15.11.2013

DMS und E-Akten

Die Renaissance des Aktenplans

DMS und E-Akten

Die Renaissance des Aktenplans

Die klassische Schriftgutverwaltung trägt den Bedürfnissen von Dokumentenmanagementsystemen Rechnung. | © Joachim B. Albers - Fotolia
Die klassische Schriftgutverwaltung trägt den Bedürfnissen von Dokumentenmanagementsystemen Rechnung. | © Joachim B. Albers - Fotolia

Derzeit erfahren Aktenpläne als zentrales Instrument der Schriftgutverwaltung eine wahre Renaissance. Beispielsweise haben der Landkreistag und der Gemeindetag Baden-Württemberg im August 2013 vertraglich mit dem Richard Boorberg Verlag die Erstellung einer Neufassung des Aktenplans für die Kommunen und Landkreise in Baden-Württemberg vereinbart. Auch die Kommunale Geschäftsstelle für Verwaltungsmanagement überarbeitet derzeit ihren Aktenplan, den vor allem größere Städte nutzen. Der Hauptgrund für diese Renaissance liegt letztlich im Aufkommen von Dokumentenmanagementsystemen, die landauf, landab Einzug halten und eine sauber strukturierte Ablagesystematik benötigen.

Elektronische Akte förderte „Revival“

Dass es zu solch einer Renaissance des Aktenplans mit umfassenden Neubearbeitungen kommen musste, wundert etwas, denn der Grund, warum die öffentliche Verwaltung ihre Akten nach Aktenplänen ablegt, ist nie entfallen oder erloschen. Die Aktenmäßigkeit des Verwaltungshandelns scheint lediglich mancherorts aus der Übung gekommen zu sein. Jetzt, bei der Einführung elektronischer Akten in der öffentlichen Verwaltung, gewinnt es neue Wucht. Wie müssen elektronische Akten gestaltet sein und verwaltet werden, damit sie den Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit genügen? Im Folgenden kann dieses Problem nicht umfassend, immerhin aber anhand der Prinzipien der Schriftgutverwaltung erörtert werden. In diesem Zusammenhang spielt dann auch die Ordnungssystematik des Aktenplans eine besondere Rolle. Der Aktenplan ist ein wesentlicher Teil der Prinzipien, die die Aktenmäßigkeit des Verwaltungshandelns ermöglichen, wie weiter unten erläutert wird. Zunächst sollen die Prinzipien der Aktenmäßigkeit des Verwaltungshandelns anhand der geltenden Rechtsprechung herausgearbeitet werden.

Die Rechtsprechung hat die Pflicht zur Aktenmäßigkeit des Verwaltungshandelns immer wieder bestätigt und in den vergangenen Jahrzehnten konkretisiert. Grundlegend sind ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 zur Entfernung und Vernichtung von Vermerken aus Ausländerakten (BVerfG, Urt. v. 06. 06. 1983 – 2 BvR 244, 310/83) und des Bundesverwaltungsgerichts von 1988 zur Aufbewahrung von Unterlagen der Meldebehörde (BVerwG, Urt. v. 16. 03. 1988 1 B 153/87). Auch wenn die beiden obersten Gerichte ihre Urteile noch vor dem Siegeszug der IT-Technik fällten, so gelten die in den Urteilen ausgesprochenen Prinzipien der Schriftgutverwaltung generell, unabhängig davon, in welcher physischen Form dieses Schriftgut vorliegt, ob in Papierform oder in elektronischer Form. Darauf weisen auch neuere Urteile von Oberverwaltungsgerichten hin. Beispielsweise machten die Richter am Oberverwaltungsgericht Greifswald 2000 (OVG Greifswald, Urt. v. 22. 12. 2000 – 2 L 38/99) klar, wie umfangreich die Pflicht zur Aktenführung ist. Sie urteilten, dass eine Behörde „alle wesentlichen Vorgänge“ zur Akte nehmen muss. Hierzu zählten die Richter alle schriftlichen Äußerungen von Beginn bis Ende des Verfahrens unabhängig von ihrer Bedeutung. Weil die Behörde im verhandelten Fall Schriftsätze weder in die Hauptakten noch in die Sammelakten aufgenommen hatte, erhob das Gericht den Vorwurf der Unterdrückung zukünftiger Beweismittel und sah eine Umkehr der Beweislast gerechtfertigt, die Behörde verlor das Verfahren. In der Welt elektronischer Akten gelten die Prinzipien der Schriftgutverwaltung eindeutig weiter.


Aktenmäßigkeit der Verwaltung gilt für alle Behören

Die Aktenmäßigkeit des Verwaltungshandelns gilt generell für alle Behörden, ohne dass diese Pflicht ausdrücklich in Fachgesetzen ausgesprochen sein muss. Denn eine Behörde muss ihre Kenntnis eines Sachverhalts auch dann behalten, wenn ein neuer Bediensteter, der die Vorgeschichte eines Verfahrens nicht kennt, die Sache weiter bearbeiten soll. In diesem Fall ermöglicht die Akte die Kontinuität des Verwaltungshandelns. Allerdings verlangen die Richter, dass diese Akte dann auch zu jeder Zeit den Verlauf und Stand eines Verfahrens wiedergeben muss.

