15.05.2015

Bürgerbeteiligung online – gewusst wie!

Zwischen e-Partizipation und e-Government: Chancen und Grenzen (3)

Bürgerbeteiligung online – gewusst wie!

Zwischen e-Partizipation und e-Government: Chancen und Grenzen (3)

Erfolgreiche Online-Beteiligung setzt ein Umdenken und Umlernen aller Beteiligten voraus. | © emuck - Fotolia
Erfolgreiche Online-Beteiligung setzt ein Umdenken und Umlernen aller Beteiligten voraus. | © emuck - Fotolia

Die Herausforderungen und Chancen von (kommunalen) Online-Beteiligungsverfahren, die wir in Teil 2 der Beitragsfolge beschrieben haben (siehe PUBLICUS 2015.4, S. 7 ff.), knüpfen an grundsätzliche demokratietheoretische Fragen an und spitzen diese neu zu. Zentrale Aspekte, um die diese Fragen kreisen, sind politische Expertise und Gleichheit in der politischen Teilhabe.

Politische Expertise der Bürger je nach Verfahren gefordert

Die diskutierten Fälle machen deutlich, dass ein offenes Verfahren, in dem die Bürger eigene Schwerpunkte setzen und neue Probleme aufs politische Tableau bringen können, zugleich hohe Anforderungen an die politische Expertise der Bürger stellen. Sowohl um einen Vorschlag so zu formulieren, dass er politisch anschlussfähig ist und an bestehende Gesetze und Initiativen anknüpft, als auch um andere Bürgervorschläge zu beurteilen, ist in vielen Fällen ein fundiertes Wissen über die jeweilige Materie nötig. Die Erfahrungen bisheriger Verfahren zeigen, dass dies nur in wenigen Fällen vorhanden ist.

Dies führt zu einem Dilemma: Bei niedrigschwelligen Partizipationsangeboten nimmt eine große Zahl von Bürgern teil, die Bürgervorschläge sind jedoch zu einem großen Teil von Beginn an aus Sicht der Politik nicht umsetzbar (beispielsweise, weil sie nicht in die Kompetenz der Kommune fallen oder nicht zwischen freiwilligen und Pflichtaufgaben der Kommunen unterscheiden). Setzt man die Hürden zur Teilnahme höher, nehmen weniger, aber sehr informierte und motivierte Bürger teil, von einer Integration politikferner Bürger kann also in diesem Fall keine Rede sein. Wie anfangs deutlich gemacht, ist es eine zentrale Hoffnung, politisches Vertrauen insbesondere derer zurückzugewinnen, die sich vom politischen Leben zurückgezogen haben.


Politische Internetnutzung: Für viele Bürger terra incognita

Das zweite Problem besteht im unerreichten Ideal gleicher politischer Teilhabe, das für alle politischen Beteiligungsformen in unterschiedlicher Intensität virulent ist. Bereits die Teilnahme an Parlamentswahlen ist in Deutschland und anderswo sozial stark selektiv. Bürger mit einem vergleichsweise hohen sozioökonomischen Status beteiligen sich politisch deutlich häufiger als sozioökonomisch schlechter gestellte Menschen. Dies kann möglicherweise dazu führen, dass die Interessen derer, die sich rege beteiligen (und die gleichzeitig als sozial stärker gelten dürfen), eher politisch umgesetzt werden als die der passiven sozial Schwächeren. Dieses Ungleichgewicht verstärkt sich bei nicht-klassischen Partizipationsformen wie konsultativen Beteiligungsverfahren. Hinzu kommt als zusätzlicher Filter, dass bei kommunalen Online-Beteiligungsverfahren der Bürger nicht nur über einen Internetzugang verfügen und diesen auch tatsächlich nutzen muss, der Bürger muss darüber hinaus auch bereit und willens sein, das Internet für politische Zwecke zu nutzen. Tatsächlich macht die politischeInternetnutzung bei denjenigen Bürgern, die regelmäßig online gehen, einen Bruchteil ihrer Nutzungsaktivitäten aus und ist für viele terra incognita (dazu, dass sowohl der materielle Zugang zum Internet sozial selektiv ist, als auch die Fähigkeiten und Motivationen bei der Mediennutzung siehe van Dijk, One Europe, Digitally Divided. In: Chadwick/ Howard (Hrsg.), Routledge Handbook of Internet Politics. Oxon. S. 288/304, 2009).

Zugleich bedingen sich die beiden demokratietheoretischen Begriffe: Will man eine informiertere Teilnahme der Bürger (höhere politische Expertise), muss man mit starken Verzerrungen im soziodemographischen Profil der Teilnehmer rechnen (geringere politische Gleichheit). Das gleiche gilt umgekehrt: Je mehr Repräsentativität ein Verfahren anstrebt, desto weniger politisches Wissen kann jedem einzelnen Teilnehmer abverlangt werden. Kommunale Onlinebeteiligungsverfahren verweisen folglich auf zwei zentrale Fragen in einer Demokratie: Wie informiert können/müssen die Bürger sein? Welcher Grad von politischer Gleichheit ist realisierbar und mit welchen Mitteln?

