15.04.2015

Die Notwendigkeit neuer Stromleitungen

Nicht nur Bayern, sondern auch Hessen hat nun Zweifel

Die Notwendigkeit neuer Stromleitungen

Nicht nur Bayern, sondern auch Hessen hat nun Zweifel

Zusätzlicher Landeplatz für Vögel? Der geplante Ausbau des Übertragungsnetzes ist überdimensioniert. | © dilynn - Fotolia
Zusätzlicher Landeplatz für Vögel? Der geplante Ausbau des Übertragungsnetzes ist überdimensioniert. | © dilynn - Fotolia

Der hessische Ministerpräsident Bouffier hat Mitte Februar 2015 zur geplanten HGÜ-Leitung SÜDLINK erklärt (laut dpa): „Wir werden es nicht mitmachen, eine ganze Region in Aufruhr zu bringen, solange nicht erwiesen ist, dass man diese Leitung überhaupt braucht.” Und auch die bayrische Staatsregierung hat in ihrem kürzlich veröffentlichten Fazit ihres Energiedialogs festgestellt, dass in jedem Fall neue Reservekraftwerke in Bayern erforderlich sind, die Notwendigkeit neuer Stromleitungen hingegen noch belegt werden muss.

Der geplante überdimensionierte Ausbau des Übertragungsnetzes konterkariert die Energiewende

Bei der weiteren Umsetzung der Energiewende geht es um grundlegende Entscheidungen. Wodurch soll zukünftig in Süddeutschland die durch die Stilllegung der süddeutschen Kernkraftwerke bedrohte Versorgungssicherheit und insbesondere die Reserveleistung für längere ´Dunkelflauten´ von einer Woche und mehr sichergestellt werden?

Alternative I: Laut Netzentwicklungsplan sollen ost- und westdeutsche Braunkohlekraftwerke als Ersatz für süddeutsche Kernkraftwerke dienen. Dazu sind starke neue Übertragungsleitungen zu den süddeutschen Kernkraftwerksstandorten geplant. Das ist eine technisch einfache und sichere Lösung, die aber viele kommunale und private Energiewende-Investitionen und die Energiewende insgesamt konterkariert. Auch deshalb haben sich z. B. alle betroffenen Landkreise strikt gegen die geplanten neuen Leitungen von Ostdeutschland nach Bayern ausgesprochen.


Alternative II: Energiewende erfordert weniger Kohle und mehr Erneuerbare Energien. Wachsende Erneuerbare Energien können in Kombination mit schnell regelbaren Reservekraftwerken (GuD, stromgeführte KWK, Speicher) sowie Nachfragemanagement die süddeutschen Kernkraftwerke ersetzen. Damit würde der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien flankiert und die für die Energiewende zwingend erforderliche mittelfristige Abschaltung der Braunkohlekraftwerke abgesichert (siehe dazu auch PUBLICUS, Hefte 8 und 9/2013: Stromnetzausbau – wofür und für wen?).

In jedem Fall wird durch ohnehin zwingend erforderliche neue Reservekraftwerke in Süddeutschland der erforderliche Leitungsneubau deutlich verringert, wahrscheinlich ganz vermieden (der genaue Umfang müsste allerdings im Einzelnen noch untersucht werden). Die dadurch eingesparten Leitungsausbaukosten können für Anreizprogramme für den Neubau von Reservekraftwerken in Süddeutschland verwendet werden.

Der derzeit geplante kohlebedingte Netzausbau behindert die Energiewende

Untersuchungen der Bundesnetzagentur zeigen, dass kritische Versorgungssituationen nicht etwa bei Dunkelflauten, also durch eine sehr niedrige momentane Erzeugung von Erneuerbaren Energien, auftreten, sondern ausschließlich im Falle eines prognostizierten Überangebots an elektrischer Energie. Dabei führt nicht etwa eine Starkwindeinspeisung zu einer Netzüberlastung, sondern die zusätzliche, zeitgleiche Kohlestromeinspeisung.

