08.05.2017

Den Kollaps verhindern

2030 sind im öffentlichen Dienst 816 000 Stellen unbesetzt

Den Kollaps verhindern

2030 sind im öffentlichen Dienst 816 000 Stellen unbesetzt

Insbesondere im öffentlichen Dienst wird sich bis 2030 der Personalmangel bemerkbar machen. | © francis bonami - Fotolia
Insbesondere im öffentlichen Dienst wird sich bis 2030 der Personalmangel bemerkbar machen. | © francis bonami - Fotolia

Die Zahl gibt zu denken: Im Jahr 2030 sind im öffentlichen Dienst 816 000 Stellen unbesetzt. Es werden 276 000 Verwaltungsfachleute und Büroangestellte fehlen sowie 194 000 Lehrkräfte. Geschlossene Stadtverwaltungsbüros und Unterrichtsausfall an Schulen und Notbetreuungen in Kitas kennzeichnen das Szenario der Zukunft. Das zeigt die Studie »Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst«, die die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) auf der Basis von Daten des Wirtschaftsforschungsinstituts WifOR erstellt hat. Dieser Fachkräftemangel trifft den Staat ausgerechnet in einer Zeit, in der die Aufgaben immer komplexer werden. Neben Lehrkräften, Erziehern und Verwaltungsangestellten werden vor allem Ingenieure, IT-Spezialisten sowie Fachpersonal im Pflege- und Gesundheitsbereich fehlen.

Verwaltungsarbeit ist dienstleistungsintensiv

Der öffentliche Dienst ist damit der Sektor mit dem größten absoluten Mangel. Das ist kein Zufall: Öffentliche Aufgaben sind dienstleistungsintensiv. Während die Industrie das Fehlen von Fachkräften bis zu einem gewissen Grad durch Automatisierung kompensieren kann, muss der Staat oftmals andere Antworten finden. Die Zeit drängt: Die Generation der Babyboomer, die bis 2030 in den Ruhestand geht, und die Zurückhaltung bei Neueinstellungen in den vergangenen Jahren sorgt in Bund, Ländern und Kommunen für einen abrupten Generationswechsel, der weit über die übliche Fluktuation hinausgeht. Insbesondere bei akademischen Berufen ergibt sich ein gravierender Mangel an 320 000 Fachkräften. Lediglich der Gesundheits- und Pharmasektor leidet unter einem Defizit in ähnlicher Größenordnung.

Der Mangel durchzieht alle Aufgabenfelder. Fehlen werden im Jahr 2030:


  • 276 400 Verwaltungsfachkräfte (inklusive 45 400 Bürokräfte). Damit kann knapp jede neunte Stelle nicht dauerhaft besetzt werden.
  • 194 000 Fachkräfte in lehrenden Berufen; damit ist jede zehnte Lehrer- und Dozentenstelle 2030 vakant.
  • 114 000 Juristen, Sozialwissenschaftler sowie Betriebswirte und – was besonders gravierend ist – Führungskräfte.
  • 175 000 MINT- sowie Gesundheits- und Betreuungsberufe, davon 125 000 nicht-akademisch sowie 50 000 akademisch ausgebildete Kräfte.
  • 40 000 Dienstleistungsberufe wie Polizisten, Hausmeister, Schaffner, Bestatter und Köche.

In vielen Fällen und insbesondere bei den MINT-Berufen trifft der Mangel besonders spezialisierte Fachkräfte, die für das Funktionieren der Verwaltung und zur Bewahrung der Steuerungsfähigkeit unerlässlich sind und damit einen Flaschenhals darstellen.

Der öffentliche Dienst hat ein Imageproblem

Noch ist Zeit, diesen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen: Neue Mitarbeiter zu gewinnen, ist dabei ein zentrales Handlungsfeld. Denn der öffentliche Dienst hat als Arbeitgeber ein massives Imageproblem – gerade bei Berufseinsteigern oder Schülern, die vor der Berufswahl stehen.

