Die baden-württembergische Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde
… im Lichte der neueren Rechtsprechung
Die baden-württembergische Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde
… im Lichte der neueren Rechtsprechung

Vor dem Hintergrund der ungebrochenen enormen praktischen Bedeutung der landesrechtlichen Normierung der Haltung gefährlicher Hunde beleuchtet der vorliegende Beitrag die Entwicklung der (neueren) Rechtsprechung zur baden-württembergischen Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde (Pol-VOgH)1Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums Ländlicher Raum über das Halten gefährlicher Hunde v. 03.08.2000 (PolVOgH), GBl. 2000, S. 574, zul. geändert durch Art. 8 Polizei-AnpassungsG v. 03.02.2021, GBl. 2021, S. 53; siehe hierzu die Kommentierung von Huttner/Krebs, Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde, Kommentar, PdK Baden-Württemberg, Band K 30 a, Bearbeitungsstand: Juli 2022. in Zusammenschau mit der zugehörigen Verwaltungsvorschrift (VwVgH)2Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz zur Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz über das Halten gefährlicher Hunde (VwVgH) v. 06.08.2018 – 3-1119.5/34-9142.25 – GABl. 2018, S. 430. unter systematisierenden Gesichtspunkten (sub II.) und zeigt so aktuelle Tendenzen innerhalb dieser Regelungsmaterie auf (sub III.).
Berücksichtigt wurde eine repräsentative Auswahl der wichtigsten veröffentlichten Judikate der baden-württembergischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, vorzugsweise der letzten Jahre, unter besonderer Beachtung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg.
I. Einleitung
Die rechtliche Ausgestaltung der Haltung von Kampfhunden und der damit korrespondierende Schutz der Öffentlichkeit vor den abstrakten Gefahren, die von einer Haltung derartiger Hunde ausgehen, bildete um die Jahrtausendwende aufgrund einer Häufung teils tragischer Beißvorfälle ein Politikum ersten Ranges.3Siehe die Beiträge von Caspar, DVBl. 2000, 1580; Gängel, NJ 2020, 340; ders./Gansel, NVwZ 2001, 1208; Gassner, VBlBW 2011, 376; Kunze, NJW 2001, 1608; Wassermann, NJW 2000, 2560. Neben dem Erlass des Artikelgesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde4Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde v. 12.04.2001, BGBl. I, S. 530; siehe hierzu auch Gängel/Gansel (Fn. 3), 1208, 1213; Kunze (Fn. 3), 1608, 1609 und aus der Rechtsprechung BVerfG, Urt. v. 16.03.2004, BVerfGE 110, 141. auf Bundesebene reagierten die Landesgesetzgeber parallel auf polizeirechtlicher Grundlage durch den Erlass von die Haltung gefährlicher Hunde regelnden Polizeiverordnungen.5Siehe den Überblick bei Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. E Rn. 53 ff.; Pöltl, Polizeirecht Baden-Württemberg, 10. Aufl. 2024, § 9 Rn. 15 ff. Die gesetzgeberische Eile und auch die den Polizeiverordnungen zugrunde gelegte Regelungssystematik wurden bereits kurz nach Normerlass in der Literatur als „Alibigesetzgebung“6So Gängel/Gansel (Fn. 3), 1208, 1209. kritisiert und es wurde die Frage aufgeworfen, welche Lehren aus der vermeintlichen „Gesetzgebungshektik„7So die Frage bei Wassermann (Fn. 3), 2560, 2560. für die Zukunft zu ziehen seien. Auch fast 25 Jahre nach Schaffung der ersten landesrechtlichen Regelungen zur Kampfhundehaltung besteht für den Rechtsanwender die Schwierigkeit, einerseits die detaillierter werdenden Rechtsprechungsentwicklungen der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit zu verfolgen und diese Rechtsprechungsentwicklung andererseits in die Regelungssystematik der Polizeiverordnung einzuordnen.8Hinzu treten beachtliche weitere Schwierigkeiten im praktischen Vollzug der Polizeiverordnung, wie etwa eine anhaltende Überfüllung der Tierheime.
II. Die Entwicklung der neueren Rechtsprechung zur PolVOgH
- Zu Struktur und Inhalt des § 1 PolVOgH
a) Regelungssystematik und Rassedefinitionen
Der PolVOgH liegt eine Differenzierung zwischen den Begriffen des Kampfhundes (hierzu § 1 PolVOgH mit weiteren Unterscheidungen) sowie des gefährlichen Hundes (hierzu § 2 Pol- VOgH) zugrunde. Der Anwendungsbereich der PolVOgH wird demnach durch die Feststellung des Vorliegens eines Kampfhundes bzw. gefährlichen Hundes eröffnet. An das Vorliegen der Kampfhundeeigenschaft ist insbesondere das Erfordernis einer Erlaubnispflicht nach § 3 PolVOgH gekoppelt; auch § 4 Pol- VOgH unterscheidet zwischen diesen beiden zentralen Begriffen.
Nach einer abstrakten Begriffsbestimmung des Kampfhundes (§ 1 Abs. 1 PolVOgH) differenziert die Regelung des § 1 PolVOgH weiter zwischen einem Kampfhund kraft Vermutung (§ 1 Abs. 2 PolVOgH) sowie einem Kampfhund kraft Rasse und Feststellung im Einzelfall (§ 1 Abs. 3 PolVOgH). Die Verhaltensprüfung wird in § 1 Abs. 4 PolVOgH normiert.9Diese Systematik des § 1 PolVOgH kommt auch in Nr. 1.1, 1.2 sowie 1.3 VwVgH zum Ausdruck; vgl. auch Strecker/Thome/Steinhorst, Handbuch für Ordnungsämter und Ortspolizeibehörden Baden-Württemberg, 5. Aufl. 2024, Rn. 269.
