Parlamentarisches Fragerecht und rechtsstaatskonformes Strafverfahren
Ein unauflösbarer Widerspruch? - Teil 1
Parlamentarisches Fragerecht und rechtsstaatskonformes Strafverfahren
Ein unauflösbarer Widerspruch? - Teil 1
Das parlamentarische Fragerecht ist in der Bayerischen Verfassung (BV) nicht ausdrücklich geregelt, über die Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und 16a Abs. 1, 2 Satz 1 der Bayerischen Verfassung jedoch geschützt. Nichts anderes gilt für ein effektives, faires und rechtskonformes Strafverfahren als integraler Bestandteil des Rechtsstaats, Art. 3 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung. Treffen parlamentarische Anfragen und (laufende) strafrechtliche Ermittlungen beziehungsweise Gerichtsverfahren aufeinander, ergeben sich zahlreiche Fragestellungen. Ob und gegebenenfalls wie diese verfassungskonform aufzulösen sind, soll im folgenden Beitrag näher beleuchtet werden.
In einem ersten Teil sollen zunächst die verfassungsrechtliche Lage und die Herleitung des Fragerechts der Abgeordneten des Bayerischen Landtags erörtert werden. Neben den verschiedenen Erscheinungsformen des Fragerechts (Anfrage zum Plenum, Schriftliche Anfrage …) wird auch der Frage nachgegangen, inwieweit die Staatsregierung eine Antwortpflicht trifft und der so genannte Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung noch einen „anfragefreien Raum“ bietet.
Im zweiten Teil der Betrachtung (BayVBl. 2024, 109) werden vor allem die Grenzen des Fragerechts näher beleuchtet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Besonderheiten bei (laufenden) strafrechtlichen Ermittlungen und Gerichtsverfahren. Dabei werden sowohl die (Grund-)Rechte von Tatverdächtigen, Zeugen und Opfern als auch die staatliche Verpflichtung, für eine effektive Strafverfolgung zu sorgen, beleuchtet. Schlussendlich soll auch ein Blick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten geworfen werden, die im Falle einer vermeintlich unrechtmäßigen beziehungsweise unzureichenden Antwort dem Abgeordneten sowie im Falle der Drittbetroffenheit einem Bürger zur Verfügung stehen.
Teil 1: Das parlamentarische Fragerecht im Lichte der Bayerischen Verfassung
I. Verfassungsrechtliches Fundament
Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Landesverfassungen1Übersichtlich hierzu Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 13 Rn. 8; Harks, Das Fragerecht der Ab-geordneten, JuS 11/2014, 979 Fn. 5; Glauben, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts der Abgeordneten im Bund und in den Ländern, DVBl. 2018, 751/752 jeweils m. w. N. findet sich in der Bayerischen Verfassung keine ausdrückliche Normierung des parlamentarischen Fragerechts. Die Rechtslage entspricht damit dem Befund auf Bundesebene. Auch das Grundgesetz hat auf eine Detailregelung verzichtet. Unbeschadet hiervon wird die verfassungsrechtliche Absicherung des parlamentarischen Fragerechts sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene nicht ernsthaft in Zweifel gezogen2Glauben, a. a. O., 751 mit dezidierten Nachweisen zur verfassungsgerichtli- chen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.. InBayernhat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in einer ganzen Reihe von Entscheidungen das verfassungsrechtliche Fundament herausgearbeitet. So wird in der Entscheidung vom 11. September 20143VerfGHE 67, 216/224., die in einem Organstreitverfahren erging, exemplarisch wie folgt ausgeführt:
Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV das subjektive Recht eines jeden Abgeordneten gewährleistet, sich mit Fragen an die Exekutive zu wenden. Dieses Recht dient dazu, den Mit-gliedern des Parlaments die Informationen zu verschaffen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben, insbesondere zur Mitwirkung an der Gesetzgebung sowie zu einer wirksamen Kontrolle der Regierung und Verwaltung, benötigen. Als Minderheitenrecht gründet es sich auch auf Art. 16a Abs. 1 und2Satz1BV.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof gewährt dem Abgeordneten damit ein subjektives Recht und verdeutlicht den eigenständigen Rechtscharakter und die Bedeutung des Fragerechts. Die dogmatische Anknüpfung an Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV überzeugt. Die Norm garantiert, das Mandat innerhalb der Schranken der Verfassung ungehindert auszuüben, und verbürgt einen Kernbestand an Rechten auf Teilhabe am Verfassungsleben4Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 13 Rn. 11.. Dazu gehört ein Mindestmaß an Rede- und Antragsbefugnissen5Huber, a. a. O. sowie VerfGHE 51, 34/41 ff.. In seiner Entscheidung vom 26. Juli 20066VerfGHE 59, 144/178; ebenso VerfGHE 64, 70/80. führt der Bayerische Verfassungsgerichtshof hierzu wie folgt aus:
Im Gesetzgebungsverfahren hat ein Abgeordneter das Recht, Initiativen zu ergreifen, abzustimmen, Anträge zu stellen und zu beraten. Um diese Rechte sachgerecht wahrnehmen zu können und hierdurch die Aufgabe zu erfüllen, mit der ihn der Wähler beauftragt hat, bedarf der Abgeordnete grundsätzlich umfassender Sachinformationen. Aus dem in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV gewährleisteten Status erwächst dem Abgeordneten mithin ein Recht darauf, dass ihm von der Seite der Exekutive grundsätzlich diejenigen Informationen nicht vorenthalten werden, die ihm die Erfüllung seiner Aufgaben als Vertreter des Volkes im Parlament ermöglichen, nämlich die sachverständige Beurteilung und Entscheidung von Sachfragen.
