15.06.2014

Regelungstücken im Pflanzenschutzrecht

Über Werkzeuge der Eingriffsverwaltung und Maiswurzelbohrer

Regelungstücken im Pflanzenschutzrecht

Über Werkzeuge der Eingriffsverwaltung und Maiswurzelbohrer

Auch gegenüber schädlichen Insekten wird im Rechtsstaat nur gemäß Erforderlichkeit und Geeignetheit vorgegangen. | © ottoflick - Fotolia
Auch gegenüber schädlichen Insekten wird im Rechtsstaat nur gemäß Erforderlichkeit und Geeignetheit vorgegangen. | © ottoflick - Fotolia

Der Bundesanzeiger BAnz AT vom 25. 02. 2014 V1 warf einen kleinen Fragenkomplex über In- und Außerkrafttretensreglungen auf. Materiell ging es um die dort publizierte „Verordnung zur Nichtanwendung der Verordnung über die Bekämpfung des Westlichen Maiswurzelbohrers“. Der Beitrag beleuchtet die wechselvolle Regulierungstechnik des Pflanzenschutzrechts.

Diabrotica virgifera virgifera

Die Spezies mit dem Namen aus dem Werkzeugkasten wird wissenschaftlich mit Diabrotica virgifera virgifera bezeichnet, was sich halb-griechisch, halb-lateinisch mit „sich durchbeißender Rutenträger“ übersetzen lässt. Es handelt sich um einen Schädling (laut EU-Kommission „Schadorganismus“), der einen EU-weit abgestimmten Ausrottungsfeldzug ausgelöst hat. Nicht zu verwechseln ist dieser unscheinbar wirkende Käfer mit dem Maiszünsler, einem nicht minder gefürchteten Schmetterling.

Abgekürzt regelte die fragliche Verordnung Folgendes:


  • § 1 – Die Bezugs-VO ist nicht mehr anzuwenden.
  • § 2 Abs. 1 – Dies gilt seit 26. 2. 2014.
  • § 2 Abs. 2 – Am 25. 8. 2014 tritt die aktuelle VO (also die zur Nichtanwendung der Bezugs-VO) außer Kraft,

… aber nur eventuell, nämlich auflösend bedingt durch das Nichttätigwerden des Ministers mit Zustimmung des Bundesrats in einem in der aktuellen Verordnung nicht definierten Zeitraum, vermutlich ebenfalls bis 25. 08. 2014.

Insbesondere für die genannte Spezies dürfte nun interessant sein, ob tatsächlich eine bloße (und vorübergehende) Nichtanwendung gemeint ist und keine Aufhebung, sowie, ob die für den Maiswurzelbohrer so bedrohliche Bezugs-VO wieder voll anwendbar wird, wenn sich bis 25. 08. 2014 nichts weiter tut?

Eine unklare Regelungspraxis, sofern es um Leben und Tod geht, könnte rechtsstaatlich bedenklich sein. Immerhin geht es ja um Ausrottungsmaßnahmen und deren Einstellung. Aber „zum Glück“ geht es ja nur um Insekten und nicht um Wirbeltiere, für welche das Tierschutzgesetz besondere, über die Staatszielbestimmungen in Artikel 20a GG hinaus gehende Rechtspositionen vorsähe.

Historie der Bezugsverordnung

Die Verordnung zur Bekämpfung des Westlichen Maiswurzelbohrers wurde ursprünglich unter anderem gestützt auf die Ermächtigungsgrundlage in § 5 Absatz 1 des Pflanzenschutzgesetzes alte Fassung als sogenannte Eilverordnung erlassen, da der Schadorganismus erstmals in Deutschland festgestellt wurde und eine zügige Regelung der Bekämpfungsmaßnahmen erforderlich schien. Eine Eilverordnung nach § 5 Absatz 1 PflSchG a.F. konnte zwar ohne die sonst erforderliche Zustimmung des Bundesrates erlassen werden, war aber nur sechs Monate gültig, es sei denn der Bundesrat stimmte der Verordnung vorher zu; so erklärte sich die Vorläufigkeits-Regelung in § 10 Absatz 2 der Bezugsverordnung. Die damalige Befristung wurde am 19. 12. 2008 (BGBl. I S. 2865) durch einen Beschluss mit Zustimmung des Bundesrats aufgehoben.

