25.06.2018

Das BVerfG hat gesprochen

Das Streikverbot für Beamte ist verfassungsgemäß

Das BVerfG hat gesprochen

Das Streikverbot für Beamte ist verfassungsgemäß

Mit dem Streikverbot für Beamte befassen sich die höchsten Gerichte. | © Andrey Burmakin - Fotolia
Mit dem Streikverbot für Beamte befassen sich die höchsten Gerichte. | © Andrey Burmakin - Fotolia

Die Vorgeschichte

Es sind die Lehrer, die als Beschwerdeführer den althergebrachten, ehernen Grundsatz, dass deutschen Beamten kein Streikrecht zusteht, vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen wollten.

Die Argumentationslinie ist bekannt: der persönliche Schutzbereich des Art. 9 III GG als Grundpfeiler der Koalitionsfreiheit und damit der gewerkschaftlichen Betätigung stehe auch Beamten uneingeschränkt offen. Die in Art. 33 V GG verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, aus denen das Streikverbot für Beamte abgeleitet wird, sind entsprechend ‚fortzuentwickeln‘. Das bedeutet nach Ansicht der Beschwerdeführer, dass eine effektive Beteiligung der Beamten und ihrer Interessenvertreter an allen ihren Status und ihre Arbeitsbedingungen betreffenden Kriterien gewährleistet werden muss. Können diese Interessen zwar verbalisiert, nicht aber durch adäquaten Druck, wie in Tarifstreitigkeiten, durchgesetzt werden, weil für Beamte ein absolutes, undifferenziertes Streikverbot besteht, wird die Interessenvertretung der Beamten zu einem zahnlosen Tiger degradiert, die allenfalls auf das freundliche Verständnis des staatlichen Arbeitgebers angewiesen ist.


Das Hoffen auf Brosamen, die vom Tisch des Verhandlungspartners fallen, sei bei den angestellten Lehrern nicht gegeben, denn diese dürften ihre Positionen streikmäßig voranbringen. Zwischen angestellten und beamteten Lehrern hingegen bestehe kein wesensmäßiger Unterschied.

In diesem Zusammenhang verweisen die Beschwerdeführer auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EGMR, der zu Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, Leitentscheidungen in Sachen Gewährleistung der Koalitionsfreiheit getroffen hat. Dabei hat der EGMR auch auf Streikverbote für Staatsdiener Bezug genommen und eine differenzierte Sichtweise angemahnt, da Art. 11 II EMRK eine rechtmäßige und damit einer Abwägung unterworfene Einschränkung der Ausübung der Rechte, die sich aus der Koalitionsfreiheit ableiten, fordere, so dass ein absolutes Streikverbot möglicherweise nicht abwägungsgerecht sein könnte.

Von staatlicher Seite aus wird hingegen – wie stets – betont, das deutsche, historisch gewachsene Berufsbeamtentum, erfordere das Streikverbot, weil nur so die Funktionsfähigkeit der Staatsverwaltung jederzeit gewährleistet sei. Außerdem würden Beamte für die Einhaltung des Streikverbots durch eine großzügige Paketlösung – von der Unkündbarkeit, der gerichtlich überprüfbaren Alimentation, den Beihilferegelungen bis zu den Pensionszusagen – entschädigt. Ihre Koalitionsfreiheit sei auch nicht eingeschränkt und ihre Gewerkschaftsvertreter würden angehört, auch wenn Tarifverhandlungen wegen der Besonderheiten der Dienstverhältnisse nicht stattfänden.

Das Streikverbot bleibe auch bei der gebotenen völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes bestehen. Die bisherige Rechtsprechung des EGMR zu Art. 11 EMRK beschäftige sich mit speziellen Fragen des türkischen Staates und den dort beschäftigten Arbeitnehmern des öffentlichen Sektors. Eine unmittelbare Leit- und Orientierungswirkung ergebe sich aus diesen speziell gelagerten Fällen für das deutsche Verfassungsrecht nicht.

Die Urteilsbegründung des BVerfG

Der Zweite Senat hat den deutschrechtlichen Teil des Urteils routiniert und vorhersehbar begründet.

Es ist die Rede davon, dass auch für Beamte das Grundrecht der Koalitionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet sei, aber durch andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte begrenzt werde. Damit ist der Zielkonflikt zwischen Art. 9 III GG und Art. 33 V GG ausgeleuchtet. Den historisch gewachsenen und gefestigten Garantien des Berufsbeamtentums mit seinen verfestigten Struktur- und Ordnungsprinzipien, seiner Tradition und Substanzialität, seinem Erscheinungsbild und seiner Funktionalität, getragen von besonderen Treue- und Fürsorgepflichten auf beiden Seiten wird breiter Raum eingeräumt.

Die Besoldung werde aus genau diesem gewachsenen, verfassungsrechtlich verankerten Staatsverständnis heraus durch Gesetz und nicht tarifvertragsrechtlich geregelt. Kollektive Kampfmaßnahmen von Beamten gingen ins Leere, weil kein Tarifvertrag erzielbar sein und unterstützende Streiks für angestellte Kollegen vertrügen sich nicht mit der Treuepflicht des Beamten. Schließlich habe man es mit einem ‚besonderen Gewaltverhältnis‘ zu tun, das die Grundfesten der Staatsorganisation schultere.

Lebenszeitprinzip, Alimentationsgrundsätze und andere Fürsorgeleistungen des Staates für seine Beamten bänden diese in besonderer Weise an Recht und Gesetz. Auch die Fortentwicklungsklausel des Art. 33 V GG fordere nicht eine Abkehr vom Leitbild des deutschen Berufsbeamtentums und seinen Strukturprinzipien.

