10.12.2024

Verkünden in Niedersachsen im digitalen Zeitalter

Neuregelungen, Herausforderungen und verfassungsrechtliche Einordnung

Verkünden in Niedersachsen im digitalen Zeitalter

Neuregelungen, Herausforderungen und verfassungsrechtliche Einordnung

Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV

Die Verkündung von Rechtsvorschriften bildet eine strenge Anforderung unterliegende Formalie, die fehleranfällig ist. Verkündungsmängel haben weitreichende Folgen. Der Niedersächsische Landesgesetzgeber hat durch eine Ergänzung des Art. 45 NV und das zeitgleich beschlossene Gesetz über die elektronische Verkündung von Gesetzen und Verordnungen mit Wirkung zum 01.01.2024 den Übergang in die digitale Verkündung vorgenommen. Den niedersächsischen Kommunen steht seit 2021 wahlweise die Möglichkeit der Verkündung in einem gedruckten oder einem elektronischen amtlichen Verkündungsblatt offen, wenn man nicht die örtliche Tageszeitung wählt. Allerdings sah der Niedersächsische Landtag Veranlassung, im Februar 2024 kurzfristig eine Änderung des § 11 NKomVG zur Verkündung in einem gemeinsamen elektronischen Amtsblatt sowie eine Heilungsvorschrift in § 180 Abs. 8 NKomVG zu verabschieden. Der Beitrag stellt die Neuregelungen vor und ordnet sie in den (verfassungs-)rechtlichen Kontext ein.

I. Verfassungsrechtlicher Rahmen

Gesetze, Verordnungen und kommunale Satzungen bedürfen der Ausfertigung und der Verkündung.1 Die Ausfertigung schließt das Rechtsetzungsverfahren ab und umfasst die Herstellung der Urschrift, die Beurkundung der Übereinstimmung des unterzeichneten Rechtsaktes mit den Beschlüssen der gesetzgebenden Körperschaft und nach herrschender Auffassung die Feststellung des verfassungsmäßigen Zustandekommens.2

Als Verkündung eines Gesetzes wird die amtliche Bekanntgabe des Gesetzeswortlauts in dem hierfür vorgesehenen Medium, klassischerweise einem Gesetzblatt in Papierform, verstanden. Die amtliche Verlautbarung in einem staatlich vertriebenen, frei käuflichen Druckwerk soll jedem Interessierten gemäß dem Rechtsstaatsprinzip ermöglichen, sich auf zumutbare Weise verlässlich vom Inhalt der Gesetze Kenntnis zu verschaffen.3 Die Verkündung dient den rechtsstaatlichen Geboten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit über den Inhalt und Umfang des geltenden Rechts.4 Sie ist notwendige Bedingung für die Geltung des Gesetzes.5 Die verfassungsrechtliche Fundierung ist der Grund für den strengen Prüfungsmaßstab der Gerichte bei der Prüfung eventueller Fehler bei der Verkündung.


Die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet. Durch das Gesetz vom 19.12.2022 zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 82)6 wurde Art. 82 Abs. 1 Satz 2 ergänzt, wonach das Bundesgesetzblatt in elektronischer Form geführt werden kann.

Die Parallelvorschrift zu Art. 82 GG in der Niedersächsischen Verfassung, Art. 45 Abs. 1 NV, sah in Satz 1 vor, dass die verfassungsmäßig beschlossenen Gesetze unverzüglich von der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtages auszufertigen und von der Ministerpräsidentin oder dem Ministerpräsidenten im Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden sind. Nach Satz 2 der Norm wurden Verordnungen von der Stelle, die sie erlässt, ausgefertigt und vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet. Der Wortlaut legte nahe, dass es sich um ein Papiermedium handeln muss.7

