Tübinger Verpackungssteuer verfassungsgemäß
Bundesverfassungsgericht bestätigt kommunale Lenkungsabgabe auf Einwegverpackungen
Tübinger Verpackungssteuer verfassungsgemäß
Bundesverfassungsgericht bestätigt kommunale Lenkungsabgabe auf Einwegverpackungen

26 Jahre nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verpackungssteuersatzung der Stadt Kassel wegen eines Verstoßes gegen die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung für unzulässig erklärt hatte, folgt mit Beschluss des Gerichts vom 27.11.2024 die Kehrtwende. Nunmehr dürfen Kommunen eine kommunale Verbrauchsteuer auf Einwegverpackungen zum Verbrauch vor Ort erheben.
Vor Jahrzehnten – die Stadt Kassel als unglücklicher Vorreiter
Durch Regelungen in den Kommunalabgabengesetzen der Länder ist den Kommunen die Ermächtigung zur Erhebung von kommunalen Verbrauchs- und Aufwandsteuern im Rahmen des Art. 105 Abs. 2a des Grundgesetzes (GG) übertragen. Hierbei handelt es sich um das sogenannte Steuererfindungsrecht. Bereits Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bemühten sich die Kommunen, der Abfallflut und der Vermüllung der Landschaft durch kommunales Steuerrecht Herr zu werden. Mit kommunalem Satzungsrecht sollte der Einsatz von Einmalverpackungen von Getränken und Speisen beim Endverbraucher steuerpflichtig gemacht werden. War sie ursprünglich nur für die Verpackung von Getränken ins Auge gefasst – daher auch zunächst der Name Getränkeverpackungssteuer –, so wurde sie bald auch für andere Verpackungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken für brauchbar befunden, wie z. B. Einmalbestecke, Einmalverpackungen für Zucker und Milch, Einmalteller usw. Wegen des Gebots der örtlichen Radizierbarkeit kommunaler Steuern sollte sie auf die Fälle beschränkt sein, in denen Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. U. a. die Stadt Kassel erließ insoweit eine Verpackungssteuersatzung, die seinerzeit vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Beschluss vom 19.8.1994 (8 N 1.93) bestätigt wurde. Schon damals schien der Weg für die Einführung dieser kommunalen Steuer offen.
Mit Beschl. vom 7.5.1998 (– 2 BvR 1991/95 und 2004/95 –, BVerfGE 98, 106) hatte jedoch das BVerfG die Verpackungssteuer als verfassungswidrig verworfen. Zwar bestätigte es im Blick auf die bis dahin aufgeworfenen Diskussionsgegenstände im Ergebnis die Rechtsprechung des BVerwG. So erkannte es an, dass es zulässig ist, mit Steuern Lenkungswirkungen im außersteuerlichen Bereich erreichen zu wollen, ohne dass es hierzu noch einer zusätzlichen Sachkompetenz bedarf. Das BVerfG verwarf jedoch die Verpackungssteuer etwas überraschend mit dem Prinzip der Bundestreue und dem Rechtsstaatsprinzip, das die Widerspruchsfreiheit gesetzlicher Regelungen verlange. Letztere Rechtsfigur war insoweit eine Neuschöpfung der richterlichen Rechtsfortbildung. Das BVerfG nahm seinerzeit an, die Verpackungssteuer verstoße gegen bundesgesetzliche Regelungen. Diese bewertete es dahin, dass sich der Bund bezüglich Vermeidung und Verwertung von Abfall für das Kooperationsprinzip entschieden habe und mit diesem die auf finanziellen Zwang ausgerichtete Verpackungssteuer nicht im Einklang stehe.
Zweiter Anlauf der Stadt Tübingen
In der Literatur gab es Stimmen, die nach dem am 1.1.2019 in Kraft getretenen Verpackungsgesetz und den daraus resultierenden Rechtsfolgen eine Änderung hinsichtlich des Kooperationsgebotes im Abfallbereich gesehen haben, weshalb eine kommunale Verpackungssteuer ab diesem Zeitpunkt zulässig sein sollte. Auch wurde auf die Änderungen im Abfallrecht seit 2012 verwiesen. Die Stadt Tübingen hatte sich vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen entschieden, eine Verpackungssteuersatzung zu erlassen und das Risiko einer umfassenden gerichtlichen Überprüfung einzugehen. Wie zu erwarten war, folgte eine Überprüfung durch alle Instanzen bis hin zum BVerfG.
