07.02.2025

Prüfer fordern mehr Tempo

EU-Vertragsverletzungsverfahren dauern noch zu lange

Prüfer fordern mehr Tempo

EU-Vertragsverletzungsverfahren dauern noch zu lange

Die Europäische Kommission als "Hüterin der Verträge" überwacht die Anwendung des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten.  | © Oliver Boehmer - stock.adobe.com
Die Europäische Kommission als "Hüterin der Verträge" überwacht die Anwendung des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten. | © Oliver Boehmer - stock.adobe.com

Der Umgang der EU-Kommission mit Vertragsverletzungsverfahren ist zwar besser geworden, aber deren Dauer ist immer noch zu lang.

Der Europäische Rechnungshof hat vor Kurzem einen Bericht über die Durchsetzung von EU-Recht und die Durchführung von Vertragsverletzungsverfahren veröffentlicht. Demnach ist die Europäische Kommission bei der Aufdeckung und Behebung von Verstößen gegen EU-Recht zwar besser geworden, aber es dauert immer noch zu lange, bis solche Fälle abgeschlossen sind. Zwar werden die Verfahren meist beigelegt, bevor die jeweiligen Fälle beim Gerichtshof der EU landen, doch stellten die Prüfer fest, dass auch die Verhängung finanzieller Sanktionen in einigen Fällen nicht dazu geführt hat, dass die Vorschriften eingehalten werden.

Grundlagen der EU

Die EU beruht auf gemeinsamen Regeln und Werten, die einheitliche und faire Bedingungen für ihre Mitgliedstaaten sowie für ihre Bürgerinnen und Bürger sicherstellen. Im Mittelpunkt dieses Systems steht die Durchsetzung des EU-Rechts – ein komplizierter Prozess, bei dem aus Rechtsvorschriften ein greifbarer Nutzen für Unternehmen, Privatpersonen und Regierungen entsteht. Wie aus dem aktuellen Bericht des Europäischen Rechnungshofs hervorgeht, ist der Weg von der Gesetzgebung zur Durchsetzung jedoch alles andere als einfach.


Die EU erlässt zwei Arten von Rechtsvorschriften: Verordnungen, die in allen Mitgliedstaaten direkt gelten, und Richtlinien, die von den Mitgliedstaaten in ihr jeweiliges nationales Recht aufgenommen werden müssen – ein Verfahren, das als „Umsetzung“ bezeichnet wird. Was die Einhaltung der Vorschriften betrifft, so spielt die EU-Kommission als „Hüterin der Verträge“ eine zentrale Rolle, da sie die Anwendung des EU-Rechts überwacht und gegen mutmaßliche Verstöße der Mitgliedstaaten vorgeht. Ihre Aufgaben reichen von der Überwachung der Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht bis hin zur Prüfung von Beschwerden und Durchführung von Vertragsverletzungsverfahren.

Drei Phasen der Durchsetzung von EU-Recht

Das Durchsetzungsverfahren kann in drei Schlüsselphasen unterteilt werden: die Phase der Aufdeckung, die Phase des Dialogs und der möglichen Beilegung sowie die Phase des Vertragsverletzungsverfahrens. Zunächst stellt die Kommission potenzielle Verstöße gegen das EU-Recht fest. Dazu kann sie prüfen, ob die Mitgliedstaaten EU-Richtlinien vollständig in nationales Recht umgesetzt haben. Daneben können Bürger, Unternehmen oder Interessengruppen Beschwerden wegen fehlerhafter Anwendung oder möglicher Verstöße gegen EU-Recht einreichen. Die Kommission kann auch beschließen, Untersuchungen auf der Grundlage von Berichten, Petitionen oder Medienberichterstattung einzuleiten.

In einem zweiten Schritt führt die Kommission häufig informelle Dialoge mit den betroffenen EU-Ländern, bevor sie förmliche Maßnahmen ergreift. Dieser als EU-Pilot-Verfahren bezeichnete Schritt zielt darauf ab, Probleme rasch zu lösen, ohne dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Sollte der Dialog scheitern, kann die Kommission förmliche Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Dies kann dazu führen, dass Fälle an den Gerichtshof verwiesen werden, der Sanktionen verhängen kann, wenn ein Land weiterhin gegen EU-Recht verstößt.

Reformen der Kommission

Im Laufe der Jahre hat die Kommission umfassende Reformen auf den Weg gebracht, um die Effizienz und Wirksamkeit der Rechtsdurchsetzung zu verbessern. Dazu gehören beispielsweise schnellere Kontrollen. Seit 2017 benötigt die Kommission weniger Zeit für den Abschluss der Umsetzungs- und Konformitätsüberprüfungen. Dabei spielt auch der Einsatz von spezieller Software eine wichtige Rolle. Im Dezember 2020 führte die Kommission „Themis“ ein. Dabei handelt es sich um ein neues Fallbearbeitungssystem für Verfahren zur Durchsetzung des EU-Rechts, mit dem die Nachverfolgung von Vertragsverletzungsfällen gestrafft und die Effizienz verbessert wird.

