15.06.2015

Modern und bürgernah

Public Social Networking erfordert durchdachtes Konzept

Modern und bürgernah

Public Social Networking erfordert durchdachtes Konzept

„Wieso hat unser Landesvater so eine coole Frisur?” | ©
„Wieso hat unser Landesvater so eine coole Frisur?” | ©

Sie haben sich sicher alle schon einmal die Frage gestellt: „Wird der Strom durch die Energiewende teurer?” und „Wieso hat unser Landesvater so eine coole Frisur?” Das sind zwei von 27 Fragen, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann kürzlich in seiner dritten Online-Sprechstunde  beantwortet hat. Seither wissen wir, dass Strom langfristig günstiger wird und dass die landesväterliche Frisur auf Anraten seiner Tochter entstand, die zu ihm sagte: Mach dir mal ne andere Frisur. Du siehst ja aus wie ein CDU-ler”.

Während Politiker früher alle paar Jahre vor Wahlen auf dem Marktplatz, ansonsten eher „analog” in Zeitungen oder im Fernsehen auftauchten, erlaubt die digitale Revolution heute eine direkte und persönliche Interaktion zwischen Bürgern und Amtsträgern oder staatlichen Institutionen. Doch, wehe dem Zauberlehrling, der die digitalen Geister rief! Denn nun müssen wir die bebilderten Terminkalender und Dauerwerbesendungen der omnipräsenten Politiker vom Frühstücksei bis zur Ansprache beim Landfrauentag halt auch ertragen.

Gute Erfahrungen der Polizei Baden-Württemberg

Die Nutzung Sozialer Netzwerke steckt voller Möglichkeiten, stellt aber auch besondere Anforderungen an staatliche Institutionen und verlangt daher ein durchdachtes Konzept. Die Erfahrungen der Polizei Baden-Württemberg (siehe Beitrag „Polizei Baden-Württemberg goes WEB 2.0, in: PUBLICUS 2015.5, S. 16 ff.) sind sehr positiv. Allen voran das enorme Verbreitungspotenzial, das soziale Netzwerke eröffnen. So liegt die tägliche Reichweite der Facebook-Seite des Polizeipräsidiums Stuttgart im Schnitt bei 14.500 Personen. Ein Beitrag zum Blitzmarathon erreichte sogar 760.000 Personen – also mehr als die Einwohnerzahl Stuttgarts (613.392).


Kritisch fällt hingegen die Antwort der Datenschützer aus. Denn was einmal im Netz steht, wird verbreitet und kann nicht mehr zurückgeholt werden. „Daten sind das neue Öl” schreibt Willi Kaczorowski in seinem Buch „Die smarte Stadt”. Denn Daten sind der „Rohstoff, aus dem neue Produkte, Prozesse und Wissen gewonnen werden. Gerade soziale Netzwerke produzieren eine kaum noch überschaubare Zahl von unstrukturierten Daten, die eine enorme Geschwindigkeit erzeugen, die kaum kontrollierbar ist”.

Big Data und Datenschutz

Die „Datenkraken” fressen und verdauen alles, was wir von uns geben, auch Daten, an die wir gar nicht denken. Das sollten wir im Hinterkopf haben, wenn wir Social Media nutzen. Erst recht, wenn wir das als öffentliche Institution tun.

Die Frage der Nutzung kann staatlicherseits durchaus auch eine zwiespältig Moralische sein. Einerseits können Soziale Netzwerke echte Hilfe leisten. Denken wir nur an Aufrufe zu Knochenmarkspenden und ähnliches. Doch man muss wissen: Bei Sozialen Netzwerken gelten andere Spielregeln als im Web 1.0. So ist bei konkreten Fällen, bei Echtdaten oder Personalien immer Vorsicht geboten.

Der Landesbeauftragte für Datenschutz – der hier eng eingebunden wird – schreibt für Facebook beispielsweise ein 24 Stunden Monitoring vor. Die Kommentarfunktion solle abgeschaltet werden. Das wiederum konterkariert den Grundgedanken des Web 2.0 und im Übrigen auch die Bestimmungen von Facebook. Denn ohne Interaktion ist es am Ende nur noch eine digitale Litfaßsäule.

Kurzum: Social Media haben eigene Regeln. Die muss man kennen und abwägen, wenn man dort verantwortlich agieren will – nicht nur die Regeln des Web 2.0, sondern auch die generellen Gefahren des Internets.

