27.03.2017

Der (wirtschaftliche) Vorteil

Ein zentrales Merkmal im Straßen(aus)baubeitragsrecht

Der (wirtschaftliche) Vorteil

Ein zentrales Merkmal im Straßen(aus)baubeitragsrecht

Über den »Vorteil« im Straßenbaubeitragsrecht | © Spencer - Fotolia
Über den »Vorteil« im Straßenbaubeitragsrecht | © Spencer - Fotolia

Im Straßenbaubeitragsrecht spielt das Merkmal »Vorteil« eine zentrale Rolle; die Verschaffung eines solchen Vorteils ist unabdingbare Voraussetzung für die Heranziehung zu einem Straßenbaubeitrag. Bei nahezu jeder Abrechnung einer beitragsfähigen Ausbaumaßnahme steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung der Streit darüber, ob dem zu einem Beitrag herangezogenen Grundstückseigentümer durch diese Maßnahme ein Vorteil erwachsen ist. Deshalb ist insoweit eine Klärung angezeigt.

 

Ein Streitfall

Eine Gemeinde in Nordrhein-Westfalen verdoppelt die Anzahl der Leuchtkörper einer vor etwa 40  Jahren erstmals endgültig hergestellten, ca. 300 m langen Ortsstraße von 5 auf 10. Während an die rechte Seite der Straße lediglich ein einzig über diese Straße an das Verkehrsnetz der Gemeinde angebundener, über 100.000 m² großer Wald grenzt, liegen an der linken Straßenseite 12 bebaute Grundstücke im unbeplanten Innenbereich. Nachdem die Gemeinde den umlagefähigen Aufwand ermittelt hat, zieht sie u. a. den Eigentümer des im Außenbereich gelegenen Waldgrundstücks zu einem Straßenbaubeitrag heran. Dieser räumt ein, dass die von der Gemeinde durchgeführte Maßnahme zu einer besseren Ausleuchtung und damit einer beitragsfähigen Verbesserung der Straße insgesamt geführt habe, macht jedoch geltend, ihm werde durch diese Maßnahme kein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW geboten. Im Gegenteil wirke sich die bessere Ausleuchtung für sein Waldgrundstück ausschließlich nachteilig aus. Es liege auf der Hand, dass eine Person, die sich bei Dunkelheit im Wald aufhalte, typischerweise gerade nicht gesehen werden wolle, also ein Interesse an der Aufrechterhaltung einer gewissen Dunkelheit habe. Außerdem werde das Wild in seinem Wald durch die Steigerung der Leuchtkraft nennenswert gestört.

 

Inflationärer Verwendung des Begriffs »Vorteil«

Das lenkt den Blick auf das Merkmal »(wirtschaftlicher) Vorteil« im Straßenbaubeitragsrecht. Da die beitragserhebende Gemeinde in Nordrhein-Westfalen liegt, drängt es sich auf, Hilfe für die Auslegung dieses Begriffs zunächst in der Rechtsprechung des OVG Münster zu suchen: Beispielsweise im Beschluss vom 16. März 2016 (Az. 15 B 1415/15) führt das Gericht insoweit einleitend aus, der »wirtschaftliche Vorteil des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW ist ein Erschließungsvorteil«. Er könne sich – von Fall zu Fall – aus »Beruhigungsvorteilen ergeben«. Im Einzelfall sei anzunehmen, dass »ein Erneuerungsvorteil geboten wird« oder auch ein »Verbesserungsvorteil«. Die Gemeinde habe bei der Wahl der Ausbauform ein »Ausbauermessen, ohne dass die eine Ausbauform gegenüber der anderen einen beitragsrechtlich relevanten Gebrauchsvorteil aufweist«. Die damit gekennzeichnete inflationäre Verwendung des Begriffs »Vorteil« in dem genannten Beschluss – ebenso wie in einigen anderen Entscheidungen des OVG Münster – trägt zweifellos weder etwas für die Auslegung des Merkmals »wirtschaftlicher Vorteil« bei, noch ist sie geeignet einem Grundeigentümer verständlich zu machen, worin der Vorteil liegen soll, der eine Beitragserhebung zu rechtfertigen vermag. Namentlich der Waldeigentümer wird schwerlich einsehen, dass die abgerechnete Maßnahme sich positiv auf die Erschließung seines Waldgrundstücks auswirkt (vgl. dazu, dass auch im Außenbereich gelegene Grundstücke einer Straßenbaubeitragspflicht unterliegen, u. a. OVG Münster, Urteil v. 15.03.1989 – 2 A 962/86 – NWVBl 1989, 407 und BayVGH Urteil v. 06.10.2002 – 6 N 97.2148 – DVBl 2002, 1464 = BayVBl 2003, 176), er also einen Erschließungsvorteil erfährt. Entsprechendes gilt mit Blick auf einen Beruhigungsvorteil, wobei nur am Rande bemerkt sei, dass eine straßenbaubeitragsrechtlich relevante Verbesserung verkehrstechnisch zu verstehen ist (u. a. OVG Münster, Urteil v. 21.06.1990 – 2 A 1376/87 – NVwZ-RR  1991, 269 = NWVBl 1991, 22, und OVG Berlin, Beschluss v. 31.08.2007 – 9 N 148/05), es also nicht darum geht, ob durch eine zu beurteilende Maßnahme das Wohnumfeld beruhigt und damit verbessert wurde, sondern allein, ob durch die Maßnahme die Straße oder ggfs. die jeweils in Rede stehende Teileinrichtung  verbessert worden ist (vgl. Driehaus in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 302 m.w.N.). Doch soll hier die Rechtsprechung des OVG Münster – weil wenig zielführend – nicht weiterverfolgt werden. Ergiebiger dürfte vielmehr ein Rückgriff auf das Gesetz selbst sein.


