30.01.2025

Leistungsentfallen sozialrechtlicher Ansprüche

… vor dem Hintergrund des fürsorgerechtlichen Grundsatzes der Nachrangigkeit

Leistungsentfallen sozialrechtlicher Ansprüche

… vor dem Hintergrund des fürsorgerechtlichen Grundsatzes der Nachrangigkeit

Ein Beitrags aus »Zeitschrift für das Fürsorgewesen (ZfF)« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrags aus »Zeitschrift für das Fürsorgewesen (ZfF)« | © emmi - Fotolia / RBV

Das Fürsorgerecht enthält der Bestimmung nach als letztes Auffangbecken unseres Sozialleistungssystems den so genannten Subsidiaritätsgrundsatz, der in der Regelung des § 2 SGB XII „zur Sprache kommt“. Ausdrücklich ist Sozialhilfe nachrangig gegenüber Leistungen „von Trägern anderer Sozialleistungen“. Vorrangigkeit in diesem Sinne genießen nur Ansprüche, die sich verwirklichen lassen und nicht etwa wegen pflichtwidrigen Verhaltens entfallen.

In der nachfolgenden Abhandlung werden die quer über das deutsche Sozialrecht verstreuten Regelungen bezüglich der Konsequenzen pflichtwidrigen Bürgerhandelns vorgestellt. Vorweg werden die sozialversicherungsrechtlichen Anspruchsgrenzen dargelegt, um später dann, dem Subsidiaritätsgrundsatz folgend, auf Grenzen im Sozialen Entschädigungsrecht nach dem soeben in Kraft getretenen Sozialgesetzbuch XIV und im Recht der Existenzsicherung selbst einzugehen.

Beschränkungen im Krankenversicherungsrecht auf der Grundlage des § 52 SGB V

Normzweck der Vorschrift ist, denjenigen, welcher sich in einer qualifizierten Art und Weise eine Krankheit schuldhaft zuzieht, sich dabei entgegen strafrechtlicher Gebote verhält oder aber unnötige Eingriffe vollziehen lässt, auf sich gestellt sein zu lassen, was die medizinisch-notwendige Versorgung anbelangt1Noftz, in: Hauck/Noftz, Rdnr. 2 zu K § 52 SGB V.. Es wird als aus dem Gebot von „Treu und Glauben” gegründet sein, dass die Solidargemeinschaft derartige Aktivitäten nicht mittragen soll. Vorsätzliches Zuziehen einer Erkrankung im Sinne des ersten Absatzes kann sowohl in der Handlungsform des Tuns als auch des Unterlassens verwirklicht werden. Beispielhaft sind zu nennen2Noftz, a. a. O.: Selbstverstümmelung oder Beteiligung an einer Schlägerei, wobei hier zurechenbare Mitwirkung zu verlangen sein wird, und zwar im strafrechtlichen Sinne, vergleiche hier § 231 StGB.


Vorsatz im Sinne dieser leistungsausschließenden Alternative kann auch im Sinne der bedingten Form verwirklicht werden. Leistungsausschluss wird in der Regel nicht zu verbinden sein bei exzessivem Rauchen oder Trinken, weil hier in der Regel die Inkaufnahme der Schädigung, zumindest nicht nachzuweisen sein wird. Nicht anders soll es sein bei gefährlichen Reisen oder bei Sportunfällen, anders hingegen wird man zu urteilen haben bei einer HIV-Erkrankung in Kenntnis der Erkrankung der infizierenden Person und gegebenenfalls in seltenen Fällen auch bei Konsum harter Drogen im Einzelfall. Bei Suizidversuchen soll nach herrschender Meinung der Tötungsvorsatz den Verletzungsvorsatz umfassen, sodass letzterer bejaht wird. Bei Schönheitsoperationen soll nur im Falle riskanter Eingriffe im Einzelfall Eventualvorsatz anzunehmen sein, was zum Ausschluss führt3Noftz, a. a. O..

Entgegen zu Verbrechen, die entsprechend der Definition in der Regelung des § 12 Abs. 1 StGB Straftaten sind, die mit einer Mindeststrafe von einem Jahr belegt sind, müssen Vergehen, an denen der Versicherte beteiligt war, vorsätzlich begangen worden sein. Es genügen allerdings in Ermangelung einer Einschränkung im Gesetz alle Beteiligungsformen, inklusive der Anstiftung oder Beihilfe im strafrechtlichen Sinne (vgl. §§ 26, 27 StGB). Beispielhaft zu nennen werden sein: Verkehrsunfall infolge übermäßigen Alkoholgenusses, Folgen einer Schlägerei im Sinne der Begehungsform des § 231 StGB. Strafrechtliche Bewertungen durch die Krankenkasse sind hier möglich. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention steht dabei diesem eigenständigen Prüfungs- und Beurteilungsrecht der Krankenkassen nicht entgegen4Noftz, a. a. O..

Bei diesem Verschulden geht es um ein Verschulden gegen sich selbst und damit um Fälle eines unverständigen, ungewöhnlich leichtfertigen oder mutwilligen oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhalten. Von einem solchen Verschulden ist nicht auszugehen, wenn ein junger männlicher Arbeitnehmer ein freundschaftliches Gerangel beginnt und sich selbst im Rahmen dieses Gerangels verletzt5Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 30. 1. 2020 – 6 Sa 647/19 –, juris..

