15.03.2015

Bürgerbeteiligung online – gewusst wie!

Ein neues politisches Instrumentarium will richtig genutzt sein (1)

Bürgerbeteiligung online – gewusst wie!

Ein neues politisches Instrumentarium will richtig genutzt sein (1)

Die effektive Nutzung des Instruments Bürgerbeteiligung setzt eine realistische Analyse voraus.|© WunderBild - Fotolia
Die effektive Nutzung des Instruments Bürgerbeteiligung setzt eine realistische Analyse voraus.|© WunderBild - Fotolia

Kümmern sich Politiker um die Belange des einfachen Bürgers? Nein, sagen 80,4 % der Bürger und drücken damit aus, was in vielen anderen Kennzahlen ebenfalls deutlich wird (etwa bei Fragen zum politischen Vertrauen oder den stetig sinkenden Wahlbeteiligungsquoten; vgl. ALLBUS 2008): Bürger zweifeln mehrheitlich daran, dass die Politik ihre alltäglichen Probleme löst bzw. dass Politiker dies überhaupt anstreben.

Dieses Problem diskutieren Medien und Wissenschaften unter einer Vielzahl von Schlagworten wie zum Beispiel politischer Vertrauensverlust, Politik(er)-verdrossenheit oder -müdigkeit und politische Apathie. Neben einer Vielzahl von Begriffen existiert auch eine Bandbreite von möglichen Gegenmitteln, zu denen eine verstärkte politische Einbindung der Bürger zählt.

Insbesondere die kommunale Ebene wird hier als erfolgversprechend angesehen, da kommunalpolitische Probleme im wahrsten Sinne des Wortes vor der Haustür liegen und somit Bürger alltagsnah politisch partizipieren können. Dabei wird das Internet heute vielfach als wichtigstes oder einziges Beteiligungsmedium gewählt, da es den Bürgern eine zeitlich und räumlich flexible Beteiligung erlaubt und Politik und Verwaltung multimediale Informationen auf der Plattform verknüpfen und die Beteiligungsdaten (vermeintlich) leichter analysieren können als bei analogen Verfahren.


Zur Bewertung von Online-Beteiligungsverfahren

Oft beginnen sowohl kommunale Verwaltung und Politik als Initiatoren als auch die Bürgerschaft als Teilnehmer das Verfahren mit großen Erwartungen. Die Politik erhofft sich Legitimation für ihre Entschlüsse durch ein innovatives Verfahren, die Verwaltung qualifizierte Bürgervorschläge und innovative Ideen, die Bürger umfassende Mitsprache bei politischen Entscheidungen (vgl. Berner u. a. 2011). Am Ende des Verfahrens kommen alle Beteiligten der anfänglichen Motivation zum Trotz häufig zu einem resignierten Fazit. Woran liegt das? Klaus Selle (Particitainment: Beteiligen wir uns zu Tode? Wenn alle das Beste wollen und Bürgerbeteiligung dennoch zum Problem wird, in: pnd | online, 3/2011) fasste diese Erfahrung unter dem Schlagwort des Particitainment zusammen, das eine Bürgerbeteiligung als l’art pour l’art meint: „Particitainment greift um sich. Statt substanzieller Diskurse im Kontext einer lebendigen lokalen Demokratie wird eine Bürgerbeteiligung inszeniert, die Teilhabe an Meinungsbildung und Entscheidungen suggeriert, ohne dies einlösen zu können.” Und tatsächlich ist beim Start vieler Verfahren kein klares Ziel des Instruments benannt, es sind keine Schritte über das Abfragen der Bürgermeinung hinaus geplant und die öffentliche Kommunikation preist die Neuheit des Verfahrens, ohne seine Begrenzungen klar zu benennen.

Vor diesem Hintergrund plädiert diese Beitragsfolge dafür, die Kriterien zur Bewertung von Online-Beteiligungsverfahren an die bestehenden Realitäten anzupassen und sie nicht mit dem gleichen Maß zu messen wie verfasste Formen politischer Partizipation.

Bevor wir auf die Chancen und Herausforderungen kommunaler e-Partizipation eingehen (Teil 2 in: PUBLICUS 2015.4), soll zunächst ein kleiner Überblick über bestehende Verfahren der kommunalen Online-Beteiligung gegeben werden. Diese werden in ein Spannungsfeld unterschiedlicher Gestaltungsoptionen eingeordnet, so dass deutlich wird, welche demokratietheoretischen Fragen kommunale Onlinebeteiligung aufwirft.

Kolleck_Tabelle

2015-4_Regelsatzinhalte_ab_01_01_2015 (pdf)

Abschließend (Teil 3 in: PUBLICUS 2015.5) zeigt die Beitragsfolge auf, dass die Bewertungskriterien oft aus den Bereichen der direktdemokratischen und repräsentativdemokratischen Partizipation entlehnt sind. Diese taugen nur eingeschränkt für die hier betrachteten, rein konsultativen und informellen Verfahren, weshalb – so das Fazit – auch Kriterien aus dem Bereich des e-Government in die Bewertung einfließen sollten.

Stand der kommunalen Online-Beteiligung in Deutschland

Onlinebeteiligungsinstrumente, die die kommunale Verwaltung oder Politik initiiert hat, werden auch als Top-down-Beteiligung bezeichnet, da die Initiative und Gestaltung durch die Regierung bzw. öffentliche Institutionen übernommen wird. Sie lassen sich thematisch in fünf Verfahrenstypen kategorisieren (siehe Tabelle). Derzeit fokussieren die meisten kommunalen Online-Beteiligungsverfahren auf Fragen der Stadt-, Haushalts- und Verkehrsplanung. Darüber hinaus gibt es thematische Dialoge, die zu einer Vielzahl von Sachverhalten stattfinden, beispielsweise zu Fragen des Zusammenlebens in der Stadt (Integration und Inklusion, Familienfreundlichkeit).

