02.12.2019

Der Mietendeckel

Ein verfassungsrechtliches Experiment mit teils ungewissem Ausgang

Der Mietendeckel

Ein verfassungsrechtliches Experiment mit teils ungewissem Ausgang

Vieles spricht dafür, dass der Gesetzgeber in Berlin mit dem MietenWoG Bln ein bewusstes Risiko eingeht.     |     Thomas Weißenfels - Fotolia
Vieles spricht dafür, dass der Gesetzgeber in Berlin mit dem MietenWoG Bln ein bewusstes Risiko eingeht. | Thomas Weißenfels - Fotolia

Der Mietwohnungsmarkt ist in vielen Gegenden Deutschlands angespannt. Seit 2015 gilt deshalb die im BGB geregelte Mietpreisbremse in „angespannten Wohnungsmärkten“. Mit Wirkung zum 1. Januar 2019 wurde sie verschärft. Nun soll sie über die ursprüngliche Geltungsdauer von fünf Jahren hinaus verlängert und erneut verschärft werden. Doch viele sehen die Mietpreisbremse als nicht ausreichend an, um den Mietenanstieg zu begrenzen. Daher wird insbesondere in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten und auf Bundesebene die Einführung eines Mietendeckels diskutiert. In Berlin befindet sich der Entwurf des „Gesetz(es) zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln)“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen im Gesetzgebungsverfahren. Im Rahmen des Volksbegehrens #6 Jahre Mietenstopp liegt der „Entwurf eines Gesetzes über die Begrenzung der Miethöhe in Bayern“ vor. Sowohl die SPD als auch die LINKE plädieren für die Einführung eines bundesweiten Mietendeckels.

Die Gesetzgebungskompetenz

Zunächst stellt sich die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz. Denn wie kann es sein, dass einerseits einzelne Bundesländer eine Regelung anstreben, andererseits eine solche auch auf Bundesebene eingeführt werden soll? Verfassungsrechtlich ist der Widerspruch offensichtlich.

Das Grundgesetz geht von der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder aus, Art. 70 Abs. 1 GG. Nur soweit das Grundgesetz die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes regelt oder im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung der Bund von seiner Kompetenz abschließend Gebrauch macht, entfällt die Länderzuständigkeit, Art. 70 Abs. 2 GG. Vor diesem Hintergrund ist entscheidend, unter welchem Kompetenztitel des Grundgesetzes das Mietpreisrecht zuzuordnen ist. Teilweise wird vertreten, dass es sich um den Kompetenztitel Wohnungswesen handele, der im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahr 2006 aus der konkurrierenden Gesetzgebung gestrichen wurde und somit allein in die Länderzuständigkeit fällt. Eine andere Ansicht sieht das Mietpreisrecht als Teil des Bürgerlichen Rechts, das der Bund im Rahmen des sozialen Mietrechts, insbesondere der Mietpreisbremse, abschließend regelt. Eine weitere Ansicht stellt fest, dass das Mietpreisrecht in der Vergangenheit dem Kompetenztitel Wirtschaft unterworfen war, mithin es jetzt nicht dem Wohnungswesen zugeordnet werden kann. Unstreitig ist hingegen unter Rechtswissenschaftlern, dass die Regelungen, die vom Bundesgesetzgeber innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebung abschließend getroffen wurden, nicht durch Landesrecht geändert werden können. Denn gemäß Art. 31 GG bricht Bundesrecht das Landesrecht. In der Folge wird teilweise zwischen den verschiedenen Regelungen des Mietendeckels differenziert. Hierbei stellt man fest, dass selbst die Vertreter der Landesgesetzgebungskompetenz nur das Einfrieren der Mieten gedeckt sehen. Aber selbst dies dürfte fraglich sein, da der Bundesgesetzgeber in einem ersten Entwurf zur Verlängerung und Verschärfung der Mietpreisbremse im Mai 2019 einen Mietendeckel in einem neu einzuführenden Paragraphen regeln wollte. Dieser ist zwar in dem nun vorgelegten Entwurf vom September 2019 nicht enthalten, doch auch die bewusste Nichtausübung stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz dar.


Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass der Mietendeckel formell verfassungswidrig ist, soweit die Gesetze von den Ländern erlassen werden. Allein das reine Einfrieren der Mieten kann gegebenenfalls als Regelung innerhalb des Kompetenztitels Wohnungswesen gewertet werden.

Verhältnismäßigkeit

Doch selbst, wenn die Gesetzgebungskompetenz der Länder zu bejahen wäre, stellt sich die Frage, ob und in welcher Form ein Mietendeckel materiell verfassungsmäßig ist. Hierbei sind die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne des eingesetzten Mittels zu prüfen. Sowohl an die Geeignetheit als auch an die Erforderlichkeit sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen.

Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit muss eine Abwägung der verschiedenen Interessen erfolgen. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seiner Entscheidung zur Mietpreisbremse fest, dass der Gesetzgeber weitgehend in das durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Eigentumsrecht eingreifen darf, je mehr die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Vordergrund steht. Andererseits darf eine gesetzliche Regelung nicht das Eigentum aushöhlen. Vielmehr muss es in seiner Substanz erhalten bleiben und gegebenenfalls zur Deckung der Lebenshaltungskosten dienen können. Diese Voraussetzungen sieht das Bundesverfassungsgericht bei der Mietpreisbremse von 2015 gewahrt, da die gesetzlichen Regelungen an die ortsübliche Vergleichsmiete anknüpfen, sogar einen Aufschlag von 10 % für etwaige Teuerungsraten, beispielsweise die Baukostensteigerung und die Inflation, berücksichtigen und nur für einen begrenzten Zeitraum von fünf Jahren gelten soll(t)en.

Der Gesetzentwurf in Berlin berücksichtigt diese Grundsätze nur unzureichend. Zum einen regelt er neben dem Einfrieren der Mieten zum Stichtag 18. Juni 2019, dem Tag des Senatsbeschlusses, Mietobergrenzen auf Basis des nur um die Reallohnentwicklung fortgeschriebenen Mietspiegels von 2013, die für alle Fälle der Neu- und der Wiedervermietungen gelten. Diese sind lageunabhängig und maximal um insgesamt 1 €/m2 für besondere, gesetzlich definierte Ausstattungsmerkmale zu erhöhen. Die Lage ist nur – und das nicht in ausreichendem Maße – im Rahmen der Mietabsenkungsmöglichkeit relevant. Diese sieht vor, dass Mieten in Bestandsmietverhältnissen abgesenkt werden können, wenn sie mehr als 20 % über den gesetzlich definierten Mietobergrenzen liegen. Modernisierungskosten dürfen bis zu insgesamt 1 €/m2 auf die Miete umgelegt werden unter der Voraussetzung, dass es sich um eine der im Gesetz explizit geregelten Modernisierungsmaßnahmen handelt. Hierzu zählen die Herstellung der Barrierefreiheit, energetische Maßnahmen und solche aufgrund gesetzlicher Verpflichtung. Andere Modernisierungsmaßnahmen sind im Widerspruch zum BGB von der Modernisierungsumlage ausgeschlossen. Für maximal einen weiteren €/m2 sollen Förderprogramme aufgelegt werden. Die vorgesehene Härtefallregelung, die nur dann greift, wenn es sich um Gründe außerhalb des Verantwortungsbereichs des Vermieters handelt, ist nicht umfassend und differenziert genug. Auch das Ausnehmen des Neubaus und die Befristung des Gesetzes auf fünf Jahre ändern an der fehlenden Verhältnismäßigkeit der Regelungen nichts. Allein das Einfrieren der Mieten kann für einen begrenzten Zeitraum die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts erfüllten. Im Übrigen ist das Gesetz materiell verfassungswidrig.

Der Gesetzentwurf in Bayern unterscheidet sich grundlegend. Der Anwendungsbereich ist auf die Gegenden begrenzt ist, die der Mieterschutzverordnung vom Sommer 2019 unterliegen. Die Mieten sollen auf dem aktuellen Stand eingefroren werden. Zudem dürfen Mieten, die unterhalb von 80 % der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, bis zu dieser Grenze angehoben werden. Bei Neuvermietungen darf nur die ortsübliche Vergleichsmiete verlangt werden. Auch die Umlage von Modernisierungskosten ist bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete (nach Modernisierung) erlaubt. Der Mietendeckel soll auf sechs Jahre befristet werden. Zwar könnte die Begrenzung für niedrige Mieten auf 80 % der Vergleichsmiete unverhältnismäßig sein. Jedoch kann das Recht zur Erhöhung einer unterhalb dieser Schwelle liegenden Miete eher unwahrscheinlich zu einer Substanzgefährdung oder zu dauerhaften Verlusten auf Seiten der Vermieter führen, wie vom Bundesverfassungsgericht vorausgesetzt. Das Einfrieren der Mieten ohne Aufschläge kann unter Zugrundelegung der zeitlichen Beschränkung von sechs Jahren verhältnismäßig sein.

Juristische Perspektive

Das MietenWoG Bln wird mit Sicherheit vom Landes- und vom Bundesverfassungsgericht auf seine formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit überprüft. Dies erfolgt entweder im Rahmen einer abstrakten oder einer konkreten Normenkontrolle. Alternativ besteht auch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde, der einstweilige Rechtsschutz hat hingegen wenig Aussicht auf Erfolg. Der Erlass eines Gesetzes, das offenkundig einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung bedarf, ist aus der rechtsstaatlichen Perspektive bedenklich, da vieles dafürspricht, dass der Gesetzgeber hier ein bewusstes Risiko eingeht.

 

Prof. Dr. Karola Knauthe, LL.M. (Innsbruck)

Professur für Immobilienrecht mit den Schwerpunkten Immobilienwirtschaft, Immobiliensteuerrecht und öffentliches Immobilienrecht
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