Zwar gilt die öffentliche Hand als sicherer und familienfreundlicher Arbeitergeber, doch bei ambitionierten, leistungsstarken Hochschulabsolventen zieht sie im Vergleich zur Privatwirtschaft oft den Kürzeren. Das gilt vor allem für Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler – also ausgerechnet jenen Berufsgruppen, die 2030 besonders gefragt sein werden. Sie vermissen berufliche Entfaltungsmöglichkeiten. Hier muss die öffentliche Hand ein attraktiveres Arbeitsumfeld schaffen und die vorhandenen Vielfalt besser kommunizieren.

Praktikantenprogramme können in dieser Hinsicht als Recruiting-Instrument dienen. Die Privatwirtschaft nutzt das schon lange. Dort ist die Zahl der Praktikanten doppelt so hoch wie im öffentlichen Dienst. Auch eine Imagekampagne nach Vorbild des Handwerks ist ein guter Weg, die Attraktivität des öffentlichen Dienstes stärker ins allgemeine Bewusstsein zu rücken.

Bei einigen besonders im Wettbewerb stehenden Berufen stellt sich auch die Frage nach einer adäquaten Bezahlung. Schon heute sind IT-Spezialisten und Führungskräfte, um die auch andere Branchen konkurrieren, beim Staat einkommensmäßig benachteiligt. Umgekehrt bietet der öffentliche Dienst bei geringen und mittleren Einkommensgruppen deutliche Vorteile gegenüber der Privatwirtschaft. Das Gehaltsgefüge müsste also punktuell und gezielt überarbeitet und den künftigen Anforderungen angepasst werden. Da Personalknappheit im Beamtenrecht kein Kriterium für eine höhere Bewertung von Stellen ist, könnte bei den IT- und Gesundheitsberufen angesichts einer alternden und zunehmend digitalen Gesellschaft mit der zentralen Bedeutung dieser Bereiche argumentiert werden. Im Hochschulbesoldungsrecht finden sich Beispiele für eine Prämierung besonderer Leistungen, die auf die allgemeine Besoldung übertragen werden könnten.

Eine wertschätzende Vertrauenskultur statt Kontrolle

Neue Fachkräfte zu gewinnen ist das eine. Ein weiterer Ansatzpunkt ist, die bereits vorhandenen Mitarbeiter zu binden, zu motivieren und ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit bis zum Rentenalter zu erhalten. Denn da gibt es offensichtlich Defizite: Die Fehltage im öffentlichen Dienst sind ungewöhnlich hoch. So lag die krankheitsbedingte Abwesenheitsquote der Bundesverwaltung im Jahr 2014 bei 6,2  %, bei den AOK-Versicherten lag sie bei nur 5,2 %. Noch gravierender ist der Anteil der aufgrund von Dienstunfähigkeit in den Ruhestand ausscheidenden Beamten, der mit 0,89 % bezogen auf alle Beschäftigten über 40 Jahren mehr als doppelt so hoch ist wie der vergleichbare Anteil der Zugänge in Rente aufgrund von Erwerbsminderung bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Eine große Rolle spielen dabei psychische Faktoren. Die Wahrscheinlichkeit, aufgrund psychischer Ursachen arbeitsunfähig zu werden, ist im öffentlichen Dienst um zwei Drittel erhöht. In Verwaltungen herrscht oft ein Klima, das von Misstrauen und Kontrolle geprägt ist und Mitarbeitern wenig Raum für Eigeninitiative lässt. An diese Stelle müsste eine wertschätzende Vertrauenskultur treten, die den Einzelnen mehr Eigenverantwortung und Gestaltungsspielräume zugesteht. Teamarbeit, das Etablieren einer Fehlerkultur, konkrete Zielvereinbarungen und systematische Feedbacks stellen dazu mögliche Ansätze dar.

