 153–175.
  • 4
    Vertiefend dazu: Liebscher, Das Problem heißt Rassismus. Zur Debatte um den Rasse-Begriff im Grundgesetz und den Vorteilen einer postkategori-alen Alternative, Verfassungsblog, 11.06.2020; online abrufbar unter: Das Problem heißt Rassismus – Verfassungsblog (zuletzt abgerufen 19.12.2024).
  • 5
    Zu den Vorteilen eines postkategorialen Antidiskriminierungsrechts auch:Liebscher, Das Problem heißt Rassismus: Zur Debatte um den Rasse-Be-griff im Grundgesetz und den Vorteilen einer postkategorialen Alternative, VerfBlog, 2020/6/11, https://verfassungsblog.de/das-problem- heisst-rassismus/, DOI: 10.17176/20200612-013647-0.
  • 6
    Exemplarisch sind für die Humboldt-Universität zu Berlin zu nennen: Räume für einen gemeinsamen Austausch, wie an vielen anderen Universitäten der Arbeitskreis kritischer Jurist:innen (AkJ), der sich mit marginalisierten Perspektiven im juristischen und rechtsrealen Raum beschäftigt, sowie die Hochschulgruppe BiJoC (Black, indigenous Jurastudierende of Colour). Diese setzt sich als feministische, antirassistische und machtkritische Hochschul-gruppe für mehr Sichtbarkeit von Anliegen von BiJoC-Jurastudierenden und eine solidarische Vernetzung ein.
  • 7
    Vertiefend dazu: Mangold, Diskriminierung und juristische Ausbildung, Ver- fassungsblog, 11.09.2024, online abrufbar unter: Diskriminierung und juris-tische Ausbildung – Verfassungsblog (zuletzt abgerufen am 28.01.2025).
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