09.03.2016

Mode oder Mehrwert?

Coaching in der Verwaltung kann eine wertvolle Unterstützung sein

Mode oder Mehrwert?

Coaching in der Verwaltung kann eine wertvolle Unterstützung sein

Gerade Führungskräfte benötigen einen klaren inneren Kompass und eine sicherer Orientierung. | © dvoevnore - Fotolia
Gerade Führungskräfte benötigen einen klaren inneren Kompass und eine sicherer Orientierung. | © dvoevnore - Fotolia

Der Coaching-Markt boomt.
Es gibt Coaching für jede Lebenslage – von Business bis Shopping. Jeder coacht jeden. Kein Wunder, dass auch die öffentliche Verwaltung Coaching für sich entdeckt hat. Springt sie damit nur auf den aktuellen Hype auf oder gibt es tatsächlich einen Mehrwert durch Coaching? Die öffentliche Verwaltung steht vor enormen Herausforderungen: Verwaltungsmodernisierung, Pensionierungswelle, Fachkräftemangel, verändertes Führungsverständnis und die Generation Y sind Teile der Veränderungsdynamik. Coaching wird zusehends als Schlüssel gesehen, um den Herausforderungen zu begegnen. Es soll im Kontext der Personalentwicklung helfen, die Potenziale der Führungs- und Nachwuchsführungskräfte nachhaltig zu entwickeln und zu nutzen. Laut 3. Marburger Coaching-Studie (2013) und 13. Coaching-Umfrage (BCO 2014) kommen die Personalverantwortlichen damit den Wünschen ihrer Führungskräfte entgegen. Immer stärker wird die Forderung, harte Managementthemen durch „weiche” Themen wie Motivation und Kompetenzplanung zu ergänzen (Studie Verwaltungsführung heute 2010). Auch der Führungsbegriff wandelt sich: Respekt aufgrund von Amt und Funktion ist nicht mehr selbstverständlich. Kompetenz und Persönlichkeit sind ausschlaggebend. Diese zu stärken und zu entwickeln, ist ein langfristiger Prozess, der mit klassischen Seminarformaten nicht mehr zu bewältigen ist. So werden diese Formate zunehmend durch Einzel-, Gruppen- und Teamcoaching sowie kollegiale Beratung ergänzt.

Wieso aber ausgerechnet Coaching? Was steckt dahinter?

Gerade im Kontext Führung greift Coaching gut als Instrument. Es ist eine individuelle Beratung auf Zeit, die auf die berufliche Situation zugeschnitten ist, ohne das Umfeld auszublenden. Es ist lösungsorientiert, pragmatisch, kurzfristig und auf zukünftiges Handeln und Verhalten ausgerichtet. Selbstorganisation, Reflexionsfähigkeit und Achtsamkeit werden gefördert. Coaching ist somit eine Maßnahme, die nicht von der Stange kommt, sondern maßgeschneidert ist: Der Dezernent einer Großstadt zerreibt sich zwischen der Fachlogik seiner Ämter und den politischen Forderungen, die von Oberbürgermeister, Stadtratsfraktionen und Medien kommen. Dieses Anliegen kann nicht standardisiert in einem Seminar geklärt werden, weil die spezifischen Rahmenbedingungen der Kommune, die politischen Konstellationen im Stadtrat und die örtliche Medienlandschaft einbezogen werden müssen. Genauso Persönlichkeit und Berufsbiografie des Dezernenten: Wie geht er mit den unterschiedlichen Erwartungen um? Wie definiert er seine Rolle zwischen Fachlichkeit und Politik? Wie vermittelt er dies an die jeweiligen Seiten? Diese Fragen können im Coaching gut ausgelotet werden. Gerade Führungskräfte an der Verwaltungsspitze benötigen einen klaren inneren Kompass: An der Amtsspitze geht es um die Balance zwischen Gestaltungsmacht und Machtgestaltung. Auch das beschriebene Spannungsfeld „Verwaltungslogik” versus „Politik und Medien” wird größer.

Je höher die Führungsebene, desto einsamer die Führungskraft. Coaching kann einen Sparring-Partner auf Augenhöhe bieten, der nicht ins Verwaltungssystem involviert ist und daher einen „Blick von außen” ermöglicht. Immer stärker geht es auch um Fragen von Rollenklärung, Stereotypen und das Hinterfragen von Hierarchien: Wie umgehen mit den Trends „Jung führt Alt” oder „Frau führt Mann”? Wie die Karriereplanung gestalten und gleichzeitig Beruf, Familie und Gesundheit langfristig unter einen Hut bringen?


Die Ungeduld mit der klassischen Laufbahnplanung nimmt vor allem beim Führungsnachwuchs zu. Ich erlebe in meinen Coachings immer häufiger, dass Nachwuchsführungskräfte schneller aus der Sachbearbeitung in Leitungsfunktionen drängen. Der nächste Laufbahnschritt soll dann ebenfalls relativ rasch erfolgen. Immer häufiger reflektieren meine Coachees (Coaching in Anspruch nehmende Personen), welche Potenziale sie mitbringen und wo diese außerhalb der eigenen Verwaltung noch gefragt sind. Bietet ihnen ihre Verwaltung nicht Entwicklungsmöglichkeiten mit mehr Verantwortung, suchen sie sich das woanders. Das kann sich heute jedoch keine Verwaltung mehr leisten.

Was ist wichtig bei der Implementierung von Coaching in der Verwaltung?