Es handelt sich um eine Ermessensregelung („kann”), sodass die Krankenkasse Ermessen auch im Sinne einer echten Abwägung auszuüben hat. Die Lehre von den Ermessensfehlern kommt zur Anwendung, auch dann eben im Sinne der nur eingeschränkten Überprüfbarkeit der Entscheidung der Kasse. Dabei sind als Kriterien insbesondere der Grad des Verschuldens, die Höhe der Aufwendungen der Krankenkasse, die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherten sowie dessen Unterhaltsverpflichtungen heranzuziehen. Zur nachträglichen Kürzung des Krankengeldanspruchs wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis infolge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit vergleiche das LSG Sachsen6Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 9. 10. 2002 – L 1 KR 32/02 –, juris..

Die Leistungsbeschränkung im Sinne der Regelung im zweiten Absatz resultiert aus dem Gedanken, fehlender Sachgerechtigkeit der Kostenübernahme bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen und dann resultierender Übernahme von Eigenverantwortung”. In der Regelung werden bestimmte Eingriffe genannt, die zum Ausschluss führen können: Tätowierungen, ästhetische Operationen und Piercing.

Rechtsfolge ist hier eine Verpflichtung zur Kostenbeteiligung oder alleinige Kostentragung durch den Ver – sicherten. Das in der Regelung des § 52 Abs. 2 SGB V enthaltene Tatbestandsmerkmal „in angemessener Höhe“ räumt der Krankenkasse auf der Rechtsfolgenseite ein Auswahlermessen ein. Bei dessen Ausübung hat die Krankenkasse auch die finanzielle Belastbarkeit des Ver – sicherten zu berücksichtigen“7Noftz, in: Hauck/Noftz, Rdnr. 29 zu K § 52 SGB V, Stand 12/23.. Die gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen, Versicherte in angemessener Höhe an den Behandlungskosten von Krankheiten zu beteiligen, die sie sich aufgrund medizinisch nicht indizierter ästhetischer Operationen zugezogen haben, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz8BSG, Urteil vom 27. 8. 2019 – B 1 KR 37/18 R –, BSGE 129, 52-62, SozR 4-2500 § 52Nr. 1, SozR 4-1100 Art. 3 Nr. 102..

Leistungsausschluss oder -minderung im Rahmen der Unfallversicherung

Personen, die den Tod von Versicherten vorsätzlich herbeigeführt haben, haben keinen Anspruch auf Leistungen. Darüber hinaus können Leistungen ganz oder teilweise versagt oder entzogen werden, wenn der Ver – sicherungsfall bei einer von Versicherten begangenen Handlung eingetreten ist, die nach rechtskräftigem strafgerichtlichen Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist (§ 101 SGB VII)9Köhler, in Hauck/Noftz, Rdnr. 1 zu K § 101, Stand 12/23..

Einen Sonderfall des rechtlichen Instituts der Verwirkung stellt diese Vorschrift dar. Ein allgemein von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten des Antragstellers soll demnach nicht „belohnt” werden10Köhler, soeben.. Während die Regelung des ersten Absatzes Personen von vorneherein vom Leistungsbezug ausschließt, welche den den Anspruch auslösenden Tod herbeigeführt haben, regelt der zweite Absatz Versagung oder Entzug der Leistungen bei einer Straftat11Köhler, soeben..

Wegen der Regelung des ersten Absatzes haben die den Versicherungsfall verursachenden Personen keinen Anspruch wegen der vorsätzlichen Herbeiführung desselben. Sie verlieren Ansprüche nach den §§ 63 ff. SGB VII. Gedacht ist an Ereignisse wie Tötung unter Ausnutzung betrieblicher Gegebenheiten. Wichtig scheint, dass sich der Leistungssauschluss immer nur auf den/die Handelnden bezieht, niemals auf andere, nicht verantwortliche Angehörige, gemessen in strafrechtlichen Kategorien12Köhler, soeben.. Alle Vorsatzformen sind hier erfasst, dies ist der ratio legis geschuldet, denn auch der mit Eventualvorsatz Handelnde verdient nicht die „Belohnung” der Leistungsberechtigung. Alle strafrechtlichen Begrifflichkeiten finden hier Anwendung, so auch die maßgeblichen Voraussetzungen bei Unterlassungsdelikten, wie die Garantenstellung im Sinne der Regelung des § 13 StGB.

Die strafrechtlich nicht sanktionierte Sterbehilfe in Form des mit dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen eines Schwerstverletzten erfolgten Behandlungsabbruches stellt keinen Leistungsausschlussgrund im Sinne von § 101 Abs. 1 SGB VII dar“13Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. 11. 2013 – L 3 U 36/12 –,juris., Es entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 101 Abs. 1 SGB VII, Maßnahmen der Sterbehilfe durch einen Behandlungsabbruch, die ihren Grund in der Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Moribunden haben und die unter dem Schutze der Rechtsordnung stehen, durch einen Leistungsausschluss zu sanktionieren. Voraussetzung der Versagung oder des Entzuges im Sinne des zweiten Absatzes ist ein rechtskräftiges Strafurteil. Eine analoge Anwendung der Regelung des § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, wonach im Recht der Rentenversicherung eine Leistungsversagung auch zulässig ist, wenn aus einem in der Person des Berechtigten liegenden Grunde ein strafgerichtliches Urteil nicht ergangen ist, wird allgemein für unzulässig erachtet“14BSG, Urteil vom 4. 12. 2014 – B 2 U 18/13 R –, BSGE 118, 18-30, SozR 4-2700 § 101Nr. 2, SozR 4-2700 § 8 Nr. 54..