Abhängigkeit und Krisenanfälligkeit

Denn wer sagt uns denn, ob die Seite, auf der wir gerade sind, echt ist? Wer sagt uns, ob der Facebookaccount von OB Palmer aus Tübingen (Hinweis der Redaktion: Lesen Sie dazu den Beitrag in Ausgabe 2015.4, S. 4 ff.) nicht längst von Hackern betrieben wird? Wie schützen wir uns vor Cyberangriffen, die unsere schöne durchdigitalisierte Welt binnen Sekunden flach legen können?

Wir begeben uns schleichend in eine enorme Abhängigkeit und werden zum gläsernen Bewohner des World Wide Web. Es hat schon etwas Mephistophelisches, dass wir die große Freiheit des Netzes nutzen, um sie am Ende des Tages mit dem Verkauf unserer Daten, also einem Stück unserer Persönlichkeit, zu bezahlen. Das muss natürlich jeder für sich entscheiden, doch als staatliche Institutionen haben wir hier eine besondere Verantwortung. Es ist Aufgabe des Staates, Datensicherheit und Datenschutz zu gewährleisten und Persönlichkeitsrechte zu wahren. Wir müssen Nutzen und Verantwortung wägen. Immer wieder neu, denn die Entwicklung schreitet täglich fort. Stillstand und Realitätsferne zum Alltag der Menschen sind allerdings auch keine Lösung.

Es soll hier nicht der Teufel an die Wand gepixelt werden. Denn es kommt immer auch darauf an, wofür und wie die Sozialen Netzwerke genutzt werden. Je nach Institution gibt es unterschiedliche Zwecke. Laut Pluragraph sind die angeblichen TOP 5 Social-Media-Kommunen in Baden-Württemberg Heidelberg, Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim und Konstanz. Sie sind unterschiedlich geprägt und verfolgen unterschiedliche Zwecke. So ist zum Beispiel das Facebook-Profil der Stadt Heidelberg eher touristisch geprägt und weitgehend zweisprachig aufgebaut. Andere Städte setzen eher auf „interne” Kommunikation. Das wird zum Teil schon am Namen deutlich „Stuttgart – meine Stadt” oder „Karlsruhe – unsere Stadt”.

Pluragraph listet 119 Kommunen in Baden-Württemberg. 97 haben Facebook-Accounts, 78 Twitter-Accounts und 20 Google+-Profile. Daneben sind auch die Bereiche Organisationen, Politik, Kultur, Verwaltung … gelistet.

Vom digitalen zum persönlichen Miteinander

Es gibt viele Beispiele, die von der positiven Macht moderner Medien zeugen. Seien es die Hashtags nach den Anschlägen in Paris oder der Aufruf eines Freiburger Studenten zur Anti-Pegida-Demo, die zur größten Versammlung der Stadt wurde.

Moderne Kommunikation kann mehr sein als nur Kommunikation. Sie kann Menschen zusammenbringen und zum Handeln bewegen. Im Negativen wie im Positiven. Kommunikation kann auch für uns eine Chance zu mehr Miteinander von Staat und Bürgern sein. Unser Ziel muss sein, von der reinen Information zur interaktiven Kommunikation, hin zur Beteiligung und zum realen Bürgerengagement zu kommen.

Wir alle kennen das Für und Wider der digitalen Mitmachdemokratie wie zum Beispiel das „Online-Bürgerportal”. Es reicht von echter Partizipation bis zum paralysierenden Shitstorm.

Unstrittig ist jedoch, dass die Digitalisierung ein Prozess ist, dem wir uns als Staat nicht verschließen dürfen. Vor allem aber darf sich Kommunikation nicht im Digitalen erschöpfen. Unser Land, unsere Kommunen, wir alle leben auch von der realen Teilhabe, vom persönlichen Miteinander. Wir sollten die Chancen des Neuen nutzen und die Stärken des Alten fortführen. Schlussendlich geht es um die Bereitschaft, sich Bürgern zu öffnen, den persönlichen Kontakt und das Gespräch mit Menschen durch unterschiedlichste Arten der Kommunikation zu fördern.

Hinweis der Redaktion: Der Text war Grundlage einer von Ministerialdirektor Dr. Herbert O. Zinell, Amtschef des Innenministeriums Baden-Württemberg, auf der Tagung Kommun@l-Online am 05. 03. 2015 gehaltenen Rede. Lesen Sie dazu den Veranstaltungsbericht in Ausgabe 2015.4 auf den Seiten 37 f.

Dr. Herbert O. Zinell

Dr. Herbert O. Zinell

Senator E.h. Dr. Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und Oberbürgermeister a.D
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