Neben der Informationsverschaffung für die Abgeordneten dient das parlamentarische Fragerecht aber auch der Kontrolle der Staatsregierung7VerfGHE 59, 144/178; VerfGHE 64, 70/80; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, a. a. O., Art. 13 Rn. 8 sieht die Kontrollfunktion sogar im Vordergrund stehend.. Die Kontrollfunktion des Parlaments ist ein grundlegendes Prinzip des parlamentarischen Regierungssystems und der Gewaltenteilung8VerfGHE 59, 144/178; VerfGHE 64, 70/80.. Landtag und Staatsregierung sind beide von Verfassung wegen mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet und grundsätzlich gleichgeordnet9Brechmann in Meder/Brechmann, a. a. O., Art. 5 Rn. 8.. Diese Gleichordnung führt allerdings nicht zu einer absoluten Trennung von Legislative und Exekutive − im Gegenteil. Überschneidungen und Verschränkungen der Gewalten sind bereits in der Verfassung angelegt und dienen der Mäßigung der Staatsherrschaft10Brechmann, a. a. O., Art. 5 Rn. 3; VerfGHE 7, 113/121; VerfGHE 24, 181/ 195.. Der Einfluss des Landtags auf die Exekutive ist dabei vor allem bei der Bildung und Kontrolle der Staatsregierung (Wahl des Ministerpräsidenten, Berufung und Entlassung der Staatsminister und Staatssekretäre …) beträchtlich11Art. 44 ff. BV sowie Brechmann, a. a. O., Art. 5 Rn. 3 m. w. N..
Festzuhalten bleibt dabei, dass das Kontrollrecht dem Landtag und damit jedem einzelnen Abgeordneten zusteht. Art. 13 Abs. 2 BV knüpft an das Mandat und nicht an die Partei- oder Fraktionszugehörigkeit an. Das parlamentarische Fragerecht steht allen Abgeordneten zu und wird parteiübergreifend rege genutzt12Freilich in unterschiedlicher praktischer Ausprägung. Während sich die Opposition eher der förmlichen Auskunftsmöglichkeiten bedient (An-frage zum Plenum, Schriftliche Anfrage, Interpellation), greifen die Abge-ordneten der die Regierung stützenden Fraktion in der Praxis eher zum unmittelbaren Auskunftsverlangen.. Insoweit wäre es verfehlt, das Fragerecht als primäres Oppositionsrecht zu qualifizieren. Das parlamentarische Fragerecht ist und bleibt Abgeordnetenrecht. Folglich ist es nur konsequent, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof13VerfGHE 59, 144/178; VerfGHE 64, 70/80. das parlamentarische Fragerecht dogmatisch primär bei Art. 13 Abs. 2 BV verortet und – lediglich soweit Oppositionsabgeordnete betroffen sind – ergänzend auf den erst im Zuge der Verfassungsreform 1998 neu eingefügten Art. 16a BV14Übersichtlich hierzu Huber, a. a. O., Art. 16a Rn. 1 f. zurückgreift.
Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, dass das Recht eines jeden Abgeordneten des Bayerischen Landtags, Fragen an die Staatsregierung zu richten, unmittelbar aus der Verfassung herzuleiten ist15So ausdrücklich VerfGHE 59, 144/178; ebenso VerfGHE 64, 70/80. und damit auf einem soliden verfassungsrechtlichen Fundament steht.
II. Praktische Ausgestaltung des parlamentarischen Fragerechts in der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags (BayLTGeschO)
Wie bereits eingangs erwähnt, finden sich in der Bayerischen Verfassung keine näheren Regelungen, wie konkret, insbesondere unter welchen formalen Rahmenbedingungen, Abgeordnete von ihrem Fragerecht Gebrauch machen können und dürfen. Dies gilt auch für die Fristen, innerhalb derer von der Staatsregierung eine Antwort erwartet werden darf. Diese normative Regelungslücke zur Wahrnehmung des parlamentarischen Fragerechts schließt die Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag (BayLTGeschO).
Art. 20 Abs. 3 der Bayerischen Verfassung berechtigt und verpflichtet den Landtag, sich eine Geschäftsordnung zu geben, um seine Organisation und Verfahrensweise zu regeln, und ist damit zentraler Ausdruck der so genannten Parlamentsautonomie16Huber, a. a. O., Art. 20 Rn. 6.. Nur der Landtag selbst ist berechtigt, aber auch verpflichtet, seine innere Organisation und Arbeitsabläufe autonom zu regeln. Dieses Selbstorganisationsrecht steht jedem neu zusammentretenden Landtag zu. Folglich entfaltet die Geschäftsordnung nach dem Diskontinuitätsgrundsatz grundsätzlich nur für die jeweilige Wahlperiode ihre Wirkung17Huber, a. a. O., Art. 20 Rn. 6.. In der Praxis kommt es freilich häufig vor, dass die Geschäftsordnung der vorherigen Legislatur – zumindest teilweise – übernommen wird18Vgl. hierzu auch § 2 Abs. 4 BayLTGeschO sowie den aktuellen Übernah- mebeschluss zu Beginn der 19. Wahlperiode vom 30.10.2023 gem. LT-Drs. 19/3..
Erörterungsbedürftig bleibt noch die zuweilen umstrittene Frage nach der Rechtsnatur der Geschäftsordnung. Nach zutreffender herrschender Meinung im Schrifttum19Statt vieler Huber, a. a. O., Art. 20 Rn. 6 m. w. N. und in der Rechtsprechung20VerfGHE 8, 91/97; 29, 61/82 ff. sowie auf Bundesebene BVerfGE 1, 144/ 148. handelt es sich um eine autonome Satzung sui generis, die zwar die Organe und Mitglieder des Landtags bindet, aber keine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gegenüber Dritten entfaltet21Harks, a. a. O., S. 980 spricht insoweit plastisch und treffend von „Binnen- recht des Parlaments“.. Insbesondere die Staatsregierung wird nicht unmittelbar verpflichtet. In der parlamentarischen Tradition und der gelebten Verfassungswirklichkeit ist die Staatsregierung gleichwohl bemüht, die von der BayLTGeschO normierten formalen Vorgaben, insbesondere hinsichtlich der Antwortfristen, einzuhalten22Huber, a. a. O., Art. 13 Rn. 16 sowie generell zur Rechtslage auf Bundesund Landesebene Lennartz/Kiefer, Parlamentarische Anfragen im Span-nungsfeld von Regierungskontrolle und Geheimhaltungsinteressen, DÖV 2006, 185 f., die insoweit treffend vom wechselseitigen Respekt der Verfas-sungsorgane sprechen.. Dieses Zusammenspiel und die gegenseitige Rücksichtnahme von Exekutive und Legislative ist nicht nur unbedenklich, sondern unter dem Gesichtspunkt der Organtreue23Eingehend hierzu Schenke, Verfassungsorgantreue, 1977, 19 ff. sogar geboten. Der in Art. 5 BV verankerte Grundsatz der Gewaltenteilung führt nicht dazu, dass Legislative, Exekutive und Judikative drei vollständig isolierte Sphären sind. Derartiges ist weder in der Verfassung angelegt noch entspricht dies der Verfassungswirklichkeit24Zur parlamentarischen Kontrolle der Exekutive und dem Ineinandergreifen der drei Staatsgewalten vgl. bereits unter I Fn. 11; selbst die Judika-tive steht – wie Art. 68 Abs. 3 Satz 1 BV zeigt – in keinem verfassungs-rechtlich gänzlich abgeschirmten Bereich.. Der Grundsatz der Organtreue verpflichtet vielmehr zu gegenseitiger Rücksichtnahme25Brechmann, a. a. O., Art. 5 Rn. 4.. Diese Rücksichtnahme gebietet, dass alle Verfassungsorgane bei der Ausübung ihrer Befugnisse und Aufgaben den Funktionsbereich des anderen Organs respektieren26VerfGHE 64, 70/82; zur gebotenen Zurückhaltung des Landtags bei Petitionen, die Gerichtsentscheidungen betreffen, vgl. auch Hartmann, Das Bay-erische Petitionsrecht – modernes Recht oder Anachronismus mit Re-formbedarf?, BayVBl. 2023, 181/186.. Nur so ist ein sinnvolles Zusammenwirken mehrerer, prinzipiell gleich geordneter Staatsorgane im Interesse bestmöglicher Verwirklichung des Gemeinwohls zu erreichen27VerfGHE 64, 70/82..