In Abweichung zu anderen landesrechtlichen Regelungen10Siehe etwa Anl. 6 (Merkmale der Phänotypen) zur Verordnung zur Durchführung des Hundegesetzes Sachsen-Anhalt v. 27.02.2009, GVBl. LSA 2009, S. 133. definiert der baden-württembergische Verordnungsgeber die Merkmale der im Einzelnen als Kampfhunde eingestuften Hunderassen nicht selbst, sondern greift auf die Rassedefinitionen zurück, welche die führenden nationalen und internationalen kynologischen Fachverbände etabliert haben; deren Rassedefinitionen wiederum beruhen auf phänotypischen, durch Vererbung übertragbaren Merkmalen (Standards).11Hierzu VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 21.
Folglich ist der Verordnungsgeber der PolVOgH davon ausgegangen, dass das bei den in § 1 Abs. 2 PolVOgH genannten Hunderassen und -gruppen abstrakt vermutete übersteigerte Aggressionsverhalten auch erblich bedingt sein kann und daher weitervererbt werden kann.12VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 22. Gleichzeitig hat der Verordnungsgeber mit der Möglichkeit des Gegenbeweises (widerlegbare Vermutung) im Rahmen des § 1 Abs. 2 PolVOgH dem Umstand Rechnung getragen, dass „die genetische Disposition auf Grund (früherer) Zuchtauslese nicht bei allen Individuen einer Rasse zwingend zu einer besonderen Gefährlichkeit führt“.13VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 22. Diese Annahmen des Verordnungsgebers und die darauf gründende Regelungssystematik des § 1 Abs. 2 Pol- VOgH sind von der Rechtsprechung in den letzten Jahren wiederholt bestätigt worden.14VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 73 f.; so bereits im Urt. v. 16.10.2001, VBlBW 2002, 292; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 22. Aus der Systematik und dem Sinn und Zweck des § 1 PolVOgH, „eine effektive Abwehr von Gefahren insbesondere für die körperliche Unversehrtheit einer potenziell großen Zahl von Menschen zu gewährleisten und zugleich die grundsätzliche Pflicht des Staates zum Schutz dieser hochrangigen Rechtsgüter (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu erfüllen“, schließt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW) folgerichtig, dass die Schwelle für die Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 PolVOgH nicht zu hoch angesetzt werde dürfe.15VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74, wo insbesondere auf eine nicht zu restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale der „Zugehörigkeit“ sowie der „Kreuzungen“ im Rahmen des § 1 Abs. 2 Pol-VOgH rekurriert wird.
b) Dynamische oder statische Verweisung?
Die in § 1 Abs. 2 und 3 PolVOgH enthaltene implizite Verweisung auf die durch kynologische Fachverbände etablierten Rassedefinitionen hat vor dem Hintergrund einer Weiterentwicklung der Definitionen durch die Verbände seit Verordnungserlass zu der Frage geführt, ob es sich im Fall von § 1 Abs. 2 und 3 Pol- VOgH um eine dynamische oder statische Verweisung handelt.
In einer Entscheidung vom 17.06.2020 hat die 6. Kammer des VG Karlsruhe16VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes festgestellt, dass die Verweisung der PolVOgH auf die Rassedefinitionen der kynologischen Verbände nicht dynamisch zu verstehen sei, sondern grundsätzlich auf die bei Erlass der PolVOgH bestehenden Standards Bezug nehme.17VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 20. Zur Begründung zog die Kammer neben dem Gebot der Normenklarheit insbesondere teleologische Erwägungen heran: „Anderenfalls entschiede letztlich die Definition von neuen Rassen bzw. die Veränderung von Rassestandards durch diverse private Interessenverbände über die Anwendungsreichweite der § 1 Abs. 2 und 3 PolVOgH, was mit Sinn und Zweck der Norm, Hunde mit einem bestimmten genetischen Potential aus Gründen der Gefahrenprävention besonderen Haltungsbedingungen zu unterwerfen, und verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Normenklarheit nicht vereinbar sein dürfte.“18VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 20 m. w. N. Gleichfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hatte indes die 9. Kammer des VG Karlsruhe in einer Entscheidung vom 11.12.201819VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751. eine dynamische Verweisung der PolVOgH auf die kynologischen Rassedefinitionen angenommen und ausgeführt:
„Jedenfalls im Rahmen des Eilverfahrens vermag das Gericht aber keine hinreichend gewichtigen Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass der Verordnungsgeber im Sinne einer statischen Verweisung mit § 1 Abs. 2 PolVOgH unabhängig vom Geburtsdatum eines Hundes und unabhängig von einer Fortentwicklung der Rassestandards ausschließlich auf die Rassestandards zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der PolVOgH im Jahr 2000 rekurrieren wollte.“20VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10.
