28.11.2019

Straßenausbaubeiträge der Kommunen – ein Auslaufmodell?

Die aktuellen KAG-Novellen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen – Teil 2

Straßenausbaubeiträge der Kommunen – ein Auslaufmodell?

Die aktuellen KAG-Novellen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen – Teil 2

Wie geht es weiter mit dem Straßenausbau? | © blas - stock.adobe.com
Wie geht es weiter mit dem Straßenausbau? | © blas - stock.adobe.com

Ähnlich wie in Bayern – siehe dazu Teil 1 des Beitrags – haben auch in Mecklenburg Regierung und Landesparlament auf „Unmut und Proteste“ aus der Bevölkerung reagiert, die immerhin die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine förmliche Volksinitiative (FAIRE STRASSE) meistern konnte (vgl. LT-Drs. 7/2800 v. 5.11.2018). Das „Gesetz zur Abschaffung der Straßenbaubeiträge“ vom 24.6.2019 (GVBl. MV S. 190) trägt dabei einen wohl auch Besänftigung vermittelnden Titel, der aber einerseits zu weit gefasst ist (gem. Art. 2 Nr. 2 geht es allein um ansonsten unter § 8 KAG fallende kommunale Straßenbaubeiträge), andererseits die mindestens ebenso wesentliche und daher in Art. 1 eingestellte Neuregelung nicht erwähnt, nämlich die Erhöhung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer für steuerpflichtige Vorgänge von bisher 5 auf (ab 1.7.2019) 6 Prozent.

Die hieraus zu gewärtigenden sicheren Mehr-Einnahmen sollen der Gesetzesbegründung zufolge maßgeblich der „Gegenfinanzierung“ dienen und den Gemeinden als Mittelzuweisung aus dem Landeshaushalt zugutekommen; daneben seien noch Entnahmen aus der Ausgleichsrücklage möglich (LT-Drs. 7/3408 v. 27.3.2019, S. 2). Im neu ins KAG eingefügten § 8a Abs. 2 werden freilich Kompensationsregelungen nur für die Jahre 2018 und 2019 vorgesehen.

Anforderungen des Konnexitätsgebots

Anders als im beinahe zeitgleich verabschiedeten Gesetz in Brandenburg (v. 19.6.2019, GVBl. Bbg 2019 I, Nr. 36, S. 1) – siehe dazu Teil 3 des Beitrags – wird also keine explizite allgemeine Regelung über einen „Mehrbelastungsausgleich“ getroffen. Vielmehr wird lediglich in der Gesetzes-Begründung dargelegt, das alsbald zu novellierende Finanzausgleichsgesetz des Landes werde das allgemeine Problem des Ausgleichs für den Wegfall der Beiträge lösen. Dabei wird die für eine verfassungsgemäße Ausgestaltung des Systemwechsels wesentliche Konnexitätsregel (nach Art. 72 Abs. 3, 5 Verf M-V) durchaus gesehen. Sie greift auch dann ein, wenn bei (fort)bestehender Kompetenz (örtliche Straßenbaulast) die damit verknüpfte Finanzierungslast steigt, weil den Kommunen die bisherige Möglichkeit der teilweisen Abwälzung auf Dritte (Beitragspflichtige) durch den Landesgesetzgeber genommen wird (LT-Drs. 7/3408, S. 9 f.). Jedoch wird zunächst eine zeitliche Verknüpfung von Aufgabe und Ausgabe nur für die Vergangenheit und die nahe Zukunft vorgenommen – und selbst insoweit die tatsächliche Kostenerstattung erst ab einem späteren Zeitpunkt vorgesehen. Bereits die dadurch hervorgerufene Liquiditätsklemme ist schwerlich alternativlos gewesen, und die bloße Bekundung weiterer geplanter gesetzgeberischer Aktivitäten (LT-Drs. 7/3408, S. 10) entspricht den sachlich-zeitlichen Anforderungen des Konnexitätsgebots kaum.