Im Lichte dieser dogmatischen Vorgaben hält die Geschäftsordnung in §§ 67 ff. BayLTGeschO folgende Frageinstrumentarien28Knapp und übersichtlich auch auf der Homepage des Bayerischen Land- tags unter www.bayern.landtag.de/parlament/aufgaben-des-landtags/ kontrollrecht/. für die Abgeordneten bereit:
a) Interpellation gemäß §§ 67 bis 70 BayLTGeschO
Der Begriff der Interpellation ist in § 67 Abs. 1 Satz 1 BayLT-GeschO legaldefiniert. Die Norm lautet wie folgt:
Große Anfragen an die Staatsregierung über besonders wichtige Angelegenheiten (Interpellationen) können nur von einer Fraktion oder 20 Mitgliedern des Landtags eingebracht werden.
Wie der Wortlaut zeigt, wird dabei auch gleich die Antragsberechtigung festgelegt, die nur Fraktionen beziehungsweise einem bestimmten Quorum von Abgeordneten vorbehalten ist. Interpellationen müssen sachlich gehalten sein29§ 67 Abs. 1 Satz 2 BayLTGeschO.. Inhaltlich dürfen sie nur solche Angelegenheiten umfassen, für die die Staatsregierung unmittelbar oder mittelbar zuständig ist30§ 67 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO; vgl. dazu auch IV. Grenzen der Antwort- pflicht – Verantwortungsbereich der Staatsregierung..Unzulässige Interpellationen soll die Präsidentin oder der Präsident des Landtags zurückweisen31§ 67 Abs. 2 Satz 2 BayLTGeschO.. Gegen diese Entscheidung ist Einspruch zum Ältestenrat möglich, der abschließend entscheidet32§ 67 Abs. 2 Satz 3 BayLTGeschO.. Interpellationen, die nach Form oder Inhalt einen Missbrauch des Fragerechts darstellen, kann die Präsidentin oder der Präsident zurückweisen33§ 67 Abs. 3 Satz 1 BayLTGeschO.. Hinsichtlich der Begründungspflicht und der sich anschließenden Einspruchsmöglichkeit beim Ältestenrat trifft § 67 Abs. 3 Satz 2 ff. BayLTGeschO Detailregelungen
Die Antwort der Staatsregierung auf Interpellationen nimmt mit Blick auf den oftmals umfangreichen Fragenkatalog der Anfragen erfahrungsmäßig mehrere Monate Zeit in Anspruch, zumal der Antwortentwurf regelmäßig auch Gegenstand einer Ministerratsbehandlung34§ 6 Abs. 2 Nr. 1f der Geschäftsordnung der Bayerischen Staatsregierung (StRGO) vom 15.05.2018 (GVBl. S. 373). ist. Eine Aussprache im Plenum findet nur statt, wenn dies von einer Fraktion oder den Interpellanten innerhalb von vier Arbeitswochen nach Zuleitung der Antwort beantragt wird35§ 68 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BayLTGeschO; weitere Detailregelungen zum Zeitpunkt der Aussprache und einer ebenfalls möglichen Behandlung im zuständigen Fachausschuss finden sich im zweiten Halbsatz und in den folgenden Absätzen der Vorschrift..In der Praxis ist die Aussprache im Plenum der Regelfall, was wenig verwundert, da die Interpellation qua definitionem Angelegenheiten umfasst, die die Antragsteller für besonders wichtig erachten.
b) Schriftliche Anfrage gemäß §§ 71 und 72 BayLTGeschO
Die wesentlichen Kernelemente dieses Frageinstruments finden sich in § 71 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayLTGeschO umschrieben, der wie folgt lautet:
Jedes Mitglied des Landtags hat das Recht, beim Landtag Anfragen zur Beantwortung einzureichen. Diese Anfragen müssen sich auf Angelegenheiten, für die die Staatsregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist, beschränken und knapp und sachlich gehalten sein.
