14.11.2019

Straßenausbaubeiträge der Kommunen – ein Auslaufmodell?

Die aktuellen KAG-Novellen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen – Teil 1

Straßenausbaubeiträge der Kommunen – ein Auslaufmodell?

Die aktuellen KAG-Novellen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen – Teil 1

Wer soll das bezahlen? | © blas - stock.adobe.com
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Bau- und Finanzierungsverantwortung für örtliche Verkehrsanlagen

Eine faire, für alle Beteiligten akzeptable Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur lässt sich finanzwissenschaftlich durchaus stringent aus dem Konzept „öffentlicher Güter“, Kosten-Nutzen-Erwägungen und Verursacherprinzip herleiten. Im Verfassungsstaat müssen bei der Umsetzung theoretisch mehr oder weniger konsistenter ökonomischer Modelle freilich Fundamentalnormen wie Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit sowie föderale Kompetenzverteilung einschließlich kommunaler Selbstverwaltung beachtet werden. Außerdem müssen bei mit Schaffung wie Aufrechterhaltung der Infrastruktur verbundenen finanziellen Belastungen der Bürger die Grenzen der damit einhergehenden Freiheits- und Gleichheitsbeeinträchtigungen, d.h. auch die jeweiligen Grundrechtsgewährleistungen natürlicher wie juristischer Personen eingehalten werden.

Insbesondere bei Straßen in lokaler, insbesondere gemeindlicher Trägerschaft herrscht bisher weithin Einigkeit darüber, dass durch deren Neu- oder Ausbau begünstigte Personen – über in die Kompetenz der Landesgesetzgeber fallende und durch diese normativ vorgeprägte „Beitrags“-Zahlungen – an den Kosten kommunaler Maßnahmen beteiligt werden sollten, wenn, weil und soweit ihnen hierdurch der Vorteil einer qualifizierten Inanspruchnahme eines konkreten Verkehrswegs – und damit in der Folge auch eines größeren öffentlichen Verkehrsnetzes – erwächst. Im Einzelfall entstehende übermäßig hohe Forderungen an Eigentümer von Anliegergrundstücken könnten dabei mittels Stundungen oder gar Teilerlasse auf ein noch erträgliches Maß gesenkt werden. Bei einer erstmaligen „Erschließung“ von Grundstücken i.S. der § 123 ff. BauGB lässt sich dabei eine Steigerung von deren Verkehrswert durch Baureifmachung auch mehr oder weniger präzise feststellen und messen. Selbst wenn insoweit zu fragen ist, ob denn nicht auch Erschließungsanlagen (§ 127 BauGB) in ihrer Funktion zeitlich begrenzt sind und durch einen speziellen Erschließungsbeitrag lediglich diese temporäre Wertsteigerung abgegolten wird, so dass bei tatsächlichem Wegfall einer angemessenen Verkehrserschließung deren Erneuerung auch ein zweites Mal über solche Beiträge refinanziert werden dürfte, scheint die gesellschaftliche Brisanz doch deutlich beim Thema des  „Ausbaus“ (im Unterschied zur bloßen Instandhaltung und -setzung) zu liegen.

Ausgehend von Rheinland-Pfalz entwickelte sich hier neben den herkömmlich erhobenen „einmaligen“ Ausbaubeiträgen die Variante (jährlich) „wiederkehrender Beiträge“ in Bezug auf Straßenbaumaßnahmen für nicht nur einzelne Verkehrsanlagen, sondern größere, abgrenzbare Ortsteile erfassende Bereiche, wobei infolge der erheblichen Vermehrung der Zahl der Abgabepflichtigen zugleich eine entsprechend spürbare Verringerung der Beitragslast erfolgt und damit Streitigkeiten tendenziell vermieden oder doch verringert werden, weil sich Zeit und Mühe für solche im Hinblick auf die geschuldete Zahlung kaum lohnen.


