07.08.2017

Die »wozu«-Frage

Erforderlichkeit im Erschließungs- und im Straßenbaubeitragsrecht

Die »wozu«-Frage

Erforderlichkeit im Erschließungs- und im Straßenbaubeitragsrecht

Wenn Beitragspflichten ausgelöst werden, ist eine sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung besonders geboten. | © Heiko Abler - Fotolia
Wenn Beitragspflichten ausgelöst werden, ist eine sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung besonders geboten. | © Heiko Abler - Fotolia

Der Ausgangsfall

Eine Gemeinde verlegt im Rahmen der erstmaligen Herstellung einer 1 000 m langen Anbaustraße (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) einen ausschließlich zur Aufnahme des auf der Straße anfallenden Regenwassers bestimmten Entwässerungskanal, der zunächst auf einer Länge von 750 m einen Durchmesser vom 300 mm und sodann auf der Reststrecke von 250 m einen Durchmesser von 600 mm aufweist. Der größere Querschnitt ist dadurch veranlasst, dass der Kanal in dem entsprechenden Bereich auch das Niederschlagswasser von zwei Seitenstraßen aufzunehmen hat; der dadurch ausgelöste Mehraufwand beträgt 50 000 Euro.

Ein zu einem Erschließungsbeitrag herangezogener Grundstückseigentümer macht geltend, dieser Mehraufwand sei nicht beitragsfähig, weil der verlegte Kanal insoweit weder zur Entwässerung der Straße noch zur Erschließung seines Grundstücks erforderlich sei. In einer vergleichbaren, das Straßenbaubeitragsrecht betreffenden Konstellation teilen die OVG Münster (Beschluss vom 14. 1. 2008 – 15 A 3372/07 – KStZ 2008,72 = ZKF 2008, 214) und Schleswig (Urteil vom 10. 2. 2011 – 2 LB 19/10 -) die Auffassung des Grundeigentümers, während das OVG Lüneburg (Beschluss vom 31. 10. 2016 – 9 LA 74/16 -) ihr entgegentritt und meint, auch diese Mehrkosten seien beitragsfähig, weil der Kanal selbst mit dem größeren Durchmesser in der letzten Teilstrecke erforderlich sei. Das lenkt den Blick auf das Merkmal der Erforderlichkeit im Erschließungs- und im Straßenbaubeitragsrecht.

 

Erforderlichkeit im Erschließungsbeitragsrecht

Beitragsfähig ist nach § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur der Aufwand für erforderliche Erschließungsanlagen oder – etwa bei Anbaustraßen – erforderliche Teileinrichtungen wie Fahrbahn und Straßenentwässerung (anlagenbezogene Erforderlichkeit). Allerdings ist das Merkmal »erforderlich« nicht schon gleichsam aus sich heraus handhabbar. Vielmehr muss hinzukommen die Angabe eines Bezugspunkts, d.h. eine Antwort auf die denknotwendig mit diesem Merkmal verbundene »wozu«-Frage. Wozu muss eine Anbaustraße oder Teileinrichtung erforderlich sein, damit der für ihre erstmalige Herstellung entstandene Erschließungsaufwand beitragsfähig ist. Diese Antwort gibt der 2. Halbsatz des § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Dort heißt es, die Anbaustraße (oder Teileinrichtung) müsse erforderlich sein, »um die Bauflächen und die gewerblich zu nutzenden Flächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen.« Diese zweifellos nicht ganz einfach zu verstehende Antwort bedarf einer Erklärung: Als Bauflächen und gewerblich zu nutzende Flächen sind bei sachgerechter Auslegung Baugebiete zu verstehen, die gewerblich genutzte Gebiete mit umfassen können. Unabhängig von deren Grenzen ist für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Anbaustraße oder einer Teileinrichtung nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG (vgl. u.a. Urteil vom 6. 5. 1966 – IV C 136.65 – NJW 1966, 1832 = DVBl 1966, 693) abzustellen auf deren Beziehung zu dem gesamten zu erschließenden Gebiet.


Diese Betrachtung trägt der Tatsache Rechnung, dass sich eine Gemeinde bei der erstmaligen Anlegung einer Anbaustraße in Ausübung der ihr obliegenden erschließungsrechtlichen Planungshoheit (vgl. § 125 BauGB) sowohl bei dem »ob« (überhaupt) als auch bei dem »wie« (Umfang) an den Bedürfnissen des jeweiligen Erschließungsgebiets zu orientieren hat. Wird beispielsweise eine Fahrbahn etwa wegen ihrer Lage im Verkehrsnetz der Gemeinde viel Verkehr oder ein Kanal viel Regenwasser auch aus der näheren Umgebung aufzunehmen haben, ist dieser Umstand maßgebend für die erschließungsrechtliche Entscheidung über den Umfang der Fahrbahn oder des Regenwasserkanals.