Die von uns auf der Basis von Daten der Bundesnetzagentur durchgeführten Untersuchungen geben hierzu ein besonders beredtes Beispiel. Die Abbildung zeigt für einen Starkwindzeitraum oben die stark fluktuierende Erneuerbare Stromerzeugung. Die unten gezeigte konventionelle Stromerzeugung passt sich gemäß dieser Plandaten der Bundesnetzagentur keineswegs in nennenswerter Weise an die Stromerzeugung aus Wind und Sonne an, sondern ist, von technisch bedingten Abschaltungen abgesehen, weitgehend konstant.

Würden die konventionellen Kraftwerke ausreichend abgeregelt, wären keine neuen Leitungen erforderlich. Die von Ostdeutschland nach Bayern geplanten Leitungen sind also ausschließlich für den Weiterbetrieb von ostdeutschen Braunkohlekraftwerken zeitgleich zu ostdeutscher Starkwindeinspeisung erforderlich. Der Öffentlichkeit aber wird erklärt, die wachsende Einspeisung Erneuerbarer Energien verursache den erhöhten Netzausbaubedarf.

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Vor weiterem Ausbau des Übertragungsnetzes muss das Energiewirtschaftsgesetz reformiert werden

Gemäß Netzentwicklungsplan soll das Stromnetz also für eine wachsende Einspeisung Erneuerbarer Energien ausgebaut werden, ohne dass die Kohlestromeinspeisung reduziert wird, was beispielhaft für Ostdeutschland durch die Abbildung belegt wird. Bei wachsender Einspeisung von Erneuerbaren Energien führt dies zu einem laufenden und weit überdimensionierten Ausbau des Übertragungsnetzes.

Zudem werden durch den geplanten, völlig überdimensionierten Stromnetzausbau Bau und Betrieb von Gaskraftwerken, die in Süddeutschland dringend für die Umsetzung der Energiewende benötigt werden, endgültig unrentabel gemacht.

Bei ausreichender Erneuerbarer Stromerzeugung sollten deshalb zukünftig konventionelle Kraftwerke kein gesichertes Einspeiserecht mehr haben, insbesondere sollte hierfür kein Netzausbau mehr erfolgen. Parallel dazu muss der Netzentwicklungsplan neu erarbeitet und dann das Energieleitungsausbaugesetz und das Bundesbedarfsplangesetz entsprechend angepasst werden (siehe dazu auch PUBLICUS 2014.4: Eine Reform des EEG erfordert die Reform des EnWG).

Neuberechnung des Netzentwicklungsplans erforderlich

Es bedarf nun dringend einer Neuberechnung des Netzentwicklungsplans mit folgenden Vorgaben, die alle bisher beim Netzentwicklungsplan unberücksichtigt blieben:

  • Kein kohlebedingter Netzausbau: Ein Netzausbau sollte nur für Erneuerbare Energien erfolgen, nicht aber, wie derzeit geplant, für Kohlestromeinspeisung zeitgleich zu Starkwindeinspeisung.
  • Berücksichtigung der Bau- und Betriebskosten des Netzausbaus, die derzeit beim Netzentwicklungsplan ganz und gar unberücksichtigt bleiben.
  • Abregelung von seltenen Windspitzen; dies wurde bisher im Netzentwicklungsplan nur in unzureichenden Alternativberechnungen berücksichtigt.
  • Optimierung zwischen Leitungsneubau einerseits und stärkerem Neubau von ohnehin zwingend erforderlichen, schnell regelbaren Reservekraftwerken in Süddeutschland.

Fazit

  • Netzengpässe sind nicht durch Erneuerbare Energien bedingt, sondern durch den wachsenden Export von Kohlestrom.
  • Es bedarf dringend einer Neuberechnung des Netzentwicklungsplans. Und erst dann wissen wir, in welchem Umfang neue Stromleitungen für die Energiewende erforderlich sind.

Hinweis: Alle zitierten Veröffentlichungen und weitere Informationen zur Energiewende und zum Netzausbau sind abrufbar unter www.JARASS.com.

Prof. Dr. Lorenz Jarass

Prof. Dr. Lorenz Jarass

M.S. (Stanford University, USA). Hochschule RheinMain, Wiesbaden
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