Der rechtliche Zusammenhang mit der Straftat ist Voraussetzung des Ausschlusses. Die Schädigung darf nicht nur bei Gelegenheit geschehen sein. Der Unfallversicherungsschutz auf dem Weg von der Arbeitsstätte nach Hause wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Versicherte aufgrund seiner Fahrweise im Straßenverkehr gegen gesetzliche Verbote verstieß und durch dieses Verhalten die allgemeine Verkehrsgefahr für den Kläger und andere ganz erheblich erhöht wurde15Köhler, soeben.. Hat ein Versicherter allerdings aufgrund einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung, für welche er rechtskräftig verurteilt worden ist, einen Verkehrsunfall erlitten, so kann der Unfallversicherungsträger gemäß § 101 SGB VII Leistungen ganz oder teilweise versagen. Steht eine Straftat nicht im erforderlichen ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit oder beseitigt sie den Zusammenhang des strafbewehrten Verhaltens mit der versicherten Tätigkeit, so kann ein durch diese bedingter Schaden kein Versicherungsfall sein und eine Anwendung des § 101 Abs. 2 SGB VII scheidet bereits dem Grunde nach aus.

Bei der Ermessensausübung16Köhler, a. a. O. Rdnr. 14. sind unter anderem zu berücksichtigen: die Handlung als solche, das berufliche Umfeld, die Auswirkungen der Entscheidung auf die persönlichen Verhältnisse des Versicherten und eine Gesamtbetrachtung der gewährten und versagten Leistungen.

Leistungsausschluss im Recht der Sozialen Pflegeversicherung gemäß der Regelung des § 33 a SGB XI

Nach dieser Vorschrift besteht auf Leistungen kein Anspruch, wenn sich Personen in den Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs begeben, um in einer Versicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB XI oder aufgrund dieser Versicherung in einer Versicherung nach § 25 SGB XI missbräuchlich Leistungen in Anspruch zu nehmen. Das Nähere regelt demnach zur Durchführung der Vorschrift die Pflegekasse in ihrer Satzung17Reimer, in Hauck/Noftz, SGB XI, Rdnr. 4 zu § 33 a, Stand 12/23..

Gemeint sind nach dem Wortlaut der Regelung Personen, die sich eine Leistungsberechtigung erschleichen, indem sie in den Geltungsbereich des SGB Xl kommen, um entweder eine Berechtigung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 oder im Sinne der Regelung des § 25 in Anspruch zu nehmen. Gemeint sind damit Personen, die bis zur Einführung der Versicherungspflicht nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB Xl in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V keinen Anspruch auf Absicherung hatten und nunmehr davon profitieren, dass hierzulande niemand ohne Krankenversicherungsschutz und damit ohne Pflegeversicherung sein darf18Reimer, soeben, Rdnr. 4..

Voraussetzung des Entfallens des Schutzes ist, dass Wohnsitz oder Aufenthalt nur deshalb begründet wird, um Leistungen für sich oder Angehörige in Anspruch nehmen zu können. Der Nachweis der Absicht bereitet in der Praxis Schwierigkeiten19Reimer, a. a. O. Rdnr. 4a..

Ausschluss und Minderung von Rentenansprüchen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung

Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Altersrente für schwerbehinderte Menschen, große Witwenrente oder große Witwerrente besteht nicht für Personen, die die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt haben (§ 103 SGB VI).

Auf den Grund der Beeinträchtigung oder Behinderung im Sinne der Regelung des § 2 Abs. 1 SGB IX kommt es grundsätzlich nicht an. Eine oder mehrere Ausnahmen von diesem Grundsatz finden sich in den folgend dargestellten Regelungen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung. Erwerbsminderungsrenten, also solche anlässlich Behinderung im Sinne der Regelung des § 2 Abs. 1 SGB IX sind hier betroffen20Fichte, Rdnr. 1 zu K § 103, in: Hauck/Noftz, K § 103 SGB VI.. Wird der rentenberechtigende Zustand vom Versicherten selbst, von dessen Angehörigen oder einer unbeteiligten Person verursacht, welche mit dem Versicherten kollusiv zusammengewirkt hat, führt dies zum Anspruchsverlust. Das absichtliche Unterlassen einer Beseitigung des gesundheitlichen Zustandes soll hier allerdings nicht ausreichen. Da § 103 SGB VI lediglich auf absichtlich herbeigeführte gesundheitliche Beeinträchtigungen abstellt, besteht kein Spielraum für eine Rechtsanwendung, die – unter Berufung auf Treu und Glauben – auch die Herbeiführung bestimmter beruflicher Umstände – wie ein Fehlverhalten der Ver sicherten, das zur fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber führte – für die Ablehnung eines Rentenanspruchs ausreichen lässt. Diese Ausnahmeregelung mit Sanktionscharakter verschließt sich einer entsprechenden Anwendung auf weitere, hierin nicht geregelte Fälle21Fichte, a. a. O..

Beim Suizidversuch entfällt die hier geforderte Absicht im strafrechtlichen Sinne, da der Wille auf Beendigung des Lebens gerichtet ist, was eine gänzlich andere Zielrichtung beinhaltet22Fichte, a. a. O. Rdnr. 5.. Problematisch werden die Fälle von Drogensucht gesehen, da hier zweifelhaft auf absichtliche Herbeiführung der Behinderung abgestellt werden kann. Hinsichtlich der zu fordernden Kausalität ist die Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung gültig, die hier, wie im Unfallversicherungs- und Versorgungsrecht, Anwendung findet23Fichte, a. a. O..

