03.04.2025

Festlegung der Geschäftskreise von Beigeordneten

Zum Verhältnis von Rat und Bürgermeister

Festlegung der Geschäftskreise von Beigeordneten

Zum Verhältnis von Rat und Bürgermeister

Ein Beitrag aus »Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV

Die Abgrenzung der Organisationsgewalt des Bürgermeisters und der Kompetenz des Rates zur Festlegung der Geschäftskreise der Beigeordneten ist ein gerichtlich weitgehend ungeklärtes und akademisch kontrovers diskutiertes Thema. Der Beitrag versucht auf der Grundlage alter und neuer Argumente sowie einer genauen Orientierung an den gesetzlichen Vorgaben, einen ausgewogenen und situationsbezogen differenzierten Lösungsvorschlag zu entwickeln, der den gesetzgeberischen Vorgaben Rechnung trägt, ohne eine organisationsrechtliche Unwucht zu verursachen.

I. Einleitung

Es ist mittlerweile sprichwörtlich bekannt, dass es nur weniger berichtigender Worte des Gesetzgebers bedürfe, um ganze juristische Bibliotheken zu Makulatur werden zu lassen.1 Manche Meinungsstreite erweisen sich aber auch gegenüber gesetzgeberischen Eingriffen als bemerkenswert resilient. Ein Beispiel für dieses Phänomen bieten die Unklarheiten rund um die Befugnisse des Bürgermeisters bei der Festlegung der Geschäftskreise von Beigeordneten, die sich aus dem auch nach der Reform von 2007 noch klärungsbedürftigen Verhältnis von § 73 Abs. 1 zu § 62 Abs. 1 Satz 3 und 4 GO NRW ergeben.

Gerichtliche Entscheidungen zu diesen Streitfragen sind selten, sodass die Debatte auch in der Praxis nicht zum Erliegen kommt. Das VG Köln hat sich im Jahr 2020 zum Verhältnis von § 62 Abs. 1 Satz 4 Var. 1 GO NRW zu § 73 Abs. 1 GO NRW geäußert,2 die vom Gericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassene Berufung wurde aber allem Anschein nach nicht verfolgt.


Klärung ist damit weiterhin nötig. Gerade weil es sich um eine bereits unter anderer Gesetzeslage geführte Diskussion handelt, bedarf es einer vorsichtigen Unterscheidung der unter dieser Streitfrage rubrizierten problematischen Konstellationen und einer Bewertung der Argumente nach geltendem Recht. Löst man sich von gesetzgeberisch überholten Vorstellungen, ermöglicht die GO NRW nämlich einen differenzierten und sachgerechten Ausgleich zwischen dem Organisationsrecht des Bürgermeisters und den Rechten des Rates.

Hierzu sind zunächst die Spannungsfelder und Problemkonstellationen im Verhältnis von § 62 Abs. 1 Satz 3 und 4 GO NRW und § 73 Abs. 1 GO NRW herauszuarbeiten (II.). Daran anschließend sind das realpolitische Spannungsfeld, auf das diese Normen treffen, und die in diesen Normen verkörperten gesetzgeberischen Grundsatzentscheidungen darzustellen (III.). Unter deren Eindruck können die einzelnen Streitfragen einer Klärung zugeführt werden (IV.).

II. Gesetzliche Spannungsfelder und Problemstellungen

§ 62 Abs. 1 Satz 2 GO NRW verortet die Verantwortung für die Leitung und Beaufsichtigung der Gemeindeverwaltung beim Bürgermeister. Damit korrespondiert seine Befugnis zur Leitung und Verteilung der Geschäfte nach § 62 Abs. 1 Satz 3 GO NRW. Ferner gibt § 62 Abs. 1 Satz 4 Var. 1 GO NRW dem Bürgermeister die Möglichkeit, sich eigene Aufgaben der Gemeindeverwaltung für ein von ihm geführtes Dezernat vorzubehalten. Nach § 62 Abs. 1 Satz 4 Var. 2 GO NRW kann er außerdem einzelne Angelegenheiten an sich ziehen.

Dem Bürgermeister werden zur Leitung der Verwaltung die Beigeordneten an die Seite gestellt, die ihm daher in der praktischen Arbeit besonders nahestehen. Gleichwohl werden sie vom Rat gewählt, der nach § 71 GO NRW auch ihre Anzahl in der Hauptsatzung festlegt. Sie vermitteln den im Rat geformten politischen Willen in die Verwaltung.3 In Anbetracht dieser Schnittstellenposition erscheint es durchaus passend, dass trotz der umfassenden Organisationsgewalt des Bürgermeisters für die kommunale Verwaltung die Festlegung der Geschäftskreise der Beigeordneten vom Rat vorgenommen werden kann, wie es der heutige § 73 Abs. 1 GO NRW seit 1994 vorsieht. Bis zum Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung (GO-Reformgesetz) aus dem Jahr 20074 nahmen die §§ 62 und 73 GO NRW nicht aufeinander Bezug, waren jeweils ohne Einschränkungen normiert und ihr Verhältnis zueinander war weitgehend unklar und strittig.5 Seither normiert § 73 Abs. 1 GO NRW ein zunächst auf Konsens zwischen Bürgermeister und Rat ausgelegtes Verfahren, wenn der Rat sich an der Festlegung der Geschäftskreise von Beigeordneten beteiligen möchte. Bei fehlendem Einvernehmen entscheidet der Rat mit qualifizierter Mehrheit ohne Mitwirkung des Bürgermeisters. Kommt es nicht zu einer solchen Entscheidung, sollen schließlich wieder die Sätze 3 und 4 des § 62 Abs. 1 GO NRW greifen.