Dieser Typ ist nicht so sehr durch ein gemeinsames Thema charakterisiert, sondern durch die allgemeine und ergebnisoffene Diskussion von gesellschaftlich relevanten Sachverhalten. Anders als bei den anderen Verfahren steht hier ausschließlich der Austausch im Mittelpunkt, nicht so sehr die politische Umsetzbarkeit. Verfahren zur Anliegenbearbeitung (oft auch als „Beschwerdemanagement” bezeichnet) dienen der unmittelbaren administrativen Bearbeitung von kleineren Infrastrukturproblemen wie defekter Straßenbeleuchtung und Ähnlichem. Eigentlich sind sie dem Bereich e-Government zuzuordnen. Da sich die Anliegen der Bürger jedoch häufig auch auf politisch komplexe Sachverhalte beziehen, die vom Rat oder Magistrat entschieden werden, sind sie hier als Beteiligungsverfahren mit aufgeführt. Reine Informationsverfahren wie offene Haushalte und Ähnliches fallen aus dieser Betrachtung heraus.

Die Gemeinsamkeiten der Verfahren

Allen Verfahren gemein ist, dass sie eine rein konsultative Beteiligung der Bürger vorsehen. Dies ist den Verfahrensbeschreibungen zwar zumeist klar zu entnehmen, doch viele Slogans (etwa aus den Bürgerhaushalten in Frankfurt am Main, Köln und Berlin-Lichtenberg:

„Frankfurt fragt mich”, „Deine Stadt – Dein Geld”, „Helfen Sie uns beim Geldausgeben”) suggerieren, dass eine direkte politische Mitsprache der Bürger garantiert ist. Ähnlich suggestiv wirkt der oft gewählte Abstimmungsmodus, bei dem Bürger Favoriten wählen können, so dass am Ende eine Liste der beliebtesten Bürgereingaben und der jeweils erreichten Stimmen pro Eingabe steht. Dies mag schnell den Eindruck erwecken, dass die Bürgervorschläge mit den meisten Stimmen garantiert politisch umgesetzt würden. Tatsächlich hängt die politische Umsetzung der Bürgervorschläge von einer Vielzahl von Faktoren ab, die noch nicht genauer untersucht sind. Denkbar erscheint, dass die politische Umsetzung einer Bürgereingabe abhängt unter anderem von der verständlichen Formulierung der Bürger-eingabe, davon, ob sie zu bisherigen politischen Vereinbarungen oder Programmen passt, ob sie aktuelle politische Debatten betrifft und sicherlich auch vom generellen politischen Willen, Bürgereingaben umzusetzen.

Die Verfahren teilen neben ihrem konsultativen Charakter eine weitere Gemeinsamkeit, nämlich ihre Nähe zum e-Government, also der elektronischen Bereitstellung von Verwaltungsdiensten. Versteht man e-Partizipation in Anlehnung an Steffen Albrecht (E-Partizipation in Deutschland, in: Hatzelhoffer/Lobeck/Müller/Wiegand [Hrsg.], E-Government und Stadtentwicklung. Berlin. S. 49, 60) als die „Teilhabe von natürlichen und juristischen Personen und ihren Gruppierungen an Entscheidungsprozessen der staatlichen Gewalten mit Mitteln der IuK-Technologien”, stellt sich die Frage: Wo sind die hier betrachteten Verfahren zu verorten? Dafür, die Verfahren auf einem Kontinuum zwischen e-Government und e-Partizipation näher am e-Governmentpol einzuordnen, spricht, dass die Verwaltung oft der zentrale Akteur in Sachen Initiierung, Durchführung und Auswertung der Verfahren ist. Zugleich dienen Verfahren, die von ihrem Prinzip her an das Anliegenmanagement angelehnt sind (etwa: Schlaglöcher oder unsichere Kreuzungen für Radfahrer melden), der Verbesserung einer kommunalen Infrastruktur bzw. Dienstleistung. Für eine Positionierung der Verfahren nahe dem e-Partizipationspol spricht, dass zumeist politische Gremien (wie der Magistrat oder Rat) die Letztentscheider über die Bürgereingaben sind und dass teilweise auch genuin politische Fragen in den Beteiligungsverfahren thematisiert werden (etwa Integration, kommunales Zusammenleben oder Haushaltsplanung). Auch wenn eine klare Verortung zwischen beiden Polen schwierig erscheint, so wird deutlich, dass sich kommunale Top-down-Beteiligungsverfahren nicht zuletzt aufgrund ihres konsultativen und wenig institutionalisierten Charakters zwischen e-Government und e-Partizipation bewegen. Dies spielt für die Bewertung der Verfahren eine zentrale Rolle, wenn sich die Frage stellt, ob die Verfahren an Erfolgskriterien von Demokratie oder von e-Government gemessen werden sollen. Darauf wird in den nachfolgenden Beiträgen näher eingegangen.

Hinweis der Redaktion: Den vollständigen Aufsatz mit allen Literatur-Fundstellen finden sie in Heft 4/2014 (Politik und Internet) der Reihe „Der Bürger im Staat” der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

Alma Kolleck

Alma Kolleck

Doktorandin, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität, Frankfurt am Main
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