28.10.2019

Rechtswidrige Gewalt durch Polizeivollzugsbeamte?

Zwischenbericht einer Studie zur unrechtmäßen Gewalt
durch Polizeibeamte

Rechtswidrige Gewalt durch Polizeivollzugsbeamte?

Zwischenbericht einer Studie zur unrechtmäßen Gewalt
durch Polizeibeamte

Die unrechtmäßige Gewalt durch Polizeibeamte ist Gegenstand einer aktuellen Studie. | © Sven Grundmann - stock.adobe.com
Die unrechtmäßige Gewalt durch Polizeibeamte ist Gegenstand einer aktuellen Studie. | © Sven Grundmann - stock.adobe.com

Die Studie KviAPol

Das Forscherteam des Kriminologischen Lehrstuhls der RUB untersucht seit 2018 die Viktimisierungserfahrungen, das Anzeigeverhalten und das Dunkelfeld zu vermeintlich rechtswidriger Gewaltanwendungen durch Polizeibeamte. Grundlage des jetzt veröffentlichten Zwischenberichts ist die anonyme Onlinebefragung, die 9 ½ Wochen im Internet freigeschaltet war. In dieser Zeit hätten bei 11.647 Zugriffen 5.677 Personen den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Von diesen berichteten 3.678 Personen von eigenen Erfahrungen körperlicher Gewalt durch Polizeibeamte.

Um zu gewährleisten, dass jede Person nur einmal an der Befragung teilnehmen kann, wurde zusätzlich zur technischen Einstellung (Captchas, Verwendung von Cookies) eine Datenbereinigung durchgeführt. Die Entfernungen durch die Datenbereinigung betrugen 303 (8,24%) erfasste Hauptfragebögen. Das Forscherteam filterte 303 Bögen, weil die gemachten Angaben nicht plausibel erschienen. Aufgrund dieser, als eher geringe Anzahl unkorrekt eingestufter Teilnahmen, gäbe es demnach keine Hinweise auf eine erhöhte missbräuchliche und fehlerhafte Teilnahme. Inwiefern gemachte Angaben dennoch erfunden sein können, wird nicht weiter vertieft, so dass eine missbräuchliche Nutzung nicht per se ausgeschlossen werden kann. Allerdings betonen die Wissenschaftler, dass eine effektive Täuschung erheblichen Zeitaufwand bedeutet hätte, da Abbrüche nicht in die Studie aufgenommen worden seien.

Umgang mit der Stichprobe und Stichprobenerhebung

Im Zwischenbericht finden sich Ausführungen zur Rekrutierung der Teilnehmer. Der Onlinefragebogen war über die Website frei verfügbar. Grundsätzliche Rekrutierungsstrategie war eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, auch unter Nutzung sozialer Netzwerke wie Facebook und ein Schneeballsystem mit entsprechenden Gatekeepern. Die Gatekeeper wiederum kamen aus den Bereichen Fußballfans, marginalisierten Gruppen, politischer Aktivismus und Journalismus. Die Einteilung der Gesamtstichprobe in Teilstichproben hinsichtlich der polizeilichen Einsatzsituationen (Demonstrationen, Großveranstaltungen, Einsätze außerhalb von Großveranstaltungen) ist entsprechend logisch, da die Rekrutierungsstrategie unter anderem genau auf solche Personengruppen abzielte. Entsprechend kann aus diesem Personenkreis und den Einsatzsituationen, in denen es zur rechtswidrigen Gewalt durch Polizeibeamte gekommen sein soll, nicht auf Alltagssituationen und generelles Gewaltverhalten geschlossen werden.


Beeindruckend ist die im Zwischenbericht mittlerweile offen ausgesprochene Tatsache, dass es sich eben nicht um eine repräsentative Stichprobe handelt und die Erkenntnisse der Studie nicht verallgemeinernd auf die gesamte Gesellschaft übertragen werden können. Während diese Erwähnung in der Veröffentlichung vom 29. Juli 2019 noch fehlte, ist sie im Zwischenbericht derweil siebenmal zu finden.