Stichtagsregelung und Vertrauensschutz

Das KAG M-V behält die bisherige (die allgemeine Beitragsvorschrift in § 7 überlagernde besondere) Bestimmung zu Straßenbaubeiträgen in § 8 bei. Auf dieser Grundlage erlassene kommunale Satzungen (§ 2 KAG) bleiben daher wirksam und können folglich weiterhin diesbezügliche Beitragsforderungen rechtfertigen, wenn mit der „Durchführung“ einschlägiger Straßenbaumaßnahmen bereits vor dem 1.1.2018 begonnen worden ist (§ 8a Abs. 1). Ein wichtiger Stichtag ist allerdings der 1.11.2018, weil ab diesem Zeitpunkt verabschiedete Satzungen für eine Erstattung von solchen Forderungen „grundsätzlich unberücksichtigt“ (§ 8a Abs. 2 Satz 2) bleiben sollen: Zwar datiert der Entwurf der „Abschaffungs“-Novelle vom 27.3.2019, der frühere Termin scheint aber den absehbaren Erfolgsaussichten der Volksinitiative geschuldet – ein zumindest ungewöhnlicher Ansatz, mit dem Vertrauensschutz begrenzt werden soll! Plausibel erscheint hingegen, wenn eine Kompensation nicht davon abhängen soll, ob relevante Satzungen „wirksam“ zustande gekommen und/oder inhaltlich rechtmäßig sind (§ 8a Abs. 2 Satz 3). Und ebenso schlichtend wirken dürfte § 8a Abs. 2 Satz 4, wonach „Teileinrichtungen“ (§ 7 Abs. 3) oder „Abschnitte“ (§ 8 Abs. 4) für die Erstattung als „selbstständig abrechenbare Maßnahmen“ gelten; damit ist auch der maßgebliche Durchführungsbeginn, also „die nach außen sichtbare Ausführung erster Baumaßnahmen im Sinne eines ‚ersten Spatenstichs’“ (so LT-Drs.  7/3408, S. 8), hinreichend klar und unabhängig von kommunalen Besonderheiten bestimmt.

Verfassungsrechtliche Erwägungen finden sich im Übrigen nur noch zur Rückwirkung des § 8a Abs. 1 KAG, freilich nicht zum konkret gewählten Stichtag und zur damit notwendig verbundenen begünstigenden Auswirkung nur auf bisher Beitragspflichtige, so dass hierbei zumindest das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 zu beachten ist (etwa bezogen auf typische oder normale Dauer einer Baumaßnahme). Dass dem aus Rechtssicherheit und Selbstverwaltungsrecht (Finanzhoheit) resultierenden gemeindlichen Vertrauensschutz durch das Erstattungsverfahren „ausreichend Rechnung getragen“ wird, mag im Ergebnis zutreffen, wenn und weil auch kommunale Personal- und Sach-Kosten für die Beitragserhebung erspart werden (LT-Drs. 7/3408, S. 9 und 10).

Gesetzgebungskompetenz

Die Begründung für eine Abschaffung der Beitrags-Finanzierung ist rein politisch, die finanzwissenschaftliche wie rechtsdogmatische Kritik an solchen Abgaben wurde bisher nirgends aufgegriffen. Thematisiert wurde allerdings das Verhältnis zu Erschließungsbeiträgen, wenn auch recht kursorisch (vgl. LT-Drs. 7/3408, S. 9). Zwar gelten §§ 127 ff. BauGB, die ursprünglich aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG a.F. vom Bund (bereits im Rahmen des BBauG) erlassen worden sind, an sich gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort. Seit Inkrafttreten der GG-Novelle vom 28.8.2006 (BGBl. I, S. 2034) fällt diese Materie aber in die Kompetenz der Bundesländer nach Art. 70 GG und kann folgerichtig nunmehr durch Landesrecht „ersetzt“ werden (Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG). § 8 Abs. 1 KAG bezieht sich auch nicht nur auf „Verbesserung, Erweiterung, Erneuerung“ oder „Umbau“, sondern erfasst überdies „Anschaffung“ und „Herstellung“ von (kommunalen) „ öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen“ (in gemeindlicher Baulast, § 14 i.V.m. § 3 Nr. 3 StrWG MV) und deckt so solche „Erschließungsanlagen“ (i.S.v. § 127 Abs. 2 Nr. 1 [- 3] BauGB) ab. Die konkrete Regelung des KAG ist jedoch schon älter, und auch der Umstand von Änderungen des KAG nach 2006 ist mangels besonderer Anhaltspunkte – etwa einer klarstellenden Vorschrift des Verhältnisses zum BauGB – nicht als Ausübung von Landeskompetenz zu verstehen, durch welche insoweit Bundesrecht verdrängt worden wäre. Denn das BVerfG hat hierzu klargestellt (Beschl. v. 7.10.2015, 2 BvR 568/15, Rn. 11), eine „Ersetzung“ des Bundesrechts erfordere, dass der Landesgesetzgeber die Materie, gegebenenfalls auch einen abgrenzbaren Teilbereich, in eigener Verantwortung regelt, wobei er nicht daran gehindert sei, ein weitgehend mit dem bisherigen Bundesrecht gleich lautendes Landesrecht zu erlassen. Eine andernfalls entstehende Mischlage aus Bundes- und Landesrecht für ein und denselben Regelungsgegenstand im selben Anwendungsbereich wäre hingegen im bestehenden System der Gesetzgebung ein Fremdkörper.