Behördenübergreifend Karrieremöglichkeiten bieten

Bei der Motivation von Mitarbeitern wie auch bei der Stellenwahl spielen berufliche Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle. Öffentliche Laufbahnen gelten als starr und eindimensional. Behördenübergreifende Personalentwicklungsmodelle würden mehr Entfaltungschancen bieten. Selbst für den Lehrerberuf gäbe es Konzepte, aus Einzelkämpfern Teamplayer zu machen. Lehrer, die sich zu Arbeitsgruppen zusammenfinden, könnten sich gegenseitig coachen und bei der Unterrichtsvorbereitung entlasten. Der Teamleiter ist durch ein reduziertes Deputat für diese Aufgabe freigestellt. Er fungiert als Zwischenebene zwischen derzeit oftmals überlasteten Schulleitungen und Lehrern.

Das Potenzial älterer Mitarbeiter nutzen

Angesichts des Generationenwechsels, der sich in den Verwaltungen abzeichnet, wird es mehr und mehr darum gehen, das Potenzial älterer Mitarbeiter zu nutzen – mit Expertenpools oder flexiblen Ruhestandsregelungen. Dazu gehört auch, sich frühzeitig Gedanken über den nötigen Wissenstransfer zu machen. Denn sonst geht mit jedem Einzelnen über Jahre erworbenes Know-how verloren und mitunter Wissen, über das nur ein bestimmter Mitarbeiter verfügt. Das Arbeiten in altersgemischten Teams bietet die Möglichkeit, dass junge Mitarbeiter von den Kenntnissen, Erfahrungen und Routinen älterer Kollegen profitieren.

Alle Aufgaben gehören auf den Prüfstand

Der Fachkräftemangel lässt sich zwar abmildern, ganz zu verhindern ist er wohl nicht. Der öffentliche Dienst muss sich in jedem Fall darauf einstellen, seine Aufgaben künftig mit immer weniger Mitarbeitern zu stemmen. Ziel muss sein, die Arbeit effizienter zu gestalten und Aufgaben gezielt nach außen zu vergeben. Das will in Ruhe geplant sein. Sinnvolle digitale Lösungen sind nicht von heute auf morgen zu haben, sondern benötigen eine gewisse Einführungs- und Testphase. Auch Outsourcing, wenn es wirtschaftlich sinnvoll sein soll, will gut durchdacht sein.

In letzter Konsequenz muss es darum gehen, alle Arbeitsbereiche der öffentlichen Hand auf den Prüfstand zu stellen und herauszufinden, welche Kernaufgaben Bund, Länder und Gemeinden künftig noch erfüllen können und welche sie erfüllen müssen. Das setzt eine klare Prioritätensetzung und eine entsprechende Strategieentwicklung voraus. Tatsächlich findet man in vielen Behörden aber immer noch Aufgaben, die heute kaum mehr Relevanz haben, aber den Mitarbeitern Zeit, Nerven und Motivation kosten. Andere Aufgaben könnten durch intelligentere Regulierung stark vereinfacht werden. Die Überprüfung der Aufgabenerfüllung sollte daher künftig nicht nur auf Basis der unmittelbaren Kosten und Nutzen erfolgen, sondern stets auch unter der Fragestellung, ob das so gebundene Personal nicht an anderer Stelle wertschöpfender eingesetzt werden kann.

Ein familienfreundlicher und sicherer Arbeitgeber

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, kann der öffentliche Dienst auf seine Stärken setzen. Er ist ein familienfreundlicher und sicherer Arbeitgeber mit Aufgabenfeldern, die sich am Gemeinwohl orientieren, gesellschaftlich wichtige Bereiche abdecken und befriedigende Inhalte versprechen. Voraussetzung ist jedoch, vorausschauend zu planen und aus den vielen Ansatzpunkten ein geeignetes Maßnahmenbündel zusammenzustellen. 2030 – das ist schon in 13 Jahren.

 

Peter Detemple

Partner, PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Leiter des Bereiches Public Management Consulting, Frankfurt
 

Dr. Sandra Düsing

Direktorin und Expertin im Bereich P&O bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC)
 

Thorsten Schramm

Manager bei PwC im Bereich öffentlicher Sektor und Experte für finanzwissenschaftliche und Haushaltsfragestellungen, Berlin
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