 

Die Allgemeinheit und der Grundeigentümer

Der Begriff »Vorteil« ist vom Gesetzgeber in § 8 KAG NRW – und Entsprechendes gilt beispielsweise für Art. 5 BayKAG, § 6 NKAG, §§ 26, 28 SächsKAG und § 7 ThürKAG – an drei Stellen benutzt worden. In § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayKAG, § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG, §  26 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG und § 7 Abs. 1 Satz 1 ThürKAG) – erstens – steht er im Zusammenhang mit der Legaldefinition des Beitrags als einer Gegenleistung der Grundeigentümer für die ihnen durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer ausgebauten (öffentlichen) Anlage gebotenen (wirtschaftlichen) Vorteile. In § 8 Abs. 4 Satz 4 KAG NRW (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 BayKAG, § 6 Abs. 5 Satz 4 NKAG, § 28 Abs.  1 Satz 2 SächsKAG und 7 Abs. 4 Satz 2 ThürKAG) – zweitens – ist angeordnet, dass bei der Ermittlung des (umlagefähigen) Aufwands ein dem (wirtschaftlichen) Vorteil der Allgemeinheit entsprechender Anteil außer Ansatz zu bleiben hat. Ferner enthält – was allerdings im hier maßgeblichen Zusammenhang von minderem Gewicht ist und deshalb im Folgenden vernachlässigt wird – § 8 Abs.  6 Satz 1 KAG NRW (Art. 5 Abs. 2 BayKAG, § 6 Abs. 5 Satz 1 NKAG, § 28 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG und § 7 Abs. 3 Satz 1 ThürKAG) eine Leitlinie für die Bemessung der Höhe der Beiträge; sie sind nach den (wirtschaftlichen) Vorteilen zu bemessen. Der Inhalt des an diesen drei Stellen verwandten Begriffs »(wirtschaftlicher) Vorteil« ist identisch (u. a. OVG Münster, Urteil v. 27.07.1976 – II A 805/75 – DWW 1977, 65 und Menger in VerwArch 79, 275 ff.). Denn wenn ein Gesetzgeber einen unbestimmten Rechtsbegriff im Rahmen einer einzelnen gesetzlichen Vorschrift ohne jeden Vorbehalt mehrfach verwendet, muss angenommen werden, er meine inhaltlich jeweils das Gleiche. Dieser Erkenntnis kommt für das Verständnis des Merkmals »(wirtschaftlicher) Vorteil« ausschlaggebende Bedeutung zu.

Beispielsweise in Nordrhein-Westfalen – und Entsprechendes gilt für die anderen Bundesländer – setzt § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW zum einen den Vorteil, der durch etwa die Verbesserung einer Straße ausgelöst wird, in eine Beziehung zu den Grundeigentümern, von denen Beiträge erhoben werden. § 8 Abs. 4 Satz 4 KAG NRW hebt zum anderen ab auf den der Allgemeinheit durch eine solche Straßenbaumaßnahme zuwachsenden Vorteil; der Anteil am entstandenen Aufwand, der diesem Vorteil entspricht, ist außer Ansatz zu lassen, d.h. hat bei der Ermittlung des auf die Grundeigentümer umzulegenden Aufwands unberücksichtigt zu bleiben. Die zuvor angesprochene inhaltliche Identität des Begriffs »Vorteil« in diesen beiden Regelungen zwingt zu der Annahme, dass es bei dem Vorteil nach der Vorstellung des Gesetzgebers um etwas gehen muss, was sowohl den Grundeigentümern als auch der Allgemeinheit messbar zugerechnet werden kann, das von Interesse für die eine wie die andere Gruppe ist, das beide Gruppen mit Blick auf die ausgebaute Straße gemeinsam haben. Da der Allgemeinheit anders als den Grundeigentümern jeder Bezug zu Grundstücken im Bereich der ausgebauten Straße fehlt, scheidet für die inhaltliche Bestimmung des im Straßenbaubeitragsrecht maßgeblichen Vorteils von vornherein alles aus, was sich im Wert dieser Grundstücke niederschlägt, eben weil die Allgemeinheit nicht Eigentümer solcher Grundstücke ist. Der straßenbaubeitragsrechtliche Vorteil ist folglich nicht identisch mit dem, was sich im Einzelfall für den Eigentümer eines Grundstücks konkret und in Euro und Cent bezifferbar wertsteigernd erweist. Für die inhaltliche Bestimmung des Vorteilsbegriffs ist deshalb nicht auf eine sich ergebende Wertsteigerung abzustellen, sondern darauf, ob der Straßenausbau etwas bietet, was sowohl für die Allgemeinheit als auch für die Grundeigentümer nützlich ist. Diese Anforderung erfüllt allein die gebotene Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Straße; nur diese Inanspruchnahmemöglichkeit ist sowohl der Allgemeinheit als auch den Grundeigentümern eröffnet.

