17.02.2025

Duo Infernale

Observation bei Einsatz technischer Mittel im Einzelfall grundrechtswidrig

Duo Infernale

Observation bei Einsatz technischer Mittel im Einzelfall grundrechtswidrig

Der hier entschiedene Fall stärkt auch den demokratischen Rechtsstaat.  | © S. Engels - stock.adobe.com
Der hier entschiedene Fall stärkt auch den demokratischen Rechtsstaat. | © S. Engels - stock.adobe.com

Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber muss sein Polizeigesetz demnächst korrigieren. Dies jedenfalls, wenn es auch ab dem Jahreswechsel 2025 / 2026 für eine Ausprägung der präventiven längerfristigen Observation eine verfassungstaugliche Ermächtigungsgrundlage geben soll.

Karlsruhe hat gesprochen

Anlass, hier de lege ferenda aktiv zu werden, gibt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 14.01.2024 (Az. 1 BvL 3/22). Demnach ist die längerfristige Observation unter Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen aufgrund des § 16a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Varianten 1 und 2 Nr. 2 PolG NRW mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) unvereinbar.

Streitgegenständlich war die kumulierte Anwendung dieser polizeirechtlichen Normen als Ermächtigungsgrundlage. Nicht entschieden oder beanstandet wurde hingegen die Vereinbarkeit einer der beiden genannten einzelnen Normen mit dem in Rede stehenden Grundrecht.


Die Normen regeln zum einen

  • die längerfristige Observation, d.h. eine durchgehend länger als 24 Stunden oder an mehr als an zwei Tagen vorgesehene oder tatsächlich durchgeführte und planmäßig angelegte Beobachtung, 16a PolG NRW,

sowie zum anderen

  • eine Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel, zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes bei Personen, 17 PolG NRW,

soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wollen.

So wird die Polizei ermächtigt, bei längerfristiger Observation gleichzeitig durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel auch Bildaufnahmen und -aufzeichnungen anzufertigen. Das Gesetz unterscheidet zwischen einer Person, die Adressat der staatlichen Vorfeldüberwachung ist und einer Person, die diese begleitet.

Begleitperson in der Hauptrolle

Karlsruhe hatte über den hiesigen Fall zu entscheiden, nachdem das Bundesverwaltungsgericht sein Verfahren ausgesetzt und zur Prüfung vorgelegt hatte.

Dem Verwaltungsstreitverfahren liegt die begehrte Feststellung zugrunde, dass eine bestimmte Maßnahme gegen eine nicht polizeirechtlich oder strafrechtlich in Erscheinung getretene Dame, der Klägerin, rechtswidrig sei.

Auslöser war eine im Juli 2015 angeordnete Überwachung eines Mannes, der nach der Entlassung aus der Haft längerfristig und unter Einsatz technischer Mittel beobachtet wurde. Er hatte eine Freiheitsstrafe aufgrund der Begehung eines Kapitalverbrechens verbüßt. Darüber hinaus war er dem lokalen rechtsextremen Spektrum als Gefährder zuzuordnen, d.h. als Person eingestuft, die potenziell weitere Straftaten begehen wird.

Ziel der durch die Behördenleitung angeordneten Maßnahme war, seine Spur nicht zu verlieren. So sollte sein Aufenthaltsort und das Personenumfeld in Erfahrung gebracht werden, um ein Abtauchen bzw. die Begehung weiterer Straftaten von erheblicher Bedeutung zu verhindern.

Im Zuge dieser Überwachung wurden auch Lichtbilder der Klägerin angefertigt, als diese sich als sogenannte Begleitperson im Sinne des Polizeigesetzes in der Nähe des Überwachungsadressaten aufhielt. Dagegen wandte sie sich mit einer Feststellungsklage, welche in der Revisionsinstanz schließlich dem Bundesverwaltungsgericht vorlag.

Eingriffsintensität korreliert mit Eingriffsschwelle

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Grundrechtsverletzung erkannt, die Klägerin sei in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

Es hebt hervor, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung von unterschiedlicher Eingriffsintensität geprägt sein könne. So sei bei Observationen ohne Erhebung von personenbezogenen Daten von einer geringen Eingriffsintensität auszugehen, auch deshalb, weil die Maßnahmen nach § 16a PolG NRW auch im entscheidungserheblichen Zeitraum – Juli 2015 – bereits auf die Dauer von einem Monat beschränkt waren. Dies sei eingriffsmindernd zu berücksichtigen.

