15.08.2016

Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit

Kommunal- und haushaltsrechtliche Vorgaben in Thüringen

Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit

Kommunal- und haushaltsrechtliche Vorgaben in Thüringen

Die Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit wirft so manche Frage auf. | © Julien Eichinger - Fotolia
Die Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit wirft so manche Frage auf. | © Julien Eichinger - Fotolia

In den letzten 20 Jahren hat die Digitalisierung aller Lebensvorgänge in die Wirklichkeit des modernen Menschen Einzug gehalten. Dabei bezeichnet der Begriff der Digitalisierung die Überführung analoger Größen in abgestufte Werte, um diese elektronisch speichern und verarbeiten zu können. Auch in kommunalen Verwaltungen und Gemeinderäten hat der Begriff der Digitalisierung Einzug gehalten. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verringerung von Verwaltungskosten ist die Digitalisierung in Gemeindeverwaltungen und Gemeinderäte zu einer attraktiven Maßnahme geworden. Unter diesem Vorzeichen halten neue Techniken (insbesondere Endgeräte und Onlinedienste) wie iPad, Convertibele, iCloud und andere Lösungen in der Arbeit des Gemeinderates Einzug. Dabei stehen insbesondere zwei Fragen im Mittelpunkt: Welche Gründe sprechen ganz konkret für die Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit? Wie sehen die entsprechenden kommunalrechtlichen und haushaltsrechtlichen Voraussetzungen aus? Der folgende Beitrag beantwortet diese Fragen am Beispiel des Freistaats Thüringen.

Welche Gründe gibt es für die Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit?

Die Gründe für die Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit sind überwiegend haushaltspolitischer Art. Die Vorstellungen sind beherrscht von Gedanken der papierlosen Verwaltung und damit verbundenen Einsparungen in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte.

In der kommunalpolitischen Diskussion wird dieser Effekt meist bestritten, da den vermeintlichen Kosteneinsparungen (z. B. von Druckkosten, Papier) meist Aufwendungen (Kosten) für die notwendige IT-Infrastruktur (Beschaffung von Endgeräten, Personalkosten für Systemtechniker und zumeist freies WLAN) gegenüber stehen. Dies legt kommunalen Haushalten auf der Ausgabenseite meist zusätzliche Kosten auf.


Neben den wirtschaftlichen Aspekten ergeben sich verschiedene Fragestellungen, etwa inwieweit gegen den Willen der Gemeinderatsmitglieder eine Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit umgesetzt werden darf. Muss jedes Gemeinderatsmitglied die Eröffnung der Zugangsberechtigung (E-Mailbox/ E-Mail Posteingang) schaffen? Hat die Gemeindeverwaltung auf die Schaffung eines solchen Zugangs durch das Gemeinderatsmitglied einen Rechtsanspruch? Wo sind die Grenzen der zwangsweisen Durchsetzung der Digitalisierung?

Die kommunalrechtlichen Vorgaben

Die kommunalrechtlichen Vorgaben ergeben sich vorwiegend aus § 35 Abs. 7 Thüringer Kommunalordnung (ThürKO). Diese eröffnet den Gemeinden die Möglichkeit, mit der Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form die Zusammenarbeit zwischen Bürgermeister und Gemeinderat in digitaler Form zu betreiben.

Nach § 35 Abs. 7 Satz 1 ThürKO kann die Ersetzung der Form in folgenden Fällen erfolgen:

  • (1) Verlangen der unverzüglichen Einberufung einer Gemeinderatssitzung durch ¼ der Gemeinderatsmitglieder (§ 35 Abs. 1 Satz 4 ThürKO),
  • (2) Einladung der Gemeinderatsmitglieder zur Sitzung (§ 35 Abs. 2 Satz 1 ThürKO) und
  • (3) Antrag einer Fraktion oder eines Viertels der Gemeinderatsmitglieder, eine Angelegenheit in die Tagesordnung der nächsten Sitzung aufzunehmen (§ 35 Abs. 4 Satz 2 ThürKO).

Die Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form ist nach dem vermeintlich klaren Wortlaut des § 35 Abs. 7 ThürKO aber nur möglich, wenn alle Mitglieder des Gemeinderates damit einverstanden sind und für die Übermittlung der elektronischen Dokumente einen Zugang eröffnen. Die Vorschrift bezieht sich somit auf alle Mitglieder des Gemeinderates, also neben jedem einzelnen Gemeinderatsmitglied auch auf den Bürgermeister, vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 ThürKO.

Bei Berücksichtigung des (wiederum: vermeintlich eindeutigen) Wortlautes des § 35 Abs. 7 Satz 1 ThürKO wäre die Möglichkeit der Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form bereits dann ausgeschlossen, wenn auch nur ein einziges Gemeinderatsmitglied diesem widerspricht (Kommentar zur ThürKO, Richard Boorberg Verlag, § 35 S. 24 Ziffer 5.1.). In praktischer Konsequenz hätte dies zur Folge, dass eine elektronische Form bei allen anderen Gemeinderatsmitgliedern nicht zur Anwendung kommen darf. Folglich bleibt es bei der schriftlichen Form.

