Modern und Bürgernah
Polizei Baden-Württemberg goes Web 2.0
Modern und Bürgernah
Polizei Baden-Württemberg goes Web 2.0
Das Internet erweitert nicht nur unsere persönliche Kommunikation, es verändert auch den öffentlichen Kommunikationsprozess einer repräsentativen Demokratie. Denn die Social Network Generation schafft mit ihrer Pluralität und ihrer enormen Geschwindigkeit eine Überlegenheit gegenüber staatlichen Entscheidungsprozessen, deren Auswirkungen auf die Akzeptanz staatlicher Autorität noch völlig unüberschaubar sind. Sie schafft aber auch Chancen, denen wir uns nicht verschließen sollten. Es gibt gute Beispiele, die zeigen, dass Soziale Netzwerke und staatliches Handeln kein Widerspruch sind. Ein Beispiel bietet die Polizei Baden-Württemberg.
Seit einigen Jahren sind Polizeidienststellen testweise in sozialen Netzwerken vertreten, um Menschen besser zu erreichen und moderne Wege der Bürgernähe zu gehen. Polizeiliches Handeln ist zwar stark vom vollziehenden Hoheitscharakter geprägt, doch Transparenz und unmittelbare Kommunikation mit Bürgern bieten die Chance, Exekutivhandeln zu vermitteln. Eine moderne Polizei weiß wie wichtig Kommunikation ist, gerade auch neue Medien.
Facebookpilot Polizeipräsidium Stuttgart
Einer, der die Bedeutung der bürgernahen Kommunikation immer wieder unterstrich, war der verstorbene Stuttgarter Polizeipräsident Thomas Züfle. Mit d’ Leut schwätze war sein Motto – so ging das Polizeipräsidium Stuttgart 2011 bei Facebook an den Start und ist seither Pilot für die Polizei Baden-Württemberg. Zwischenzeitlich gibt es weitere Facebook-Auftritte beim Landeskriminalamt sowie den Polizeipräsidien Karlsruhe und Mannheim.
Nachdem der Fokus zu Beginn verstärkt auf der Kommunikation bei Einsätzen rund um Stuttgart 21 lag, ist Facebook nun im Stuttgarter Polizei-Alltag angekommen. Aktuell hat das Polizeipräsidium Stuttgart auf Facebook 20.000 Fans. Pro Tag kommen rund 35 „Gefällt-mir-Angaben” hinzu.
Die Nutzungsmöglichkeiten sind vielseitig. So postet das Polizeipräsidium Stuttgart auf seiner Facebookseite unter anderem Präventionshinweise oder Warnungen, zum Beispiel vor Phishing E-Mails oder aktuellen Betrugsmaschen, Aufrufe wie nach einer Messerattacke, bei dem ein Opfer schwer verletzt wurde oder Verkehrsmeldungen und Verkehrspräventionstipps, aber auch alltägliche Facebook-Themen.
Monitoring und Echtzeitreaktion sind unumgänglich
Soziale Netzwerke bringen auch kritische Möglichkeiten mit sich, die man kennen sollte. So können auf Facebook jederzeit Suizidankündigungen, Amokandrohungen, Bombendrohungen oder andere Gefährdungslagen, aufschlagen, die eine sofortige Reaktion erfordern.
Vor einigen Wochen hat beispielsweise ein junges Mädchen nachts gepostet, dass sie sich umbringen will. Die Polizei Stuttgart hat unverzüglich reagiert. Doch können das andere Institutionen auch?
Das gilt auch für Kommentare. Eine öffentliche Institution kann es sich nicht erlauben Beleidigungen, Rassismus, Nazisymbole oder Ähnliches in Kommentaren zu dulden.
Reaktionen darauf müssen in Echtzeit erfolgen. Zumal auf einen Beitrag im Schnitt rund 42 Kommentare folgen. Auf diese Punkte muss man vorbereitet sein.
Professionelle Vorbereitung und fortlaufende Analyse
Zur Vorbereitung gehören auch Analyse und handwerkliche Aspekte. Die Polizei-Facebooker empfehlen, darauf zu achten, einen Pool an aussagekräftigen Bildern anzulegen, um nicht innerhalb kurzer Zeit mehrfach auf das Gleiche zurückgreifen zu müssen. Denn am erfolgreichsten sind Posts, die mit entsprechenden Symbolbildern hinterlegt sind. Wichtig ist dabei auch, die Rechte am jeweiligen Bild zu kennen und anzugeben. Auch wenn Nutzer stark auf Bilder fixiert sind, ist ihr eigentliches Interesse an den Inhalten erkennbar. Der Informationswert darf nicht beliebig sein. Von hoher Relevanz ist ein regionaler Bezug der Beiträge. Als praktikabel haben sich auch Posts mit direkten Aufforderungen wie „Bitte teilen” erwiesen. Das wurde zum Teil sehr schnell und weit verbreitet. Weniger gut kommen Re-Posts anderer Facebook-Seiten an.