Demgegenüber bedeute die Erhebung personenbezogener Daten unter Einsatz technischer Mittel einen schweren Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts. Denn durch den nicht offen ersichtlichen Einsatz dieser Mittel ist es der Klägerin nicht möglich, sich dem Verhalten nach auf den Eingriff einstellen zu können. Sie konnte nicht wissen, dass von ihr sowohl Bild als auch Ton dauerhaft gespeichert werden.

Daher bedürfe es in einer solchen Begebenheit einer hohen Eingriffsschwelle als Anlass in das Grundrecht einzugreifen. Als Eingriffsschwelle benannt sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 16a und 17 PolG NRW. Hier reiche nach der Bewertung des Bundesverfassungsgerichts nicht aus, dass das Gesetz an den „Willen, Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen zu wollen“ anknüpfe.

So könne lediglich anhand von Erfahrungssätzen vermutet werden, dass der Überwachungsadressat bzw. dessen Begleitperson erneut straffällig werden wollen. Dadurch sei die konkrete Observation hinsichtlich des Zeitraumes und des Einsatzes technischer Mittel unverhältnismäßig. Vielmehr sei eine Konkretisierung der Gefahr als Eingriffsschwelle angemessen, um der Schwere des Eingriffs eine rechtstaatlich gebotene Intensität zu entgegnen.

Gesetzgeber muss Maßstab festlegen

Des Weiteren rügt Karlsruhe, dass die Ermächtigungsgrundlage zu unbestimmt formuliert sei. Der zitierte Wille, Straftaten zu begehen, eröffne schon auf Tatbestandsebene einen Ermessensspielraum für die Exekutive (Behördenleitung der Polizei). Indes verlangt das dem Rechtsstaatsprinzip entnommene Bestimmtheitsgebot, vgl. Art. 103 Abs. 2 GG, dass Eingriffe des Staates in grundrechtlich geschützte Positionen für Bürgerinnen und Bürger klar verständlich formuliert sein müssen.

Der Wille einer Person, in Zukunft etwas zu tun, ist jedoch eine innere Tatsache. Sie entzieht sich einer objektiven Bestimmbarkeit anhand sachlicher Kriterien. Ohne diese Kriterien in den Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage aufzunehmen, ist der Wortlaut der Norm durch den Landesgesetzgeber nicht bestimmt genug formuliert.

Bis zum Ende des Jahres dürfen längerfristige Überwachungsmaßnahmen, wie die hier beschriebenen, mit der Maßgabe durchgeführt werden, dass sich eine Gefahr konkretisiert hat. Dieser Begriff bezieht einen zum Schaden führenden Kausalverlauf ein, nach dem Tatsachen vorliegen, die auf die Entstehung einer Gefahr für ein besonders gewichtiges Rechtsgut hinweisen, vgl. § 19 Abs. 2 BVerfSchG.

Die konkretisierte Gefahr unterscheidet sich von der konkreten Gefahr dahingehend, dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Schadenseinritt noch nicht gegeben sein muss. Es ist also eine niederschwelligere Eingriffsvoraussetzung, die jedoch anders als bei dem bisher herangezogenen Willensbegriff auf objektive Merkmale baut.

Steilpass nach Düsseldorf

Guter Rat ist nun weder teuer noch unmöglich umsetzbar. Der Landesgesetzgeber wird den ihm zugespielten Ball nun in Ruhe annehmen und verwerten können.

Schließlich ist zum einen noch genug Zeit, einen Gesetzesentwurf in den Fachausschüssen zu beraten und im Landtag zur Abstimmung zu bringen. Ferner ist in der zitierten Bundesnorm schon eine treffliche Formulierung für die konkretisierte Gefahr gegeben. So ist es mit dem Bestimmtheitsgebot nach Ansicht des Autors vereinbar, in einem überarbeiteten Gesetzesentwurf lediglich auf die eingeforderte konkretisierte Gefahr Bezug zu nehmen. Denn es ist per Legaldefinition bestimmt und damit auch in einem neuen polizeirechtlichen Sachverhalt bestimmbar, ob eine Konkretisierung einer Gefahr gegeben ist.

Der hier entschiedene Fall stärkt auch den demokratischen Rechtsstaat, zeigt die Rechtsprechung dem Gesetzgeber doch Unzulänglichkeiten in seinen Formulierungen auf. Die Gewaltenteilung, neben dem Bestimmtheitsgebot ebenfalls Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips, ist mithin intakt. Andere Länder werden die Entscheidung genau zu Kenntnis nehmen und in ihren Polizeigesetzen prüfen, ob sie ebenfalls Anpassungsbedarf zu Eingriffsschwelle und Bestimmtheit feststellen.

 

Marco Schütz

Ass. jur., Köln
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