15.02.2015

Nicht ohne meine Bürger…

Die Kraft der Vielen schafft Zukunft – Fachwerkstadt erfindet sich neu

Nicht ohne meine Bürger…

Die Kraft der Vielen schafft Zukunft – Fachwerkstadt erfindet sich neu

Die denkmalgeschützte Gesamtanlage in der Innenstadt Wolfhagen umfasst etwa 270 Gebäude. | ©  privat
Die denkmalgeschützte Gesamtanlage in der Innenstadt Wolfhagen umfasst etwa 270 Gebäude. | © privat

Es war einmal… und das ist kein Märchen

Wolfhagen, ein Kleinod in Nordhessen. Nahezu 800 Jahre alt, gelegen im Naturpark Habichtswald. Eine stolze Kleinstadt mit tiefen historischen Wurzeln, das Stadtbild wird geprägt von denkmalgeschützter Bausubstanz.

Das Mittelzentrum erfüllte bis zur Gebietsreform 1972 als Kreisstadt seine Aufgaben sehr bürgernah, der Altkreis umfasste seinerzeit 41.000 Einwohner. Landes- und Kreisbehörden zierten das Stadtbild, eine große Kaserne stellte einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Dienstleistung, Handel und Handwerk konzentrierten sich auch auf den mit ca. 270 Fachwerkhäusern gestalteten Innenstadtkern, entsprechend pulsierte dort das Leben.

Diese stabilisierenden Kräfte bestanden auch nach dem Verlust des Status als Kreisstadt weiter, das Wortspiel „Demografischer Wandel” war noch nicht erfunden. Wolfhagen hatte seinerzeit insgesamt ca. 15.000 Einwohner. Diese verteilten sich nahezu hälftig auf die 10 Stadtteile und die Kernstadt.


„Welch eine Idylle” wird der Leser denken… Alles funktionierte gut. Nicht nur die Kernstadt, auch die Stadtteile entwickelten sich.

Das Tief kam unausweichlich

Auch wenn in der Fachwelt seit Beginn der 1990er Jahre die anstehenden demografischen Veränderungen thematisiert wurden, richtig geglaubt hat es kaum einer. Intakte Haushaltszahlen und politische Diskussionen auf relativ hohem Niveau ließen selten Raum dafür, sich auf kommunaler Ebene mit derartigen Problemen zu beschäftigen.

Aber der Einbruch kam. Nicht nur in Wolfhagen… aber auch dort. Nachdem Post und Bahn begannen, sich aus der Fläche zurückzuziehen, folgten Banken, Behörden und letztlich die Bundeswehr. Der Status- und Kaufkraftverlust führte zu erheblichen Einschnitten in der Innenstadt, leere Läden bestimmten die öffentliche Wahrnehmung. So mancher Dienstleister und Handwerksbetrieb verschwand aus unserer Stadt.

Die Einwohnerzahlen gingen langsam zurück, die finanzielle Lage im kommunalen Haushalt wurde schlechter, Patentrezepte gab es keine. Er war spürbar, der demografische Wandel.

Neues Selbstverständnis

Die Situation war neu. Nicht nur für alle Bürger und Gewerbetreibenden, sondern auch für Verwaltung und die politisch Verantwortlichen. Trotz aller Bemühungen im Rahmen von Behörden- und Kasernenschließung, besonderes Engagement von Kommunalpolitik und Verwaltungsspitze, die Entscheidungen konnten nicht verhindert werden.

Strategiewechsel und nachhaltige Lösungsansätze waren erforderlich und eine Erkenntnis reifte schnell: Von „oben”, sprich Land und Bund, waren praktische Hilfen nur in sehr geringem Umfang zu erwarten.

Stärkung der eigenen Stadtwerke

Die Umwandlung unserer Stadtwerke vom ehemaligen Eigenbetrieb zur GmbH als 100 % Tochter der Stadt Wolfhagen stellt sicherlich einen Meilenstein in der Entwicklung der vergangenen 15 Jahre dar. Große Teile der Erfolge in unserer Stadt fußen auf dieser Grundlage und werden auch in Zukunft eine entsprechende Wirkung haben.

Parallel wurden seinerzeit in einem mutigen Prozess die Verteilernetze vom ehemaligen Stromversorger erworben, so dass sich die Stadtwerke Wolfhagen zu einem leistungsfähigen, überregional tätigen Versorger entwickeln konnten. Neben Strom und Trinkwasser wird nunmehr auch Gas vertrieben.

Als Imagebildner im Bereich der erneuerbaren Energien ist die GmbH zwischenzeitlich bundesweit bekannt geworden. Im Einvernehmen mit den politischen Gremien wurde sehr frühzeitig auf den Vertrieb von Strom aus Wasserkraft umgestellt und das Grundsatzziel, ab dem Jahr 2015 den Stromverbrauch in unserer Stadt gänzlich aus selbst erzeugten erneuerbaren Energien zu decken, ausgegeben.

Im Dezember 2014 wurden nunmehr 4 Windkraftanlagen im Eigentum der Stadtwerke mit einer Erzeugungsleistung von 12 MW in Betrieb genommen. Diese ergänzen die bereits seit einiger Zeit vorhandenen Fotovoltaikparks mit zusammen 13 MW.

Die Wertschöpfung für den städtischen Haushalt aus Gewinn, Gewerbesteuer, Konzessionsabgabe und Grundstückspacht wird in 2015 bei über 1,0 Mill. Euro liegen. Allein diese Zahlen belegen, wie wertvoll die seinerzeit getroffenen Entscheidungen sind, zumal die Einnahmen nachhaltig sind und eher noch steigen können.