Während der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urt. vom 29.3.2022 – 2 S 3814/20) der Verpackungssteuersatzung auf der bisherigen Rechtsprechungslinie eine Absage erteilt hatte, trat das BVerwG dieser Auffassung mit Urt. vom 24.5.2023 (9 CN 1.22 – BVerwGE 179, 1) entgegen. Danach steht die kommunale Verpackungssteuer als Lenkungssteuer nicht im Widerspruch zum Abfallrecht des Bundes. Soweit das BVerfG vor 25 Jahren seine gegenteilige Ansicht zur damaligen Kasseler Verpackungssteuer auf ein abfallrechtliches „Kooperationsprinzip“ gestützt habe, lasse sich ein solches dem heutigen Abfallrecht nur noch in – hier nicht maßgeblichen – Ansätzen entnehmen.
Entscheidung des BVerfG 2024
Mit Beschluss vom 27.11.2024 (1 BvR 1726/23) hat das BVerfG nunmehr seine bisherige Rechtsprechung geändert und die Verfassungsbeschwerde gegen die Verpackungssteuersatzung der Stadt Tübingen als unbegründet zurückgewiesen. Der Weg zum Erlass kommunaler Steuersatzungen auf Einwegverpackungen zum Verbrauch an Ort und Stelle ist damit geebnet.
Das BVerfG sieht die Verpackungssteuer als eine kommunale Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a GG an, die keiner bundesgesetzlich geregelten Steuer gleichartig ist. Unzulässig ist eine Doppelbelastung derselben Steuerquelle. Diese hat das Gericht hinsichtlich der Umsatzsteuer verneint; Bei der von den Klägern weiter ins Feld geführten Einwegkunststoffabgabe handelt es sich hingegen schon nicht um eine Steuer i. S. d. Art. 105 Abs. 2a GG.
Das Gericht sieht auch die sogenannte „Örtlichkeit“ – also die Verwendung im Gemeindegebiet – grundsätzlich als gewahrt an. Dabei berücksichtigt es die vom BVerwG vorgenommene verfassungskonforme Auslegung der Verpackungssteuersatzung, wonach nur der Verkauf von nach ihrer Zubereitung und Verpackung zum sofortigen Verbrauch bestimmter Speisen und Getränke erfasst sei, nicht jedoch der Verkauf von Speisen und Getränken in fest verschlossenen oder fabrikmäßig abgepackten Behältnissen. Das BVerfG sieht sodann keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Steuerpflicht danach nicht auf typischerweise im Gebiet der Stadt Tübingen verbrauchtes Einwegzubehör beschränkt.
Den 1998 festgestellten Verstoß gegen die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung sieht das BVerfG nicht mehr als gegeben an. Das seinerzeit übergreifende abfallrechtliche Kooperationsprinzip sei durch ein ergänzendes Nebeneinander von Kooperation, Ordnungsrecht und wirtschaftlichen Anreizen zur Verwirklichung der abfallrechtlichen Ziele abgelöst worden, zu dem die auf das Verhalten einzelner Endverkäufer zielenden Lenkungswirkungen der Verpackungssteuer nicht in Widerspruch treten können. Unter Hinweis auf das BVerwG stehen die Lenkungswirkungen der Verpackungssteuer laut BVerfG auch nicht in Widerspruch zu abfallrechtlichen Einzelregelungen. Auch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue verneint das Gericht.
Schließlich sieht das BVerfG zwar einen Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit. Es sieht sie aber nicht als unzumutbar beeinträchtigt an und hält auch die Indienstnahme des Endverkäufers als Zahlstelle – bei dieser sogenannten indirekten Steuer – für verhältnismäßig.
Ausblick
Mit der Entscheidung des BVerfG ist der Weg für die Einführung einer Verpackungssteuer in den einzelnen Städten und Gemeinden geebnet. Sie müssen im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung entscheiden, ob Sie die Einführung einer solchen Steuer unter umweltpolitischen Gesichtspunkten für sinnvoll erachten und ob sich Aufwand und Ertrag im jeweiligen Gebiet in einem angemessenen Verhältnis bewegen. Insoweit ist eine Gesamtabwägung gefragt, die von den Entscheidungsträgern vor Ort zu treffen ist. Zu beachten sind dabei die einschränkenden Hinweise in der Entscheidung des BVerwG vom 24.5.2023. Danach ist eine Regelung zur Deckelung der Steuer bei „Einzelmahlzeiten“ zu unbestimmt und auch die Betretungsrechte von Geschäftsräumen müssen auf die üblichen Betriebs- und Geschäftszeiten beschränkt werden. Allein diese Hinweise verdeutlichen, dass zwar der Weg für die Verpackungssteuer grundsätzlich bereitet ist. Eine Reihe von Einzelfragen wird die Verwaltungsgerichte in den künftigen Jahren aber sicherlich noch beschäftigen.