02.09.2022

Neue Beschlüsse, alte Probleme

Die EZB zwischen Geld- und Fiskalpolitik

Neue Beschlüsse, alte Probleme

Die EZB zwischen Geld- und Fiskalpolitik

Gerade in Krisenzeiten nötigen die Konstruktionsfehler der Euro-Zone allen Beteiligten konfliktreiche Balanceakte ab. Besonders mangelnde Transparenz, das Fehlen quantifizierbarer Bedingungen sowie eine nicht vorhandene Volumenbegrenzung sind große Problemfelder.

Zwei Schritte vor – einer zurück, so könnte man die Entscheidungen des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 21. Juli 2022 in das rhythmische Bewegungsprogramm des Walzers übersetzen. Auf der einen Seite die Erhöhung des Leitzinssatzes, die mit 0,5 Prozent beim Doppelten der Erwartungen lag. Dies wohl auch, um ein entschiedenes Zeichen zur Bekämpfung der Inflation zu setzen, die die Zentralbank zwar nicht primär verursacht, aber zu deren realistischen Prognose oder gar rechtzeitigen Reduzierung sie wenig beigetragen hatte.

Transmission Protection Instrument (TPI)

Auf der anderen Seite dann aber auch gleich die Vorstellung der „Ersatzdroge“ für die überschuldeten Mitglieder der Euro-Zone in Form des Transmission Protection Instrument (TPI). Das billige Zentralbankgeld durch den großzügigen Ankauf der Staatspapiere gibt es jetzt nicht mehr offen auf der Straße, sondern wird günstig in der neuen Wärmestube der EZB angeboten. Wieder mal muss die Transmission – also die Übertragung der geldpolitischen Schritte der EZB in alle Euro-Länder – dazu herhalten, dass die Banker die ihnen zugedachte Domäne der Preisniveaustabilisierung verlassen und sich in die Gefahrenzone der natürlich verbotenen monetären Staatsfinanzierung begeben. Die Zinsen für die Staatsanleihen der einzelnen Euro-Staaten dürften nicht zu stark voneinander abweichen. Zuletzt waren unter anderem die Renditeaufschläge (Spreads) italienischer Staatsanleihen zu Bundesanleihen auf ca. 2,5 Prozentpunkte kräftig gestiegen, was allerdings gegenüber den Jahren der letzten Euro-Krise 2012/2013 immer noch weniger als die Hälfte ist.


Dennoch blicken Investoren angesichts des geldpolitischen Schwenks der EZB wieder verstärkt auf die Risikoprofile der einzelnen Euro-Länder. Hohe Staatsanleihen-Bestände in den Bankbilanzen machen Institute trotz EZB-Bankenaufsicht seit 2014 und jährlicher Stresstests immer noch verwundbar, sollten Unsicherheiten über die Tragfähigkeit von Staatsschulden zu starken Kursverlusten bei den Titeln führen. Neben den Banken als zu schützende Transmissionsriemen der Geldpolitik werden dabei natürlich auch Staaten vor zu hohen Kreditzinsen bewahrt, die deren Schuldentragfähigkeit gefährden und zu Zahlungsausfällen führen könnten, was wiederum durch verschlechtertes Kredit-Rating in noch höhere Finanzierungskosten und irgendwann in die faktische Staatsinsolvenz münden kann.

So angenehm dieser Insolvenzschutz für die Schuldnerländer und die Käufer(innen) der Staatspapiere ist, löst er das Grundproblem überschuldeter Staaten nicht: Insbesondere die Schulden Italiens sind langfristig ein ungelöstes Problem und werden immer wieder auf den Tisch kommen. Bei Drogenabhängigen würde man von Substitutionstherapie sprechen, zumal das „Methadon-Programm“ der EZB – soweit überhaupt bekannt – sehr gnädige Aufnahmebedingungen aufweist.

Alle 19 Länder der Eurozone kommen für das TPI in Betracht, insofern sie die EU-Haushaltsregeln (die allerdings nach dem Willen der EU-Kommission bis Ende 2023 ausgesetzt bleiben sollen) eingehalten haben und die Bedingungen des EU-Wiederaufbaufonds erfüllen. Die EZB wird auch prüfen, ob die „Entwicklung der Staatsverschuldung eines Landes nachhaltig“ ist und ob es eine „solide und nachhaltige makroökonomische Politik“ aufweist.

Forderung nach Transparenz

Die Gretchenfrage dagegen, wann ein Spread „ungerechtfertigt“ hoch ist, wird in den bisherigen Verlautbarungen nicht beantwortet. Und dies, obwohl die Karlsruher Verfassungshüter in ihrem viel und heftig diskutierten „Ultra-Vires“-Urteil vor gut zwei Jahren (2 BvR 859/15) Transparenz vom EZB-Rat dahingehend verlangt hatten, dass die mit dem damaligen – und übrigens strenger reglementierten – Ankaufprogramm PSPP angestrebten Ziele “nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen”.

Eine wirklich restriktive Konditionalität (wie bei dem damals ebenfalls sehr umstrittenen und bis heute ungenutzten OMT-Programm, das von Karlsruhe für noch verfassungsgemäß erklärt wurde) kann hierin nicht erkannt werden. Im Vergleich zu bereits vorhandenen Instrumenten (z. B. das Notfallprogramm PEPP aus der Coronakrise, der europäische Rettungsfonds ESM oder eben das ältere Anleihekaufprogramm OMT) erscheint TPI am lukrativsten. Die reformintensiveren älteren Programme binden die Hilfen an relativ harte Auflagen und eine gewisse Stigmatisierung, da diese hochverschuldete Euro-Länder eher zu Reformen zwingen.

Fazit

Durch mangelnde Transparenz, das Fehlen quantifizierbarer Bedingungen sowie eine nicht vorhandene Volumenbegrenzung werden sich die von Karlsruhe immer wieder postulierten Einflussmöglichkeiten des mithaftenden – und im Gegensatz zur EZB direkt demokratisch legitimierten – deutschen Haushaltsgesetzgebers reduzieren und damit die Erfolgsaussichten der zu erwartenden Verfassungsklagen eher erhöhen.

 

Michael Heinrich

Dozent an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Bundeswehrverwaltung in Mannheim
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