15.04.2015

Arbeitnehmer-Kritik im Web 2.0

BAG: „YouTube”-Video rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung

Arbeitnehmer-Kritik im Web 2.0

BAG: „YouTube”-Video rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung

Die besonderen Gefahren einer Verbreitung über soziale Medien hat das BAG in seinem Urteil nicht gewürdigt.|© Female photographer - Fotolia
Die besonderen Gefahren einer Verbreitung über soziale Medien hat das BAG in seinem Urteil nicht gewürdigt.|© Female photographer - Fotolia

Die Wirksamkeit fristloser Kündigungen aufgrund über das Web 2.0 verbreiteter geschäftsschädigender Äußerungen hängt weiterhin vom Einzelfall ab. Das BAG hat der Arbeitswelt mit seinem ersten „YouTube-Urteil“ (Urteil vom 31. 07. 2014 – 2 AZR 505/13) leider keine klaren Regeln für den Umgang mit sozialen Medien an die Hand gegeben. Dies geht aus der nun veröffentlichten Urteilsbegründung hervor. Wer auf einen Beitrag zur Rechtssicherheit gehofft hatte, muss damit weiter abwarten.

Äußerungen in „YouTube”-Video bewegten Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung

In dem entschiedenen Fall hatte sich ein Arbeitnehmer in einem von dem YouTube-Channel „Streik.TV“ – einem PR-Kanal der Gewerkschaft ver.di – produzierten Video negativ über seinen im produzierenden Gewerbe tätigen Arbeitgeber geäußert. In dem Video, das er zusätzlich auch über seine private „Facebook“-Seite verbreitet hatte, prangerte der Arbeitnehmer „Probleme“ im Betrieb an: An einzelnen Maschinen fehlten „viele Sicherheitsvorkehrungen“, er möge „fast behaupten, dass keine Maschine zu 100 % ausgerüstet“ sei. Zudem ließ er verlauten, es wären „keine Fachkräfte vorhanden“ und das Beherrschen der Maschinen werde „nicht zu 100 % erfüllt“. Tatsächlich sind in dem Betrieb zum Großteil Fachkräfte beschäftigt. Als der Arbeitgeber von dem Video Kenntnis erlangte, wurde gegen den Arbeitnehmer die fristlose Kündigung ausgesprochen.

Alternative Auslegung im Zusammenhang mit Betriebsratswahlkampf

Nachdem das LAG Hamm (Urteil vom 15. 03. 2013 – 13 Sa 6/13) die Aussagen noch als wissentlich falsche, geschäftsschädigende Äußerungen qualifizierte und die Kündigung daher, ebenso wie das ArbG Rheine, als wirksam erachtet, gab das BAG der Revision des klagenden Arbeitnehmers statt und erklärte die Kündigung für unwirksam. Der Senat begründete dies mit einer alternativen Auslegung der Äußerung des Arbeitnehmers. Dieser hatte sich zuvor in einer Betriebsversammlung als Mitglied für den Wahlvorstand bei der Wahl eines – in dem Unternehmen bis dato nicht existierenden – Betriebsrats beworben. Aufgrund chaotischer Organisation nahm die Betriebsversammlung jedoch nicht den von der Gewerkschaft gewünschten Verlauf. Nachdem die Versammlung sich bereits teilweise aufgelöst hatte, wurde trotzdem noch der Versuch einer Wahl unternommen, der aber mangels Feststellung der Zahl der noch anwesenden Wahlberechtigten im Ergebnis keine gültige Wahl darstellte.


Im Hinblick auf diese gescheiterte Betriebsversammlung sieht das BAG die Aussagen im Video dadurch geprägt, dass „aus Arbeitnehmersicht die Bedeutung der Wahl einer betrieblichen Interessenvertretung hervorzuheben” sei. In diesem Kontext bemüht sich das BAG um die Verknüpfung der Äußerungen über die Sicherheitsvorkehrungen und den angeblichen Fachkräftemangel und gelangt zu dem Ergebnis, es läge „unmittelbar nahe anzunehmen, der Kläger habe nicht auf das Fehlen von Fachkräften im Allgemeinen, sondern auf Defizite in Sachen Arbeitssicherheit hinweisen wollen”. Der Senat geht in seiner Deutung sogar so weit anzunehmen, an keiner Stelle werde deutlich, „dass der Kläger der Beklagten hätte absprechen wollen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die über eine qualifizierte Berufsausbildung verfügen und in der Lage sind, in ihrem Beruf erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse adäquat anzuwenden”. Der Zusammenhang des Videos mit der geplanten Betriebsratswahl bewegt das BAG damit erkennbar dazu, Arbeitnehmern bei betriebsratsrelevanten Themen einen „Bonus” zu gewähren und die Hürde für eine Kündigung hoch anzusetzen. Leider hat es den zu entscheidenden Fall nicht genutzt, um allgemeine Regeln im Umgang mit dem Web 2.0 aufzustellen.