Auch diese vermeintlich salomonische Lösung, die zudem vom BVerfG 2014 als grundsätzlich verfassungsgemäß erachtet wurde (BVerfGE 137, 1), vermochte die Gemüter nicht wirklich zu beruhigen. Die zunächst nur von Grundbesitzer- bzw. Eigenheimerverbänden geäußerte generelle Kritik wurde zuerst 2017/2018 in Bayern auf die politische Schiene gehoben, indem von den dort recht ausgeprägten Möglichkeiten direkter Demokratie Gebrauch gemacht wurde (mit tatkräftiger Unterstützung zumindest einer politischen Gruppierung), so dass letztlich die Staatsregierung und hernach der Landtag das erst zwei Jahre vorher (2016) reformierte Kommunalabgabengesetz erneut neu fassten und damit in der Sache einem Volksbegehren zur Abschaffung der Straßenbaubeiträge zum Erfolg verhalfen; eine landesverfassungsgerichtliche Klärung wurde so letztlich „überholt“, eine Popularklage für erledigt erklärt (BayVerfGH, 20.11.2018, Vf. 17-VII-17). Bayern war auch nicht das erste Bundesland, das diesen legislativen Weg beschritt – ein entsprechendes Verbot besteht in Baden-Württemberg, Berlin und Hamburg -, jedoch ist durch die dortige KAG-Novellierung zumindest in weiteren Landesparlamenten bzw. diversen dort vertretenen Fraktionen ein Prozess des Überdenkens angestoßen oder doch beschleunigt worden, der vor allem in den Neuen Bundesländern (mit Ausnahme Sachsens) ebenfalls zu Kurskorrekturen geführt hat. Auch in Hessen hat Ende August 2019 eine Petition „Abschaffung der Straßenbeiträge in Hessen“ zahlreiche Unterstützer und erhebliches Medieninteresse gefunden; Anträge der Oppositionsfraktionen im Landtag erhielten in einer Ausschussanhörung vielfach Zustimmung, allerdings scheinen die Regierungsfraktionen den 2018 gefundenen Kompromiss, die Entscheidung über den Erlass einer diesbezüglichen Satzung den Gemeindevertretungen zu übertragen, bislang als hinreichend anzusehen, obwohl dies im Hinblick auf Vorgaben des Kommunalhaushaltsrechts nur finanziell „gesunden“ Kommunen eine Wahlmöglichkeit eröffnet.

Neue Bundesländer als Vorreiter und Modell?

In mehreren neuen Bundesländern hingegen ist nicht nur bereits vor einigen Jahren die Möglichkeit, auch wiederkehrende Straßenbau-Beiträge zu erheben, eingeführt worden, sondern haben sich Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern jüngst für eine generelle Aufhebung solcher Beiträge entschieden und steht dies in Thüringen kurz bevor. Auch Sachsen-Anhalt kennt zumindest Sonderregelungen, welche eine maßgebliche Mitwirkung der von Beiträgen Betroffenen beim Ausbau von Anliegerstraßen vorsehen (§ 6d KAG SA). Freilich kommt angesichts der Notwendigkeit adäquater Straßeninfrastruktur gerade im ländlichen Raum ein Verzicht auf die bisherige, zwar nicht alleinige, aber doch wichtige Finanzierungsquelle nur in Betracht, wenn zugleich für einen angemessenen Ersatz in Gestalt anderer verfügbarer Mittel gesorgt wird. Da kommunale „Finanzhoheit“ jedoch kein Steuer- oder Abgabenerfindungsrecht beinhaltet, sondern lediglich „im Rahmen der Gesetze“ gewährleistet ist, bleibt als Ausgleich für entstehende Einnahmeausfälle nur eine verbindliche Zuweisung anderer Mittel (des jeweiligen Landes, aus dessen Haushalt) in Betracht, weil ansonsten nicht nur den Kommunen, sondern auch den Straßenanliegern und (anderen) -nutzern Steine statt Brot gegeben würden. Außer der Problematik eines passenden Stichtags und etwaiger Rückwirkung der KAG-Novellen werden damit finanzverfassungsrechtliche Probleme aufgeworfen, die in der Regel nicht nur für das jeweilige Bundesland bestehen, sondern genereller Natur sind und daher auch bei Gesetzesänderungen in anderen Ländern in die Überlegungen einbezogen werden sollten.

Hinweis der Redaktion: Lesen Sie im zweiten Teil des Beitrags, wie das KAG in Mecklenburg-Vorpommern durch das „Gesetz zur Abschaffung der Straßenbaubeiträge“ vom 24.6.2019 novelliert wurde und wie der Einnahmeausfall kompensiert werden soll.

 

Dr. Ludwig Gramlich, Univ.-Prof. i.R.

früher Technische Universität Chemnitz,
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
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