07.11.2019

Verfahrensanforderungen sind kein Selbstzweck

Bundesverwaltungsgericht trifft Grundsatzentscheidung zur Kreisumlage

Verfahrensanforderungen sind kein Selbstzweck

Bundesverwaltungsgericht trifft Grundsatzentscheidung zur Kreisumlage

Zur Deckung ihres Finanzbedarfs können Kreise eine Kreisumlage erheben. | © vegefox.com - stock.adobe.com
Zur Deckung ihres Finanzbedarfs können Kreise eine Kreisumlage erheben. | © vegefox.com - stock.adobe.com

Welche Anforderungen müssen die Landkreise bei der Festlegung der Höhe des Kreisumlagesatzes beachten? Genügt es, wenn der Landrat etwa anlässlich einer Bürgermeisterdienstbesprechung in einem lauschigen Landgasthof die Gemeindevertreter mündlich über die beabsichtigte Festsetzung informiert oder bedarf es eines formalisierten Anhörungsverfahrens, bei dem Gemeinden und Landkreis ihren wechselseitigen Finanzbedarf darlegen? Zu dieser Frage hat sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem kürzlich veröffentlichten Grundsatzurteil (v. 29.5.2019 – 10 C 6.18) geäußert, nachdem sich in der Praxis unterschiedliche Verfahrensweisen herausgebildet hatten, die zu divergierenden instanzgerichtlichen Entscheidungen geführt hatten.

Unterschiedliche Verfahrensmodalitäten bei der Festsetzung der Kreisumlage

Auslöser der Kontroverse war die in einer früheren Entscheidung des BVerwG (U.v. 31.1.2013 – 8 C 1.12 – BVerwGE 145, 378 Rn. 14) nur allgemein ausgesprochene Verpflichtung des Landkreises, „nicht nur seinen eigenen Finanzbedarf, sondern auch denjenigen der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und seine Entscheidungen in geeigneter Form – etwa im Wege einer Begründung der Ansätze seiner Haushaltssatzung – offenzulegen, um den Gemeinden und gegebenenfalls den Gerichten eine Überprüfung zu ermöglichen“. Aus dieser knappen Urteilspassage zog das Oberverwaltungsgericht Greifwald – ebenso wie Gerichte anderer Bundesländer – den Schluss, dass eine Kreisumlagefestsetzung ohne vorheriges Anhörungsverfahren nichtig sei (OVG Greifswald, U.v. 18.7.2018 – OVG 2 L 463/16; vgl. auch OVG Weimar, U.v. 7.10.2016 – 3 KO 94/12). Andere Gerichte verneinten demgegenüber eine Pflicht zur förmlichen Anhörung der Gemeinden (vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 24.4.2017 – 12 N 58.16). Konsequenterweise ließ das OVG Greifswald die Revision gegen sein Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.

Kein (bundes-)verfassungsunmittelbares Anhörungsrecht der Gemeinden

Das BVerwG hat nun klargestellt, dass sich eine Verpflichtung, die umlagepflichtigen Gemeinden vor der Entscheidung über die Höhe des Kreisumlagesatzes förmlich anzuhören, dem Grundgesetz nicht entnehmen lässt. Der Senat zählt zunächst die Fallkonstellationen auf, in denen das Bundesverfassungsgericht aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG ein verfassungsunmittelbares Anhörungsrecht bei staatlichen Eingriffen abgeleitet hat. So sind etwa gesetzliche Bestands- und Gebietsänderungen von Gemeinden ebenso wie staatlich angeordnete Änderungen des Namens von Gemeinden nur nach vorheriger Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften zulässig. Gleiches gilt bei der Verlagerung von Aufgaben mit relevanter kommunaler Bedeutung auf eine andere staatliche Ebene oder bei der staatlichen Entscheidung über die Verteilung knapper Mittel zwischen konkurrierenden Kommunen (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei BVerwG, U.v. 29.5.2019 – 10 C 6.18 – Rn. 16). Diese Judikatur lässt sich nach Ansicht des BVerwG aber nicht auf die Kreisumlagefestsetzung übertragen. Hier geht es nämlich nicht um einen rechtfertigungsbedürftigen staatlichen Eingriff in die Selbstverwaltungshoheit einzelner Gemeinden, sondern um die Entscheidung einer kommunalen Gebietskörperschaft über die Verteilung der finanziellen Mittel innerhalb des kommunalen Raums zwischen Gemeinden und Landkreis. Dabei können sich alle beteiligten Akteure auf die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und den daraus abgeleiteten Anspruch auf aufgabenadäquate Finanzierung aus Art. 28 Abs. 2 GG berufen.