Abgesehen von der generellen Frage der Zeitgemäßheit einer solchen analogen Gebundenheit forderte die Coronakrise eine erste Abkehr von dieser Form der Verkündung. Die seit dem 27.03.2020 teilweise im Wochentakt erlassenen Coronaverordnungen der Landesregierung8 verlangten nach einem schnelleren Weg der öffentlichen Bereitstellung des beschlossenen materiellen Rechts. Durch eine Ergänzung des § 1 des Niedersächsischen Verordnungs- und Zuständigkeitsgesetzes (NVOZustG) um die neuen Absätze 3 und 49 wurde die Möglichkeit eröffnet, Verordnungen über Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, die auf der Grundlage des § 32 IfSG erlassen wurden (sowie anderer Verordnungen, wenn Gefahr im Verzug war), auf der Internetseite www.niedersachsen.de/verkuendung zu verkünden. Zwar stand eine solche Eilverkündung im Internet der Bereitstellung im Verkündungsblatt in Papierform gleich. Von einer gleichwertigen Verkündungsform konnte mangels verfassungsrechtlicher Ermächtigung für ein solches Vorgehen gleichwohl keine Rede sein. Konsequenterweise verlangte § 1 Abs. 4 Satz 3 NVOZustG das unverzügliche Nachholen einer zusätzlichen Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für solche Eilverkündungen im Internet.

II. Artikelgesetz vom 08.11.2023

Das Gesetz zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung und zur elektronischen Verkündung von Gesetzen und Verordnungen in Niedersachsen10 enthält vier überschaubare Artikel. Artikel 1 ändert Art. 45 der Niedersächsischen Verfassung, Artikel 2 beinhaltet das neue Gesetz über die elektronische Verkündung von Gesetzen und Verordnungen, Artikel 3 ändert das Niedersächsische Gesetz über Verordnungen und Zuständigkeiten und Artikel 4 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes am 01.01.2024.

1. Ergänzung von Art. 45 NV

Dem Art. 45 NV wurde in Absatz 1 folgender Satz 3 angefügt:

„Nach Maßgabe eines Gesetzes können Gesetze und Verordnungen elektronisch ausgefertigt und das Gesetz- und Verordnungsblatt elektronisch geführt werden.“

In dem sich mit dem Inkrafttreten von Gesetzen und Verordnungen befassenden Absatz 3 der Norm wurden in Satz 2 die Worte „an dem das Gesetz- und Verordnungsblatt ausgegeben worden ist“ durch die Worte „an dem sie verkündet worden sind“ ersetzt.

Die Landesregierung wies in der Begründung zum Gesetzentwurf, der zunächst noch nicht die Niedersächsische Verfassung im Titel des Mantelgesetzes führte, darauf hin, mit einer elektronischen Ausfertigung von Gesetzen sei aufgrund des damit verbundenen hohen Planungs- und Umsetzungsaufwandes nicht zu rechnen. Sie nannte als Ziele, den Verkündungsprozess deutlich zu beschleunigen und zu vereinfachen. Sie wies darauf hin, bereits im Jahr 2020 hätten 93,2 Prozent der niedersächsischen Bevölkerung ab zehn Jahren das Internet für private Zwecke genutzt. Es sei daher nicht zu befürchten, dass eine Abkehr von der bisher papiergebundenen Verkündung zu einem Reichweitenverlust führen werde. Durch die beabsichtigte Nutzung einer digitalen Verkündungsplattform würden Rechtsakte des Landes künftig einzeln und damit sehr zeitnah nach der Ausfertigung verkündet.11 Die verfassungsrechtliche Grundlage für diese Ansinnen sollte durch die Ergänzung des Art. 45 NV um einen neuen Abs. 4 gelegt werden.

