15.11.2013

Die Situation ist besorgniserregend

Kommunen in der Finanzkrise

Die Situation ist besorgniserregend

Kommunen in der Finanzkrise

Befinden sich deutsche Kommunen in der gleichen Lage wie Griechenland? | © Stefan Merkle - Fotolia
Befinden sich deutsche Kommunen in der gleichen Lage wie Griechenland? | © Stefan Merkle - Fotolia

Im August 2013 veröffentlichte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst und Young GmbH im Internet eine Kommunalstudie zum Thema „Kommunen in der Finanzkrise“ („Kommunen in der Finanzkrise: Status quo und Handlungsoptionen“, EY Kommunenstudie 2013). In dieser Studie wurden 300 deutsche Kommunen befragt.

Im Mittelpunkt steht die Aussage, dass jede dritte Kommune aus eigener Kraft ihre Schulden nicht zurückbezahlen kann.

Alarmglocken müssen läuten

Die zentrale Aussage der Studie ist besorgniserregend. Wenn sie stimmen sollte, dann müssen die Alarmglocken läuten.


Es würde bedeuten, dass sich die deutschen Kommunen in der gleichen Lage befinden wie Griechenland. Wir hätten bei vielen Kommunen eine Situation vergleichbar mit den USA (auch wenn dies von der Tragweite her sicherlich nicht zu vergleichen ist). Alle diese Kommunen, die ihre aufgenommenen Kredite nicht mehr zurückbezahlen können, wären „pleite“. Da in Deutschland Kommunen formal nicht „pleite-„gehen können, müssten die Länder für die aufgenommenen Kredite einstehen. Damit ist auch klar, wer die Schulden der über ihre Verhältnisse lebenden Kommunen letztendlich zu tragen hat. Es sind die Bürger der verantwortungsvoll handelnden Kommunen.

Aus der Studie geht nicht hervor, welche der 300 Kommunen kameral und welche doppisch buchen. Gleichwohl würde dies bedeuten, dass bei den kameral buchenden Kommunen massive Rechtsverstöße begangen wurden und dass die Rechtsaufsichtsbehörden ihren gesetzlichen Aufsichtspflichten nicht nachgekommen sind. Dazu muss man wissen, dass Kommunen, die sich an die kameralen Regeln halten, nicht in die Situation kommen können, dass sie ihre Kredite nicht zurückbezahlen können. Kreditaufnahmen (weitere Kreditaufnahmen) dürfen nur genehmigt werden, wenn die sachgerechte Tilgung jederzeit gewährleistet ist. Im Mittelpunkt der kommunalen Kameralistik steht und stand die jederzeitige Schuldentragfähigkeit, die Verhinderung der Überschuldung.

Bei doppisch buchenden Kommunen dürfte eine Überschuldung erst recht nicht vorkommen. Ziel des Umstiegs von der Kameralistik auf die Doppik war es ja, dass alles transparenter und einfacher wird, dass die Verantwortlichen leichter und besser steuern können. Hätten wir hier einen Beweis, dass die kommunale Doppik versagt, dass sie nicht hält, was sie verspricht?

Schuldentragfähigkeit herstellen

Seit 1975 hatten die Kommunen in Deutschland auf der Basis der kommunalen Kameralistik eine klar definierte (geniale) Schuldenbremse. Sie hieß Pflichtzuführung und errechnete sich aus der Differenz von Zuführungsrate und Tilgungsleistungen. Jeder ehrenamtlich tätige Bürger konnte diese Zahl verstehen und nach einer Einweisung von wenigen Minuten selbständig ermitteln. Die Pflichtzuführung ermöglichte es, mit Hilfe von Krediten Investitionen zu finanzieren und sorgte so für Wachstum, Arbeitsplätze und materiellen Wohlstand, verhinderte jedoch gleichzeitig die Überschuldung.

Geregelt ist dies in Baden-Württemberg in § 22 Gemeindehaushaltsverordnung:

„Die im Verwaltungshaushalt zur Deckung der Ausgaben nicht benötigten Einnahmen sind dem Vermögenshaushalt zuzuführen. Die Zuführung zum Vermögenshaushalt muss mindestens so hoch sein, dass damit die Kreditbeschaffungskosten und die ordentliche Tilgung von Krediten getilgt werden können…“

Wer anhand der Pflichtzuführung nicht in der Lage war, seine Kredite sachgerecht zu tilgen, der durfte keine weiteren Kredite aufnehmen. Die Rechtsaufsichtsbehörde musste die weitere Kreditaufnahme versagen. Diese Kennzahl hat optimal funktioniert. Ganz wenige Kommunen gingen in den vergangenen dreißig Jahren materiell „pleite“, wenn doch, so hatte die Verwaltung, das Gremium und die Rechtsaufsichtsbehörde versagt. Wir brauchen dringend auch für die doppisch buchenden Kommunen eine Kennzahl für die Schuldentragfähigkeit (Überschuldung), die einen analog seriösen Charakter hat wie die Pflichtzuführung der kommunalen Kameralistik. Diese Kennzahl können ehrenamtlich tätige Gemeinderäte im Rahmen der Doppik nur schwer ermitteln, Fachleuten sollte dies anhand der Finanzrechnung jedoch möglich sein.

Derzeit liegt im Rahmen der kommunalen Doppik eine Überschuldung vor, wenn die Summe der Verbindlichkeiten größer ist als die Summe des Vermögens. Nach dem Wortlaut wird somit auf eine bilanzielle Überschuldung abgestellt. Das Eigenkapital ist aufgezehrt und etwaige Fehlbeträge sind als „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ auf der Aktivseite der Bilanz auszuweisen (vgl. Schreml, Bauer, Westner – Kommunales Haushalts- und Wirtschaftsrecht in Bayern; Allgemeine Haushaltsgrundsätze; II 61 S. 3).

Problem dabei ist, dass die Kommunen in ihren Bilanzen Vermögensgegenstände ausweisen, die sie nicht veräußern können oder veräußern dürfen. Wer kauft einer Gemeinde Bolzplätze im Wert von 790.000 Euro ab und betreibt diese mit Verlust? Wer erwirbt von einer Gemeinde Kinderspielplätze im Wert von 470.000 Euro und betreibt diese mit Verlust?

Konsequenzen

Sparen ist angesagt und es muss damit aufhören, dass Kommunen über ihre Verhältnisse leben. Dass der Staat den Kommunen für die Aufgaben, die man ihnen zusätzlich überträgt, auch die notwendige finanzielle Ausstattung gewähren muss, braucht nicht besonders erwähnt zu werden. Diese Regelung hat in den meisten Bundesländern Verfassungsrang.

 

Walter Lutz

Diplom-Verwaltungswirt (FH), Diplom-Ökonom, Gemeinderat, Großrinderfeld, Baden-Württemberg
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