Gründung der Bürgerenergiegenossenschaft (BEG)

Erfolgreiches kommunales Handeln wird in Zukunft viel eher als bisher breite Akzeptanz in der Bürgerschaft benötigen. Dies zu erreichen, setzt wahrhaftige Prozesse der Teilhabe voraus. Die Entwicklungen in Wolfhagen nehmen sich dieser Aufgabenstellung in besonderem Maße an.

Exemplarisch genannt werden soll an dieser Stelle die Gründung der Bürgerenergiegenossenschaft Wolfhagen im Jahre 2012. Mit dem Ziel, die Bürger an der Wertschöpfung aus den Projekten der autarken Stromerzeugung zu beteiligen, hat die ehrenamtlich geführte BEG mittlerweile ca. 800 Genossen.

Mit breiter Unterstützung und Zustimmung der politischen Gremien hat die BEG in 2013 einen 25 % Anteil an den Stadtwerken Wolfhagen erworben und ist somit am energiepolitischen Handeln in unserer Stadt beteiligt. Die Stadtwerke manifestieren hiermit deutlich, dass sie neben ihrer betriebswirtschaftlichen Aufgabe ein fester Bestandteil der Solidargemeinschaft in Wolfhagen sind.

Eine Stadt gewinnt …

Die Erfolgsgeschichte der Stadt Wolfhagen in den vergangenen 10 Jahren basiert naturgemäß auf einem koordinierten Handeln von Politik, Stadtverwaltung und Stadtwerken.

Für ihren Teil hat die Verwaltung im Rahmen der Konversion im Kasernenbereich, die Nutzung von Förderprogrammen von Land und Bund und die Konsolidierung des doppischen Haushaltes einen großen Beitrag geleistet. Die konsequente energetische Sanierung der stadteigenen Hochbauten wird sich nachhaltig auswirken.

Als eine von 5 Gewinnerstädten des BMBF Forschungswettbewerbes „Energieeffiziente Stadt” ist Wolfhagen bundesweit bekannt geworden.

Seinerzeit hatten sich 72 Städte beworben, die Stadt Wolfhagen ist mit vier weiteren als kleinste Kommune mit ca. 13.500 Einwohnern ausgewählt worden.

Innerhalb eines Konsortiums werden innovative Ideen und nachhaltige Entwicklungen angestoßen, praxisnah umgesetzt und transformierbar für andere dokumentiert. Es handelt sich dabei um ein reines Forschungsprojekt, welches pro Gewinnerstadt mit ca. 5,0 Mio Euro ausgestattet ist.

Neben den Partnern aus der Wissenschaft, der Fraunhofer Gesellschaft Kassel (IBP) und der Universität Kassel setzen die Stadtwerke Wolfhagen, die Energieagentur des Landkreises Kassel und die Stadt Wolfhagen jeweils eigene Arbeitspakete um. Hierbei spielt in allen Modulen die Bürgerpartizipation eine große Rolle.

Aus der Praxis … für die Praxis – Eine Kommune als Quelle des Anwenderwissens

Der Projektteil der Stadt Wolfhagen setzt sich in besonderer Form mit der denkmalgeschützten Gesamtanlage in der Innenstadt mit ca. 270 Gebäuden auseinander. Zur Sicherung der zukünftigen Entwicklung unserer historischen Altstädte sind wichtige Veränderungen unvermeidlich. Neben der baulich-konstruktiven Sanierung der Gebäude und den städtebaulichen Prozessen stehen insbesondere die energetischen Fragen im Focus.

Der städtebauliche Wandel zur familienfreundlichen, behinderten- und seniorengerechten Altstadt wird die bisherigen Aufgaben der Daseinsvorsorge ergänzen. Die Eigentümerschaft sollte sich für sinnvolle Gemeinschaftslösungen öffnen, das Bilden von Solidargemeinschaften und Netzwerken ist wichtige Voraussetzung hierfür.

Das Projekt verbindet die sozialen Fragestellungen der Eigentümerschaft mit den o.g. Themenkreisen und entwickelt eine neuartige Kommunikationskultur, welche zum Erhalt bzw. zur Entwicklung historischer Altstadtkerne eine zwingende Grundlage darstellt.

Fazit

Die Stadt Wolfhagen ist den wirtschaftlichen und strukturellen Problemen mit innovativen und nachhaltigen Werkzeugen begegnet. Die Stadtwerke, die Stadtverwaltung und die politischen Gremien haben sich zunächst an die Spitze der Bewegung gesetzt.

Die Klimaschutzziele, das Streben nach Energieeffizienz und Ressourcenschutz wurden in der Öffentlichkeit glaubwürdig vermittelt. Diese Themenkomplexe dienen als Orientierung für künftige Entscheidungen.

Partizipation und Kommunikation „auf Augenhöhe” mit den lokalen Akteuren wird gesucht und gelebt. Wirtschaftliche Vorteile für die Gewerbetreibenden, die Kommune und die Bürgerschaft steigern die Akzeptanz erheblich, hieraus entsteht „Aktive Stadtrettung”.

Die Verknüpfung der sozialen, baulichen und städtebaulichen Themenfelder mit den Bereichen Klimaschutz und Energieeffizienz werden somit zu einem Rezept gegen den demografischen Wandel.

Hinweis der Redaktion: PUBLICUS wird die Entwicklung der Stadt Wolfhagen in einer losen Folge weiterer Beiträge begleiten.

 

Dipl.-Ing. Michael Joost

Abteilungsleiter Stadtbauamt, Wolfhagen
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