Inzwischen muss sich eine solche Eilverordnung auf § 72 des Pflanzenschutzgesetzes neue Fassung stützen, der den alten § 5 inhaltlich abgelöst hat, ihm aber vom Regelungsgehalt her weitgehend entspricht. Auch die aktuelle Verordnung über die Nichtanwendung der Verordnung zur Bekämpfung des Westlichen Maiswurzelbohrers wurde nun als eine solche Eilverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen. Daher ist auch deren Geltungsdauer auf sechs Monate befristet. Versucht man aber, eine Aufhebung einer Vorschrift zu befristen, dräut nach den Gesetzen der Logik am Fristende die Wiederauferstehung der aufgehobenen Vorschrift. Also müsste, wenn die Rechtslage zugunsten des „bösen“ Käfers Bestand haben soll, der Landwirtschaftsminister mit Zustimmung des Bundesrates vorher eine Bestätigungsregelung erlassen, ebenfalls im Verordnungswege. Tatsächlich ist auch laut freundlicher Auskunft des BMEL geplant, im Wege einer Verordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Bezugsverordnung endgültig aufzuheben.

Bezug zum EU-Recht

Dies würde dann gut dazu passen, dass die Europäische Kommission am 06. 02. 2014 beschlossen hat, ihre Entscheidung 2003/766/EG vom 24. 10. 2003 über Sofortmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Schadorganismus Diabrotica virgifera Le Conte in der Gemeinschaft (ABl. L 275 vom 25. 10. 2003, S. 49) aufzuheben und den Maiswurzelbohrer aus der Anlage zur Richtlinie 2000/29/EG des Rates vom 08. 05. 2000 über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse zu streichen.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Begründung der Kommission:

„Mit der Entscheidung 2003/766/EC ( 2 ) konnte eine Ausbreitung von Diabrotica virgifera virgifera Le Conte nicht verhindert werden, wie aus den jährlichen Erhebungen der Mitgliedstaaten hervorgeht. Diese Erhebungen haben ferner ergeben, dass sich Diabrotica virgifera virgifera Le Conte nunmehr in einem großen Teil des Unionsgebiets etabliert hat. Außerdem ist es nicht möglich, seine weitere Ausbreitung zu stoppen, und es gibt wirksame und nachhaltige Bekämpfungsmaßnahmen, die die Auswirkungen dieses Organismus auf den Maisertrag auf ein Minimum reduzieren, insbesondere die Anwendung eines Fruchtfolgesystems.“

Da hat sich doch tatsächlich herausgestellt, dass weder das geplante Ausrotten noch die Verhinderung der Ausbreitung gelungen ist, dass es aber durch mildere Mittel, wie z. B. ein Fruchtfolgesystem möglich ist, den Schaden effektiv zu begrenzen, weil der Maiswurzelbohrer (noch) so spezialisiert ist, dass er jedes Jahr Mais zur Fortpflanzung benötigt und sich auch jährlich fortpflanzen muss.

Unterschiedliche Prognosen als Basis künftiger Pflanzenschutzverordnungen

Allerdings haben Forschungen bereits im Jahr 2002 gezeigt, dass sich das Tier anpassen kann und dass genetische Varianten notfalls z. B. auch einen jährlichen Soja-Mais-Wechsel überleben [LEVINE et al. (2002): Adaptation of the western corn root worm to crop rotation – Am. Entomol. 48: 94-107]. Es wird eine Herausforderung werden, zu verzögern, dass die auf Mais spezialisierten Stämme von flexibleren „sojatauglichen“ in darwinistischer Manier verdrängt werden. Interessant ist auch die von der Linie der EU-Kommission abweichende Bewertung des Julius-Kühn-Bundesforschungsinstitus für Kulturpflanzen [Dr. Baufeld, Stand 23. Januar 2014], wonach gemäß Auswertung von Pheromonfallen in Baden-Württemberg und Bayern die Käferart um die Hälfte zurückgegangen sowie in Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen ihre Ausrottung erfolgt sei.

Eine tröstliche Gemeinsamkeit weisen jedoch die gesetzgeberischen Aktivitäten in diesem komplexen Umfeld auf: Auch gegenüber schädlichen Insekten wird im Rechtsstaat nur gemäß Erforderlichkeit und Geeignetheit vorgegangen.

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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