Zur Begründung verweist die Kammer darauf, dass einheitliche Standards auch im Jahr 2000 nicht für alle Hunderassen etabliert gewesen seien; außerdem wäre der Regelung bei Annahme einer statischen Verweisung mit zunehmendem Zeitablauf wohl eine „auch im Wege der Auslegung nicht zu überwindende[…] Unbestimmtheit“ zu attestieren.21VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10. Eine solche Unbestimmtheit sei indes vor dem Hintergrund der strengen Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG22Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23.05.1949, BGBl. S. 1, zul. geändert durch Art. 1 ÄndG (Art. 82) v. 19.12.2022 (BGBl. I, S. 2478). bzw. des Art. 7 EMRK23Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten i. d. F. v. 22.10.2010 (BGBl. II, S. 1198), zul. geändert durch 15. EMRK-Protokoll v. 24.06.2013 (BGBl. 2014 II, S. 1034, 1035). höchst problematisch.24VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10. Auch spreche für eine dynamische Verweisung auf die jeweils zur Geburt eines Hundes maßgeblichen Rassestandards der Umstand, dass der Verordnungsgeber auf einen Landtagsbeschlussantrag im Jahr 2017 erklärt habe, ein Änderungsbedarf hinsichtlich der PolVOgH bestehe nicht;25LT-Drs. 16/2484 v. 03.08.2017, S. 5: „Die Verordnung hat sich aus Sicht der Landesregierung insbesondere wegen der unter rassespezifischen Gesichtspunkten großen Offenheit bewährt und bietet einen wirksamen Schutz vor Gefahren, die von Hunden der gelisteten Rassen und anderen gefährlichen Hunden ausgehen. Ein Änderungsbedarf für die Pol-VOgH wird derzeit nicht gesehen.“ bei Annahme einer statischen Verweisung durch den Verordnungsgeber hätte ein Änderungsbedarf vor dem Hintergrund der Fortentwicklung der Rassestandards und einer damit korrespondierenden Evaluation durch den Verordnungsgeber indes nahegelegen.26VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10; zur Verneinung der Voraussetzungen eines belastenden Analogieschlusses hinsichtlich § 1 Abs. 2 PolVOgH durch die Kammer siehe VG Karlsruhe, ebd., Rn. 11; die Fragestellung hinsichtlich der Voraussetzungen eines belastenden Analogieschlusses kann vorliegend nicht vertieft werden. Die vom VGH BW soweit ersichtlich noch nicht entschiedene Frage, ob die Verweisung im Rahmen des § 1 Abs. 2 PolVOgH ihrer Natur nach eine statische oder dynamische ist, bleibt damit in der Rechtsprechung nicht eindeutig entschieden.27Siehe für die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen jedoch OVG NRW, Urt. v. 12.03.2019, BeckRS 2019, 5671 Rn. 43; Urt. v. 17.02.2020, BeckRS 2020, 8797, wo für das dortige Landesrecht eine statische Verweisung auf die Rassedefinitionen der kynologischen Fachverbände angenommen wird. Vor dem Hintergrund des Erfordernisses hinreichender Normenklarheit erscheint die Annahme einer dynamischen Verweisung sachangemessener; dieser Befund wird – wie die 9. Kammer des VG Karlsruhe überzeugend dargelegt hat –28VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10. dem ermittelten Willen des Verordnungsgebers am besten gerecht.
Der Einwand, bei Annahme einer dynamischen Verweisung werde der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 und 3 Pol- VOgH letztlich durch die Bestimmungen privater Verbände eröffnet,29So VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 20. wird bereits dadurch maßgeblich entkräftet, dass der Verordnungsgeber die Rassedefinitionen bewusst nicht selbst vorgenommen, sondern im Wege der Verweisung gerade die Rassestandards der kynologischen Fachverbände in Bezug genommen hat; da der Inhalt dieser privaten Regelungen im Wesentlichen feststeht, kann von einem unzulässigen Verzicht des Verordnungsgebers auf seine Rechtsetzungsbefugnisse ebenfalls nicht die Rede sein.30So auch – für einen ähnlich gelagerten bundesrechtlichen Sachverhalt – OVG LSA, Beschl. v. 18.06.2014, BeckRS 2014, 55167 Rn. 6 ff., insbesondere Rn. 9. In manchen Fällen kann jedoch bereits die historische Auslegung des § 1 Abs. 2 PolVOgH eine Klärung bringen, sodass die Streitfrage nicht entschieden zu werden braucht.31Offengelassen daher von VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 23 f.
c) Bestimmung der Rassezugehörigkeit
Insbesondere bei Hunden, welche möglicherweise „Kreuzungshunde“ i. S. v. § 1 Abs. 2 PolVOgH sind, wird der Rechtsanwender vor das Problem einer rechtssicheren Bestimmung der Rassezugehörigkeit gestellt; die verschiedenen Möglichkeiten einer solchen Bestimmung und ihr Verhältnis zueinander bildeten daher in den letzten Jahren mehrmals den Gegenstand richterlicher Entscheidungen. Insbesondere hat der VGH BW klargestellt, dass dem Rechtsanwender für die Prüfung der Rassezugehörigkeit eines Hundes im Rahmen des § 1 Abs. 2 PolVOgH mehrere Methoden zur Verfügung stehen, „die je nach Lage des Einzelfalls allein oder – wie in der Regel – kumulativ anzuwenden und deren Ergebnisse zusammenschauend und wertend zu würdigen sind“32VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74..
