15.02.2014

Alles ready?

Die digitale Welt im Koalitionsvertrag

Alles ready?

Die digitale Welt im Koalitionsvertrag

Ist Deutschland bereit für die Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft? | © momius - Fotolia
Ist Deutschland bereit für die Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft? | © momius - Fotolia

Die Welt wartet nicht auf Koalitionsverträge. Das gilt zunehmend für die digitale Welt, die mit rasender Geschwindigkeit keinen Stein auf dem anderen lässt. Zwar gab es noch nie soviel Digitalisierung wie in dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition für die 18. Wahlperiode. Es stellt sich allerdings die Frage, reicht dies alles aus, um Deutschland zukunftsfähig zu machen?

Die Aussagen zur Digitalisierung sind alle richtig und notwendig. Aber sie sind nicht genug. Natürlich kann man auch mit kleinen Schritten Distanzen überwinden. So geht es jetzt um die konkrete Umsetzung der in dem Vertrag aufgeführten Maßnahmen. Aber da ist natürlich noch mehr: Angesichts der jüngsten weltweiten Enthüllungen zur Datenüberwachung sind u. a. zentrale Weichenstellungen gerade in Fragen der Datensicherheit und des Datenschutzes von hoher Bedeutung.

Wesentlich sein wird auch eine grundlegende Digitalisierungsstrategie Deutschlands. Das beginnt bei der Industrie 4.0, geht über den Bildungsbereich, die Mobilität, die Energiewende, den demographischen Wandel bis hin zur Art des Regierens und Verwaltens in einem modernen Staat.


Für das Thema Digitalisierung sind in der neuen Regierung mehrere Bundesministerien verantwortlich: für die Themen Sicherheit und E-Government das Bundesministerium des Innern, für die digitale Infrastruktur, wie insbesondere Breitband, das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, für die digitale Agenda und insbesondere Fragen wie Industrie 4.0 das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und für Themen wie Netzpolitik das Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz. Im weiteren Sinne könnte man noch den Staatsminister für Kultur und Medien nennen. Inwieweit mit einer solchen Zersplitterung eine nationale digitale Agenda für Deutschland entwickelt und umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. Einen ersten Vorstoß hat Infrastrukturminister Dobrindt gemacht, indem er eine Netzallianz Digitales Deutschland ins Leben rufen will. „Dazu müssen die großen Telekommunikations- und Netzunternehmen unseres Landes an einen Tisch“, forderte er in einem WELT-Interview.

Die Große Koalition lässt große Themen vermissen

Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Gesellschaft und die Wirtschaft? Kann mit ihr der demographische Wandel besser gestaltet werden – zum Beispiel durch eine Kooperationsoffensive der Kommunen ?

Wie gehen wir damit um, wenn staatliche Regulierung und damit das Primat der Politik durch die normative Kraft des Digitalen immer mehr ins Hintertreffen gerät?

Diese Fragen sind in der Koalitionsvereinbarung erst einmal offengelassen worden. Die aktuelle Debatte um Datenschutz und Datensicherheit offenbart das Dilemma in besonderer Weise: Nationale Regelungen laufen weitgehend ins Leere. Das Internet kennt keine Grenzen. Nur durch internationale Absprachen und Regelungen kann wirksam gesteuert werden. Deutschland hat hier eine hohe Verantwortung. Was das Thema Datenschutz und Datensicherheit betrifft, haben wir große Kompetenz, gute Fachleute und genießen Vertrauen. Wir sollten deshalb den Mut haben, die weltweite Herausforderung anzunehmen, eine internationale Vereinbarung oder Einrichtung in Europa zu schaffen.

Für die Weiterentwicklung des Staatensystems und vor allen Dingen der Zusammenarbeit im globalen und digitalen Zeitalter könnte die europäische Rechtskultur zu einem Markenkern für die gesamte Welt werden. Wie wäre es zum Beispiel, in Berlin zu einer internationalen Datenschutz- und Datensicherheitskonferenz aufzurufen? Ohne Zweifel wird das Thema Datenschutz zu einem wichtigen Standortfaktor und einem entscheidenden Element für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Staaten.

Die weltweite Vernetzung wird weiter rasant zunehmen

Alles, was digital werden kann, wird auch digital. Alles, was gespeichert werden kann, wird auch gespeichert. Kann man eine solche Entwicklung überhaupt noch mit den bisherigen Instrumenten steuern und wenn ja, wie? Brauchen wird Brandmauern bei der Datenspeicherung? Wenn ja, welche und wer kontrolliert das?