Ermächtigung des gemeindlichen Satzungsgebers

Bereits im Regierungsentwurf enthalten war eine Ergänzung der Generalverweisung auf Vorschriften der AO in § 12 durch Hinzufügen von Abs. 6, der es dem Satzungsgeber gestattet, bei Stundungen den hierbei maßgeblichen Zinssatz bis auf 2 Prozent über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu ermäßigen; damit sollte verfassungsrechtlichen Bedenken wegen dessen (auf das früher übliche Zinsniveau bezogener) Höhe entsprochen werden (LT-Drs. 7/3408, S. 11) und wird grundrechtlicher Kritik auch aus der Rechtsprechung (etwa BFH, 25.4.2018, IX B 21/18) Rechnung getragen. Erst während des Verfahrens (vgl. BT-Drs. 7/3752, S. 21 f.) kam es zu einer weiteren, allgemein auf Beiträge gemünzten Ermächtigung des gemeindlichen Satzungsgebers durch den neuen Abs. 7 des § 7 KAG, in Anlehnung an § 135 BauGB die Abgabenschuld auf Antrag zu verrenten. Eckpunkte in Bezug auf die Verteilung auf regelmäßig 10, bei Härtefällen auch 20 Jahresleistungen legte der Gesetzgeber selbst fest.

Gegenfinanzierung durch höhere Einnahmen aus Grunderwerbsteuer

Die dem Konnexitätsgebot entspringende Notwendigkeit eines finanziellen Ausgleichs für den Verlust von Beitragseinnahmen soll nach der Gesetzesbegründung durch eine ab 1.7.2019 wirksame Erhöhung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer erfolgen, da dessen Festsetzung gem. Art. 105a Abs. 2 Satz 2 GG seit 2006 in die Zuständigkeit des Landes fällt und, wie tabellarisch erläutert wird, Mecklenburg-Vorpommern bislang unterhalb des bundesdurchschnittlichen Satzes liege (LT-Drs. 7/3408, S. 6). Die hieraus resultierenden „sicheren jährlichen Mehreinnahmen“ von 30 Mio. € stünden dem Land ungeschmälert zur Verfügung, da im bundesstaatlichen Finanzausgleich nicht die tatsächlichen Einnahmen, sondern die Steuerkraftzahlen angesetzt werden (§ 7 Abs. 1 Sätze 2 – 4 FAG Bund). Vermerkt wird freilich, insoweit müsse im FAG M-V ab 2020 ein entsprechender Betrag vorgesehen werden (LT-Drs. 7/3408, S. 7).

Die richtige sachliche Verknüpfung zwischen Einnahmenausfall und dessen Kompensation wurde in der vom Innen- und Europaausschuss im Mai 2019 durchgeführten öffentlichen Anhörung vor allem vom Landesrechnungshof sowie vom OVG- und FG-Präsidenten Sauthoff hinterfragt; moniert wurden fehlender „innerer Zusammenhang“, mangelnde Zweckbindung von Steuereinnahmen sowie insbesondere die anders geartete, nur bedingt für den Straßenbau passende Anknüpfung der Grunderwerbsteuer im Hinblick auf Abgabentatbestand und -schuldner (vgl. LT-Drs. 7/3752, S. 10, 16 f.; s. §§ 1 f., 13 GrEStG).  Andererseits wurde ausdrücklich erklärt, anders als die Grundsteuer sei die Grunderwerbsteuer nicht im Rahmen der Betriebskosten auf Mieter umlegbar (LT-Drs. 7/3752, S.  20; s. § 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 BetrKV).

Hinweis der Redaktion: Lesen Sie im dritten, abschließenden Teil des Beitrags, welche unterschiedlichen Lösungen die Landesregierungen in Brandenburg und Thüringen vorsehen.

 

 

Dr. Ludwig Gramlich, Univ.-Prof. i.R.

früher Technische Universität Chemnitz,
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
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