Eine derart ordentlich geführte Akte ist auch Grundlage für die Gleichförmigkeit des Verwaltungshandelns: In gleicher Angelegenheit müssen die Behörden Bürger gleich behandeln. Wie und aus welchen Gründen in einem früheren Fall entschieden wurde, belegen auch in dieser Hinsicht die Akten. Deshalb müssen die Akten einerseits lückenlos und in richtiger Abfolge dokumentieren, was bisher geschah, und andererseits die Grundlagen für künftige Entscheidungen verfügbar halten. Diese Dokumentation des Verwaltungshandelns muss wahrheitsgetreu und vollständig sein. Das Bundesverfassungsgericht leitet aus der Pflicht zur vollständigen Aktenführung auch ab, dass Informationen und Wertungen nicht wieder aus den Akten entfernt werden dürfen, wenn sie rechtmäßig hineingelangt sind. Selbst wenn Informationen und Wertungen nachträglich widerlegt werden, bleiben sie in den Akten (Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 2010).

Dokumentenmanagementsysteme (DMS) erleichtern Ordnung

Das Ordnen von elektronischen Dokumenten leisten in vielen Verwaltungen mittlerweile sogenannte Dokumentenmanagementsysteme (DMS). Der Begriff meint die Organisation elektronischer Dokumente unterschiedlicher Formate. Ein Ausdruck auf Papier holt diese Dokumente in die Welt der analogen Papierakte zurück. Deshalb fällt es leicht, sich diese Dokumente im Aktenzusammenhang vorzustellen und Prinzipien der Schriftgutverwaltung auf ein DMS rückzuübertragen. Ein DMS verwaltet sehr viele einzelne Dokumente. Eine zentrale Frage heißt: Wie lässt sich die Ablage von Dokumenten sinnvoll organisieren? Alle Organisationsversuche mit Hilfe von Begriffen, die in Dokumenten, insbesondere deren Betreffzeilen, enthalten sind, scheitern – auch im Zeitalter elektronischer Suchmaschinen. Bei einer „organisierenden Suche“ werden erst durch den Suchvorgang an sich und die dabei gewonnenen Trefferlisten Zusammenhänge definiert und organisiert. Das Problem bei derartigen Suchvorgängen ist, dass im Inhalt und in Titeln verwendete Begriffe immer auch individuell geprägt sind und individuell vergeben werden. Die Trefferlisten von Suchmaschinen leiden deshalb nicht nur unter einer gewissen Unübersichtlichkeit, sondern vor allem daran, dass sie keine Vollständigkeit der in Trefferlisten nachgewiesenen Dokumente zu einem Verfahren garantieren können. Die einfachste Möglichkeit, elektronische Dokumente, die zusammenhängen, in einer Akte zusammenzufassen, besteht darin, in ein Metadatenfeld jedes Dokuments eine gemeinsame eindeutige Nummer einzutragen. Die Nummer bezeichnet dann eine Akte und jedes Dokument, das diese Nummer im selben Metadatenfeld enthält, ist Bestandteil derselben Akte. Nun gilt es allerdings, dafür zu sorgen, dass der innere Zusammenhang der Dokumente zueinander festgelegt wird. In der Schriftgutverwaltung genügt es nicht, alle Dokumente, die zu einem Vorgang gehören, auf einen Haufen zu schmeißen. Es muss auch klar sein, wann ein Dokument in die Akte kam und in welchem zeitlichen Zusammenhang es die Entscheidungsfindung beeinflusste. Dies kann beispielsweise durch eine elektronische Paginierung, die Vergabe einer fortlaufenden Nummer, erreicht werden. Zeitstempel alleine reichen vermutlich nicht in allen Fällen aus.

Die Elektronische Akte

Für die interne Führung einer elektronischen Akte spielt der Aktenplan noch keine Rolle. Er kommt ins Spiel, sobald Akten aus einer Anzahl von Dokumenten gebildet sind oder für die Aufnahme von Dokumenten angelegt werden. Die elektronischen Akten sind Container für miteinander sachlich zusammenhängende elektronische Dokumente. Die elektronischen Akten als Container von elektronischen Dokumenten benötigen nun ihrerseits ein Ordnungssystem. Wenn mehrere zehntausend Akten in einem Berg gleichartiger Objekte verschwinden, sind sie nur noch unter riesigem Aufwand auffindbar und stehen de facto für die alltägliche Arbeit kaum mehr zur Verfügung. Das Prinzip der Vollständigkeit und Geordnetheit des Schriftguts muss also nicht nur auf die Dokumente innerhalb einer Akte angewendet werden, sondern auch auf die sie enthaltenden Container, nämlich die Akten. Auch bei der Suche nach Akten reichen Suchbegriffe nicht aus, sonst wäre nicht nachweisbar, dass alle Akten zu einem Verfahren gefunden sind. An dieser Stelle wird ein Dokumentenmanagementsystem zu einem Aktenmanagementsystem. Der Nachweis und die Auffindbarkeit aller in einer Behörde angelegten Akten müssen ebenso gegeben sein, wie die Vollständigkeit und Ordnung aller Dokumente innerhalb einer Akte.