Zum genauen Verhältnis von § 62 Abs. 1 Satz 3 und 4 GO NRW sowie § 73 Abs. 1 GO NRW bestehen manche Unsicherheiten. Soweit ersichtlich, ist die Befugnis des Bürgermeisters zur Festlegung der Geschäftskreise der Beigeordneten ohne Eingreifen des Rates ebenso unbestritten wie mittlerweile6 auch eine Bindung des Bürgermeisters an eine Einvernehmens- oder Ratsentscheidung bei der Verteilung der Geschäfte unter den Beigeordneten.7 Strittig ist allerdings, inwieweit ein Ratsbeschluss zur Festlegung der Geschäftskreise der Beigeordneten der Ausübung des Aufgabenvorbehaltsrechts des Bürgermeisters aus § 62 Abs. 1 Satz 4 Var. 1 GO NRW entgegensteht.8 Dieselbe Frage stellt sich auch mit Blick auf die Aufgabenübernahme nach § 62 Abs. 1 Satz 4 Var. 2 GO NRW.9

III. Politische Konfliktfelder und gesetzgeberische Vorgaben

1. Die kommunale Cohabitation

Das Nebeneinander der direkt gewählten Gemeindeorgane Rat und Bürgermeister führt naturgemäß zu einem besonderen Abstimmungs- und Koordinationsbedarf. Gerade durch das stark personengeprägte10 Amt des Bürgermeisters besteht die Möglichkeit einer Divergenz der politischen Ausrichtung von Ratsmehrheit und Bürgermeister – etwa durch den Erfolg von Personen, die bei Wahlen mehr Anklang finden als ihre Parteien oder die parteilich ungebunden sind. Vor dem GO-Reformgesetz musste die Koordination zwischen Rat und Bürgermeister in streitigen Fällen um den Zuschnitt der Aufgaben der Beigeordneten und des Bürgermeisters ohne gesetzliche Leitlinien auskommen. Das ist mittlerweile anders.

2. Strukturentscheidungen der GO NRW

Das Gesetz nimmt die umfassende Organisationsgewalt des Bürgermeisters zum Ausgangspunkt und konzipiert § 73 Abs. 1 GO NRW als begrenzte Ausnahme von diesem Grundsatz.11 Es handelt sich, wie schon bei den Vorgängerbestimmungen12, um eine Kompetenznorm des Rates13, wobei die Formulierung als Ermessensnorm verdeutlicht, dass es dem Rat freisteht, ob und inwieweit er von der Kompetenz Gebrauch macht.

Wird der Rat aber tätig, so soll zunächst nach § 73 Abs. 1 Satz 1 GO NRW im Einvernehmen mit dem Bürgermeister entschieden werden. Diese Konsensorientierung entspricht der Stellung der Beigeordneten in der Schnittstelle zwischen Gemeindeverwaltung und Rat.14 Bei Scheitern einer einvernehmlichen Lösung gäbe es verschiedene Möglichkeiten, den Dissens aufzulösen: So hätte man eine aufsichtsbehördliche Streitentscheidung vorsehen, den Bürgermeister in Ausübung seiner Organisationsgewalt entscheiden lassen oder eine Ratsentscheidung verlangen können. Der Gesetzgeber hat sich für Letzteres entschieden15 und damit deutlich gemacht, dass ein Scheitern der einvernehmlichen Lösung zu Lasten des Bürgermeisters geht. Der Bürgermeister wirkt laut § 73 Abs. 1 Satz 3 GO NRW bei der entsprechenden Entscheidung nicht mit. Im Erfordernis einer qualifizierten Ratsmehrheit für eine Festlegung der Geschäftskreise kommt überdies zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber eine ausgewogene, aber eindeutig ratsfreundliche Lösung gefunden hat: Das Mehrheitserfordernis trägt der Tragweite des Eingriffs in die dem Bürgermeister vorbehaltene Verwaltungsorganisation Rechnung, wahrt aber gleichzeitig die Handlungsfähigkeit auch zersplitterter Räte gegenüber dem Bürgermeister, weshalb die ursprünglich vorgesehene 2/3-Mehrheit wieder gestrichen wurde.16

Wenn der Rat keine Entscheidung mit der nötigen Mehrheit trifft, liegt der Ball gem. § 73 Abs. 1 Satz 4 GO NRW wieder in der Hälfte des Bürgermeisters, der im Rahmen seiner Organisationsgewalt entscheiden darf.

Den gesamten Beitrag entnehmen Sie den NWVBl. Heft 1/2025.

 

Ref. iur. Dr. Luc von Danwitz

Rechtsreferendar am OLG Köln, Stammdienststelle LG Bonn
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