Keine Würdigung der besonderen Gefahren einer Verbreitung über soziale Medien

Mit der Wahl des Mediums und des Verbreitungsweges einer Botschaft wird auch über die Größe des Adressatenkreises entschieden. Besonders umfangreich ist dieser, wenn ein Video öffentlich auf Internetplattformen wie „YouTube” gestellt wird. Das Web 2.0 ermöglicht grundsätzlich jedem Internetnutzer die Kenntnisnahme und birgt damit für den Arbeitgeber die Gefahr einer „viralen Verbreitung” des Gesagten. Selbst ein einzelnes Video kann in Zeiten von „Shitstorms” dem öffentlichen Ansehen und wirtschaftlichen Erfolg des betroffenen Unternehmens nachhaltig schaden, zumal einmal hochgeladene Inhalte dauerhaft abrufbar bleiben. Um Rechtssicherheit zu erlangen, wäre die Aufstellung klarer Grundsätze für den Umgang mit solchen öffentlichen Anprangerungen sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer wünschenswert.

Das BAG verwehrt sich dem jedoch und stellt in seinem Urteil nur auf den tatsächlichen Verbreitungsgrad des Videos ab. Hierzu führt es aus, dass das streitgegenständliche Video nur von verhältnismäßig wenigen Internetnutzern abgerufen wurde. Bedauerlicherweise zieht das BAG die unkalkulierbare Gefahr exponentieller Verbreitung dabei nicht in seine Überlegungen mit ein. In welchem Umfang sich das Video verbreiten würde, war von dem Arbeitnehmer vorher nicht abzusehen. Der (hinzunehmende) Grad des Verstoßes gegen arbeitsvertragliche Pflichten durch geschäftsschädigende Äußerungen und die zu treffende Interessenabwägung kann sich jedoch kaum nach dem Verbreitungsgrad der Äußerung (Anzahl der „Klicks/Likes“ im Internet) bemessen. Vielmehr muss dem Arbeitnehmer die potentiell grenzenlose Verbreitung seiner Äußerungen bewusst sein, wenn er sich für die Mitwirkung an einer Publikation im Internet entscheidet. Ab diesem Punkt kann er einer großflächigen Verbreitung – selbst wenn er diese missbilligen würde – nämlich nicht mehr eindämmend entgegenwirken.

Zwar weist das BAG darauf hin, dass die öffentliche Verlautbarung von Missständen im Betrieb grundsätzlich erst nach Ausschöpfung der innerbetrieblichen Kommunikationswege erfolgen sollte; dies wird aber mit dem allgemeinen Hinweis, es könne „Fälle geben, in denen eine innerbetriebliche Klärung nicht zu erwarten steht oder ein entsprechender Versuch dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten ist”, entkräftet. Die besondere abstrakte Gefahr einer unkontrollierten Verbreitung, die dem Web 2.0 im Gegensatz zu konventionellen Medien anhaftet, bleibt damit unberücksichtigt. Auch dem Umstand, dass der betroffene Arbeitnehmer aktiv eine zusätzliche Öffentlichkeit durch das Bewerben des Videos auf „Facebook” geschaffen hat, misst das BAG ausdrücklich keine Bedeutung zu.

Wahlvorstandsbewerber genießen keinen besonderen Kündigungsschutz

Da der Arbeitnehmer auf der angesprochenen Betriebsversammlung für das Amt des Wahlvorstandes kandidiert hatte – eine gültige Wahl aufgrund der Umstände aber nicht zustande kam –, musste sich das BAG zusätzlich mit der Frage beschäftigen, ob Bewerbern für den Wahlvorstand ein besonderer Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 KSchG zusteht. Maßgeblich war insofern, ob der gesetzliche Begriff des Wahlbewerbers auch die Bewerber für den Wahlvorstand erfasst.

Im juristischen Schrifttum war diese Frage zuvor uneinheitlich beantwortet worden. Bejahendenfalls hätte es in diesem Fall als zusätzlicher Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung einer gerichtlichen Entscheidung bedurft, die die nach § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats ersetzt. Durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften kommt der erkennende Senat zu dem Schluss, die Norm nicht auf Bewerber für den Wahlvorstand zu erstrecken.

Als Hauptargument wird ausgeführt, dass Wahlvorstandsmitglieder ihr Amt regelmäßig nicht durch Wahl erlangen, sondern durch den Betriebsrat oder das Gericht bestellt werden. Diese Entscheidung ist zu begrüßen. Die Wahl des Wahlvorstandes durch eine Betriebsversammlung gem. § 17 Abs. 2 BetrVG stellt einen Ausnahmefall dar und erfolgt nur, wenn im gesamten Unternehmen ein Betriebsrat noch nicht gebildet wurde, oder dieser die vorzunehmende Bestellung unterlässt. Eine Subsumtion unter den Begriff des Wahlbewerbers wird damit zu Recht abgelehnt.

Fazit

In der Gesamtschau kann von einer Signalwirkung des Urteils nur bedingt ausgegangen werden. Das BAG leistet keinen Beitrag zur Absteckung der Grenzen des Zulässigen bei arbeitgeberkritischen Verlautbarungen von Arbeitnehmern im Web 2.0. Vielmehr beschränkt es sich auf einzelfallbezogene Erwägungen, bei denen der kollektivarbeitsrechtliche Bezug den Ausschlag zugunsten des Arbeitnehmers gegeben haben dürfte. Für die Praxis fehlen damit weiterhin klare Regeln, deren Aufstellung angesichts der steigenden Relevanz des Web 2.0 in der Arbeitswelt im Interesse beider Arbeitsvertrags-Parteien wünschenswert wäre. Es bleibt zu hoffen, dass das BAG seine Einstellung überdenkt und den Besonderheiten des Internets in Zukunft einen höheren Stellenwert in seinen Erwägungen einräumt.

 
 

Kira Falter

Rechtsanwältin, Associate
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