Im Gegensatz zur Interpellation können Schriftliche Anfragen also nicht nur von einer Fraktion oder einem bestimmten Abgeordnetenquorum, sondern von jedem einzelnen Mitglied des Bayerischen Landtags gestellt werden. Ebenso wie bei der Interpellation muss sich die Anfrage aber inhaltlich auf solche Angelegenheiten beschränken, die unmittelbar oder mittelbar in den Verantwortungsbereich der Staatsregierung fallen. Ist dies nicht der Fall, so soll die Anfrage durch die Präsidentin des Landtags zurückgewiesen werden36§ 71 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO, der auf die entsprechende Regelung in § 67 Abs. 2 BayLTGeschO bei unzulässigen Interpellationen verweist.. Sofern ein Missbrauch des Fragerechts vorliegt, sieht die Geschäftsordnung – wie bei Interpellationen auch – ein Zurückweisungsrecht der Präsidentin vor37§ 71 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO mit dem entsprechenden Verweis auf § 67 Abs. 3 BayLTGeschO.. Soweit dies erfolgt, unterbleibt bereits die Zuleitung der Anfrage an die Staatsregierung.
Interessant ist auch die in § 71 Abs. 1 Satz 4 BayLTGeschO enthaltene Einschränkung, wonach die Anfrage grundsätzlich nur Fragen an ein Ressort beinhalten soll. Diese – im Rahmen der Parlamentsautonomie38Vgl. dazu oben unter II. sowie Huber, a. a. O., Art. 20 Rn. 6. – erfolgte Beschränkung ist verfahrensökonomisch und korrespondiert mit der in § 71 Abs. 1 Satz 1 BayLTGeschO enthaltenen Vorgabe, dass Schriftliche Anfragen „knapp“ zu halten sind. Zudem wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Landtag eine Antwort der Staatsregierung binnen vier Wochen erwartet39§ 72 Abs. 1 Satz 2 BayLTGeschO.. Aus Sicht der Verwaltungspraxis sind diese Vorgaben sachgerecht und uneingeschränkt zu begrüßen. Schriftliche Anfragen erzeugen nicht selten einen hohen Bearbeitungsaufwand und erfordern Datenerhebungen im nachgeordneten Geschäftsbereich. Würde diese Datenabfrage in allen Ressorts erforderlich werden und der Antwortentwurf durch das federführende Ressort zwischen allen Häusern abgestimmt werden müssen, könnte das mit vier Wochen eher eng bemessene Zeitfenster für die Antwort in vielen Fällen kaum eingehalten werden. Die Regelung der Geschäftsordnung erkennt diese Problemstellung an und hält einen pragmatischen Lösungsansatz bereit.
Unbeschadet hiervon soll aber nicht verschwiegen werden, dass die Regelung in der Praxis oftmals ins Leere läuft. Zum einen ist zu sehen, dass es sich lediglich um eine Sollvorschrift handelt. Zum anderen gibt es eine Vielzahl an Fragestellungen, die mehrere Ressorts betreffen. Erkundigt sich beispielsweise ein Abgeordneter nach der Anzahl von Veranstaltungen zu einem bestimmten Themenkreis, dem Papierverbrauch der Staatsverwaltung oder etwaigen Beziehungen zu einem bestimmten privatwirtschaftlichen Unternehmen, so sind damit grundsätzlich alle Ressorts betroffen. Beachtet ein Abgeordneter die Sollvorschrift des § 71 Abs. 1 Satz 4 BayLTGeschO, so wird er eine gleichlautende Anfrage an alle Ministerien stellen. Es versteht sich von selbst, dass derartige – geschäftsordnungskon-forme – Anfragen ebenfalls einen sehr hohen Koordinierungsaufwand auslösen können40Z. B. das einheitliche Verständnis bestimmter Begrifflichkeiten in der Anfrage sowie abgestimmte Abfrageparameter für eine etwaige Einbindung des nachgeordneten Geschäftsbereiches.. Derartiger Aufwand lässt sich aber schwerlich vermeiden, da das parlamentarische Fragerecht umfassend verfassungsrechtlich geschützt ist und es grundsätzlich der Abgeordnete in der Hand hat, was und wen er anfragt.