Aussagegehalt der Studie

Die Studie geht einer Leitfrage nach rechtswidriger Polizeigewalt nach, auf der sich verschiedene weitere Fragestellungen aufbauen. Mehrfach wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Erfahrung von rechtswidriger (!) Polizeigewalt aus Opfersicht Untersuchungsgegenstand sei. Es wird darauf hingewiesen, dass es sich um subjektive Einschätzungen handele und diese üblich für Befragungsstudien seien. Bei der Interpretation der Daten würde die Subjektivität der Einschätzung durchgehend berücksichtigt – so der Zwischenbericht. Dabei wird nicht auf die Besonderheit des Untersuchungsgegenstandes eingegangen. Allerdings müsste man – wie bei KviAPol nicht vorgenommen – genau darauf hinweisen. Denn im Unterschied zu anderen Opferstudien ist die Laieneinschätzung der Rechtswidrigkeit bei Polizeieinsätzen deutlich schwerer möglich als bei anderen Formen erlebter Gewalt oder Kriminalität (z.B. bei Wohnungseinbruchsdiebstählen). Polizeibeamte haben einen anderen rechtlichen Verfügungsrahmen als der Bürger. Sie sind als staatliche Exekutive dazu befugt, Gewalt auszuüben, wenn dies erforderlich ist. Ein Überschreiten der Erforderlichkeit als polizeiliches Gegenüber einzuschätzen, könnte zudem aufgrund eines zu vermutenden Interessenkonfliktes besonders schwerfallen. Dies ist insbesondere genau in den Situationen und Personenkreisen zu vermuten, die bei Demonstrationen und Fußballspielen polizeiliches Gegenüber sind.

Daher bedarf es einer kritischeren Interpretation der Datengrundlage als bei den Befragungsgegenständern anderer Dunkelfeldstudien. Diese besondere Interpretation wird im Zwischenbericht nicht erwähnt. Insbesondere in den rezipierenden Medien wird nicht mehr deutlich, dass es sich um eine Untersuchung vor allem besonderer Einsatzphänomene mit speziellen Personengruppen handelt, die einer sensibleren Interpretation bedarf. Für die korrekte Darstellung um die Reichweite ihrer Studie haben die Wissenschaftler die Verantwortung zu tragen.

Ein unreflektierter einseitiger Umgang mit der Datengrundlage wird bei der Thematisierung des Dunkelfeldes besonders deutlich. So wird aufgrund der nicht repräsentativen Stichprobe und den Angaben dort eine Hellfeld-Dunkelfeld-Relation von 1:6 angenommen und Argumente vorgebracht, dass das Dunkelfeld in der Studie kleiner als gesamtgesellschaftlich sei. Diese Argumente (Personen stehen aus den gleichen Gründen der Anzeigenerstattung wie auch der Teilnahme an einer Studie kritisch gegenüber) korrespondieren auch mit der Zielgruppe der Rekrutierungsstrategie. Es lässt sich auch unproblematisch nachfolgende These ableiten: Personen, die eine zeitnahe Anzeigenerstattung versäumt haben, nehmen zumindest, da keine Beweissicherung vorgenommen wird, an einer diesbezüglichen Befragung teil, um so noch die Tat „bekannt“ zu machen. Dabei bleibt das Problem der subjektiven Einschätzung einer polizeilichen Maßnahme als rechtswidrige Gewalt.

Fazit

Es steht außer Frage, dass es bei polizeilichen Einsätzen zu Gewalthandlungen kommen kann, die nicht angemessen und somit rechtswidrig sind. Die vorliegende Studie leistet hier allerdings keinen Beitrag der Aufklärung, wie oft so etwas vorkommt. Ob es sich dabei um ein institutionelles Problem handelt oder um Übergriffe von einzelnen Personen, die eine Uniform tragen, ist eine andere Fragestellung, die mit der Untersuchung nicht beantwortet werden kann. Auch die immer wieder geäußerte kriminalpolitische Forderung des Forschungsleiters nach einem unabhängigen Polizeibeauftragten, wird durch die quantitative Untersuchung aus den genannten Gründen nicht unterstützt. Untersucht werden lediglich subjektive Eindrücke, die einer objektiven Bewertung nicht zugänglich sind.

Der im Zwischenbericht hervorgehobene Aspekt, dass die Studie nicht repräsentativ auf die Gesamtgesellschaft anzulegen sei, sollte auch von den Medien beachtet werden, die „erschreckende Ergebnisse“ belegt sehen und 12.000 Fälle rechtswidriger Polizeigewalt in Deutschland unreflektiert als Ergebnis postulieren. Wenn die Verfasser der Studie einen objektiven und sachlichen Umgang mit dem Phänomen rechtswidrige Gewalt durch Polizeibeamte wirklich beabsichtigen, dann sollten sie damit beginnen. Der erste Teil der Onlinebefragung im Rahmen von KviAPol, die kommunizierten Ergebnisse und der Umgang der Medien lässt genau die erforderliche Sachlichkeit und Objektivität vermissen.

Es bleibt zu hoffen, dass der nächste Teil der Studie, der u.a. die Befragung von Polizeibeamten und Staatsanwälten vorsieht, mehr Substanz bietet und weniger als mediengetragene Stimmungsmache gegen Polizeibeamte anmutet.

 

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
 

Patrick Rohde (M.A.)

Polizeibeamter in Nordrhein-Westfalen; Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Herne und Mülheim an der Ruhr
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