Einzelne Landesgesetzgeber – wie z. B. die in Bayern, Sachsen und Thüringen – haben darauf verzichtet, im Zusammenhang mit dem Begriff »Vorteil« den Zusatz »wirtschaftlich« in das Gesetz aufzunehmen. Das ist jedoch unerheblich. Denn das wirtschaftliche Prinzip der Entgeltlichkeit gebietet eine Beschränkung auf wirtschaftliche Vorteile. Überdies entspricht es dem Wesen des auf den Vorteilsgrundsatz aufbauenden Straßenbaubeitragsrechts, dass nur auf Vorteile abgestellt werden kann, die sich wirtschaftlich auswirken und insoweit messbar sind (u. a. OVG Koblenz, Urteil v. 04.07.1978 – GS 1/78 – KStZ 1978, 214 = DVBl 1980, 74, und OVG Bautzen, Beschluss v. 27.05.2003 – 5 BS 48/01). In der gebotenen Inanspruchnahmemöglichkeit einer ausgebauten Straße liegt nicht etwa nur ein ideeller Vorteil (u. a. VGH Kassel, Urteil v. 27.05.1987 – 5 UE 245/85 – GemHH 1988, 160). Vielmehr ist sie geeignet, sowohl den Eigentümern der anliegenden Grundstücke als auch der Allgemeinheit (Gebrauchs-)Vorteile mit wirtschaftlichem Charakter zu vermitteln, die mit Hilfe des Umfangs der wahrscheinlichen (erfahrungsgemäß zu erwartenden) Inanspruchnahme quantifizierbar und deshalb einer beitragsrechtlich relevanten Bewertung zugänglich sind (vgl. dazu im Einzelnen Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 266 ff.).

 

Fazit

Das führt zurück zu dem eingangs vorgestellten Eigentümer des Waldgrundstücks: Aufgabe des zuständigen Mitarbeiters der Gemeinde ist es, ihm deutlich zu machen, dass für die Auslegung des Merkmals »(wirtschaftlicher) Vorteil« nicht seine Vorstellungen und auch nicht die Vorstellungen von Mitgliedern des Gemeinderates oder der Mitarbeiter der Gemeinde maßgebend sind, sondern dass es ausschließlich auf die Vorstellung des Gesetzgebers ankommt. Nach dessen Vorstellung besteht – wie gezeigt und wie z. B. in Nordrhein-Westfalen schon im Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW zum Ausdruck gebracht wird – der eine Beitragserhebung rechtfertigende (wirtschaftliche) Vorteil in der gebotenen Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße. Da der Eigentümer des Waldgrundstücks die durch die Verdoppelung der Leuchtkörper verbesserte Verkehrsanlage von seinem Grundstück aus ohne Weiteres in Anspruch nehmen kann, da er für die Bewirtschaftung dieses Grundstücks wie etwa den Abtransport gefällter Bäume auf die Inanspruchnahme dieser Anlage sogar angewiesen ist, wird er – eine gewisse Einsichtsfähigkeit vorausgesetzt – erkennen, dass ihm durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der  verbesserten Straße ein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW geboten wird und es deshalb gerechtfertigt ist, ihn mit einem Anteil an den für den Ausbau entstandenen Kosten zu belasten (vgl. zur Straßenbaubeitragspflicht eines im Außenbereich gelegenen Waldes OVG Lüneburg, Urteil v. 07.06.1994 – 9 L 4155/92). Es bleibt zu hoffen, dass sich Verwaltungsgerichte und namentlich das OVG Münster bei der Auslegung des Begriffs »wirtschaftlicher Vorteil« ebenfalls einzig am Wortlaut des Gesetzes und der sich daraus ergebenden Vorstellung des Gesetzgebers orientieren und dadurch einen Beitrag zum besseren Verständnis dieses Merkmals leisten.

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
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