Verfahrenstechnisch ist schließlich noch erwähnenswert, dass auf Antrag des anfragenden Abgeordneten sowohl die Anfrage als auch die Antworten der Staatsregierung in die Landtagsdrucksachen aufgenommen werden41§ 72 Abs. 2 BayLTGeschO.. Die Drucklegung stellt in der Praxis den Regelfall dar.
c) Anfrage zum Plenum gemäß § 74 BayLTGeschO
Anfragen zum Plenum sind ein besonders eilbedürftiges Frageinstrument. Dies verdeutlicht § 74 Abs. 1 Satz 1 bis 3 BayLTGeschO, der wie folgt lautet:
In Sitzungswochen, in denen nach dem Sitzungsplan Dienstag- und Mittwoch-Sitzungen beziehungsweise Sitzungsfolgen der Vollversammlung vorgesehen sind (außer bei Sitzungsfolgen, die ausschließlich für Haushaltsberatungen vorgesehen sind), kann jedes Mitglied des Landtags eine Anfrage zum Plenum an die Staatsregierung richten. Die Anfrage zum Plenum muss spätestens bis zum Montag der Sitzungswoche 12.00 Uhr beim Landtagsamt eingereicht werden. Die Anfragen sind von der Staatsregierung bis zum Donnerstag der Sitzungswoche 9.00 Uhr schriftlich zu beantworten.
Für die Antwort stehen also regelmäßig weniger als 72 Stunden zur Verfügung. Aufgrund dieser Eilbedürftigkeit ist es konsequent, dass Anfragen zum Plenum kurz gefasst sein müssen42§ 74 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO.. Sie dürfen auch nur maximal drei Unterfragen enthalten43§ 74 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO.. Inhaltlich müssen sich Anfragen zum Plenum auf eine sachliche Fragestellung beschränken und dürfen nur Angelegenheiten betreffen, für die die Staatsregierung unmittelbar oder mittelbar zuständig ist44§ 74 Abs. 2 Satz 2 BayLTGeschO.. Bei Fragen, die diesen Anforderungen nicht genügen oder nach Form oder Inhalt einen Missbrauch des Fragerechts darstellen, sieht die Geschäftsordnung ebenfalls ein Zurückweisungsrecht vor45Vgl. hierzu genauer § 74 Abs. 3 BayLTGeschO.. Für Anfragen zum Plenum einschließlich der Antworten der Staatsregierung sieht die Geschäftsordnung ausdrücklich eine Veröffentlichung als Drucksache gemäß § 181 BayLTGeschO vor46§ 74 Abs. 1 Satz 4 BayLTGeschO..
d) Unmittelbares Auskunftsverlangen gemäß § 75 BayLTGeschO
Diesem Frageinstrument kommt erhebliche praktische Bedeutung zu. Es ist in § 75 BayLTGeschO wie folgt geregelt:
Die Mitglieder des Landtags können jederzeit, auch außerhalb der Tagung, sich an die Staatsregierung mit dem Ersuchen um Auskunft über bestimmt bezeichnete Tatsachen wenden.
Das Ersuchen ist damit nicht fristgebunden und steht jedem Abgeordneten zu. Besondere Formvorschriften sind nicht vorgesehen. Es kann also – ohne Umweg über die Landtagsverwaltung – formlos auch per E-Mail unmittelbar beim Landtagsbeauftragten47Zur Stellung und Aufgabe von Landtagsbeauftragten beim Verkehr von Staatsregierung und Landtag vgl. auch Hartmann, Das Bayerische Petiti-onsrecht – modernes Recht oder Anachronismus mit Reformbedarf?, BayVBl. 2023, 181/188. des jeweiligen Ressorts eingereicht werden.
Inhaltlich erfordert § 75 BayLTGeschO lediglich, dass das Auskunftsverlangen bestimmt bezeichnete Tatsachen betrifft. Im Wege der teleologischen Reduktion ist zudem zu fordern, dass eine ressortmäßige Zuständigkeit des Adressaten besteht. Weiter ist zu fordern, dass – über die ressortmäßige Zuständigkeit hinaus und wie bei den übrigen Frageinstrumenten ausdrücklich geregelt – eine unmittelbare oder mittelbare Verantwortlichkeit der Staatsregierung betroffen ist48Vgl. hierzu auch unter IV. Grenzen der Antwortpflicht – Verantwortungs- bereich der Staatsregierung.. Sowohl die angefragten Staatsministerien als auch die Staatsregierung in ihrer Gesamtheit können und dürfen nur im Rahmen ihres Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiches antworten.