Nach der Regelung des § 1 PolVOgH kommt zunächst eine Bestimmung der Rassezugehörigkeit nach dem Phänotyp in Betracht;33Dazu VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74. Voraussetzung hierfür ist, dass die Merkmale nach den etablierten Rassestandards der Fachverbände im äußeren Erscheinungsbild des jeweiligen Hundes hinreichend deutlich hervortreten.34VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; auf dieser Linie bereits das Urt. v. 16.10.2001, VBlBW 2002, 292; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 26; Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 14. Für die Bejahung eines signifikanten Hervortretens von maßgeblichen Merkmalen des Rassestandards bzw. Erscheinungsbildes nicht erforderlich ist hierbei, dass es sich bei mindestens einem Elternteil um einen reinrassigen American Staffordshire Terrier, Bullterrier oder Pit Bull Terrier handelt.35VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 14; hierzu vor dem Hintergrund der Normenbestimmtheit bereits VGH BW, Urt. v. 16.10.2001, VBlBW 2002, 292. Da der Verordnungsgeber die in § 1 PolVOgH genannten Rassen und Gruppen stringent an der Nomenklatur der Fachverbände ausgerichtet hat, kommt die Untersuchung der Genealogie des jeweiligen Hundes als weitere Untersuchungsmethode in Betracht.36VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 26. Dies rechtfertigt sich nach der Rechtsprechung des VGH BW aus der dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 PolVOgH immanenten Annahme, „dass, wenn ein Elterntier eines Hundes seinerseits einer der in § 1 Abs. 2 Pol- VOgH genannten Rassen zuzuordnen ist, allein dieser geringe Abstand von nur einer Generation den Schluss erlaubt, dass der Hund als ‚Kreuzung‘ i. S. v. § 1 Abs. 2 PolVOgH und damit als Kampfhund anzusehen ist“37VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; ähnlich für das hessische Landesrecht auch HessVGH, Urt. v. 14.03.2006, NVwZ-RR 2006, 794.. Als dritte Methode kommt die Bestimmung der Rassezugehörigkeit anhand des Genotyps (mittels DNA-Analyse) infrage.38VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 26. Sowohl die Untersuchung der Genealogie als auch die Bestimmung anhand des Genotyps sind dabei mit dem gefahrenabwehrrechtlichen Regelungszweck des § 1 PolVOgH vereinbar.39VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 26. Die Rechtfertigung einer Anwendung auch der DNA-Untersuchung begründet der VGH BW überzeugend mit gesetzeshistorischen Erwägungen:
„Denn der Umstand, dass der Verordnungsgeber, wie gezeigt, davon ausging, dass ein übersteigertes Aggressionsverhalten erblich bedingt sein und weitervererbt werden kann, spricht dafür, dass auch und gerade die Ergebnisse genetischer Vergleiche für die Prüfung, ob ein Hund ein Kampfhund i. S. v. § 1 Abs. 2 PolVOgH ist, Berücksichtigung finden können. Besteht im Einzelfall die Möglichkeit, die DNA eines Mischlingshundes mit DNA einer hinreichend großen Menge an anderen Hunden, die zweifelsfrei einer der in § 1 Abs. 2 PolVOgH genannten Rassen zugeordnet sind, zu vergleichen, und ergibt die Untersuchung, dass zwischen den verglichenen Proben eine signifikante Übereinstimmung besteht, kann auch dieses Ergebnis im Einzelfall dafür sprechen, den Hund als ,Kreuzung‘ i. S. v. § 1 Abs. 2 PolVOgH anzusehen“.40VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; ähnlich OVG LSA, Urt. v. 04.06.2014, BeckRS 2014, 59455.
Gegen eine Berücksichtigungsfähigkeit von DNA-Untersuchungen spreche insbesondere nicht der Umstand, dass derartige Testergebnisse lediglich Zuordnungswahrscheinlichkeiten abbildeten; dies bedinge vielmehr die Notwendigkeit, die Validität und Aussagekraft eines DNA-Tests im jeweiligen Einzelfall konkret festzustellen und in der Gesamtbewertung entsprechend zu berücksichtigen.41VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74 f.; vgl. hierzu auch BayVGH, Beschl. v. 02.04.2019, BeckRS 2019, 7297; VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 11.06.2019, BeckRS 2019, 17993.
In Zweifelsfällen besteht grundsätzlich die Notwendigkeit, sämtliche der genannten Methoden zur Bestimmung der Rassezugehörigkeit des jeweiligen Hundes auszuschöpfen; im Einzelfall können aber auch eine oder mehrere der möglichen Methoden bereits ein hinreichend genaues Ergebnis herbeiführen.42VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 27. Zweifel können insbesondere dann auftreten, wenn der Hund, dessen Rassezugehörigkeit zu bestimmen ist, von einem reinrassigen Kampfhund mehr als eine Generation entfernt ist.43So das Beispiel bei VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74. Den Vorgang der Rassebestimmung anhand der technisch-wissenschaftlichen Methoden hat die Rechtsprechung wiederholt als einen Vorgang wertender Gesamtbetrachtung charakterisiert.44VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74 f.; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 27. Die zusammenschauende und wertende Würdigung der ermittelten Ergebnisse verbietet folglich „eine schematische Betrachtung einzelner Merkmale oder ein rein mathematisches ,Abzählen‘ von Übereinstimmungen“.45VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; vgl. auch OVG NRW, Urt. v. 12.03.2019, BeckRS 2019, 5671 Rn. 50.