Stehen andere Ursachen im Vordergrund, ist der Ausschlussgrund des § 103 SGB VI nicht anwendbar. Die durch den dauerhaften Nikotinabusus eingetretene Gesundheitsstörung ist bei Dauerrauchern typischerweise nicht absichtlich mit dem Ziel der Rentenerlangung herbeigeführt, sondern wird als eine – nachteilige – Genussfolge in Kauf genommen. Dies reicht jedoch nicht aus für den Begriff der Absicht im Sinne des § 103 SGB VI. Die Regelung stellt eine Ausnahmevorschrift mit Sanktionscharakter dar, die sich einer entsprechenden Anwendung auf weitere dort nicht geregelte Fälle verschließt. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Altersrenten für schwerbehinderte Menschen, große Witwenrenten oder große Witwerrenten können ganz oder teilweise versagt werden, wenn die Berechtigten sich die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung bei einer Handlung zugezogen haben, die nach strafgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist (§ 104 SGB VI). Aus § 43 SGB VI lässt sich keine dahingehende Einschränkung entnehmen, dass die Nichtausschöpfung zumutbarer Behandlungsmaßnahmen zu einem materiell-rechtlichen Ausschluss des Rentenanspruchs führt. Insoweit bestimmt § 103 SGB VI ausdrücklich nur für den Fall, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt worden ist, dass der Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (dann) ausgeschlossen ist24Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. 7. 2020 – L 5 R 1265/18 –,juris..

Dies gilt auch, wenn aus einem in der Person der Berechtigten liegenden Grunde ein strafgerichtliches Urteil nicht ergeht. Soweit die Rente versagt wird, kann sie an unterhaltsberechtigte Ehegatten, Lebenspartner und Kinder geleistet werden25Fichte, a. a. O.. Die hier genannten Renten der gesetzlichen Rentenversicherung können versagt werden, wenn der ursprünglich als Berechtigter anzusehende Antragsteller die Gesundheitsbeeinträchtigung bei einer Handlung erlitten hat, die ein Verbrechen oder ein vorsätzliches Vergehen im strafrechtlichen Sinne darstellt. Die gelegentliche eintretende Schädigung berechtigt den Träger zu ganzer oder teilweiser Ablehnung der Rente. Es handelt sich erkennbar um eine Ermessensentscheidung.

Beruht die Erwerbsminderung auf einem Verkehrsunfall, der unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass der Versicherte vorsätzlich ohne Fahrerlaubnis gefahren ist, kann ein Rentenantrag abgelehnt werden. Auch hier ist der ursächliche Zusammenhang zwischen dem qualifizierten Delikt und der Gesundheitsbeeinträchtigung im Sinne des Ursachenzusammenhanges der wesentlichen Bedingung ausreichend und erforderlich. Nicht berührt werden hier Ansprüche Angehöriger. Dies geht aus der Regelung unmittelbar hervor. Die Behandelbarkeit einer psychischen Erkrankung ist für die Frage, ob eine quantitative Leistungsminderung vorliegt, nicht maßgeblich; sie ist allein für die Befristung bzw. die Dauer einer Rente von Bedeutung26Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23. 6. 2020 – L 9 R 1194/19 –,juris..

Die Weigerung, einen Antrag auf Teilzeitbeschäftigung oder Verringerung der Arbeitszeit gegenüber dem Arbeitgeber zu stellen, erfüllt bei einer Arbeitsmarktrente nicht die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 103 SGB VI27Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. 8. 2019 – L 5 R 226/18 –, juris..

Die Regelung des zweiten Absatzes bestimmt, dass die dem Berechtigten versagte Rente dann an unterhaltsberechtigte Ehegatten und Kinder ausgezahlt werden kann. Auch hier handelt es sich um eine Ermessensentscheidung im Sinne der Verwaltungsrechtslehre. Anspruch auf Hinterbliebenenrente besteht gemäß der Regelung des § 105 SGB VI nicht für Personen, die den Tod vorsätzlich herbeigeführt haben. Das Eintreten der Solidargemeinschaft wird in diesen Fällen als unerträglich empfunden.

Der Anspruchsausschluss bezieht sich immer auf die jeweilige in Erscheinung getretene Person, sodass der mordende Ehegatte betroffen ist, nicht aber dessen Kinder. Es findet sich dann in der Literatur auch das Beispiel der Witwe, die ihren zweiten Ehemann vorsätzlich tötet, bei der nicht nur die Witwenrente nach dem zweiten Ehemann entfällt, sondern auch ihr nachrangiger Anspruch auf eine Witwenrente nach dem ersten Ehemann. Nach der zitierten Rechtsprechung des BSG muss diese Mörderin so behandelt werden, „als sei der tatsächlich eingetretene Tod des zweiten Ehemannes für Ansprüche der Witwe auf Hinterbliebenenrente irrelevant”.

Leistungsausschluss im Opferentschädigungsrecht

Mit der Neuregelung dieses Sozialleistungssystems im Sozialgesetzbuch XIV, welches am 1. 1. 2024 in Kraft trat, wurde auch die Leistungsablehnung neu geregelt:

§ 16 Ausschluss von Ansprüchen und Leistungen

(1) Von Ansprüchen nach diesem Buch ist ausgeschlossen, wer das schädigende Ereignis in vorwerfbarer Weise verursacht hat.