Online-Beteiligungsverfahren: Korrektur der Erwartungen

Diese Fragen stellen sich mit Blick auf kommunale Online-Beteiligungsverfahren mit einer anderen Dringlichkeit als bei verfassten politischen Beteiligungsformen. Wie wir anfangs gesehen haben, verläuft kommunale Online-Beteiligung in Deutschland immer konsultativ und wenig institutionalisiert und ist somit zwischen e-Partizipation und e-Government verortet. Dass Online-Beteiligung somit hierzulande eine kaum verfasste Form der Konsultation ist, rückt bei der Bewertung häufig in den Hintergrund. Sowohl die beteiligten Akteure als auch Außenstehende (Medien, Wissenschaft) behandeln diese Verfahren häufig so, als seien sie mit verfassten Formen politischer Partizipation wie etwa Bür- gerentscheiden oder Wahlen zu Parlamenten oder (Stadt-)Räten vergleichbar.

Vor diesem Hintergrund monieren Kritiker die oft geringe Teilnehmerquote bei solchen Verfahren (erfolgreiche Verfahren wie etwa der erste Durchlauf des Kölner Bürgerhaushaltes erreichten ein Prozent der Stadtbevölkerung), die mangelnde soziodemographische Repräsentativität der Teilnehmer oder den fehlenden politischen Einfluss der Bürgereingaben. Oft werden die Kritikpunkte auch miteinander verknüpft und ein politischer Einfluss der Bürgervorschläge davon abhängig gemacht, wie viele Bürger teilnehmen und ob diese repräsentativ für die Bürgerschaft der jeweiligen Kommune sind. Auch wenn diese Kritikpunkte durchaus ihre Berechtigung haben, werden sie kommunalen Partizipationsinstrumenten über das Internet nur teilweise gerecht, denn die angelegten Maßstäbe weisen auf andere Modi demokratischer Beteiligung, nämlich (a) der direktdemokratischen Beteiligung (hier ist die Quote und die Frage der Umsetzung der Bürgeranliegen relevant) und (b) der repräsentativ-demokratischen Beteiligung (hier sind die Repräsentativität der Teilnehmer und in geringerem Maße auch die Quote wichtig).

Online-Beteiligungsverfahren auf kommunaler Ebene sind jedoch weder direktdemokratische, noch repräsentativ-demokratische Verfahren, sondern konsultativ-dialogorientierte Verfahren. In diesem Sinne sollten sie nicht hauptsächlich an Kriterien gemessen werden, die an verfasste demokratische Verfahren angelegt werden. Vielmehr sollte die Bewertung dem Fakt Rechnung tragen, dass Online-Konsultationen zwischen e-Demokratie und e-Government stehen. Kriterien des e-Governments verdienen es folglich, in der Bewertung eine ebenso große Rolle zu spielen wie (e-)demokratische Kriterien. Eran Vigoda (From Responsiveness to Collaboration: Governance, Citizens, and the Next Generation of Public Administration. In: Public Administration Review, 5/62. S. 527/540, 2002) nennt als zentrale Bezugsgröße von e-Government die Verbesserung von Dialog und Zusammenarbeit zwischen Bürgerschaft und lokaler Verwaltung und Politik. Er zeichnet verschiedene Paradigmenwechsel im Verhältnis zwischen den politischen und administrativen Autoritäten und den Bürgern in den letzten Jahrzehnten nach.

Der letzte erfolgte Paradigmenwechsel habe darin gelegen, dass Bürger nicht länger nur als Wähler, sondern gleichsam als Kunden oder Klienten wahrgenommen werden. Derweil zeichne sich der nächste notwendige Paradigmenwechsel ab, so Vigoda, der in einer veränderten Wahrnehmung der Bürger nicht länger als Kunden/Klienten, sondern als gleichberechtigte Partner liege. Überlegungen aus der e-Government-Forschung wie die Eran Vigodas sollten stärker in die Bewertung von konsultativen Online-Beteiligungsverfahren einfließen. Ein partnerschaftlicher Dialog ist ein Ziel, das konsultative kommunale Beteiligungsverfahren im Internet tatsächlich erfüllen können, aber – wie wir in der Matrixverortung gesehen haben – dennoch nicht immer tatsächlich erreichen. Ziele und Kriterien, die das Verfahren von seiner Gestaltung her gar nicht vollständig erreichen will (Repräsentativität der Teilnehmer, direktdemokratische Umsetzung der Bürgereingaben) zur Grundlage der Bewertung zu machen, wird dem Verfahren nicht gerecht. Demgegenüber ist die Verbesserung des Dialogs ein Ziel, das in den meisten Verfahren angelegt ist. Es erscheint folglich sinnvoll, es bei der Bewertung solcher Verfahren heranzuziehen, da es ein erreichbares und der Verfahrenslogik inhärentes Ziel ist.