Die wertende Gesamtbetrachtung charakterisiert der VGH BW vielmehr überzeugend anhand des gefahrenabwehrrechtlichen Sinnes und Zweckes des § 1 PolVOgH:
„Dementsprechend ist zu prüfen, ob bei der gebotenen Gesamtschau im jeweiligen Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von dem Hund aufgrund seiner rassespezifischen Merkmale eine gesteigerte abstrakte Gefahr ausgehen kann, die es rechtfertigt, ihn den für Kampfhunde geltenden Gefahrenabwehrmaßnahmen der Polizeiverordnung zu unterstellen, solange er nicht durch eine konkret-individuelle Verhaltensprüfung i. S. v. § 1 Abs. 4 PolVOgH unter Beweis gestellt hat, dass er keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren aufweist.“46VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 75.
d) Zur Kampfhundeeigenschaft kraft Rasse und Feststellung im Einzelfall (§ 1 Abs. 3 PolVOgH)
Nach § 1 Abs. 3 PolVOgH kann die Kampfhundeeigenschaft im Einzelfall insbesondere bei Hunden der nachfolgend genannten Rassen sowie deren Kreuzungen untereinander oder mit anderen als den in § 1 Abs. 2 PolVOgH in Bezug genommenen Hunden vorliegen, wenn Anhaltspunkte auf eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren hinweisen. Genannt werden die Rassen Bullmastiff, Staffordshire Bullterrier, Dogo Argentino, Bordeaux Dogge, Fila Brasileiro, Mastin Espanol, Mastino Napoletano, Mastiff sowie Tosa Inu; die Aufzählung ist nach der Regelungstechnik der Vorschrift indes nicht abschließend („insbesondere“), sodass die Einzelfall-Anhaltspunkte auf das Vorliegen einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren den Ausschlag geben.47Vgl. auch Strecker/Thome/Steinhorst (Fn. 9), Rn. 272.
Bei Ausgestaltung des § 1 Abs. 3 PolVOgH geht der Verordnungsgeber davon aus, dass die grundsätzlich höhere abstrakte Gefährlichkeit der in Bezug genommenen Hunde eine behördliche Prüfung bei allen Anlässen oder Anzeichen auf das Vorliegen der Kampfhundeeigenschaft rechtfertigt (Nr. 1.3.1 VwVgH). Daher bedarf es auch keiner Verhaltensprüfung nach § 1 Abs. 4 Pol- VOgH, wenn sich die konkrete Gefährlichkeit eines Hundes dadurch erwiesen hat, dass sein Verhalten einen der Tatbestände des § 2 PolVOgH verwirklicht hat (Nr. 1.3.1 VwVgH).
Anhaltspunkte im Sinne des § 1 Abs. 3 PolVOgH liegen gem. Nr. 1.3.2 VwVgH insbesondere vor bei übersteigertem Dominanz-, Beute- oder Aggressionsverhalten oder anderen Verhaltensweisen, die auf ein besonderes Gefährdungspotenzial hindeuten, weil sie ohne erkennbaren äußeren Anlass oder in einer alltäglichen Situation wiederholt auftreten. Beispielhaft genannt werden das Schnappen nach Dritten, betont aggressives Anknurren und Anbellen Dritter sowie wildes und aggressives Zerren an der Leine oder gefahrbringendes Anspringen oder Verfolgen von Dritten. Anhaltspunkte im Sinne des § 1 Abs. 3 PolVOgH liegen weiter vor bei gesteigerter Aggressivität des Muttertieres gegenüber den Welpen oder der Welpen untereinander. Diese Beispiele der Nr. 1.3.2 VwVgH sind indes nicht abschließend („insbesondere“).
Der Regelbeispielcharakter des § 1 Abs. 3 PolVOgH wird besonders aus einer neueren Entscheidung des VG Freiburg vom 12.05.2020 deutlich.48VG Freiburg, Urt. v. 12.05.2020, BeckRS 2020, 43520; nachfolgend VGH BW, Beschl. v. 15.02.2021, BeckRS 2021, 4363. In dieser Entscheidung hat die Kammer maßgeblich das dem Tatbestand des § 2 Satz 2 Nr. 1 PolVOgH angehörende Merkmal der Bissigkeit herangezogen, um Anhaltspunkte für eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen und Tieren im Sinne des § 1 Abs. 3 PolVOgH im Einzelfall zu begründen.49VG Freiburg, Urt. v. 12.05.2020, BeckRS 2020, 43520 Rn. 44 ff.; gebilligt von VGH BW, Beschl. v. 15.02.2021, BeckRS 2021, 4363 Rn. 12 ff.; vgl. auch VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 28: „Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass der Hund der Antragstellerin als bissig anzusehen sein könnte (vgl. Ziff. 2.1 VwVgH), auch eine gesteigerte Gefährlichkeit des Hundes ist nicht auszuschließen.“ Dabei rekurrierte die Kammer im Rahmen der Konturierung des Merkmals der Bissigkeit auf die ständige Rechtsprechung, wonach ein Hund bereits dann als bissig anzusehen sei, wenn er bereits einmal im Beisein seines Halters oder einer Person, der der Hund überlassen wurde, einen Menschen gebissen hat.50VG Freiburg, Urt. v. 12.05.2020, BeckRS 2020, 43520 Rn. 46; zur ständigen Rechtsprechung siehe nur VGH BW, Beschl. v. 03.03.2015 – 1 S 2402/14 – juris Rn. 4. Die Argumentation der Kammer ist durch die Regelungstechnik des § 1 Abs. 3 PolVOgH gedeckt; eine Verschleifung der Tatbestände des § 1 Abs. 3 PolVOgH und § 2 Nr. 1 PolVOgH ist hierdurch nicht zu besorgen, da § 1 Abs. 4 mit der Verhaltensprüfung im Rahmen des vorrangig zu prüfenden § 1 Abs. 3 PolVOgH ein hinreichend trennscharfes Differenzierungsinstrument bereithält.51Vgl. § 2 PolVOgH: „ohne Kampfhunde gemäß § 1 zu sein“; nach § 1 Abs. 4 Satz 1 PolVOgH wird die Feststellung nach § 1 Abs. 3 PolVOgH regelmäßig auf das Ergebnis der Verhaltensprüfung gestützt.