(2) Leistungen sind so zu erbringen, dass sie nicht der Person wirtschaftlich zugutekommen, die das schädigende Ereignis verursacht hat.

§ 17 Versagung von Leistungen

(1) Leistungen sind zu versagen oder zu entziehen, wenn es aus in dem eigenen Verhalten der Antragstellerin oder des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, eine Entschädigung zu erbringen.

(2) Leistungen können ganz oder teilweise versagt werden, wenn Geschädigte es unterlassen haben, das ihnen Mögliche und Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung der Täterin oder des Täters beizutragen.

Die Vorschrift des § 16 enthält in Absatz 1 einen Anspruchsausschluss für Personen, die das schädigende Ereignis vorwerfbar verursacht haben. Die Norm entspricht dem bisherigen § 2 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1 OEG.

Der damalige Entwurf des § 2 Abs. 1 OEG a. F. berücksichtigte die Erkenntnis, dass bei der Ausgestaltung und Bemessung einer Entschädigungsregelung eine negative Beeinflussung des Verhaltens des Opfers der Straftat vermieden werden sollte. Nach damals vorliegenden viktimologischen Erkenntnissen kam dem Verhalten durch Straftaten Geschädigter vor und während der Tat besondere Bedeutung zu. Diese Komponente zu berücksichtigen war Anlass und Zweck der Einfügung des § 2 OEG a. F. in das Gesetz. Die heutige Regelung des § 16 Abs. 1 übernimmt wortgleich die frühere Vorschrift. Die Verursachung ist i. S. d. Kausaltheorie der wesentlichen Bedingung zu verstehen, die geschädigte Person muss also eine wesentliche Bedingung für das schädigende Ereignis gesetzt haben. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn sie den Angriff selbst herausgefordert hat oder wenn sie Opfer einer Schlägerei geworden ist, in die sie nicht ohne eigenes Verschulden hereingezogen worden ist. Mit Urteil vom 7. 1. 1979 hatte das BSG noch ein Verhalten, das die Schwelle der Mitverursachung i. S. d. Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung nicht erreicht hatte, daraufhin überprüft, ob denn die Entschädigung als unbillig i. S. d. 2. Alternative des § 2 Abs. 1 OEG a. F. zu versagen war, obwohl die Versagung nach der 1. Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 a. F. zu verneinen war.

Da sich beide Alternativen in den heutigen Regelungen des §§ 16 Abs. 1 und 17 Abs. 1 wiederfinden, kann auf die frühere Rechtsprechung zu den einschlägigen wortgleichen Ausschlussgründen zurückgegriffen werden.

Selbst wenn die strikte Einhaltung dieser Prüfungsreihenfolge zunächst bedeutungslos erscheinen mag, so haben jedoch die neueren Entscheidungen des BSG über die Festlegung der Prüfungsreihenfolge hinaus weit – reichenden Einfluss auf den Bedeutungsinhalt der Versagungskriterien. Denn, weil die Mitverursachung einen abschließend geregelten Sonderfall der Unbilligkeit darstellt, kann, und dies ist für den Bedeutungsinhalt entscheidend, nicht allein wegen des mitverursachenden Verhaltens, sondern nur aus anderweitigen Gründen die Leistungsgewährung wegen „Unbilligkeit“ versagt werden.

Durch die grundsätzlichen „Anwendungshinweise“ des BSG für die Handhabung der Versagungstatbestände wird, wie zu erkennen ist, der Anwendungsbereich der Leistungsversagung zurückgeschnitten. Die Aussage, dass ein und dasselbe Opferverhalten, welches im Rahmen der Mitverursachungsprüfung nicht als versagenserheblich eingestuft wird, nicht als Unbilligkeitsgrund hinsichtlich der Entschädigungsgewährung bewertet werden darf, wirkt restriktiv.

Mit der Aussage, wonach die Mitverursachung als Unterfall der Unbilligkeit zu handhaben ist, wird gleich – zeitig einem möglichen „Missbrauch“ der Unbilligkeitsklausel durch die Exekutive ein „Riegel vorgeschoben“.

Schließlich muss die Verwaltung, um die Leistungsversagung wegen Unbilligkeit zu begründen, weitere Tatsachen, die neben nicht versagungsrelevantem Opferverhalten gegen eine Leistungsgewährung sprechen, beweisen.

Die Beweislast liegt im Rahmen der Prüfung bei der Verwaltung. Das BSG spricht von „fehlendem Nachweis“ der Voraussetzungen der Gegennorm, welcher zur Unanwendbarkeit letzterer führe.

Mit Urteil vom 18. 4. 2001 knüpft der 9. Senat dann an die Entscheidung vom 21. 10. 1998 insbesondere an, indem er weiter klarstellend herausarbeitet, wie die Handhabung der Ausschluss- bzw. Versagenskriterien zu sein hat. Hier werden (wohl abschließend) die Fallgruppen der Mitverursachung dargestellt.