BVerfG und EGMR – zwei Welten prallen aufeinander

Der Thematik ‚völkerrechtsfreundliche Auslegung des GG‘ räumt das BVerfG erheblichen Raum ein.

Wie die Postulierung eines ordre public-Vorbehaltes mutet es an, wenn das BVerfG anmerkt, man befinde sich außerhalb der Situation des Art. 46 I EMRK, so dass man in dem aktuellen Verfahren nicht an Urteile des EGMR direkt gebunden sei. Schließlich sei man nicht Partei eines EGMR-Verfahrens, das Urteile des EGMR beachtlich mache. Außerhalb des Art. 46 EMRK-Korridors sei eine vorsichtige Einpassung und Kontextualisierung der EMRK vorzunehmen, angelehnt an eine eher weite Leit- und Orientierungswirkung der Konvention, konkretisiert durch die nationalen Besonderheiten und schonend abgewogen gegenüber vorhandenen, dogmatisch ausdifferenzierten nationalen Rechtssystemen. Der EGMR habe zu Art. 11 EMRK in Fällen mit türkischen Besonderheiten, türkischen Rechtsbegriffen und ohne Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland geurteilt. Man müsse höchst vorsichtig eventuelle allgemeingültige Rechtssätze zur Koalitionsfreiheit und ihren Einschränkungsmöglichkeiten aus Art 11 EMRK deduzieren und sie gegebenenfalls für die deutsche Verfassungswirklichkeit fruchtbar machen, ohne deren Substanz vorschnell und ohne Not anzutasten.

Die EMRK als potenzielle Auslegungshilfe – so liest sich die Diktion einer veritablen Abwehrkampfbereitschaft und erinnert an die berühmt gewordene ‚Solange‘-Rechtsprechung des BVerfG. Nur zu genau ist es dem BVerfG bekannt, welcher Argumentationslinie der EGMR folgt. Dies hat der Gerichtshof bereits mehrfach bei einer anderen ‚heiligen Kuh‘ der deutschen Rechtswirklichkeit bewiesen, dem Kündigungsschutz von Arbeitnehmern in Tendenzbetrieben. Lange war der Grundsatz unverrückbar, dass Kirchen und ihre Einrichtungen ihre inneren Angelegenheiten unter Abrogierung von Verfassungsgrundsätzen selbst regeln können. Dieser überkommene verfassungsrechtliche Grundsatz, der aus der WRV herübergerettet wurde, führte dazu, dass Angestellte kirchlicher Einrichtungen ihren Arbeitsplatz verlieren konnten, weil sie gegen Wertvorstellungen der Kirche verstießen. Der EGMR hat beharrlich darauf bestanden, dass hier differenziert werden müsse, ob der Betroffene dem Verkündungsauftrag der Kirche nahe oder fern steht. Diese Auffassung hat sich mittlerweile auch in Deutschland durchgesetzt.

Ähnlich argumentiert der EGMR auch in den genannten Art. 11 EMRK-Fällen. Muss nicht zwischen Beamten der Streitkräfte und Polizei sowie solchen der Kernbereiche der Staatsverwaltung und anderen Beamten unterschieden werden, was das Streikverbot betrifft, um eine rechtfertigende Abwägung vornehmen zu können?

Das BVerfG, die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die staatlichen Dienstherren halten die Unterscheidung zwischen Kernbeamten und streikbefugten Randbeamten für ausgemachten Unsinn und schlicht Struktur sprengend. Die Koalitionsfreiheit sei auch für Beamte dem Grundsatz nach gewahrt und bei Zweifeln an der Einhaltung des Alimentationsprinzips stehe jedem Beamten ohnehin der Rechtsweg offen. Sozialversicherungsfreiheit, Pensionen und Beihilfe in Anspruch zu nehmen und dann noch für ‚Randbereichsbeamte‘ ein Streikrecht einzufordern, führe zu einer unangemessenen ‚Rosinenpickerei‘, die dem Beamtenrecht fremd sei. Die Unterscheidung zwischen ‚Tarifbeamten‘ und ‚Kernbereichsbeamten ohne Streikrecht‘ führe zu einer Entkernung der beamtenrechtlichen Grundsätze und vertrage sich gerade im Bildungsbereich nicht mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag des Art.7 I GG.

Fazit

Das BVerfG hat innerhalb der grundgesetzlichen Sphäre sicher begründet, was zu begründen war und abgewehrt, was Rechtsunsicherheit schaffen würde. Auch der Verweis auf die fehlende Verpflichtungswirkung des Art. 46 I EMRK ist nicht zu beanstanden. Eine voreilige Begriffs- und Ergebnisparallelität zwischen den Art. 11 EMRK-Entscheidungen des EGMR zur türkischen Rechtslage und dem Streikrecht für deutsche Beamte ist ebenfalls nachvollziehbar.

An dieser Stelle angekommen ziehen allerdings dunkle Wolken über dem Begründungshimmel des BVerfG auf. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass sich als Nächstes der EGMR mit den soeben entschiedenen Fällen beschäftigen wird, mit der Bundesrepublik Deutschland als Partei und Art. 46 I EMRK als latenter Drohkulisse.

Es wird auch abzuwarten bleiben, ob der EGMR dem BVerfG folgt, dass die deutsche Lehrerschaft notwendiger Teil der deutschen Staatsverwaltung ist. Die Tendenz geht klar dahin, dass Angestelltenverhältnisse vor Verbeamtung gehen. Soll man die Bildungswirklichkeit mit Hilfe numerischer Kriterien analysieren oder nach einem funktionalen Trennungsprinzip argumentieren? Hier wird der Boden schwammig.

Generelles Streikverbot für deutsche Beamte – das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

 

 

 

 

Professor Achim Albrecht

Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen
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