Dieser angedachten Verortung der Ergänzung folgte der Niedersächsische Landtag nicht. Durch die Anbindung an den Absatz 1 des Art. 45 NV werden nun vielmehr in den Abs. 1 und 2 die systematisch als Teile des Gesetzgebungsverfahrens zusammengehörenden Regelungen zur Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen und Verordnungen gebündelt.12 Die Bestimmungen über das Inkrafttreten in Absatz 3 sind hingegen Teil des normativen Gesetzesinhalts.13 Systematisch wird durch die Verortung in Art. 45 Absatz 1 NV zudem klargestellt, dass die elektronische Ausfertigung und Verkündung auch die Notverordnungen nach Art. 45 Abs. 2 NV erfasst. Die vom Landtag gewählte Formulierung im Singular („das“ Gesetz- und Verordnungsblatt) stellt nach dem Vorbild des Art. 82 Abs. 1 Satz 2 GG zudem klar, dass der einfache Gesetzgeber nicht zur parallelen Führung eines elektronischen und eines papiernen Gesetz- und Verordnungsblattes legitimiert ist, sondern sich zwischen diesen Alternativen entscheiden muss.14

Neben der Ergänzung des Absatzes 1 wurde der Wortlaut des Absatzes 3 des Art. 45 NV modifiziert, der nunmehr wie folgt lautet:

„Jedes Gesetz und jede Verordnung soll den Tag des Inkrafttretens bestimmen. Fehlt eine solche Bestimmung, so treten sie mit dem 14. Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem sie verkündet worden sind.“

Interessanterweise beruht diese Änderung auf einer Anregung der Staatskanzlei im Laufe der parlamentarischen Beratung. Der frühere Wortlaut stellte auf das „Ausgeben“ des Gesetz- und Verordnungsblatts ab, setzte also eine solche Ausgabe voraus, was bei der elektronischen Verkündung aber nicht der Fall ist. Die jetzige Formulierung mit dem Abstellen auf die Verkündung knüpft an den früheren § 2 des NVOZustG an. Durch die Übernahme in den Verfassungstext wurde diese einfachgesetzliche Vorschrift indes entbehrlich (dazu unter II 3). Diese Überlegungen sind nachvollziehbar. Entgegen den Ausführungen im Schriftlichen Bericht15 erschließt sich aber nicht, warum durch diese rein technische Änderung berechtigte Zweifel in der Literatur an der Anwendbarkeit der Reserveregelungen auch auf Notverordnungen nach Art. 44 NV16 erledigen sollen. Die kritischen Stimmen beziehen sich auf die Erstreckung auf Art. 45 Abs. 3 Satz 2 NV: Notverordnungen i. S. v. Art. 44 NV sind materiell nur zulässig, wenn die dort genannten Situationen ein zeitkritisches Handeln der Landesregierung anstelle des Landtages erfordern. Eine 14-Tage-Frist verträgt sich damit nicht, gleichgültig, ob die Verordnung in Papierform oder elektronisch verkündet wird.

2. Niedersächsisches Gesetz über die elektronische Verkündung von Gesetzen und Verordnungen

Durch das Niedersächsische Gesetz über die elektronische Verkündung von Gesetzen und Verordnungen (NGelVerk) betritt der Landesgesetzgeber Neuland. Zentrale Vorschrift ist § 1 Abs. 1 NGelVerk, wonach die beiden Verkündungsblätter Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt und Niedersächsisches Ministerialblatt nach Maßgabe des NGelVerk in elektronischer Form geführt werden. § 1 Abs. 2 NGelVerk normiert abweichend von der bisherigen Rechtslage das Prinzip der Einzelverkündung. Danach wird jedes Verkündungsblatt von der herausgebenden Stelle innerhalb eines Kalenderjahres fortlaufend nummeriert. Die Verkündung von Gesetzen und Verordnungen erfolgt jeweils in einer eigenen Nummer des Verkündungsblattes. Abs. 3 der Vorschrift benennt die Internetseite www.verkuendung-niedersachsen.de als Ort, wo die Gesetze und Verordnungen mit der Verkündung bereitgestellt werden.

Auf die der herausgebenden Stelle obliegenden Pflichten nach dem NGelVerk zur Datierung und Siegelung (§ 2) und zur Speicherung und Archivierung (§ 7) soll hier ebenso wenig eingegangen werden wie auf die Problematik der Löschung personenbezogener Daten (§ 6).