„Ein Leistungsausschluss ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn das Opfer in der konkreten Situation in ähnlich schwerer Weise wie der Täter gegen die Rechtsordnung verstoßen hat (vgl. BSGE 84, 54, 60 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 15 sowie BSGE 79, 87, 90 = SozR 3- 3800 § 2 Nr. 5). Die K mag den betrunkenen H, wie den bindenden Feststellungen des LSG (§ 263 SGG) zu entnehmen ist, zwar mit Worten gereizt und möglicherweise auch den Tatbestand der Beleidigung erfüllt haben, sie hätte damit jedoch auch nicht annähernd ähnlich schwer gegen die Rechtsordnung verstoßen wie H. Das zeigen bereits die im Strafrecht erfolgten Bewertungen in Form von Strafandrohungen von einfacher Beleidigung (§ 185 StGB) und schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) sehr deutlich, denn Beleidigungen werden höchstens mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren, in der Regel aber nur mit Geldstrafe geahndet. Die schwere Körperverletzung mit Todesfolge wird demgegenüber mit Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren, in minderschweren Fällen von 1 bis zu 10 Jahren bedroht. Aber auch, wenn das Opfer zwar keinen Straftatbestand erfüllt hat, sich aber leichtfertig durch eine unmittelbare, mit dem eigentlichen Tatgeschehen insbesondere zeitlich eng zusammenhängende Förderung der Tat, z. B. eine Provokation des Täters, der Gefahr einer Gewalttat aussetzt und dadurch selbst gefährdet hat, kann eine Mitverursachung vorliegen. Gleiches gilt, wenn sich das Opfer einer konkret erkannten Gefahr leichtfertig nicht entzogen hat, obwohl es ihm zumutbar und möglich gewesen wäre (vgl. BSGE 77, 18, 20 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 3: BSGE 83, 62, 67 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 9; BSGE 79, 87).“ Der Ausschluss der Leistungserbringung nach § 16 Abs. 2 ist Ausdruck des Grundsatzes, dass nach diesem Buch diejenigen entschädigt werden sollen, die durch das schädigende Ereignis einen gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Nachteil erlitten haben. Dieser Grundsatz würde ins Gegenteil verkehrt, wenn die Leistungen den Personen, die das schädigende Ereignis verursacht haben, zugutekämen.

Es handelt sich erkennbar um einen Ausschlussgrund der Kategorie „Unbilligkeit der Leistungsgewährung“.

Überdies kann der Leistungsausschluss nach Abs. 2 ein Grund für das Opfer sein, sich aus dem Einflussbereich der schädigenden Person zu entfernen und so etwaige neue Schädigungen zu vermeiden. Zu prüfen ist aber, inwieweit die jeweilige Leistung tatsächlich dem Täter/der Täterin zugutekäme und wenn ja, ob dies durch geeignete Maßnahmen ausgeschlossen werden kann. Von der Leistungserbringung nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind Opfer von häuslicher Gewalt/Partnerschaftsgewalt, die sich entscheiden, in ihr häusliches Umfeld und damit zum Täter/zur Täterin zurückkehren. Hier ist jeweils eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Dabei ist ein individueller Sorgfaltsmaßstab bei der Prüfung, ob eine leichtfertige Selbstgefährdung vorliegt, anzulegen.

§ 17 Abs. 1 entspricht dem bisherigen § 2 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz OEG a. F. Leistungen sind auch weiterhin zu versagen, wenn ihre Erbringung mit Rücksicht auf das eigene Verhalten der antragstellenden Person unbillig wäre. Es genügt ein mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Verhalten der geschädigten Person und dem schädigenden Ereignis. Die geschädigte Person muss nicht selbst eine wesentliche Bedingung für den Eintritt der Schädigung gesetzt haben. Die Norm erfasst etwa den Fall, dass die Gewalttat verübt wird, während die geschädigte Person selbst eine Straftat begeht. Erfasst werden auch sogenannte „Milieu-Taten“, also Fälle, in denen sich die geschädigte Person als Zuhälter, Rauschgifthändler oder sonst in krimineller Weise betätigt und dabei Opfer einer Tat wird, für die auf solchen Gebieten ein besonderes Risiko besteht, etwa einer Gewalttat, die der Rivalität unter Konkurrenten entspringt. Eine Leistungsversagung wegen Unbilligkeit kommt auch bei einem nach der Tat liegenden Verhalten der geschädigten Person in Betracht, etwa wenn diese es – trotz entsprechen der Möglichkeit – schuldhaft unterlässt, den Eintritt des Schadens abzuwenden oder den Schaden zu mindern. § 17 Abs. 2 entspricht dem bisherigen § 2 Abs. 2 OEG.

Im Sozialen Entschädigungsrecht gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Dabei stützen sich die zuständigen Behörden primär auf die Ergebnisse polizeilicher Ermittlungen. Deshalb soll die antragstellende Person unverzüglich Anzeige bei einer Strafverfolgungsbehörde erstatten und zudem an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken. Die grundsätzliche Pflicht zur Strafanzeige soll zudem den Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, den Täter strafrechtlich zur Rechenschaft ziehen zu können und so dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse Genüge zu tun. Die Leistungsversagung ist jedoch keine zwingende Rechtsfolge, vielmehr hat die zuständige Behörde ein Ermessen.

Anspruchsverlust im Recht der Sozialhilfe nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch“

Die Geldleistung für den Lebensunterhalt soll eingeschränkt werden

bei Leistungsberechtigten, die

  1. nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen vermindert haben in der Absicht, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistung herbeizuführen,
  2. bei Leistungsberechtigten, die trotz Belehrung ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen.

In den Fällen des Satzes 1 kann die monatliche Geldleistung um einen Betrag vermindert werden, der bis zu 30 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 entspricht.

Rechtsprechung ist zu der Regelung des § 26 SGB XII neuer Fassung nicht ergangen. Die Regelung des § 26 Abs. 1 SGB XII regelt Einschränkungen des Sozialhilfeanspruchs bei Fehlverhalten des Hilfeempfängers. Der Selbsthilfewillen des Hilfeempfängers soll gestärkt werden, zugleich soll pflichtwidriges, vorwerfbares Verhalten sanktioniert werden. Alle der in der Reglung des § 8 SGB XII genannten Hilfeformen unterliegen den Einschränkungsmöglichkeiten des § 26 Abs. 1 SGB XII.