Zweifelhaft ist, ob eine solch enge Auslegung effektiv und sinnhaft ist (Uckel/Hauth/Hoffmann/Noll, Kommunalrecht in Thüringen, Stand 68. Erg., 01. 10. 2015, § 35, Ziffer 14). Vorzugswürdig ist eine weitere Auslegung der Worte „alle Gemeinderatsmitglieder”. In concreto: Diejenigen Gemeinderatsmitglieder, die eine Ersetzung der Papierform wünschen und die einen Zugang eröffnen, können die Dokumente in elektronischer Form zugesandt bekommen. Bei einem Mitglied des Gemeinderates, welches die elektronische Form nicht wünscht und/oder keinen Zugang eröffnet, bleibt es bei der Übersendung und Zustellung der Dokumente (z. B. Ladung, Drucksachen) in schriftlicher Form. Die elektronische Übermittlung der Dokumente ist hier unzulässig. Diese weite Auslegung wird auch durch die Argumente des klassischen Regelkanons der Auslegung (grammatische, historische, systematische und teleologische Auslegung) und den rechtlogischen Strukturen des § 35 Abs. 7 ThürKO untermauert. Dieses Auslegungsergebnis trägt auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift und der Intention des Gesetzgebers [Thüringer Landtag, 4. Wahlperiode, Drs. 4/52, S. 42 zu Nummer 3 (§ 35)], die verwaltungsinterne Zusammenarbeit des Bürgermeisters und des Gemeinderates zu erleichtern, Rechnung.

Neben der Zustimmung zur elektronischen Form muss auch der Zugang durch das Gemeinderatsmitglied eröffnet werden. Diese Entscheidung liegt im Verantwortungsbereich des einzelnen Gemeinderatsmitgliedes. Aus den Gesetzgebungsunterlagen aus dem Jahr 2004 zur Änderung des § 35 ThürKO wird deutlich, dass der Gesetzgeber jegliche Pflicht zur Zugangseröffnung vermeiden wollte.

Es ist nicht ausreichend, wenn ein Gemeinderatsmitglied auf seinem Briefkopf eine bloße E-Mail Adresse angibt. Jedes Gemeinderatsmitglied, das den Zugang eröffnen möchte, muss eine ausdrückliche und persönliche Erklärung gegenüber dem Bürgermeister abgeben. Mit der Zugangseröffnung übernimmt das Gemeinderatsmitglied auch die Verpflichtung zur regelmäßigen Leerung seines Postfaches und Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen.

Die haushaltsrechtlichen Vorgaben

Die haushaltsrechtlichen Vorgaben, unter denen die Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit als Haushaltskonsoldierungsmaßnahme erfolgen kann, ergeben sich aus § 53 ThürKO; für doppisch buchende Gemeinden ist § 4 Thüringer Gesetz über die kommunale Doppik (ThürKDG) einschlägig. Durch diese Rechtsnormen sind die Gemeinden verpflichtet, ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen. In diesem Konzept muss der Nachweis erbracht werden, wie mit der Umsetzung einzelner Maßnahmen ein Konsolidierungsbeitrag geleistet wird, um einen Haushaltsausgleich zukünftig sicherzustellen und eine geordnete Haushaltswirtschaft zukünftig wieder zu gewährleisten.

Die Maßnahmen leisten nur dann einen Konsolidierungsbeitrag, wenn sie zu einer Einnahmesteigerung oder Ausgabenverringerung führen. Bei einer Digitalisierung der Gemeinderatsarbeit könnte der Konsolidierungsbeitrag in der Verringerung der Ausgaben für Papier, Portokosten und Personalkosten (Herstellung und Versendung der Sitzungsunterlagen) bestehen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass auch für eine zukünftige Verwendung der digitalen Form Ausgangsvorrausetzungen geschaffen werden müssen, durch die (z. B. Hardware, Software und die Betreuung durch kommunale Bedienstete) Kosten entstehen können. Die Maßnahme „Digitalisierung” ist daher hinsichtlich ihres Konsolidierungsbeitrages im Detail auf ihre Vorteilhaftigkeit im Vergleich zur Verwendung der Schriftform hin zu untersuchen.

Bei der Ermittlung der Vorteilhaftigkeit ist vom Wirtschaftlichkeitsprinzip des § 3 Abs. 2 ThürKDG auszugehen. Um die Vorteilhaftigkeit unter Berücksichtigung des Sparsamkeitsgrundsatzes zu ermitteln, können die in der Wirtschaftswissenschaft entwickelten Investitionsrechenverfahren (z. B. Kostenvergleichsrechnung, Nutzwertanalyse, Amortisationsrechnung) verwendet werden.

Vorteilhaft wäre die Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form, wenn es z. B. bei Berücksichtigung aller variablen und fixen Kosten zu einer Kosteneinsparung kommt. Bei der Kostenvergleichsrechnung dürfen die Kosten für die Beschaffung von Endgeräten und anderer technischer Geräte nicht vergessen werden. Die aufgezeigte Wirtschaftlichkeitsanalyse ist anzufertigen und ausreichend zu dokumentieren.

Hinweis der Redaktion: Ein ausführlicher Aufsatz zu diesem Thema wird in der Oktober-Ausgabe der Thüringer Verwaltungsblätter erscheinen.

Kirchenrat Dipl. Jur. Christian Klein

Kirchenrat Dipl. Jur. Christian Klein

Rechtsanwalt und Leiter des Rechnungsprüfungsamtes der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Erfurt
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