Die elektronischen Verkündungsblätter müssen nach § 3 Abs. 1 NGelVerk dauerhaft verfügbar, jederzeit frei zugänglich sowie unentgeltlich gelesen, gespeichert und ausgedruckt werden können. Die Landesbehörden und die Kommunen sind nach Abs. 2 der Norm verpflichtet, jeder Person auf deren Verlangen eine im Internet bereitgestellte Nummer eines Verkündungsblattes gegen Erstattung der Kosten auszudrucken und zu überlassen. Wer über die aktuelle Gesetzes- und Verordnungsgebung auf dem Laufenden bleiben möchte, hat zudem nach § 5 NGelVerk die Möglichkeit, durch einen unentgeltlichen elektronischen Benachrichtigungsdienst über jede erstmals im Internet bereitgestellte Nummer der Verkündungsblätter und deren Inhalt informieren zu lassen. Ein Quantensprung für alle, die es mit der allgemeinen Zugänglichkeit gesetzlicher Neuregelungen wirklich ernst meinen.

Nach juristischer Lebenserfahrung steht die Länge einer Norm reziprok zu ihrer Verständlichkeit und Anwendung in der Praxis. Die mit Abstand längste Norm des NGelVerk bildet § 4, der sich mit der Notverkündung und der Notbekanntmachung beschäftigt. Die Notwendigkeit einer solchen Norm steht außer Frage. Für einen am Gesetzgebungsverfahren nicht unmittelbar Beteiligten schwer nachvollziehbar ist allerdings schon § 4 Abs. 1 NGelVerk. Danach kann die Verkündung einer Nummer des Verkündungsblattes auf der Internetseite www.niedersachsen.de erfolgen, wenn eine Verkündung auf der Internetseite www.verkuendung-niedersachsen.de nicht möglich ist. Denkbar sind technische Störungen des Internets, bspw. durch gezielte Hackerangriffe. Warum aber eine andere Internetadresse des Landes Niedersachsen davon nicht betroffen sein sollte, erschließt sich nicht auf den ersten Blick.

Das scheint auch der Gesetzgeber zu ahnen und sieht in § 4 Abs. 2 NGelVerk als weitere Notmaßnahme die Verkündung in Papierform vor. Muss auf diese im Einzelnen näher beschriebene Notmaßnahme ausgewichen werden, ist nach § 4 Absatz 2 Satz 4 eine zusätzliche Verkündung unverzüglich nachzuholen, sobald die Bereitstellung auf der Internetseite www.verkuendung-niedersachsen.de wieder möglich ist. Die sechsmalige Nennung der Staatskanzlei im Schriftlichen Bericht17 zu § 4 des NGelVerk lässt auf erhebliche Diskussionen zu diesem Thema im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens schließen.

3. Niedersächsisches Gesetz über Verordnungen und Zuständigkeiten

Da der in Art. 45 Abs. 3 Satz 2 NV beschlossene Verzicht auf die „Ausgabe“ des Gesetz- und Verordnungsblattes nunmehr sämtliche Verordnungen erfasst, wurde § 2 NVOZustG entbehrlich und gestrichen.

III. Verkündung von Rechtsvorschriften durch die Kommunen

1. Rechtslage seit 2021

Für die Verkündung durch die Kommunen bestand zwar bis zum Jahr 2021 bereits die Möglichkeit, alternativ neben der Verkündung in einem amtlichen Verkündungsblatt sowie einer oder mehrerer Tageszeitungen Rechtsvorschriften auch im Internet zu verkünden. Jedoch musste im Falle der Verkündung im Internet nach dem seinerzeitigen § 11 Abs. 3 Satz 2 NKomVG in einer örtlichen Tageszeitung auf die Internetadresse, unter der die Bereitstellung erfolgt ist, nachrichtlich hingewiesen werden (sog. Hinweisbekanntmachung). Insbesondere die schnelle Reaktion erfordernde Rechtsetzung der Coronakrise hat die Reformnotwendigkeit der Verkündungsvorschriften verdeutlicht.18