Suchstrategien

Wie lassen sich die 250.000 Akten in einer Behörde von etwa 700 Beschäftigten so ordnen, dass in ihnen jede einzelne Akte zuverlässig und eindeutig abgelegt und wieder aufgefunden werden kann? Gerade bei elektronischen Akten versagt jede früher übliche individuelle Ersatz-Suchstrategie nach dem optischen Erscheinungsbild. Man kann nicht mehr nach der grünen Akte mit dem verschmierten Rückenschild irgendwo links oben im Regal am Fenster suchen, an die man sich erinnert. Die Gleichförmigkeit der Aktenobjekte in elektronischer Form lässt nur noch Suchstrategien aufgrund strikt systematischer Ordnung zu. Und Begriffe genügen dieser Anforderung an das Ordnungssystem nicht, denn Begriffe werden immer individuell gewählt. Vor allem eine „organisierende Suche“ ist hier nicht praktikabel. Die einzige Möglichkeit, Schriftgut mit Hilfe von Begriffen zu organisieren, böte deren strikte Normierung und Katalogisierung. Die Normierung von inhaltlichen Begriffen für Zwecke der Schriftgutverwaltung würde jedoch einen riesigen Aufwand nach sich ziehen und bliebe im Endergebnis unbefriedigend, weil wenig übersichtlich. Wegen dieser Nachteile wurden Rubrikenablagesysteme, die es in der frühneuzeitlichen Schriftgutorganisation tatsächlich einmal gab, im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte überwunden und es kam zur Entwicklung von Aktenplänen. Deren hierarchische Gliederung bietet den enormen Vorteil, dass Akten in einem strukturierten Prozess eindeutig abgelegt und systematisch wiedergefunden werden können.

Schriftgutverwaltungslehre hilft

Insofern kommt die aus der Rechtsprechung ableitbare klassische Schriftgutverwaltungslehre den Bedürfnissen der Entwickler von Dokumentenmanagementsystemen sehr entgegen. Denn sie bietet eindeutig strukturierte und über Jahrzehnte hinweg bewährte Ablage- und Suchsysteme. In Dokumentenmanagementsystemen hinterlegte Aktenpläne tragen erheblich zur Rechtskonformität elektronischer Akten bei. Es sind die Aktenpläne, die elektronisch gebildeten Akten so etwas wie einen Platz in einem großen elektronischen Schrank bieten, ein digitales Brett, auf dem sie abgelegt werden können. Und dieses Brett ist aufgrund der ihm zugeordneten Inhalte so genau bezeichnet, dass man es findet, wenn eine elektronische Akte abgelegt werden muss und dass man die einmal abgelegte Akte auch jederzeit anhand der inhaltlichen Systematik wieder finden kann.

Landseinheitlichkeit für mehr Effizienz

Für die Aktenpläne als Grundordnung eines DMS ist zentral wichtig, dass sie für ein Bundesland einheitlich erstellt werden. Bei einer landeseinheitlichen Ausbringung in den Kommunen und Landkreisen potenziert sich der Beitrag von Aktenplänen zur Effizienz des Verwaltungshandelns. Das Prinzip der Landeseinheitlichkeit ermöglicht zunächst, alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst einheitlich im Hinblick auf einen Aktenplan zu schulen. Unabhängig von einer später angetretenen Stelle können sich neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dadurch schnell im Schriftgutablagesystem jeder Kommunalverwaltung zurechtfinden. Beim Wechsel von einer kommunalen Behörde zur nächsten sind Mitarbeiter dem entsprechend schneller und flexibler einsetzbar.

Im Schriftverkehr zwischen Behörden sorgt das einheitliche Aktenzeichen dafür, dass Schriftwechsel, wenn das Aktenzeichen mitgeführt wird, rasch abgelegt werden kann. In modernen Dokumentenmanagementsystemen und Aktenmanagementsystemen können beispielsweise E-Mails, die Aktenzeichen führen, automatisch zugehörigen Akten zugeordnet werden. Ein ebenfalls großer Vorteil landeseinheitlicher Lösungen ergibt sich aus dem Bedarf zur ständigen Weiterentwicklung des Aktenplans. Weiterentwicklungen können dann landeseinheitlich durch eine einzige führende Stelle vorgenommen werden. Dies erspart die jeweils spezifische Fortentwicklung in zahlreichen kommunalen Behörden.

Zu guter Letzt entsteht insbesondere durch die Einführung von Dokumentenmanagementsystemen ein hoher Bedarf nach Implementierung eines Aktenplans. Die Implementierung eines einheitlichen Aktenplans in viele DMS ist wesentlich kostengünstiger als die Erfassung oder Anpassung eines jeweils individuellen Aktenplans in jeder Kommune. Insofern verringert ein landeseinheitlicher Kommunaler Aktenplan in hohem Maß die Kosten bei der Einführung eines DMS.

 

Prof. Dr. Wolfgang Sannwald

Projektleiter des Kommunalen Aktenplans 21 Baden-Württemberg
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