Der persönliche Anwendungsbereich umfasst auch im Ausland lebende Deutsche oder Ausländer. In Absatz 1 wird dem Sozialhilfeträger bei absichtlicher Herbeiführung der Armut oder unwirtschaftlichem Verhalten allgemein die Möglichkeit der Streichung der Hilfe ermöglicht. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Verschuldensunabhängigkeit des Sozialhilfeanspruchs findet sich hier, sodass bestimmte Formen der Pflichtwidrigkeit von vorneherein anspruchseinschränkend wirken. Die praktische Bedeutung der Regelung der Nr. 1 ist gering, sodass auch auf „Altfälle“, die unter Geltung des BSHG stattfanden, zurückgegriffen werden muss. Die Einschränkung des Umfangs der Hilfe gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 1 BSHG alte Fassung erfordert, dass der Hilfesuchende die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Hilfe mit direktem Vorsatz herbeigeführt hat; bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt nicht. Zu einem Einzelfall der Einschränkung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche wegen vorsätzlicher Verminderung des Vermögens vergleiche in der Rechtsprechung.

Offensichtliche Unwirtschaftlichkeit im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II liegt bei der Verwertung einer Lebensversicherung nur dann vor, wenn der Zwang zum Verkauf die eingezahlten Beiträge in einem nennenswerten Umfang entwerten würde.

Nicht abzustellen ist auf einen zukünftigen Wertzuwachs.

Unwirtschaftliches Verhalten im Sinne der Regelung des Abs. 1, Nr. 2 wird mit Leistungskürzung geahndet, wobei es auf objektive Gegebenheiten ankommen soll. Die Regelung gilt ebenso wie die des Abs. 1 Nr. 1 sowohl für verschwenderisches Verhalten während des wie vor dem Hilfebezug.

Aus der Rechtsprechung (vor 2005): Die Unterhaltung eines nicht benötigten Kraftfahrzeugs ist unwirtschaftlich im Sinne des § 25 Abs. 2 Nr. 2 BSHG, wenn die Betriebskosten außer Verhältnis zu dem Betrag stehen, der im Regelfall für die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln vorgesehen ist. Es spricht bei summarischer Würdigung viel dafür, dass eine über 20 vom Hundert hinausgehende Kürzung des Regelsatzes – unbeschadet der Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Entscheidung – regelmäßig unzulässig ist, weil sie dem Hilfeempfänger nicht mehr das zum Lebensunterhalt Unerlässliche belässt. Die Kürzung des Regelsatzes des sich unwirtschaftlich verhaltenden Hilfeempfängers kann im Einzelfall ausgeschlossen sein, wenn nicht sichergestellt ist, dass der Bedarf anderer im gemeinsamen Haushalt mit ihm zusammenlebender Hilfsbedürftiger, heranwachsender Kinder, ausreichend befriedigt wird.

Für die Einschränkung der Hilfe bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nach § 25 Abs. 2 Nr. 1 BSHG genügt es nicht, wenn der Hilfeempfänger sicher weiß, dass er infolge der Einkommens- oder Vermögensminderung hilfebedürftig werden wird. Voraussetzung ist vielmehr, dass die Erlangung staatlicher Hilfeleistungen zwar nicht das ausschließliche, wohl aber ein maßgebliches Motiv für die Einkommens- oder Vermögensminderung war.

Es spricht einiges dafür, dass der verschuldete Verlust des Arbeitsplatzes nicht als unwirtschaftliches Verhalten einzustufen ist, zumal die Altregelung des § 25 Abs. 2 Nr. 3 BSHG nicht in das SGB XII übernommen wurde“.

Leistungskürzung als Sanktion im Bürgergeldrecht des Zweiten Sozialgesetzbuchs

In diesem Zusammenhang ist das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, wonach Sanktionen nur noch in engen Grenzen möglich sind!

BVerfG, Urteil vom 5. 11. 2019 – 1 BvL 7/16 –, juris Leitsätze

  1. Die zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich „unwürdiges” Verhalten nicht verloren. Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche Bedürftigkeit vorliegt. (Rdnrn. 117, 120, 124).
  2. Der Gesetzgeber kann erwerbsfähigen Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Existenz selbst zu sichern und die deshalb staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, abverlangen, selbst zumutbar an der Vermeidung oder Überwindung der eigenen Bedürftigkeit aktiv mitzuwirken. Er darf sich auch dafür entscheiden, insoweit verhältnismäßige Pflichten mit wiederum verhältnismäßigen Sanktionen durchzusetzen. (Rdnrn. 126, 129).
  3. Wird eine Mitwirkungspflicht zur Überwindung der eigenen Bedürftigkeit ohne wichtigen Grund nicht erfüllt und sanktioniert der Gesetzgeber das durch den vorübergehenden Entzug existenzsichernder Leistungen, schafft er eine außerordentliche Belastung. Dies unterliegt strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit; der sonst weite Einschätzungsspielraum zur Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Regelungen zur Ausgestaltung des Sozialstaates ist hier beschränkt. Prognosen zu den Wirkungen solcher Regelungen müssen hinreichend verlässlich sein; je länger die Regelungen in Kraft sind und der Gesetzgeber damit in der Lage ist, fundierte Einschätzungen zu erlangen, umso weniger genügt es, sich auf plausible Annahmen zu stützen. Zudem muss es den Betroffenen tatsächlich möglich sein, die Minderung existenzsichernder Leistungen durch eigenes Verhalten abzuwenden; es muss also in ihrer eigenen Verantwortung liegen, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung auch nach einer Minderung wieder zu erhalten. (Rdnrn. 132, 133, 134).