Der niedersächsische Landesgesetzgeber hat daher im Zuge der NKomVG-Novelle 202119 in § 11 NKomVG nicht nur die streitanfälligen Modalitäten eines gedruckten Amtsblattes klargestellt, sondern insbesondere die digitale Veröffentlichung neu geregelt.20 § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NKomVG sieht seither die Verkündung in einem im Internet bereitgestellten elektronischen amtlichen Verkündungsblatt als gleichberechtigte Alternative zur Verkündung in einem gedruckten amtlichen Verkündungsblatt und zur Verkündung in einer oder mehreren örtlichen Tageszeitungen vor. Damit stellt das Gesetz qualifizierte Anforderungen an die Verkündung im Internet, die nur noch im Rahmen eines elektronischen amtlichen Verkündungsblatts möglich ist, verzichtet aber auf die frühere nachrichtliche Hinterlegung eines Hinweises in der örtlichen Tageszeitung. § 11 Abs. 3 Satz 2 ordnet u. a. die entsprechende Geltung des Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 der Norm für die elektronische Verkündung an, wonach das Amtsblatt die Bezeichnung „Amtsblatt für …“ mit dem Namen der Kommune führen muss, die es herausgibt.

Nach § 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 NKomVG können kreisangehörige Gemeinden und Samtgemeinden durch ihre Hauptsatzung bestimmen, dass ihre Satzungen in dem gedruckten oder elektronischen amtlichen Verkündungsblatt des Landkreises verkündet werden. Mitgliedsgemeinden einer Samtgemeinde können durch ihre Hauptsatzung auch bestimmen, dass ihre Satzungen in dem gedruckten amtlichen oder elektronischen amtlichen Verkündungsblatt der Samtgemeinde verkündet werden. Den Hintergrund dieser Regelungen bildete der Ressourcenmangel gerade kleinerer kreisangehöriger Gemeinden.21

2. Ergänzung des § 11 NKomVG zur interkommunalen Zusammenarbeit

Ließ § 11 Abs. 4 NKomVG die vertikale kommunale Zusammenarbeit im kreisangehörigen Raum bei der elektronischen Verkündung also ausdrücklich zu, war dies horizontal für die Zusammenarbeit zwischen Landkreisen und kreisfreien Städten nicht der Fall.22 Diese Abweichung von der jahrzehntelangen Praxis gemeinsamer gedruckter Amtsblätter23 führte erwartungsgemäß zu Beschwerden aus der Praxis, die auch bei der Herausgabe eines elektronischen Amtsblattes an der Kooperation festhalten wollte.24 Anlässlich der Beratung des Gesetzentwurfs zur Beschleunigung kommunaler Abschlüsse brachten die die Regierung tragenden Fraktionen des Niedersächsischen Landtages am Mittag des Tages vor der abschließen Beratung und Beschlussfassung im federführenden Ausschuss einen Änderungsvorschlag ein, der u. a. eine Änderung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes vorsah, um diese Problematik zu beheben. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat den Änderungsvorschlag nicht inhaltlich geprüft. Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände erklärte, sie sei mit den vorgesehenen Änderungen einverstanden und verzichte insoweit auf eine erneute Anhörung.25 Dies lässt auf eine Vorabstimmung des Entwurfs zwischen den Koalitionsfraktionen, dem Ministerium für Inneres und Sport als zuständigem Ressort der Landesregierung und den kommunalen Spitzenverbänden schließen.

Durch Artikel 2 des Gesetzes zur Beschleunigung kommunaler Abschlüsse sowie zur Änderung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes, des Niedersächsischen Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit, des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes und des Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum Wasserverbandsgesetz26 wurden in § 11 Abs. 4 NKomVG die neuen Sätze 3 und 4 eingefügt. Danach können kreisfreie Städte und Landkreise durch ihre Hauptsatzung bestimmen, dass ihre Satzungen in einem gemeinsamen elektronischen amtlichen Verkündungsblatt verkündet werden. In diesem Fall muss das Verkündungsblatt die Bezeichnung „Amtsblatt für“ mit den Namen der Kommunen führen, die es gemeinsam herausgeben.