Kreativität und Spontaneität sind unabdingbar
Neben einer professionellen Planung setzt Social Networking aber noch etwas sehr entscheidendes voraus: Kreativität und Spontaneität. Wir müssen uns als Behörden auf das Web 2.0 einlassen.
Das heißt: Weg vom Homepagedenken. Social media dürfen nicht zur Werbefläche verkommen, sondern leben von Interaktion und Ideen. Ein Beispiel ist die Antwort des Polizeipräsidiums Stuttgart auf die Nominierung für die ice bucket challenge. Den Clip können Sie sich auf Facebook ansehen.
Auf das Medium einlassen, bedeutet auch sprachlich. Denn Beamtenbingo ist fehl am Platz. Unser Amtsdeutsch muss in die Alltagssprache übersetzt werden. Es darf aber auch kein peinlicher Jugendsprech sein. In Stuttgart gelingt das auch deshalb sehr gut, weil junge Kolleginnen und Kollegen die Facebook-Seite betreiben.
Erfahrungswerte der Polizei zusammengefasst
Aus den Erfahrungswerten der Stuttgarter Polizei lassen sich in summa folgende wichtige Hinweise ableiten:
- Facebook verlangt Echtzeitreaktionen.
- Ein Rund-um-die-Uhr-Monitoring ist unumgänglich.
- Hierfür muss Personal investiert werden, am besten junges.
- Social Networking setzt ein durchdachtes Konzept voraus.
- Dabei darf spontane Kreativität nicht fehlen.
Polizei zwitschert auch
Zwischenzeitlich zwitschert die Polizei in Stuttgart und Karlsruhe auch. Das Polizeipräsidium Stuttgart nutzt Twitter vor allem zur sog. Einsatzbegleitenden Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel bei Fußballspielen oder Demonstrationen.
Das Mikroblogging hat für die Polizei den Vorteil, Informationen je nach Lage in Sekundenschnelle zu platzieren. So kann sie gezielt Hashtags und Posts setzen, um Falschmeldungen zu entkräften.
Zum Beispiel kursierte bei einer Demo die Falschmeldung, es gebe Verletzte. Die Polizei stellte das sofort via Twitter klar, woraufhin die Antifa twitterte: „Kann die Polizei mal raus aus unserem Tag?”.
Positiv war die „Einsatzbegleitung 2.0” auch bei einer Bombenentschärfung in Stuttgart. Die Polizei informierte die Bürgerinnen und Bürger aktuell über Straßensperrungen und evakuierte Straßenzüge.
Besonders gut verlief der Einsatz des Hashtags #oct3s bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit 2013 in Stuttgart. Die Polizei veröffentlichte fortlaufend Hinweise zur Verkehrslage und zum Einsatzgeschehen. Mit Hilfe der sozialen Netzwerke wäre bei einer Schadenslage auch eine schnelle Information der Bevölkerung möglich gewesen. Anhand der Kommentare und Zusprüche der User ist erkennbar, dass diese Art der Öffentlichkeitsarbeit Zuspruch findet.
Das Einsatz- oder Veranstaltungsbegleitende Social Networking ist vielleicht auch eine gute, ja sogar wichtige Nutzungsmöglichkeit für Städte und Kommunen.
Aufgrund der guten Erfahrungen wird die Polizei das weiter ausbauen. Der nächste Einsatz steht schon vor der Tür: Der Deutsche Evangelische Kirchentag in Stuttgart. Dann zwitschert die Polizei ein „Halleluja”.
Hinweis der Redaktion: Der Text entstammt einer am 5. März 2015 in Rheinau-Linx auf dem Fachkongress Kommun@l-online – Social Media in Kommunen gehaltenen Rede (siehe Veranstaltungsbericht in Ausgabe 2015.4, S. 37). Lesen Sie in der nächsten Ausgabe im Beitrag von Dr. Herbert O. Zinell, inwieweit sich Social Networking für staatliche Institutionen empfiehlt.