25.01.2017

»IT verstehen, umsetzen und nutzen«

»IT verstehen, umsetzen und nutzen«

»Ich sehe viele Vorteile und kaum Nachteile.« | © Europäische Kommission
»Ich sehe viele Vorteile und kaum Nachteile.« | © Europäische Kommission

Interview mit EU-Kommissar Günther Oettinger

Seit 2014 ist Günther Oettinger EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Im Wirtschaftsleben ist das Thema Digitalisierung unter dem Label »Industrie 4.0« in aller Munde. Lesen Sie, was der EU-Kommissar zur Datenschutz-Grundverordnung und zur Rolle Europas bei der Digitalisierung zu sagen hat. Das folgende Interview ist ein Auszug aus dem aktuellen »Wirtschaftsführer für junge Juristen«. Das Interview führte Stefanie Assmann.

Wirtschaftsführer: Big Data gilt als der »Rohstoff« der Informationsgesellschaft. Bremst oder fördert die Datenschutz-Grundverordnung das digitale Geschäft?

Günther Oettinger: Der wichtigste Fortschritt der Datenschutz-Grundverordnung auf europäischer Ebene liegt bei zwei Faktoren. Faktor 1: Wir haben eine europäische Datenschutz-Grundverordnung und nicht mehr 28 Datenschutzgesetze der Mitgliedstaaten, ergänzt um weitere 16 in den Bundesländern Deutschlands. Zweiter Fortschritt: Es ist eine Verordnung, die direkt im Frühjahr 2018 geltendes europäisches Recht wird und nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden muss. Ob sie genügend Spielraum für Datennutzung geben wird, sei es anonymisiert, pseudoanonymisiert oder aggregiert, wird man sehen.


Aber ich bin im Augenblick optimistisch, dass die Balance gefunden wurde, und sollten noch immer Hindernisse für Big Data bestehen, müssten wir nach ersten Erfahrungswerten eine Novelle der europäischen Datenschutz-Grundverordnung noch vor Ende des nächsten Jahrzehnts vornehmen.

Wirtschaftsführer: Wie geht Brüssel mit der sog. digitalen Verzettelung um? Diese wird ja in Deutschland schon fast sprichwörtlich in Gestalt völlig disparater Zuständigkeiten deutlich. Machen das andere Mitgliedstaaten nicht wesentlich besser?

Günther Oettinger: Natürlich haben wir in Deutschland das Problem, dass sich für die digitalen Politikfelder nicht mehr ausschließlich der Bund, sondern auch die Länder zuständig fühlen. Hinzu kommt, dass in der digitalen Infrastruktur auch viele Kommunen aktiv werden. Für die Bundesregierung kann ich sagen, dass die beteiligten Ministerien mit den Ministern, Herr Gabriel mit seinem Staatssekretär Herrn Machnig, Frau Wanka, Herr Dobrindt, Herr de Maizière, Frau Grütters im Bereich der digitalen Kultur und Herr Maas für Copyright gut harmonieren. D.h., die Kooperation ist ganz gut. Aber in der Tat müsste man in einer nächsten Bundesregierung die digitale Zuständigkeit bündeln. Da ist, so glaube ich, die Europäische Kommission jetzt etwas weiter als die Bundesregierung. Auch Baden-Württemberg, mein Heimatland, ist insofern auf einem guten Weg. Ich sehe den Kabinettsausschuss, den Herr Kretschmann und Herr Strobl vereinbart haben, als Fortschritt. Ob er ausreichend ist oder ob man in einem Ressort die Kompetenzen bündeln sollte, müssen die nächsten Jahre zeigen. Wichtig ist, dass die Koalitionspartner die Digitalisierung als große Zukunftsaufgabe begreifen und das Land auf dem Weg in ein »digitales Musterland« führen, um den Industriestandort Baden-Württemberg zu halten und zu stärken.

Wirtschaftsführer: Eine große Sorge zuletzt: Wird Brüssel mit seiner Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa das Heft selbst in die Hand nehmen mit einer Fülle von Richtlinien und Verordnungen? Viele fürchten die Zentralisierung der Rechtsetzung, die Entmachtung der Mitgliedstaaten und die Missachtung des Subsidiaritätsprinzips.

Günther Oettinger: Der entscheidende Vorteil des Silicon Valley ist, dass es einen amerikanischen digitalen Binnenmarkt gibt. Wir wollen das auch schaffen, um den Nachteil für uns Europäer aufzuheben. Wir nehmen ja nicht als Kommission das Ganze in die Hand, sondern am Ende wird bei jeder Verordnung neben dem europäischen Parlament der Rat bestehend aus den jeweiligen Fachministern als Ko-Gesetzgeber federführend sein, d.h. also Herr de Maizière, Herr Dobrindt, Frau Wanka sind die entscheidenden Akteure. Diese deutschen Minister und Ministerinnen nehmen sich also über den Rat in Luxemburg oder Brüssel die notwendigen Veränderungen zum jeweiligen Thema vor.

Die starke Mitwirkung durch den Deutschen Bundestag wird bleiben. Nach meiner Einschätzung hat die Digitalisierung der europäischen Politik großen Rückhalt bei den Bundestagskollegen. Hinzu kommt der wichtige Aspekt der Entbürokratisierung: Mit der Datenschutz-Grundverordnung, die in eineinhalb Jahren in Kraft tritt, benötigen wir nicht mehr 28 nationale Datenschutzgesetze. Ein enormes Plus für das junge Start-up, das seine Applikationen in mehreren europäischen Ländern anbieten will, liegt darin, dass es nicht mehr bis zu 28 Anwälte braucht, um die datenschutzrechtlichen Gesetze einzuhalten. Man könnte auch sagen: Nur einmal Bürokratie statt wie bisher 28-mal Bürokratie. Deswegen sehe ich für die Europäisierung, die digitale Politik und die europäische Vision mit einem digitalen Binnenmarkt eigentlich nur positive Argumente, viele Vorteile und kaum Nachteile.

Hinweis der Redaktion:

Es handelt sich um einen Auszug aus dem aktuellen »Wirtschaftsführer für junge Juristen«, erschienen Anfang Oktober 2016. Lesen Sie hier den gesamten Artikel.

Vorschau April-Ausgabe 2017

des »Wirtschaftsführers für junge Juristen«

Das Interview:

Marie-Alix Freifrau Ebner von Eschenbach, Geschäftsführerin des Verbandes der Unternehmensjuristen

Der Gastbeitrag:

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ulm

Schwerpunkt-Thema dieser Ausgabe wird sein: Kompetenz, Kommunikation und Recht. Welche zusätzlichen Qualifikationen müssen junge Juristen erwerben, um in der Berufswelt von morgen bestehen zu können? Wie wertvoll bleiben bzw. werden soft skills in einer technisierten und globalisierten Welt?

Das Thema legt einen interdisziplinären Ansatz der Ausgabe nahe. Autorinnen/Autoren sind daher nicht nur Juristen, sondern z.B. auch Politologen, Psychologen und Soziologen (bzw. Juristen mit entsprechender Zusatzausbildung).

 

Stefanie Assmann

Rechtsanwältin, Lektorin im Richard Boorberg Verlag, Stuttgart
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