Darüber hinaus konzentriert sich die Kommission seit 2017 auf schwerwiegende Verstöße – etwa systemische Verletzungen – mit dem Ziel, die vorhandenen Ressourcen effizienter zu nutzen und so für eine wirksamere Durchsetzung zu sorgen. Im Januar 2017 beschloss die Kommission, die EU-Pilot-Dialoge nicht weiterhin systematisch vor Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens einzuleiten, sondern nur noch dann, wenn sie dies auch als sinnvoll erachtet. Die überwiegende Mehrheit (96,6 %) der Vertragsverletzungsverfahren wird abgeschlossen, bevor finanzielle Sanktionen verhängt werden müssen, was zeigt, dass die Kommission in der Lage ist, durch Dialog zu vermitteln und die Einhaltung der Vorschriften zu erreichen – auch wenn dies lange dauert.

Verfahren dauern nach wie vor zu lange

Trotz dieser Verbesserungen gibt es laut dem Bericht des Rechnungshofs nach wie vor Probleme. Eines der größten Hindernisse ist demnach die benötigte Zeit bis zum Abschluss eines Verfahrens. Die Prüfer stellten fest, dass viele Benchmarks noch immer nicht erreicht werden. So will die Kommission die Bearbeitung von Beschwerden innerhalb eines Jahres abschließen, doch wurde dieses Ziel zwischen 2012 und 2023 in 38 % der Fälle verfehlt. 2023 wurde in mehr als 70 % der Fälle, in denen Mitgliedstaaten keine Umsetzungsmaßnahmen mitgeteilt hatten, die Benchmark von einem Jahr überschritten. Zwar sollen mit dem EU-Pilot-Verfahren Probleme rasch gelöst werden, doch kommt es dabei häufig zu erheblichen Verzögerungen. So dauerten 2023 solche Dialoge im Durchschnitt 28 Monate, was weit über der Benchmark von neun Monaten liegt.

Darüber hinaus gibt es Unterschiede bei der Leistung der einzelnen Dienststellen der Kommission. Die verschiedenen Generaldirektionen bearbeiten Fälle in unterschiedlicher Weise. Einige schließen Verfahren innerhalb von einigen Monaten ab, während andere dafür mehrere Jahre brauchen, was zu Ungleichheiten führt. In einigen Fällen – so stellten die Prüfer fest – sind selbst finanzielle Sanktionen keine Garantie dafür, dass die Vorschriften eingehalten werden. Bisweilen verstoßen Mitgliedstaaten über Jahre hinweg weiterhin gegen EU-Recht, obwohl sie Geldstrafen zahlen müssen, was Zweifel an der abschreckenden Wirkung der Sanktionen aufwirft. Die Einführung von Themis hat zwar die Nachverfolgung der Fälle verbessert, doch bestehen nach wie vor Lücken bei der Berichterstattung über die Einhaltung der Benchmarks. Darüber hinaus werden Daten über Petitionen nicht mit dem Themis-System verknüpft, was einen umfassenden Überblick erschwert.

Verbesserungsvorschläge des Europäischen Rechnungshofs

Der Europäische Rechnungshof formuliert in seinem Bericht mehrere Verbesserungsvorschläge. So sollte die EU-Kommission für eine besserer Durchsetzung der Richtlinien insbesondere den Bedarf an Personal und etwaigem externen Fachwissen so früh wie möglich planen. Außerdem sollte sie die Abwicklung von Beschwerden, Kontrollen, EU-Pilot-Dialogen und Vertragsverletzungsverfahren verbessern. Auch klarere Kriterien für die Verlängerung der Dialoge und eine striktere Einhaltung der Fristen sind nach Ansicht der Prüfer entscheidend.

Darüber hinaus empfehlen die Prüfer, dass die Kommission die Durchführung von Vertragsverletzungsverfahren effizienter gestaltet. Nötigenfalls sollte auch die Methodik für Sanktionsvorschläge aktualisiert werden. Es gehe darum sicherzustellen, dass die Geldbußen hoch genug sind, um die Einhaltung der Vorschriften zu fördern, gleichzeitig aber fair und verhältnismäßig bleiben. Schließlich sollte die Kommission nach Ansicht des Rechnungshofs die Überwachung ihrer Durchsetzungsmaßnahmen sowie die Berichterstattung darüber vertiefen.

Warum ist die Durchsetzung von EU-Recht so wichtig?

Stellen Sie sich ein System vor, in dem einige Länder die Vorschriften befolgen, andere hingegen nicht. Unternehmen würden unlauterem Wettbewerb ausgesetzt, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger womöglich missachtet und die Umwelt geschädigt. Daher ist die Durchsetzung des EU-Rechts von zentraler Bedeutung. Sie sorgt dafür, dass Privatpersonen, Unternehmen und Regierungen in der EU gleichermaßen vom Schutz und den Chancen der EU-Rechtsvorschriften profitieren.

Die Europäische Kommission als „Hüterin der Verträge“ überwacht die Anwendung des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten. Wenn ein Land eine Rechtsvorschrift nicht ordnungsgemäß umsetzt oder sie komplett missachtet, wird die Kommission tätig. Der entsprechende Prozess kann informelle Dialoge, förmliche Beschwerden oder sogar Verfahren vor dem Gerichtshof der EU umfassen.

 

Attila Horvay-Kovacs

Leitender Prüfer bei Europäischen Rechnungshof
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