Umdenken und Umlernen aller beteiligten Gruppen nötig

Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein Umdenken und Umlernen aller beteiligten Akteursgruppen notwendig. In der Praxis kann das bedeuten, dass

(a) die kommunale Politik die Verfahren klarer an die gewünschten Ergebnisse anpasst (zeitlich und vom Verfahrensdesign), dass sie die Grenzen und Chancen des Instruments klar benennt (und keine direktdemokratische Beteiligung suggeriert, wo sie nicht gegeben ist) und dass sie eine schnelle, detaillierte und verständliche Rückmeldung zu den Bürgereingaben vorlegt und damit Wertschätzung für das Engagement der Bürger zeigt.

(b) Die Verwaltung ist insbesondere rund um die Informierung der Teilnehmer gefragt: Eine verständliche Darstellung der jeweils im Verfahren relevanten Hintergrundinformationen ist keineswegs trivial und kann die Diskussionen der Bürger sehr bereichern. Ebenso ist es wichtig, dass die Verwaltung die Bürgereingaben durch Informationen (etwa zur Machbarkeit oder zum Finanzvolumen des jeweiligen Vorschlags) ergänzt. Auf diese Weise lernen nicht nur die Autoren der Eingaben hinzu, sondern die anderen Teilnehmer können die jeweiligen Vorschläge auch besser verstehen und bewerten. Schließlich ist es essenziell, eine Sprache zu finden, die für Bürger verständlich ist und dennoch komplexe administrative Sachverhalte angemessen wiedergibt.

(c) Die Bürger, als dritte wichtige Akteursgruppe, müssen sich mit politischen Handlungszwängen, Verwaltungsabläufen und der Begrenztheit kommunaler Ressourcen auseinandersetzen und ein Verständnis für die Chancen und Grenzen von Onlinebeteiligung entwickeln. Dazu gehört ein Verständnis dafür, dass Klicks hinsichtlich ihrer politischen Relevanz nicht mit Kreuzchen auf dem Wahlzettel gleichzusetzen sind und dass Verwaltungsabläufe auch im schnellen Online-Zeitalter ihre Zeit brauchen. Im Ergebnis kann ein solches Verfahren einen vertrauensvollen Dialog zwischen kommunaler Politik, Verwaltung und Bürgerschaft fördern. Dies gelingt insbesondere dann, wenn alle Beteiligten dazu bereit sind, sich auf die Interessen und Standpunkt der anderen einzulassen, die gegenseitigen Handlungsbeschränkungen anzuerkennen und ihre eigenen Standpunkte im Dialog zu vertreten. Dabei bietet die kommunale Ebene den Vorteil, dass sich Online- und Offline-Verfahrensbausteine miteinander koppeln lassen, sodass den Online-Dialogpartner zumindest teilweise ein Gesicht zugeordnet werden kann.

Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass kommunale (Online-)Beteiligung als Mittel gegen einen allgemein konstatierten politischen Vertrauensverlust nicht funktionieren kann, wenn die drei wichtigsten beteiligten Akteursgruppen – Bürgerschaft, kommunale Verwaltung und Politik – oft nach Abschluss der Verfahren ihre Erwartungen nicht erfüllt sehen, da die Beteiligung ohne konkretes politisches Ergebnis bleibt. Diese Enttäuschung ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass alle derzeit in Deutschland von kommunaler Verwaltung und Politik initiierten Online-Verfahren rein konsultativ sind, häufig jedoch den Anschein direkter Bürgermitentscheidung erwecken. Dabei zeigt die Matrix der verschiedenen Gestaltungsfaktoren kommunaler Onlinebeteiligung, dass die Verfahren je nach Aufbau und Zielsetzung unterschiedliche Herausforderungen und Chancen mit sich bringen. Zugleich wird deutlich, dass Onlinekonsultationen nicht ausschließlich an Kriterien gemessen werden sollten, die für formelle und nicht-konsultative Verfahren gelten (wie Repräsentativität, Beteiligungsquote etc.). Stattdessen sollten Kriterien aus der e-Governmentforschung, beispielsweise die Verbesserung des Dialogs zwischen Bürgern und kommunaler Politik und Verwaltung, stärker in die Betrachtung kommunaler Onlinebeteiligung mit einfließen.

Hinweis der Redaktion: Den vollständigen Aufsatz mit allen Literatur-Fundstellen finden sie in Heft 4/2014 (Politik und Internet) der Reihe „Der Bürger im Staat” der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

Alma Kolleck

Alma Kolleck

Doktorandin, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität, Frankfurt am Main
n/a