Heute sind weltweit mehr als zwei Milliarden Menschen mit dem Internet verbunden. Weitere zwei Milliarden werden in den nächsten drei bis fünf Jahren folgen. Experten schätzen, dass die erste Welle des Internets der Dinge die Vernetzung von rund 50 Milliarden Gegenstände umfassen wird. Sensoren spielen hierbei eine wichtige Rolle. Gut sieben Milliarden Handys gibt es auf der Welt, die Zahl der Smartphones wächst ständig weiter. Wir gehen in ein Kontext-Zeitalter. Die fünf Elemente Inhalt, Ortsbezug, Personalisierung, Zeit und Geschwindigkeit bilden in ihrer Beziehung zueinander im mobilen Internet die Basis für jegliche Kommunikation. Damit wird es möglich sein, sowohl situationsbezogene als auch vorhersehbare Ereignisse dynamisch zu beschreiben. Algorithmen bilden diese Informationen in temporären IP-Adressen ab. Wie die aktuelle Debatte zeigt, ist damit eine vollständige Erfassung von Lebenswelten möglich. Wir können das nun beklagen oder nicht, entscheidend wird sein, neue Gestaltungsoptionen und Gestaltungsverantwortlichkeiten zu finden. In der Tat stehen Gesellschaft, Staat und Wirtschaft heute an einem Scheideweg. In einem bemerkenswerten Blog-Beitrag des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet fordert Harald Lemke, nach einer neuen politischen Aufstellung „sofort in eine qualifizierte Problem-Analyse einzusteigen und bis Ende 2014 zu einer nationalen Strategie für Vertrauen und Sicherheit im Internet zu finden“. Eine solche nationale Strategie könnte die Grundlage für eine neue geostrategische Initiative bilden. Deutschland und Europa können hier Zeichen setzen.

Speicherung von Daten – Die Akzente haben sich verschoben

Die bisherige Behauptung, dass zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung nur die Verbindungsdaten und nicht die Inhalte gespeichert werden, ist von geringem Belang. Angesichts der kontextbezogenen Auswertungsmöglichkeiten von Daten stellt sich die Frage nicht mehr nach den Inhalten, sondern nach den Meta-Informationen. Daraus lassen sich letztlich auch nicht vorhandene Inhalte interpretieren. Aus den Daten, wer mit wem, wann und an welchem Ort zu welcher Zeit zusammen war, können Rückschlüsse auch auf die Inhalte gezogen werden. Die aus solchen Meta-Informationen abgeleiteten Bewegungsprofile sind aber sehr problematisch. Heute noch vorhandene Freiräume werden immer weiter eingeschränkt. Wenn große Unternehmen heute ihre Führungskräfte anweisen, bei wichtigen Verhandlungen, zum Beispiel in Hotels, keine Handys mehr mitzunehmen, um zu verhindern, das aus Ortungen und Bewegungsprofilen der Gesprächspartner Rückschlüsse gezogen werden können, ist das schon mehr als bedenklich.

Globalisierung und Digitalisierung sind die Megatrends im 21. Jahrhundert

Das zeigt sich auch bei der Automobilindustrie, die vor ihrer grundlegendsten Umwälzung steht. Sie wird mit der Informationstechnologie in den nächsten Jahren eine Symbiose eingehen. Hier wird sich ein gigantischer Markt entwickeln. Aus der Autoindustrie wird eine Mobilitätsindustrie. Nach Meldungen des Worldwatch Institute wurden 2012 rund 62 Millionen Autos produziert. Weltweit gibt es heute mehr als eine Milliarde Kraftfahrzeuge. Sie werden langfristig alle mit dem Internet verbunden werden. Mit Hochdruck arbeiten gerade IT-Unternehmen wie Google an fahrerlosen Fahrzeugen. Google Glass ist eine weitere Technologie, die zu großen Umwälzungen führen wird. Nach und nach werden sog. Wearables, also an der Kleidung befestige oder integrierte Minigeräte, das Smartphone ergänzen. Die damit weiter fortschreitende Digitalisierung wird noch mehr Datenmengen erzeugen, die verantwortungsbewusst gehändelt werden müssen.

Recht auf vollständige Löschung von Daten

Ein Lösungsansatz, wie langfristige Digitalbiografien verhindert werden können, wäre ein garantiertes Recht auf Löschung insbesondere situationsbedingter Daten nach festgelegten Zeiträumen. Die Langzeitspeicherung wird zu einer Kernfrage moderner Gesellschaften. Nur wenn hier Klarheit geschaffen wird, wird das Vertrauen in die Internet-Gesellschaft gesichert werden können. Wo haben Menschen welche Rechte auf Archivierung oder Nichtarchivierung? Es ist Zeit für eine Art „Löschungsindustrie“. Erste Ansätze sind ja bereits zu finden wie bei Snapchat, einem sozialen Netzwerk, bei dem Bilder sich nach deren Ansicht automatisch löschen.

Das Thema Digitalisierung wird in der neuen Bundesregierung zersplittert angegangen. Notwendig ist eine Gesamtstrategie, die grundlegende Fragen der Digitalisierung aufgreift. Neben den im Koalitionsvertrag aufgeführten digitalen Aktivitäten wird es darauf ankommen, die mit der Digitalisierung einhergehenden gesellschaftspolitischen Fragen aufzuzeigen und dazu Regelungen zu finden. Viel Zeit bleibt nicht, denn die Welt wartet nicht auf die Politik.

Hinweis der Redaktion: Im Zusammenhang mit diesem Thema erscheint im Richard Boorberg Verlag demnächst „Die smarte Stadt – Den digitalen Wandel intelligent gestalten“, von Willi Kaczorowski. Das Buch zeigt den Kommunalverantwortlichen aktuelle Herausforderungen in verschiedenen Handlungsfeldern (u. a. Bildung, Energie, Mobilität, Pflege, Nachhaltigkeit) sowie Strategien, Ideen und Lösungsansätze für die Gestaltung der Stadt von morgen auf.

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