15.10.2014

Gemeinsamer Lernprozess

Bereitschaft der Kommunen zu systematisierter Bürgerbeteiligung wächst

Gemeinsamer Lernprozess

Bereitschaft der Kommunen zu systematisierter Bürgerbeteiligung wächst

Die systematische Steuerung von Beteiligungsprozessen ist Erfolgsfaktor für den gemeinsamen Lernprozess. | © frog-travel - Fotolia
Die systematische Steuerung von Beteiligungsprozessen ist Erfolgsfaktor für den gemeinsamen Lernprozess. | © frog-travel - Fotolia

Bürgerbeteiligung bestimmt die politische Agenda in Bund, Ländern und Gemeinden. Die Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgt auf allen Ebenen differenziert und zum Teil auch noch distanziert. So haben die Kommunen, die sich bereits in den 90er Jahren bei der Erarbeitung ihrer „Lokalen Agenda 21” mit beteiligungsorientierten Ansätzen ausgezeichnet haben, heute eine Vorreiterrolle übernommen. Sie haben zum Teil schon ihre Beteiligungsverfahren systematisiert, strukturiert und verstetigt. Auch wenn die Zahl der Kommunen, die Bürgerbeteiligung prozessual denkt und diese in Leitlinien oder Leitbildern verstetigt, kontinuierlich wächst, muss leider auch festgestellt werden, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil von einer Systematisierung noch weit entfernt ist und Beteiligung nach politischem Wohlwollen im Einzelfall gewährt oder sich sogar noch abwartend verhält.

Mit der Verwaltungsvorschrift Bürgerbeteiligung und dem Leitfaden für eine neue Planungskultur (siehe hierzu PUBLICUS 2011.8, S. 4 ff. sowie 2013.12, S. 4 und 7 ff.) hat das Land Baden-Württemberg nicht nur nach außen, sondern vor allem auch nach innen deutlich signalisiert, dass – wenn auch bislang nur bezogen auf einzelne Verfahrensformen – die Beteiligung der Öffentlichkeit ein unumkehrbarer, alle Phasen eines Projekts begleitender Prozess auf dem Weg zu einer Beteiligungskultur ist. Andere Länder und der Bund haben zum Teil ähnliche Ansätze entwickelt, doch nicht alle.

Entwicklung von Beteiligungsstrategien

Zur nachhaltigen Realisierung dieses Prozesses müssen zwei Interventionsrichtungen beachtet werden: die Gestaltung der Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit bzw. deren Teilöffentlichkeiten sowie die Befähigung der Verwaltung, die damit verbundenen nicht-förmlichen Beteiligungsprozesse mit den förmlichen Entscheidungsprozessen zu verbinden und dazu eine Änderung von individuellen Haltungen und organisationalen Determinanten zu vollziehen. Wie die Verwaltungen und die Bediensteten, die diese Prozesse konzipieren, strukturieren, organisieren und begleiten, auf diese Anforderungen vorbereitet werden sollten, ist wesentlicher Inhalt des in der Schriftenreihe der Führungsakademie Baden-Württemberg erschienenen Buches „Bürgerbeteiligung – Führen und Steuern von Beteiligungsprozessen”. Das Buch orientiert sich dabei an einzelnen Themen des von der Führungsakademie in Zusammenarbeit mit den Hochschulen für öffentliche Verwaltung in Ludwigsburg und Kehl konzipierten und durchgeführten Lehrgangs Bürgerbeteiligung.


Da sich das Buch primär an Angehörige der öffentlichen Verwaltungen richtet, steht deren beteiligungsorientiertes Handeln im Mittelpunkt der Analyse und Bewertung, eingebettet zwischen der Aufgabenerfüllung einerseits und den Anforderungen der Öffentlichkeit andererseits. Aufgezeigt wird, welche strategischen und operativen Stationen ein solcher Steuerungskreis enthalten muss und wie die Wechselwirkungen zur Aufgabe und zur Öffentlichkeit gestaltet werden sollten, wenn er diese Transmission erfüllen können soll. Den Ausgangspunkt der Betrachtung bilden Vorschläge und Vorstellungen, wie eine Beteiligungsstrategie entwickelt und wie den Prozess verstetigende Strukturen aufgebaut werden können. Daran anschließend wird vorgestellt, auf welche unterschiedliche Weise die Beteiligungsrelevanz einer Aufgabe erfasst werden kann, mit Hilfe welcher Methoden und Instrumente welche Beteiligungsziele am besten verfolgt werden können und wie die Öffentlichkeit laufend unterrichtet werden kann. Wichtig ist es dem Autor, diesen Steuerungskreis als lernenden Prozess zu verstehen. Dies macht es erforderlich, die Beteiligungsfolgen zu beobachten und zu bewerten. Dementsprechend können dann zum einen die Binnenprozesse in der Verwaltung verbessert werden. Zum andern kann gegenüber der Öffentlichkeit deutlich gemacht werden, welche über das konkrete Projekt hinausgehenden Erfahrungen die Verwaltung gemacht hat und was diese für die Strategie der Beteiligung und für künftige Beteiligungsprozesse bedeuten.