Zentral ist es erstens, als Kooperationspartner seriöse Coachs zu gewinnen. Das ist heute aufgrund der Fülle an Coachs schwieriger geworden. Wesentlich ist die solide Ausbildung des Coachs, die durch einen der großen Coachingverbände wie dem DBVC zertifiziert sein sollte, um bestimmte Qualitätsstandards zu sichern. Hinzu kommen die Berufserfahrung des Coachs und seine Feldkompetenz. Kann er oder sie etwas mit Verwaltung anfangen? Weiß der Coach um das Spannungsfeld zwischen Verwaltung, Politik und Bürgerschaft? Steht er oder sie der Verwaltung wertschätzend gegenüber – ohne bereits betriebsblind zu sein? Die Führungs- und Arbeitskultur der öffentlichen Verwaltung ist durch andere Faktoren geprägt als die der Privatwirtschaft: Gemeinwohl, politische Kontrolle und Ressortprinzip prägen Bewusstsein und Handeln.

Darüber sollte ein Coach Bescheid wissen, um im Coaching nicht wertvolle Zeit mit der Klärung grundlegender Faktoren zu verbringen. Für die Coachees ist es zweitens wichtig, dass es einen Coachpool gibt, aus dem sie sich einen geeigneten Coach auswählen können. Denn die „Passung” zwischen Coach und Coachee muss aufgrund der intensiven Zusammenarbeit stimmen. Große Verwaltungen haben oftmals Coachpools von 20 oder mehr Coachs anzubieten. Für kleinere Verwaltungen, die sich den Aufwand eines so großen Coachpools nicht leisten können, reicht es für den Anfang, drei bis fünf Coachs zu finden, aus denen die interessierten Führungskräfte wählen können.

Hilfreich ist es drittens, wenn Verwaltungen in ihrer Personalabteilung jemanden haben, der sich mit Coaching auskennt. Bei der Implementierung kann zu Beginn auch ein erfahrener Coach als BeraterIn unterstützen. Kritisch ist die Idee des Vorgesetzten als Coach zu sehen. Denn hier fehlen drei wesentliche Grundpfeiler von professionellem Coaching: Freiwilligkeit, Vertraulichkeit und Neutralität. Die Abhängigkeiten sind zu groß.

Wer hat Erfahrung mit Coaching in der Verwaltung?

Erfahrene AnsprechpartnerInnen finden sich in der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (Coachingzentrum), in den Führungs- und Verwaltungsakademien der Bundesländer und auch an den Hochschulen, die häufig über Kontakte zu erfahrenen Coachs verfügen. Ebenso hat die Stadt München ihre Erfahrungen mit der Einführung von Coaching veröffentlicht. Der Leitfaden Coaching: Praktische Erfahrungen mit passgenauer Personalentwicklung von 2013 bleibt bis heute allerdings der einzige umfassende Ratgeber zu diesem Thema, der für die Verwaltung aus der Verwaltung geschrieben wurde.

Was trägt noch zum Gelingen bei?

Wichtig ist eine gewisse Standardisierung für Auswahl- und Coachingverfahren, ohne sie bürokratisch zu überfrachten. Coaching ist kein klassisches Produkt, sondern eine individuelle Dienstleistung. Zu klären ist: Wer darf Coaching beanspruchen? Wie viele Stunden werden zur Verfügung gestellt? In welchen Formaten können diese abgerufen werden? Welche Themen passen zum Format? Muss das Coaching in einem bestimmten Zeitrahmen absolviert werden (Haushaltslogik)? Aus langjähriger Erfahrung plädiere ich für den Mut zur Flexibilität: Kleinere pragmatische und flexible Einheiten, mit der Möglichkeit, bei Bedarf nachzufassen. Zum Einstieg ein 3er-Paket, jede Sitzung zu 90 Minuten im Abstand von acht Wochen. Oder ein Kompaktcoaching von mehreren Stunden, kombiniert mit kürzeren Einzelsitzungen – heute auch via Skype möglich.

Das Coaching sollte in der Arbeitszeit abgehalten werden können und nicht on-top nach Feierabend. Empfehlenswert ist es, außerhalb des Dienstortes zu coachen. Da professionelles Coaching nicht zum Nulltarif einzukaufen ist, kann überlegt werden, ob und in welcher Höhe sich der Coachee mit einem Eigenanteil an den Coachingkosten beteiligt. Oftmals erhöht dies die Verbindlichkeit und ist bei kleineren Prozessen von drei Sitzungen auch für die meisten leistbar.

Was kommt auf die (Nachwuchs)Führungskräfte zu?

Für sie bedeutet Coaching, den Mut zu haben, auf sich selbst zu blicken, Gewohntes zu hinterfragen und aktiv an individuellen Lösungen zu arbeiten. Pauschal-Rezepte gibt es im Coaching nicht. Coaching hilft hier bei der Klärung und den ersten Schritten.

Wenn es dazu kommt, dass Coaching präventiv nachgefragt wird, um sich als (Nachwuchs)Führungskraft frühzeitig solide und nachhaltig aufzustellen – und nicht erst zu reagieren, wenn es brennt –, dann hat Coaching in der Personalentwicklung gewonnen.

Fazit: Es zeigt sich, dass Coaching in der Verwaltung mehr sein kann als eine Modeerscheinung. Wenn es solide eingeführt wird, nach klaren Kriterien abläuft und mit dem Ziel der Stärkung und Entwicklung verbunden ist, kann es ein Instrument sein, das der öffentlichen Verwaltung bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen hilft.

 

Dr. Hanne Weisensee

Coach & Dozentin für Führungskräfte in Politik, Verwaltung und Wissenschaft, WeisenseePolitikcoach Berlin & Bamberg
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