06.06.2019

Erstes Lagebild zur Clankriminalität in NRW

Aktivitäten im gesamten Bundesland

Erstes Lagebild zur Clankriminalität in NRW

Aktivitäten im gesamten Bundesland

Zwischen 2016 und 2018 wurden 14.225 Delikte von Clanmitgliedern registriert | © Michiru Maeda - adobe.stock.com
Zwischen 2016 und 2018 wurden 14.225 Delikte von Clanmitgliedern registriert | © Michiru Maeda - adobe.stock.com

Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen hat das erste Lagebild zur Clankriminalität in NRW vorgestellt. Die Darstellung der in den Jahren 2016 – 2018 registrierten Straftaten durch Angehörige türkisch-arabischstämmiger Familienclans zeigt, dass es sich nicht lediglich um ein politisches Trendthema handelt.

Clankriminalität: Definition und Beschreibung

Während das Phänomen Clankriminalität seit 2018 in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt ist, fällt der Polizei die Delinquenz von Angehörigen verschiedener Großfamilien türkisch-arabischstämmiger Herkunft schon lange auf. Die Auswerte- und Analysestelle Organisierte Kriminalität (AStOK) des LKA NRW hat bereits im Jahr 2008 einen Schwerpunkt der Auswertung auf türkisch-arabischstämmige Großfamilien gelegt.

Der Begriff Clankriminalität ist weiterhin umstritten. Das LKA hat nachfolgende Arbeitsdefinition als Grundlage für den Bericht festgelegt:


„Der Begriff Clankriminalität umfasst die vom Gewinn- oder Machtstreben bestimmte Begehung von Straftaten unter Beteiligung Mehrerer, wobei

  • in die Tatbegehung bewusst die gemeinsame familiäre oder ethnische Herkunft als verbindende, die Tatbegehung fördernde oder die Aufklärung der Tat hindernde Komponente einbezogen wird,
  • die Tatbegehung von einer fehlenden Akzeptanz der deutschen Rechts- oder Werteordnung geprägt ist und
  • die Straftaten einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind.“

In Deutschland existieren zuweilen ganz unterschiedliche Formen von Familienclans mit verschiedenen ethischen Hintergründen. Im Kontext des vorliegenden Lagebildes werden türkisch-arabische Großfamilien assoziiert, die einen verwandtschaftlichen Zusammenschluss diverser Kernfamilien bilden und deren Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Mhallamiye zuzuordnen sind. Zudem erfasst das Lagebild aufgrund unklarer Staatsangehörigkeiten auch solche arabischen Großfamilien mit vermeintlich libanesischen Wurzeln. Ein weiteres Attribut zur Beschreibung und Eingrenzung der betrachteten Problemgruppe sind Verhaltensweisen von Familienmitgliedern, die deutlich zeigen, dass sie Gebiete in NRW für sich beanspruchen und rechtsstaatliche Prinzipien ablehnen.

Zentrale Ergebnisse des Lagebildes

Nach Abzug unterschiedlicher Schreibweisen zählt das LKA in seinem Bericht 104 Clans, deren Mitglieder im Berichtszeitraum zwischen 2016 und 2018 auffällig geworden sind. In den drei Jahren wurden in NRW 14.225 Delikte registriert, die auf das Konto von Clanmitglieder gingen. Die meisten Fälle fielen in den Bereich der Gewalt-Kriminalität (5.606 Fälle), dahinter folgten Eigentums- und Betrugsdelikte (jeweils ca. 2.600 Fälle) und Drogendelikte (ca. 1.000 Fälle). Außerdem ordnete die Polizei 24 versuchte und zwei vollendete Tötungsdelikte Angehörigen der betrachteten Großfamilien zu.

Das Lagebild zeigt, dass Clans im gesamten Bundesland aktiv sind. Der Schwerpunkt liegt zumeist im Ruhrgebiet: 2018 wurden Angehörigen der betrachteten Clanmitglieder in Essen 730 Straftaten (2016-2018: 2.439), in Recklinghausen 348 (2016 – 2018: 1.096) und in Gelsenkirchen 335 (2016-2018: 1.091) Straftaten zugeordnet. Auch bei der Anzahl der registrierten Tatverdächtigen nach Wohnort liegt Essen mit 1.137 an der Spitze. Von den 6.449 in diesem Zeitraum erfassten Tatverdächtigen waren ca. 20 % Frauen. Mit insgesamt 2.855 Straftaten und 1.211 registrierten Tatverdächtigen fielen besonders zwei Clans in Nordrhein-Westfalen auf. 381 Tatverdächtige wurden mehr als fünfmal pro Jahr auffällig und sind damit als Mehrfachtäter erfasst, die für rund ein Drittel der gesamten Straftaten verantwortlich sind.

Ein Merkmal organisiert krimineller Strukturen ist die Verschmelzung von illegalen mit (teils- oder schein-)legalen Strukturen. Als Geschäftsfelder konnten vor allem

  • Betäubungsmittelhandel,
  • Gastronomie und Shisha-Bars,
  • Glücksspiel und Wettbüros,
  • Security-Dienstleistungen,
  • Sozialleistungsbetrug,
  • Autohandel- und Verleih,
  • Betrug und Wucher durch Schüsseldienste sowie
  • Betrug durch falsche Polizeibeamte

ausgemacht werden. Weitere Betätigungsfelder und Kooperationen finden sich in bzw. mit der Rapper-, der Rocker- und der Kampfsport-Szene.

36 Prozent der erfassten Tatverdächtigen haben die deutsche Staatsbürgerschaft (36 Prozent), gefolgt von der libanesischen mit 31 Prozent; 15 Prozent haben die türkische und 13 Prozent die syrische Staatsangehörigkeit. Als staatenlos fallen lediglich drei Prozent auf.

Fazit

Nach wie vor ist der Begriff der Clankriminalität inhaltlich nicht vollkommen ausgeschärft und steht in der öffentlichen Debatte. Die negative Konnotation und die Diskussion um den Generalverdacht von Familien und ganzen ethnischen Gruppen konnte jedoch nicht verhindern, dass sich der Begriff etabliert hat. Zudem benötigen die Behörden einen operativen Begriff, um Straftaten zuordnen und auswerten zu können. Das vorliegende Lagebild dokumentiert, dass die von den Mitgliedern der bezeichneten Clans begangene Kriminalität ein ernstzunehmendes Problem darstellt. Doch es geht bei der Betrachtung der Familienzusammenschlüsse nicht nur um die registrierten Straftaten, sondern auch um das dahinterstehende Anspruchsdenken nach eigenen Herrschaftsgebieten und die Demonstration ihrer Ablehnung des Rechtsstaates. Als bundesweit bislang erstes und einziges Lagebild sind die vorliegenden Auswertungen des Landes Nordrhein-Westfalen ein Grundpfeiler zur Verortung und damit auch zur Bekämpfung des Phänomens Clankriminalität.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen

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