e) Die Verhaltensprüfung („Wesenstest“, § 1 Abs. 4 PolVOgH)
Die Verhaltensprüfung nach § 1 Abs. 4 PolVOgH bildet regelmäßig die Grundlage für die Entscheidung der Ortspolizeibehörde darüber, ob die Vermutung des § 1 Abs. 2 PolVOgH widerlegt wurde, sowie für die Feststellung der Kampfhundeeigenschaft nach § 1 Abs. 1 oder 3 PolVOgH. Die Entscheidung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 PolVOgH wird von der Ortspolizeibehörde getroffen, in deren Dienstbezirk der Halter seinen Hauptwohnsitz hat oder sich überwiegend aufhält; wird ein Antrag auf Erteilung einer Haltungserlaubnis nach § 3 Abs. 1 PolVOgH gestellt, händigt die zuständige Ortspolizeibehörde dem Antragsteller ein Antragsformular (Anlage 1 a) VwVgH) sowie die Anlagen 1 b) und c) VwVgH aus (Nr. 1.4.1 Abs. 1 VwVgH).
Weitere Einzelheiten zum Verfahrensgang und den Durchführungsmodalitäten der Verhaltensprüfung stellen Nr. 1.4.1 bis Nr. 1.4.3 VwVgH bereit. Zuständig für die Prüfung und die Ausstellung des Prüfungsergebnisses ist das Landratsamt als Kreispolizeibehörde bzw. in Stadtkreisen das Bürgermeisteramt (§ 1 Abs. 4 Satz 2 PolVOgH). Aufgrund des in der Verhaltensprüfung gezeigten Verhaltens wird bescheinigt, dass der Hund zum Zeitpunkt der Prüfung keine Anzeichen einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit aufweist (Nr. 1.4.3 VwVgH).
Für die Ortspolizeibehörde ist das Prüfungsergebnis allerdings dann nicht maßgebend für ihre Entscheidung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 PolVOgH, wenn der Hund zwar die Verhaltensprüfung bestanden hat, der Behörde indes sonstige Erkenntnisse vorliegen, welche die Kampfhundeeigenschaft belegen; in diesem Fall darf die Ortspolizeibehörde dem Halter auch nicht die Bescheinigung über das Bestehen der Verhaltensprüfung aushändigen (Nr. 1.4.4 Abs. 1 VwVgH).52Werden der Ortspolizeibehörde nach bestandener Verhaltensprüfung nach § 1 Abs. 4 PolVOgH und Aushändigung der Bescheinigung sonstige Erkenntnisse bekannt, welche die Kampfhundeeigenschaft belegen, muss die Behörde ihre Entscheidung überprüfen, vgl. Nr. 1.4.4 VwVgH.
Überzeugend hat das VG Freiburg in mehreren Entscheidungen bei der gerichtlichen Kontrolle der Beurteilung der Prüfer einer Verhaltensprüfung nach § 1 Abs. 4 PolVOgH eine Parallele zum prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraum gezogen und einen eingeschränkten gerichtlichen Kontrollmaßstab angenommen.53VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 29; Urt. v. 07.03.2007, BeckRS 2007, 22181. Vergleichbar prüfungsrechtlichen Entscheidungen liegen den Bewertungen im Rahmen einer Verhaltensprüfung (§ 1 Abs. 4 PolVOgH) danach einmalige, nicht wiederholbare Situationen zugrunde, welche von besonders sachkundigen Personen unter Heranziehung eines breiten Erfahrungsschatzes subjektiv beurteilt werden.54VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 29; Urt. v. 07.03.2007, BeckRS 2007, 22181. Insbesondere erlaubt die auf diesem Fachgebiet bereits gesammelte Erfahrung den sachkundigen Prüfern eine vergleichende Beurteilung des jeweiligen Hundes und seines Verhaltens im Verhältnis zu weiteren, bereits in der Vergangenheit beurteilten Hunden.55VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 29; Urt. v. 07.03.2007, BeckRS 2007, 22181. Zu den hieraus abzuleitenden Kontrollmaßstäben hat das VG Freiburg ausgeführt:
„Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Prüfungsrecht sind wertende Prüfungsentscheidungen von den Verwaltungsgerichten nur daraufhin zu kontrollieren, ob die Prüfer die gesetzlichen Vorgaben und allgemein gültigen Bewertungsmaßstäbe beachtet haben, von einem richtigen und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen sind und das Gebot der Sachlichkeit eingehalten haben. Bei prüfungsspezifischen Wertungen steht den Prüfern ein nur eingeschränkt überprüfbarer Bewertungsspielraum zu. Zu diesen Wertungen gehören unter anderem die Entscheidung darüber, welche Fähigkeiten verlangt werden und wie ein Fehler zu bewerten ist, die Gewichtung verschiedener Aufgaben untereinander, die Beurteilung und die Bildung des Vergleichsrahmens der Prüfer. Das Gericht hat hingegen nicht zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall auch eine andere Entscheidung der Prüfer möglich wäre und ggf. den gezeigten Prüfungsleistungen gerechter würde. Erst recht darf es nicht seine eigene Bewertung an die Stelle der Bewertung durch die Prüfer Setzen“.56VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 29; zum Ganzen auch schon Urt. v. 07.03.2007, BeckRS 2007, 22181. Aus der in Bezug genommenen Judikatur zur gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen sind insbesondere zu nennen BVerfG, Beschl. v. 17.04.1991, BVerfGE 84, 34; Beschl. v. 17.04.1991, BVerfGE 84, 59; BVerwG, Urt. v. 09.12.1992, VBlBW 1993, 370; Urt. v. 24.02.1993, BVerwGE 92, 132; Urt. v. 30.06.1994, DVBl. 1994, 1362; siehe zum eingeschränkten gerichtlichen Kontrollmaßstab bei der Kontrolle von Prüfungsentscheidungen im Allgemeinen Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 874 ff.