Die neuen Sanktionsregelungen sind in § 31 a SGB II verankert und traten am 1. 1. 2023 in Kraft. Eine Kürzung in Höhe von 10 % des Regelbedarfs für einen Monat bei der ersten schweren Pflichtverletzung laut § 31 a Abs. 1 Satz 1 SGB II, § 31 b Abs. 2 Nr. 1 SGB II. Eine Kürzung in Höhe von 20 % des Regelbedarfs für zwei Monate bei der zweiten schweren Pflichtverletzung nach § 31 a Abs. 1 Satz 2 SGB II, § 31 b Abs. 2 Nr. 2 SGB II. Eine Kürzung in Höhe von 30 % des Regelbedarfs jeweils für drei Monate bei jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß § 31 a Abs. 1 Satz 3 SGB II, § 31 b Abs. 2 Nr. 3 SGB II.

Es gilt die Obergrenze von 30 % bei mehreren Sanktionen einschließlich einer Kürzung wegen Meldeversäumnissen.

Es gibt keine Sanktion bei den Kosten der Unterkunft und Heizung. Es gilt das Prinzip der Verkürzung bei getätigter nachträglicher Pflichterfüllung.

Keine Sanktion gibt es bei außergewöhnlicher Härte (§ 31 a Abs. 3 SGB II).

Es gibt nur eine Sanktion bei Meldeversäumnissen in Höhe von 10%iger Kürzung für einen Monat laut § 32 Abs. 1, Abs. 2 SGB II.

Wenn die Erstellung oder Fortschreibung des Kooperationsplans nicht möglich ist, soll auf Verlangen einer der Beteiligten ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden, während dessen keine Sanktionen zulässig sind, vgl. § 15 a SGB II.

Aus der Rechtsprechung hierzu:

Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 13. 7. 2022 – L 6 AS 156/22 –, juris

Daher seien nur Überprüfungsverfahren, die Zeiträume nach dem 5. 11. 2019 beträfen, oder zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts mit Widerspruch oder Klage angefochtene, noch nicht bestandskräftige Sanktionsentscheidungen von den Wirkungen des Urteils betroffen. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts laufende Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X seien hingegen von dieser Rechtsprechung nicht betroffen. Die Bestandskraft bleibe auch bei Stellung eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X bestehen. Das BSG habe in seiner Rechtsprechung betont, dass Anträge auf Zugunstenentscheidungen trotz des darin liegenden „Protests“ nicht dazu führten, dass die angefochtenen Entscheidungen nicht rechtskräftig wären.

Entnommen aus Zeitschrift für Fürsorgewesen 08/2024, S. 188.

 

Prof. Dr. Dirk Heinz

Hochschule Ravensburg-Weingarten, University of Applied Sciences
----------
  • 1
    Noftz, in: Hauck/Noftz, Rdnr. 2 zu K § 52 SGB V.
  • 2
    Noftz, a. a. O.
  • 3
    Noftz, a. a. O.
  • 4
    Noftz, a. a. O.
  • 5
    Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 30. 1. 2020 – 6 Sa 647/19 –, juris.
  • 6
    Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 9. 10. 2002 – L 1 KR 32/02 –, juris.
  • 7
    Noftz, in: Hauck/Noftz, Rdnr. 29 zu K § 52 SGB V, Stand 12/23.
  • 8
    BSG, Urteil vom 27. 8. 2019 – B 1 KR 37/18 R –, BSGE 129, 52-62, SozR 4-2500 § 52Nr. 1, SozR 4-1100 Art. 3 Nr. 102.
  • 9
    Köhler, in Hauck/Noftz, Rdnr. 1 zu K § 101, Stand 12/23.
  • 10
    Köhler, soeben.
  • 11
    Köhler, soeben.
  • 12
    Köhler, soeben.
  • 13
    Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. 11. 2013 – L 3 U 36/12 –,juris.
  • 14
    BSG, Urteil vom 4. 12. 2014 – B 2 U 18/13 R –, BSGE 118, 18-30, SozR 4-2700 § 101Nr. 2, SozR 4-2700 § 8 Nr. 54.
  • 15
    Köhler, soeben.
  • 16
    Köhler, a. a. O. Rdnr. 14.
  • 17
    Reimer, in Hauck/Noftz, SGB XI, Rdnr. 4 zu § 33 a, Stand 12/23.
  • 18
    Reimer, soeben, Rdnr. 4.
  • 19
    Reimer, a. a. O. Rdnr. 4a.
  • 20
    Fichte, Rdnr. 1 zu K § 103, in: Hauck/Noftz, K § 103 SGB VI.
  • 21
    Fichte, a. a. O.
  • 22
    Fichte, a. a. O. Rdnr. 5.
  • 23
    Fichte, a. a. O.
  • 24
    Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. 7. 2020 – L 5 R 1265/18 –,juris.
  • 25
    Fichte, a. a. O.
  • 26
    Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23. 6. 2020 – L 9 R 1194/19 –,juris.
  • 27
    Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. 8. 2019 – L 5 R 226/18 –, juris.
n/a