Die in § 75 BayLTGeschO enthaltene Bezugnahme auf „Tatsachen“ verdeutlicht, dass die Abgeordneten hier weder abstrakte Rechtsgutachten noch rechtsberatende Tätigkeiten im Einzelfall einfordern können. Die Rechtsberatung von Bürgern und/oder Abgeordneten ist keine Aufgabe der Exekutive, sondern den rechtsberatenden Berufen, insbesondere der Anwaltschaft, den steuerberatenden Berufen sowie Notaren, vorbehalten49Vgl. dazu auch unterXebb.. Die erforderliche Abgrenzung im Einzelfall ist freilich oftmals fließend. Tritt ein Bürger mit einem konkreten streitbefangenen Sachverhalt Hilfe suchend an seinen Stimmkreisabgeordneten heran und bittet um Unterstützung, so ist der Anwendungsbereich eines unmittelbaren Auskunftsverlangens nicht von vornherein gesperrt. Fragt der Abgeordnete beispielsweise an, ob die Staatsregierung insoweit eine rechtspolitische Lücke sieht und bejahendenfalls eine Bundesratsinitiative plant, so greift das parlamentarische Fragerecht und dem Abgeordneten ist zu antworten. Nichts anderes gilt auch für die Frage des Abgeordneten, ob die Staatsregierung für entsprechende Fallgestaltungen Hilfestellungen wie etwa Leitfäden, Broschüren oder Ähnliches bereithält. Derartige Fragen können und müssen beantwortet werden, ohne gegen das Verbot der Rechtsberatung zu verstoßen.
Der Beitrag stammt aus den BayVBl. Heft 3/2024, Seite 73 und wird fortgesetzt.
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- 1Übersichtlich hierzu Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 13 Rn. 8; Harks, Das Fragerecht der Ab-geordneten, JuS 11/2014, 979 Fn. 5; Glauben, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts der Abgeordneten im Bund und in den Ländern, DVBl. 2018, 751/752 jeweils m. w. N.
- 2Glauben, a. a. O., 751 mit dezidierten Nachweisen zur verfassungsgerichtli- chen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
- 3VerfGHE 67, 216/224.
- 4Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 13 Rn. 11.
- 5Huber, a. a. O. sowie VerfGHE 51, 34/41 ff.
- 6VerfGHE 59, 144/178; ebenso VerfGHE 64, 70/80.
- 7VerfGHE 59, 144/178; VerfGHE 64, 70/80; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, a. a. O., Art. 13 Rn. 8 sieht die Kontrollfunktion sogar im Vordergrund stehend.
- 8VerfGHE 59, 144/178; VerfGHE 64, 70/80.
- 9Brechmann in Meder/Brechmann, a. a. O., Art. 5 Rn. 8.
- 10Brechmann, a. a. O., Art. 5 Rn. 3; VerfGHE 7, 113/121; VerfGHE 24, 181/ 195.
- 11Art. 44 ff. BV sowie Brechmann, a. a. O., Art. 5 Rn. 3 m. w. N.
- 12Freilich in unterschiedlicher praktischer Ausprägung. Während sich die Opposition eher der förmlichen Auskunftsmöglichkeiten bedient (An-frage zum Plenum, Schriftliche Anfrage, Interpellation), greifen die Abge-ordneten der die Regierung stützenden Fraktion in der Praxis eher zum unmittelbaren Auskunftsverlangen.
- 13VerfGHE 59, 144/178; VerfGHE 64, 70/80.
- 14Übersichtlich hierzu Huber, a. a. O., Art. 16a Rn. 1 f.
- 15So ausdrücklich VerfGHE 59, 144/178; ebenso VerfGHE 64, 70/80.
- 16Huber, a. a. O., Art. 20 Rn. 6.
- 17Huber, a. a. O., Art. 20 Rn. 6.
- 18Vgl. hierzu auch § 2 Abs. 4 BayLTGeschO sowie den aktuellen Übernah- mebeschluss zu Beginn der 19. Wahlperiode vom 30.10.2023 gem. LT-Drs. 19/3.