Bezugspunkt für die Erforderlichkeit einer Anbaustraße und ihrer Teileinrichtungen ist mithin kraft Gesetzes einzig das betreffende Erschließungsgebiet, sodass ein Abstellen auf die Bedürfnisse der Erschließung eines einzelnen angrenzenden Grundstücks bzw. beim Regenwasserkanal auf das Ausmaß des auf Fahrbahn und Gehwegen der einzelnen Anbaustraße anfallenden Regenwassers ausgeschlossen ist. Soweit das zur Folge hat, dass Beitragspflichtige zu den Kosten einer aufwendigeren Straße beitragen müssen, als sie bei isolierter Betrachtung zur Erschließung ihres Grundstücks erforderlich wäre, ist das rechtlich unbeachtlich. Denn die Erschließung eines Grundstücks ist notwendig in die Erschließung eines mehr oder weniger umfangreichen Gebiets eingebettet. Diesem Zusammenhang ist sie untergeordnet. Eine die einzelnen Grundstücke isolierende Erschließung findet in der Wirklichkeit nicht statt; sie darf dementsprechend auch nicht bei einer Beitragserhebung im Wege einer isolierenden Betrachtung fingiert werden (BVerwG, Urteil vom 13. 8. 1976 – IV C 23.74 – Gemeindetag 1977, 55). Vielmehr ist insoweit zu berücksichtigen, dass jede Anbaustraße nicht nur dem Nutzen der von ihr erschlossenen Grundstücke, sondern auch dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen bestimmt ist; sie steht nicht nur dem Anliegerverkehr, sondern auch dem üblichen Durchgangsverkehr zur Verfügung. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB angeordnet, dass die Gemeinde – mit Rücksicht auf diesen üblichen Durchgangsverkehr – einen Anteil von mindestens 10 v. H. des beitragsfähigen Aufwands selbst zu tragen hat.

Das leitet über auf die weitere Frage, wer letztlich darüber zu befinden hat, ob eine Anbaustraße bzw. einer ihrer Teileinrichtungen überhaupt und vor allem ihrem Umfang nach erforderlich ist, d.h. wer gleichsam die »Letztentscheidungsbefugnis« hat, die Gemeinde oder – nach Erhebung einer Anfechtungsklage – das Verwaltungsgericht. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass das Merkmal »erforderlich« nicht im Sinne einer conditio sine qua non zu verstehen ist. Vielmehr soll durch dieses Merkmal sichergestellt werden, dass beitragsfähig einzig der Aufwand für städtebaulich angemessene, einleuchtende Lösungen ist. Für die Beurteilung, ob dies im Einzelfall zutrifft, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG (vgl. u.a. Urteil vom 14. 12. 1979 – 4 C 28.76 – BVerwGE 59, 249 = KStZ 1980, 68) die Gemeinde zuständig, ihr räumt das Erschließungsbeitragsrecht danach einen weiten Beurteilungsspielraum ein. Das leuchtet ein. Denn es geht im Ansatz um eine Entscheidung, die die Gemeinde – wie gesagt – im Rahmen ihrer erschließungsrechtlichen Planungshoheit (§ 125 BauGB) trifft. An sie knüpft das tatsächlich und rechtslogisch nachgeordnete Erschließungsbeitragsrecht an und respektiert sie durch die Anerkennung der Kosten als beitragsfähig, die durch eine dieser Planung entsprechende erstmalige Herstellung einer Anbaustraße einschließlich ihrer Teileinrichtungen entstehen. Eine solche Entscheidung ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich lediglich daraufhin, ob die Gemeinde von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder sonst willkürlich gehandelt hat.

 

Erforderlichkeit im Straßenbaubeitragsrecht

Nur wenige Länder haben den Grundsatz der Erforderlichkeit ausdrücklich in ihren Kommunalabgabengesetzen angesprochen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayKAG, §§ 8 ff. KAG MV und KAG SH). Gleichwohl beansprucht er Geltung selbst in den übrigen Ländern (vgl. etwa OVG Koblenz, Urteil vom 10. 11. 1981 – 6 A 282/80 – KStZ 1982, 195). Denn er beruht auf der Überlegung, dass eine sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung namentlich dort geboten ist, wo das gemeindliche Handeln Beitragspflichten auszulösen geeignet ist. Auch im Straßenbaubeitragsrecht haben die Beitragspflichtigen ein schützenswertes Interesse daran, nicht zu den Kosten für Baumaßnahmen an überflüssigen Anlagen oder Teileinrichtungen bzw. für überflüssige Ausbaumaßnahmen an ihnen herangezogen zu werden. Auch im Straßenbaubeitragsrecht sind – selbstverständlich – im Zusammenhang mit dem Merkmal der Erforderlichkeit zwei Fragen zu beantworten, nämlich die »wozu«-Frage, d.h. die Frage nach dem maßgeblichen Bezugspunkt, und die Frage nach der »Letztentscheidungsbefugnis«.

