12.01.2017

Rechtsextreme, Querulanten oder beides?

Phänomen Reichsbürger in Deutschland

Rechtsextreme, Querulanten oder beides?

Phänomen Reichsbürger in Deutschland

»Die Reichsbürger sind bereits seit längerem aktiv.« | © Engineer - Fotolia
»Die Reichsbürger sind bereits seit längerem aktiv.« | © Engineer - Fotolia

Nach den tödlichen Schüssen eines Angehörigen der sogenannten Reichsbürger auf einen SEK-Beamten wurde der Fokus der Öffentlichkeit auf eine bislang noch relativ unbekannte revisionistische Strömung gelenkt. Tatsächlich sind diese aber schon länger aktiv, jedoch nicht als einheitliche Gruppierung zu verstehen. Entsprechend differenziert müssen sie hinsichtlich ihres Gefährdungspotenzials beurteilt werden.

Das Weltbild der Reichsbürgerbewegungen

Als Reichsbürger bezeichnet man Personen, die von einem Fortbestand des Deutschen Reiches ausgehen. Sie erkennen daher die Bundesrepublik und ihre Institutionen nicht an. Sie bezeichnen sich selbst auch bevorzugt als »natürliche Personen«, »Angehörige des Freistaates Preußen« oder »Angehörige des deutschen Königreiches«. Nach Ansicht der Reichsbürger habe Deutschland keine gültige Verfassung, sei somit als Staat nicht existent und befände sich nach wie vor noch im Kriegszustand mit den Kriegsparteien des Zweiten Weltkrieges. Alle staatlichen Institutionen seien ergo illegitim. Vor allem die neuen Bundesländer werden mangels Gründungsurkunden nicht als rechtmäßig verstanden. Reichsbürger gründen eigene Regierungen bzw. Monarchien mit ernannten Reichskanzlern oder Königen (z.B. in Sachsen-Anhalt mit eigenem »Königreich«). Sie stellen Phantasiepapiere aus und geben eigenes Geld aus (z.B. »Engelgeld«).

Die Geschichte der Reichsbürger in Deutschland beginnt direkt mit Beginn der Gründung der BRD, allerdings handelt es sich dabei eher um einzelne Meinungsansichten. Verbreitung findet das Phänomen dann in den 1980er Jahren und verstärkt seit der Wende. Mit pseudojuristischer Argumentation begründen Anhänger ihre Sichtweise und treten mit Phantasiedokumenten (Reichsausweisdokumente, Reichsführerschein etc.) in Erscheinung. Ab ca. 2010 werden sie aufgrund ihrer Agitation und ihren Behauptungen im Internet häufiger in der Öffentlichkeit wahrgenommen.


Reichsbürger sind nicht als homogene Gruppierung zu verstehen, denn die Begründung für die Nicht-Anerkennung des deutschen Staates ist durchaus unterschiedlich motiviert. Ihnen gemein ist die Ansicht, dass sämtliche Gesetze, Gerichtsurteile und amtliche Bescheide nichtig sind. Sie sind damit nicht per se Rechtsextremisten, die Gewalt anwenden, um eine Rassenideologie durchzusetzen. Gruppenweise befassen sie sich ausgeprägt mit Esoterik. Einige wollen lediglich »ohne Staat« leben, werden dabei jedoch auch straffällig, wenn sie beispielsweise ihre Kinder trotz Schulpflicht vom Unterricht fernhalten oder statt mit amtlichen Kennzeichen ein selbst angefertigtes Nummernschild am Auto anbringen und dies auch im Straßenverkehr bewegen.

Wesentliche Teile der Bewegung sind allerdings hochgradig gefährlich und vertreten rechtsextreme Positionen. Einer der bekanntesten Vertreter ist das RAF-Gründungsmitglied und ehemaliger Linksextremist Horst Mahler, der seit den 1990er Jahren als Rechtsextremist von sich reden macht, und seine ehemalige Lebensgefährtin, die verurteilte Leugnerin des Holocaust, Sylvia Stolz.

Gefährdungseinschätzung

Wie gefährlich Anhänger der Reichsbürgerideologie sein können, hat der tödlich endende Einsatz am 19. Oktober 2016 gezeigt. Nach dem Angriff eines Anhängers der Reichsbürger ist der 32-jährige Beamte einer bayrischen Spezialeinheit im fränkischen Georgensgmünd an den Folgen seiner Verletzungen gestorben, weitere Polizisten wurden bei dem Einsatz verletzt.

2012 sendeten Mitglieder der Gruppe »Die Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen (NGvP)« Morddrohungen an jüdische und islamische Mitbürger per Brief und Aufrufe zum Mord via Internet. In diesen war von »standrechtlicher Erschießung« die Rede, wenn die Angeschriebenen Deutschland nicht verließen. Die Schriften zeugten von exzessivem Judenhass, Rassismus und von Verschwörungstheorien. Während die Urheber nie identifiziert werden konnten und auch keine Fälle bekannt wurden, in denen diese Drohungen umgesetzt wurden, so offenbaren sie eine Ideologie, die sich mit der Vernichtung von Menschen beschäftigt und diese legitimiert. Alarmiert durch diese Drohungen stellte sich die Frage nach der Personenstärke der Reichsbürger. Insbesondere rechtsextreme Strömungen in der Bewegung wurde nach Angaben der Bundesregierung durch Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz im unteren dreistelligen Bereich verortet.