Ausgestaltung des Kreisumlageverfahrens ist Sache der Länder

Die verfassungskonforme Ausgestaltung des Kreisumlageverfahrens ist damit im Wesentlichen Sache der Länder bzw. liegt – wenn der Landesgesetzgeber hierzu keine normativen Vorgaben trifft – in der Verantwortung der Landkreise selbst. In der Regel werden sich den landesverfassungsrechtlichen Finanzgarantien hierzu keine weitergehenden Vorgaben als dem Grundgesetz entnehmen lassen. Dementsprechend hat sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) bereits vor dem Leipziger Grundsatzurteil dahingehend positioniert, dass er eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Landkreise zur förmlichen Anhörung der Gemeinden verneinte. Diese Aussage findet sich jedenfalls in einem schriftlichen Vergleichsvorschlag (B.v. 14.12.2018 – 4 BV 17.2488), der von den damaligen Prozessbeteiligten angenommen wurde und so zu einer gütlichen Beilegung des Rechtsstreits führte. Das Gericht wies in seiner vorläufigen rechtlichen Bewertung darauf hin, dass der Sinn und Zweck des Verfahrens, eine gesicherte Daten- und Informationsgrundlage für die Beschlussfassung der Kreisgremien und für eine etwaige nachträgliche Überprüfung zu gewährleisten, ebenso gut durch den Rückgriff auf bereits vorhandenes Daten- und Zahlenmaterial gewährleistet werden kann. Einen formlosen kommunalpolitischen Informationsaustausch zwischen Organen des Landkreises und der Gemeinden – nur diesen hatte es im damaligen Streitfall gegeben – sah der BayVGH hingegen nicht als ausreichend an. Die sich anschließende, vom OVG Greifswald verneinte Rechtsfrage, ob der Verfahrensfehler durch einen rückwirkenden Neuerlass der Haushaltssatzung geheilt werden kann, wurde in dem Vergleichsbeschluss mit Blick auf das bayerische Recht bejaht. Das BVerwG hat diese Frage in seinem nunmehrigen Urteil ausdrücklich offengelassen.

Wie bemisst sich die finanzielle Mindestausstattung der Gemeinden?

Bezüglich der formalen Frage des Anhörungserfordernisses hat das BVerwG begrüßenswerte Klarheit geschaffen. Das Thema Kreisumlage insgesamt ist damit freilich noch lange nicht abgeschlossen. Weder das BVerwG noch der BayVGH hatten bislang Anlass, sich näher zu den materiell-rechtlichen Problemstellungen zu äußern, die voraussichtlich den Kern der künftigen kommunalpolitischen Auseinandersetzungen bilden werden. Anerkanntermaßen darf der Landkreis seinen eigenen Finanzbedarf nicht beliebig ausweiten, mithin seine eigenen Aufgaben und Interessen nicht einseitig und rücksichtslos gegenüber den Aufgaben und Interessen der kreisangehörigen Gemeinden durchsetzen. Vielmehr zieht Art. 28 Abs. 2 GG der Kreisumlageerhebung eine absolute Grenze dahingehend, dass die Umlage nicht zu einem Unterschreiten der verfassungsgebotenen finanziellen Mindestausstattung der Gemeinden führen darf (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 8 C 1.12 – BVerwGE 145, 378 Rn. 18 ff.; U.v. 16.6.2015 – 10 C 13.14 – BVerwGE 152, 188 Rn. 28). Die Grundsatzfrage, wie dieses verfassungsfeste Minimum – etwa im Hinblick auf das ebenfalls richterrechtlich entwickelte Kriterium der „freien Spitze“ – konkret bestimmt werden kann, ist in der Rechtsprechung bislang ungeklärt. Erste Fingerzeige hierzu hat das OVG Koblenz entwickelt und bei seiner Beurteilung auf einen Zehnjahreszeitraum abgestellt (U.v. 21.2.2014 – 10 A 10515/13). Nunmehr werden sich die Greifswalder Richter, an die das BVerwG den Rechtsstreit zur weiteren Prüfung zurückverwiesen hat, mit der schwer zu bestimmenden Schranke der dauerhaften und strukturellen gemeindlichen Unterfinanzierung zu befassen haben. Auch aus diesem Grund ist das Urteil des Berufungsgerichts mit Spannung zu erwarten.

Prof. Dr. Isabel Schübel-Pfister,
Bayreuth/München

 

Prof. Dr. Isabel Schübel-Pfister

Richterin am Bundesverwaltungsgericht; Honorarprofessorin an der Universität Bayreuth
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