Bei der Frage nach dem maßgeblichen Bezugspunkt ist von folgender Erkenntnis auszugehen: Der Gegenstand beitragsfähiger Ausbaumaßnahmen ist bei Anbaustraßen im Erschließungs- und im Straßenbaubeitragsrecht identisch, nämlich die betreffende Anbaustraße einschließlich ihrer Teileinrichtungen. Deren Erforderlichkeit als solche beurteilt sich im Erschließungs- wie im Straßenbaubeitragsrecht aus ihrer Beziehung zum gesamten Erschließungsgebiet. Die einer Anbaustraße von einer Gemeinde aufgrund ihrer Planungshoheit (schon im Rahmen ihrer erstmaligen Herstellung) zugewiesene Funktion wird bestimmt durch die Bedürfnisse eines mehr oder weniger umfangreichen Gebiets; die Erforderlichkeit einer Anbaustraße einschließlich ihrer Teileinrichtungen ist ebenso wie die Erforderlichkeit der an ihnen durchzuführenden beitragsfähigen Verbesserungen oder Erneuerungen in die verkehrlichen Zusammenhänge dieses Gebiets eingebettet. Diese Zusammenhänge sind maßgebend für die Entscheidung der Gemeinde, ob und in welchem Umfang die seinerzeit erstmalig hergestellte und nach den Regeln des Erschließungsbeitragsrechts abgerechnete Anbaustraße einschließlich ihrer Teileinrichtungen nunmehr verbessert oder erneuert werden soll, d.h. ob und in welchem Umfang ein solcher Ausbau für erforderlich zu halten ist. Unerheblich ist demgegenüber, inwieweit der Ausbau etwa einer Fahrbahn gerade von den Anliegern der Straße verursacht worden ist. Dem Gesichtspunkt, inwieweit der Straßenausbau einerseits den Anliegern und andererseits der Allgemeinheit dient, wird durch die Festlegung von Anlieger- und Allgemeinanteil Rechnung getragen. Kurzum: Im Straßenbaubeitragsrecht ist wie im Erschließungsbeitragsrecht sachlicher Bezugspunkt für die Beurteilung der Erforderlichkeit das betreffende Erschließungsgebiet und der durch die Umstände in diesem Gebiet ausgelöste (Ausbau-)Bedarf.

Nach der herrschenden Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung steht der Gemeinde im Straßenbaubeitragsrecht wie im Erschließungsbeitragsrecht für die Beurteilung dessen, was im Einzelfall für erforderlich (bzw. in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein: für notwendig) zu halten ist, ein weiter, gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (vgl. statt vieler VGH München, Beschluss vom 4. 12. 2014 – 6 ZB 13.467 – und OVG Berlin, Urteil vom 26. 1. 2011 – 9 B 14.09 -). Insoweit sind vergleichbare Erwägungen wie im Erschließungsbeitragsrecht einschlägig. Das Merkmal der Erforderlichkeit markiert hier wie dort lediglich eine äußerste Grenze der Vertretbarkeit, die erst überschritten ist, wenn die von der Gemeinde gewählte Lösung sachlich schlechthin nicht mehr vertretbar ist.

 

Ergebnis

Im Erschließungs- wie im Straßenbaubeitragsrecht sind im Zusammenhang mit dem Merkmal der Erforderlichkeit einer Anbaustraße oder Teileinrichtung bzw. einer beitragsfähigen Ausbaumaßnahme an ihnen stets zwei Fragen zu stellen und zu beantworten: Die Frage – erstens – nach dem sachlichen Bezugspunkt und die Frage – zweitens – danach, wer (die Gemeinde oder – nach Erhebung einer Anfechtungsklage – das Verwaltungsgericht) die »Letztentscheidungsbefugnis« hat. In beiden Rechtsgebieten ist sachlicher Bezugspunkt das jeweilige Erschließungsgebiet und steht der Gemeinde für die Beurteilung dessen, was sie für erforderlich halten darf, ein weiter, gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Vor diesem Hintergrund kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass die – in der Einbeziehung der Mehrkosten von 50 000 Euro in den beitragsfähigen Aufwand zum Ausdruck kommende – Beurteilung der Gemeinde, im Ausgangsfall sei die Dimensionierung des Kanalrohrs selbst in der zweiten Teilstrecke erforderlich, rechtmäßig ist. Denn die Seitenstraßen und das auf ihnen anfallende Niederschlagswasser sind dem hier maßgeblichen Erschließungsgebiet zuzurechnen. Selbst wenn insoweit Zweifel bestehen könnten, wäre die Entscheidung der Gemeinde jedenfalls von ihrem Beurteilungsspielraum gedeckt, weil ein sachlich einleuchtender Grund (Freihaltung der Fahrbahn auch von dem aus den beiden Seitenstraßen anfallenden Regenwasser) für sie spricht. So oder so ist die Auffassung der Gemeinde, die Vergrößerung des Kanalrohrs auf der letzten Teilstrecke für erforderlich und die dafür entstandenen Mehrkosten für beitragsfähig zu halten, mit dem OVG Lüneburg nicht zu beanstanden.

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
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