Bürgerbeteiligung als Medium staatlicher Steuerung

Wie bei jedem Veränderungsprozess ist auch hier von entscheidender Bedeutung, dass die in der Verwaltung betroffenen Mitarbeiter „mitgenommen werden” können. Dazu wird das Thema Bürgerbeteiligung von Einzelfallereignissen wie „Stuttgart 21” abstrahiert und in einen weiteren gesellschaftlichen Entwicklungskontext gestellt. Bürgerbeteiligung wird als zwingende Folge der Wissensgesellschaft und der Weiterentwicklung des Staatsleitbildes von Government zu Governance beschrieben sowie als Medium, wie in einer wertegewandelten und pluralistischen Gesellschaft staatliche Steuerung gewährleistet werden kann.

Dazu ist es notwendig, der Frage nachzugehen, wer die zu beteiligende Öffentlichkeit ist und wie diese erfasst werden kann. Dazu werden die in diesem komplexen Feld wirkenden Akteure, ihre Rollen, Interessen, Ziele und die sich daraus ergebenden Konfliktfelder beschrieben und geklärt. Der Autor geht dabei auch darauf ein, dass die Zivilgesellschaft keine homogene Gruppe ist, sondern in unterschiedliche Milieus zerfällt, die über unterschiedliche Beteiligungsbereitschaften und Einflüsse verfügt und daher strategisch differenziert angesprochen bzw. mobilisiert werden muss. Nicht verschwiegen werden auch potenzielle Konfliktlagen wie beispielsweise zwischen dem Gemeinderat und öffentlich wahrgenommenen Bürgerinnen und Bürgern und deren zum Teil direktdemokratischem Anspruch.

Neue Führungsmodelle

Im Unterschied zu den Bediensteten öffentlicher Verwaltungen sind Akteure der Zivilgesellschaft weder über Hierarchie noch über Weisungen erreichbar. Um Beteiligungen wirksam zu steuern, können die in der Verwaltung üblichen hierarchischen Instrumentarien und Prozesse nicht benutzt werden. Deshalb sind neue Ansätze zu entwickeln. Dazu stellt der Autor das Modell der lateralen Führung vor, das auf Verständigung und Vertrauen und auf einem sensiblen Umgang mit Macht basiert. Er zeigt auf, dass dieses an personaler Führung ausgerichtete Modell einen passenden organisationalen Bezugsrahmen erfordert, um wirksam genutzt werden zu können. Bürgerbeteiligung löst nicht nur einen nach außen gerichteten Prozess, sondern auch einen nach innen gerichteten Prozess mit paradigmatischen Veränderungen aus. Das Buch führt dazu in die Anforderungen des Change Managements ein und verdeutlicht, welche Interventionsfelder bei einem Veränderungsprozess bedient werden müssen. Dabei wird Bürgerbeteiligung als ein Staat und Gesellschaft gleichermaßen umfassender Lernprozess beschrieben.

Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Aufgabenverschiebung und der Vision einer »kommunalen Intelligenz« stellen sich neue Anforderungen an das Personal und an das Beteiligungsmanagement. So werden in einer beteiligungsorientierten Verwaltung analytische Kompetenzen, Kommunikationskompetenz sowie Methoden- und Prozesskenntnisse weitere wichtige Lernfelder sein. Denn die Verwaltung muss in der Lage sein, Spielräume identifizieren und rechtzeitig als beteiligungsfähige Gestaltungsfelder erkennen können. Sie muss lernen, mit einer wissenden und omnipräsenten Öffentlichkeit umzugehen, die durchaus in der Lage ist, ihr diese Spielräume aufzuzeigen.

Das Buch dient der Vertiefung und Reflexion. Es richtet sich an alle Lernenden und an alle Bediensteten in allen öffentlichen Verwaltungen, die Bürgerbeteiligungsprozesse planen und steuern, sich mit Beteiligungsfragen befassen, und an Personen in Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft, die an dem Thema interessiert sind. Es kann nicht nur als Informations- und Lernunterlage, sondern auch als Reflexionshilfe benutzt werden, um den eigenen Wissens-, Bildungs- und Lernbedarf zu erkennen, um diesen gezielt weiterentwickeln zu können.

Hinweis der Redaktion: Dr. Siegfried Mauch ist Autor des Titels „Bürgerbeteiligung – Führen und Steuern von Beteiligungsprozessen”, der in der Schriftenreihe der Führungsakademie Baden-Württemberg im Richard Boorberg Verlag erschienen ist.

 

Dr. Siegfried Mauch

Führungsakademie Baden-Württemberg, Stuttgart
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