- 19Statt vieler Huber, a. a. O., Art. 20 Rn. 6 m. w. N.
- 20VerfGHE 8, 91/97; 29, 61/82 ff. sowie auf Bundesebene BVerfGE 1, 144/ 148.
- 21Harks, a. a. O., S. 980 spricht insoweit plastisch und treffend von „Binnen- recht des Parlaments“.
- 22Huber, a. a. O., Art. 13 Rn. 16 sowie generell zur Rechtslage auf Bundesund Landesebene Lennartz/Kiefer, Parlamentarische Anfragen im Span-nungsfeld von Regierungskontrolle und Geheimhaltungsinteressen, DÖV 2006, 185 f., die insoweit treffend vom wechselseitigen Respekt der Verfas-sungsorgane sprechen.
- 23Eingehend hierzu Schenke, Verfassungsorgantreue, 1977, 19 ff.
- 24Zur parlamentarischen Kontrolle der Exekutive und dem Ineinandergreifen der drei Staatsgewalten vgl. bereits unter I Fn. 11; selbst die Judika-tive steht – wie Art. 68 Abs. 3 Satz 1 BV zeigt – in keinem verfassungs-rechtlich gänzlich abgeschirmten Bereich.
- 25Brechmann, a. a. O., Art. 5 Rn. 4.
- 26VerfGHE 64, 70/82; zur gebotenen Zurückhaltung des Landtags bei Petitionen, die Gerichtsentscheidungen betreffen, vgl. auch Hartmann, Das Bay-erische Petitionsrecht – modernes Recht oder Anachronismus mit Re-formbedarf?, BayVBl. 2023, 181/186.
- 27VerfGHE 64, 70/82.
- 28Knapp und übersichtlich auch auf der Homepage des Bayerischen Land- tags unter www.bayern.landtag.de/parlament/aufgaben-des-landtags/ kontrollrecht/.
- 29§ 67 Abs. 1 Satz 2 BayLTGeschO.
- 30§ 67 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO; vgl. dazu auch IV. Grenzen der Antwort- pflicht – Verantwortungsbereich der Staatsregierung.
- 31§ 67 Abs. 2 Satz 2 BayLTGeschO.
- 32§ 67 Abs. 2 Satz 3 BayLTGeschO.
- 33§ 67 Abs. 3 Satz 1 BayLTGeschO.
- 34§ 6 Abs. 2 Nr. 1f der Geschäftsordnung der Bayerischen Staatsregierung (StRGO) vom 15.05.2018 (GVBl. S. 373).
- 35§ 68 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BayLTGeschO; weitere Detailregelungen zum Zeitpunkt der Aussprache und einer ebenfalls möglichen Behandlung im zuständigen Fachausschuss finden sich im zweiten Halbsatz und in den folgenden Absätzen der Vorschrift.
- 36§ 71 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO, der auf die entsprechende Regelung in § 67 Abs. 2 BayLTGeschO bei unzulässigen Interpellationen verweist.
- 37§ 71 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO mit dem entsprechenden Verweis auf § 67 Abs. 3 BayLTGeschO.
- 38Vgl. dazu oben unter II. sowie Huber, a. a. O., Art. 20 Rn. 6.
- 39§ 72 Abs. 1 Satz 2 BayLTGeschO.
- 40Z. B. das einheitliche Verständnis bestimmter Begrifflichkeiten in der Anfrage sowie abgestimmte Abfrageparameter für eine etwaige Einbindung des nachgeordneten Geschäftsbereiches.
- 41§ 72 Abs. 2 BayLTGeschO.
- 42§ 74 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO.
- 43§ 74 Abs. 2 Satz 1 BayLTGeschO.
- 44§ 74 Abs. 2 Satz 2 BayLTGeschO.
- 45Vgl. hierzu genauer § 74 Abs. 3 BayLTGeschO.
- 46§ 74 Abs. 1 Satz 4 BayLTGeschO.
- 47Zur Stellung und Aufgabe von Landtagsbeauftragten beim Verkehr von Staatsregierung und Landtag vgl. auch Hartmann, Das Bayerische Petiti-onsrecht – modernes Recht oder Anachronismus mit Reformbedarf?, BayVBl. 2023, 181/188.
- 48Vgl. hierzu auch unter IV. Grenzen der Antwortpflicht – Verantwortungs- bereich der Staatsregierung.
- 49Vgl. dazu auch unterXebb.