Seit dem tödlichen Angriff vom 19. Oktober 2016 stehen die Reichsbürger unter strikterer Beobachtung der Sicherheitsbehörden, die Einschätzung hinsichtlich des Gefährdungspotenzials wurde von den Landesämtern für Verfassungsschutz größtenteils vorsichtig nach oben korrigiert. Aktuell stellt sich zudem die Frage, ob gerade die extremistische Strömung wächst und ob sie in ihren Grundgedanken in Deutschland populärer werden kann.

Belästigung anderer Behörden

Nicht nur aufgrund extremistischer Tendenzen beschäftigen die Reichsbürger deutsche und ausländische Behörden. Generell werden ganz unterschiedliche Ämter zur Zielscheibe der Reichsbürger und ihren Vorstellungen. Verwaltungen, Kommunen und Hochschulen werden beispielsweise mit Geld- oder Schadensersatzforderungen konfrontiert. Beispielsweise mittels der sogenannten »Malta-Masche« werden Behördenoberhäupter ins Schuldenregister Uniform Commercial Code (UCC) des Bundesstaates Washington eingetragen, um dann über ein Inkasso-Unternehmen auf Malta Forderung gegen die jeweilige Behörde durchzusetzen. Solche Vorgehensweisen wurden unter anderem in Thüringen und Nordrhein-Westfalen beobachtet.

Weiterhin gab es in unterschiedlichen Behörden bislang vereinzelt Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der Reichsbürgerbewegung und Mitarbeitern, beispielsweise wegen Verweigerung amtlicher Beglaubigungen von Scheindokumenten und dergleichen. Zudem kam es zu Übergriffen gegenüber Gerichtsvollziehern durch Reichsbürger. Ein bekanntes Beispiel für diverse Konfrontationen bietet das Strafregister des Reichsbürgers und selbst ernannten »Obersten Souverän« des »Königreich Deutschland« Peter Fitzek. Dieser hat u.a. wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und gefährlicher Körperverletzung über 30 Eintragungen im Bundeszentral- und Verkehrsregister. Beispielsweise ging er in einer Schule zwei Lehrerinnen an, weil er den Sexualkundeunterricht in den Schulen nicht billigt.

Handlungsempfehlungen im Umgang mit Reichsbürgern in Behörden

In Sachsen wurden unlängst Handlungsempfehlungen im Umgang mit Reichsbürgern herausgegeben, da vor allem Mitarbeiter im öffentlichen Dienst beunruhigt über deren Aktivitäten und vor allem deren Auftreten sind. Diese ähneln solchen, die generell auch im Umgang mit querulatorischen Persönlichkeiten empfohlen werden können.

  • Diskussionen mit Reichsbürgern sind generell zu vermeiden
  • Bestehen Sie darauf, dass alle Anliegen in schriftlicher Form eingereicht werden
  • Mündlich wird keine Auskunft erteilt, sondern ebenfalls nur schriftlich erwidert, in kurzer und prägnanter Form (Rechtssicherheit)
  • Dienstlicher Schriftwechsel sollte auf das absolut Notwendigste beschränkt bleiben
  • In alle Vorgänge sollte die Führung (z.B. die Amtsleitung) und das Justiziariat eingebunden sein
  • In Fällen von Ordnungswidrigkeiten sollte umgehend die Polizei informiert werden
  • Strafrechtlich relevante Verhaltensweisen, wie bspw. Beleidigungen und Drohungen sollten unverzüglich den Strafverfolgungsbehörden angezeigt werden
  • Materialien von Reichsbürgern mit augenscheinlich rechtsextremistischen Inhalten sollten dem zuständigen Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt werden; bei volksverhetzenden Inhalten ist eine entsprechende Strafanzeige zu stellen
  • Wenn sich Reichsbürger an Behörden wenden, um sich eigene Urkunden und andere Schriftstücke beglaubigen zu lassen, verweigern Sie die Beglaubigung (schriftlich nach schriftlichem Antrag, s.o.)
  • Erfahren Sie von der Nichteinhaltung der Schulpflicht, ist das zuständige Jugendamt zu informieren

Fazit

Es handelt sich bei den Reichsbürgern nicht um eine generell militante Bewegung mit einheitlichen Vorstellungen. Wie gefährlich Anhänger der Reichsbürgerideologie sein können, hat der tödlich endende Einsatz am 19. Oktober 2016 gezeigt. Gerade rechtsextreme Strömungen können zu einer echten Gefährdung werden, zumal zu befürchten ist, dass sie sich via Internet vernetzen und somit in ihren staatsfeindlichen Absichten bis hin zur Gewalt bestärken. Regelmäßig fallen einzelne Reichsbürger eher wegen ihrer querulatorischen Verhaltensweisen bei einzelnen Behörden auf. Da auch augenscheinlich harmlose Sachverhalte jedoch zu handfesten Auseinandersetzungen führen können, sollten Mitarbeiter von Behörden oben genannte Handlungsanweisungen beherzigen und auftretende Auseinandersetzungen direkt den Vorgesetzten mitteilen.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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