Mit der auf qualifizierter Sachkunde der Prüfer beruhenden Aussagekraft einer Verhaltensprüfung nach § 1 Abs. 4 PolVOgH hängt auch die weitere Annahme des Gerichts zusammen, wonach ein privates Sachverständigengutachten mangels gewährleisteter Unparteilichkeit und aus Gründen der Vergleichbarkeit regelmäßig nicht geeignet sein dürfte, die Vermutung der Kampfhundeeigenschaft aus § 1 Abs. 2 PolVOgH zu widerlegen.57VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 39. Hierfür spricht auch § 1 Abs. 4 Satz 1 PolVOgH, wonach die Ortspolizeibehörde ihre Entscheidung regelmäßig auf das Ergebnis einer in § 1 Abs. 4 Satz 3 PolVOgH näher konkretisierten amtlichen Prüfung stützt.58So im Ergebnis auch VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 39.
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Entnommen aus Verwaltungsblätter Baden-Württemberg 11/2024, S. 441.
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- 1Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums Ländlicher Raum über das Halten gefährlicher Hunde v. 03.08.2000 (PolVOgH), GBl. 2000, S. 574, zul. geändert durch Art. 8 Polizei-AnpassungsG v. 03.02.2021, GBl. 2021, S. 53; siehe hierzu die Kommentierung von Huttner/Krebs, Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde, Kommentar, PdK Baden-Württemberg, Band K 30 a, Bearbeitungsstand: Juli 2022.
- 2Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz zur Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz über das Halten gefährlicher Hunde (VwVgH) v. 06.08.2018 – 3-1119.5/34-9142.25 – GABl. 2018, S. 430.
- 3Siehe die Beiträge von Caspar, DVBl. 2000, 1580; Gängel, NJ 2020, 340; ders./Gansel, NVwZ 2001, 1208; Gassner, VBlBW 2011, 376; Kunze, NJW 2001, 1608; Wassermann, NJW 2000, 2560.
- 4Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde v. 12.04.2001, BGBl. I, S. 530; siehe hierzu auch Gängel/Gansel (Fn. 3), 1208, 1213; Kunze (Fn. 3), 1608, 1609 und aus der Rechtsprechung BVerfG, Urt. v. 16.03.2004, BVerfGE 110, 141.
- 5Siehe den Überblick bei Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. E Rn. 53 ff.; Pöltl, Polizeirecht Baden-Württemberg, 10. Aufl. 2024, § 9 Rn. 15 ff.
- 6So Gängel/Gansel (Fn. 3), 1208, 1209.
- 7So die Frage bei Wassermann (Fn. 3), 2560, 2560.
- 8Hinzu treten beachtliche weitere Schwierigkeiten im praktischen Vollzug der Polizeiverordnung, wie etwa eine anhaltende Überfüllung der Tierheime.
- 9Diese Systematik des § 1 PolVOgH kommt auch in Nr. 1.1, 1.2 sowie 1.3 VwVgH zum Ausdruck; vgl. auch Strecker/Thome/Steinhorst, Handbuch für Ordnungsämter und Ortspolizeibehörden Baden-Württemberg, 5. Aufl. 2024, Rn. 269.
- 10Siehe etwa Anl. 6 (Merkmale der Phänotypen) zur Verordnung zur Durchführung des Hundegesetzes Sachsen-Anhalt v. 27.02.2009, GVBl. LSA 2009, S. 133.
- 11Hierzu VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 21.
- 12VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 22.
- 13VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 22.
- 14VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 73 f.; so bereits im Urt. v. 16.10.2001, VBlBW 2002, 292; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 22.
- 15VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74, wo insbesondere auf eine nicht zu restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale der „Zugehörigkeit“ sowie der „Kreuzungen“ im Rahmen des § 1 Abs. 2 Pol-VOgH rekurriert wird.
- 16VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563.
- 17VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 20.
- 18VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 20 m. w. N.
- 19VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751.
- 20VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10.
- 21VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10.
- 22Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23.05.1949, BGBl. S. 1, zul. geändert durch Art. 1 ÄndG (Art. 82) v. 19.12.2022 (BGBl. I, S. 2478).
- 23Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten i. d. F. v. 22.10.2010 (BGBl. II, S. 1198), zul. geändert durch 15. EMRK-Protokoll v. 24.06.2013 (BGBl. 2014 II, S. 1034, 1035).
- 24VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10.
- 25LT-Drs. 16/2484 v. 03.08.2017, S. 5: „Die Verordnung hat sich aus Sicht der Landesregierung insbesondere wegen der unter rassespezifischen Gesichtspunkten großen Offenheit bewährt und bietet einen wirksamen Schutz vor Gefahren, die von Hunden der gelisteten Rassen und anderen gefährlichen Hunden ausgehen. Ein Änderungsbedarf für die Pol-VOgH wird derzeit nicht gesehen.“
- 26VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10; zur Verneinung der Voraussetzungen eines belastenden Analogieschlusses hinsichtlich § 1 Abs. 2 PolVOgH durch die Kammer siehe VG Karlsruhe, ebd., Rn. 11; die Fragestellung hinsichtlich der Voraussetzungen eines belastenden Analogieschlusses kann vorliegend nicht vertieft werden.
- 27Siehe für die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen jedoch OVG NRW, Urt. v. 12.03.2019, BeckRS 2019, 5671 Rn. 43; Urt. v. 17.02.2020, BeckRS 2020, 8797, wo für das dortige Landesrecht eine statische Verweisung auf die Rassedefinitionen der kynologischen Fachverbände angenommen wird.
- 28VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2018, BeckRS 2018, 33751 Rn. 10.
- 29So VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 20.
- 30So auch – für einen ähnlich gelagerten bundesrechtlichen Sachverhalt – OVG LSA, Beschl. v. 18.06.2014, BeckRS 2014, 55167 Rn. 6 ff., insbesondere Rn. 9.
- 31Offengelassen daher von VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 23 f.
- 32VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74.
- 33Dazu VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74.
- 34VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; auf dieser Linie bereits das Urt. v. 16.10.2001, VBlBW 2002, 292; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 26; Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 14.
- 35VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 14; hierzu vor dem Hintergrund der Normenbestimmtheit bereits VGH BW, Urt. v. 16.10.2001, VBlBW 2002, 292.
- 36VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 26.
- 37VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; ähnlich für das hessische Landesrecht auch HessVGH, Urt. v. 14.03.2006, NVwZ-RR 2006, 794.
- 38VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 26.
- 39VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 26.
- 40VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; ähnlich OVG LSA, Urt. v. 04.06.2014, BeckRS 2014, 59455.
- 41VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74 f.; vgl. hierzu auch BayVGH, Beschl. v. 02.04.2019, BeckRS 2019, 7297; VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 11.06.2019, BeckRS 2019, 17993.
- 42VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 27.
- 43So das Beispiel bei VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74.
- 44VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74 f.; VG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.2023, BeckRS 2023, 7903 Rn. 27.
- 45VGH BW, Beschl. v. 07.11.2023, BeckRS 2023, 32418 Rn. 29; Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 74; vgl. auch OVG NRW, Urt. v. 12.03.2019, BeckRS 2019, 5671 Rn. 50.
- 46VGH BW, Beschl. v. 04.08.2020, VBlBW 2021, 72, 75.
- 47Vgl. auch Strecker/Thome/Steinhorst (Fn. 9), Rn. 272.
- 48VG Freiburg, Urt. v. 12.05.2020, BeckRS 2020, 43520; nachfolgend VGH BW, Beschl. v. 15.02.2021, BeckRS 2021, 4363.
- 49VG Freiburg, Urt. v. 12.05.2020, BeckRS 2020, 43520 Rn. 44 ff.; gebilligt von VGH BW, Beschl. v. 15.02.2021, BeckRS 2021, 4363 Rn. 12 ff.; vgl. auch VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2020, BeckRS 2020, 15563 Rn. 28: „Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass der Hund der Antragstellerin als bissig anzusehen sein könnte (vgl. Ziff. 2.1 VwVgH), auch eine gesteigerte Gefährlichkeit des Hundes ist nicht auszuschließen.“
- 50VG Freiburg, Urt. v. 12.05.2020, BeckRS 2020, 43520 Rn. 46; zur ständigen Rechtsprechung siehe nur VGH BW, Beschl. v. 03.03.2015 – 1 S 2402/14 – juris Rn. 4.
- 51Vgl. § 2 PolVOgH: „ohne Kampfhunde gemäß § 1 zu sein“; nach § 1 Abs. 4 Satz 1 PolVOgH wird die Feststellung nach § 1 Abs. 3 PolVOgH regelmäßig auf das Ergebnis der Verhaltensprüfung gestützt.
- 52Werden der Ortspolizeibehörde nach bestandener Verhaltensprüfung nach § 1 Abs. 4 PolVOgH und Aushändigung der Bescheinigung sonstige Erkenntnisse bekannt, welche die Kampfhundeeigenschaft belegen, muss die Behörde ihre Entscheidung überprüfen, vgl. Nr. 1.4.4 VwVgH.
- 53VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 29; Urt. v. 07.03.2007, BeckRS 2007, 22181.
- 54VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 29; Urt. v. 07.03.2007, BeckRS 2007, 22181.
- 55VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 29; Urt. v. 07.03.2007, BeckRS 2007, 22181.
- 56VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 29; zum Ganzen auch schon Urt. v. 07.03.2007, BeckRS 2007, 22181. Aus der in Bezug genommenen Judikatur zur gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen sind insbesondere zu nennen BVerfG, Beschl. v. 17.04.1991, BVerfGE 84, 34; Beschl. v. 17.04.1991, BVerfGE 84, 59; BVerwG, Urt. v. 09.12.1992, VBlBW 1993, 370; Urt. v. 24.02.1993, BVerwGE 92, 132; Urt. v. 30.06.1994, DVBl. 1994, 1362; siehe zum eingeschränkten gerichtlichen Kontrollmaßstab bei der Kontrolle von Prüfungsentscheidungen im Allgemeinen Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 874 ff.
- 57VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 39.
- 58So im Ergebnis auch VG Freiburg, Beschl. v. 09.11.2020, BeckRS 2020, 34559 Rn. 39.