3. Heilungsvorschrift in § 180 Abs. 8 NKomVG

Dem Nutzer der Niedersächsischen Kommunalverfassung sei empfohlen, sich nicht nur die „eigentliche“ Norm anzusehen, die den Gegenstand seines Interesses regelt. Oftmals bringt erst ein Blick in die wenig bekannten Übergangs- und Schlussvorschriften einen vollständigen Eindruck. Die dort wenig übersichtlich niedergelegten Ausnahmeregelungen verschaffen nicht nur „Beinfreiheit“ für unvorhersehbare Krisen wie epidemische Lagen und Folgen des Krieges in der Ukraine (§ 182). § 180 NKomVG verhindert in den dort genannten Fällen zum Teil auch Kollateralschäden infolge neuer Rechtsprechung oder Unschärfen des Gesetzes. § 11 NKomVG ist bereits zum zweiten Mal Patient auf der gesetzgeberischen Intensivstation.

Schon durch Art. 6 des Gesetzes vom 11.09.201927 wurde ein neuer Abs. 7 in § 180 NKomVG ergänzt. Anlass dieser Heilungsvorschrift war die Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts,28 dass ein Verkündungsblatt nach damaliger Rechtslage zwingend in ausreichend gedruckter Auflage erscheinen müsse. Angesichts der Tragweite der Entscheidung für die Praxis stellte § 180 Abs. 7 NKomVG klar, für eine vor der Entscheidung des OVG Lüneburg verkündete Satzung sei ein Verstoß gegen § 11 Abs. 2 Satz NKomVG unbeachtlich, wenn diese spätestens zum Zeitpunkt ihrer fehlerhaften Verkündung auf einer Internetseite der Kommune dauerhaft bereitgestellt worden ist und dort dauerhaft bereitgestellt wird.29

Dass nunmehr erneut eine Heilungsvorschrift eingefügt wurde, zeigt, dass es sich nicht um ein theoretisches, sondern ein in der Praxis vorkommendes Problem handelt, mithin von mindestens einer kreisfreien Stadt und einem Landkreis Verkündungen in einem gemeinsamen elektronischen Amtsblatt vorgenommen wurden. Der neu eingefügte § 180 Abs. 8 NKomVG hat folgenden Wortlaut:

„(8) 1Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 oder 2 ist für eine bis zum 10. Februar 2024 verkündete Satzung unbeachtlich, wenn spätestens zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Satzung die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von deren Inhalten durch Bereitstellung auf der eigenen Internetseite oder auf der Internetseite einer anderen Kommune bestand und weiterhin besteht und in der Hauptsatzung die Internetadresse angegeben ist, unter der das Verkündungsblatt eingesehen werden kann. 2Satzungen kreisangehöriger Gemeinden, Samtgemeinden oder Mitgliedsgemeinden von Samtgemeinden, die in ihrer Hauptsatzung eine Verkündung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 oder 2 vorgesehen haben, gelten auch bei einem Verstoß des Landkreises gegen § 11 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 oder 2 als ordnungsgemäß verkündet, wenn spätestens zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Satzung die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von deren Inhalten durch Bereitstellung auf der Internetseite des Landkreises oder der Samtgemeinde bestand und weiterhin besteht.“

Satz 1 betrifft die Landkreise und kreisfreien Städte selbst. Die Heilungswirkung tritt aus rechtsstaatlichen Gründen aber nur ein, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von deren Inhalten durch Bereitstellung auf der Internetseite einer anderen Kommune bestand und weiterhin besteht und in der Hauptsatzung die Internetadresse dieser Kommune angegeben war und weiterhin ist. Satz 2 der Heilungsvorschrift privilegiert ausschließlich kreisangehörige Kommunen. Wenn diese ihrerseits alles Erforderliche für eine rechtswirksame Verkündung unternommen haben, sollen sie nicht unter der Nichteinhaltung von Verkündungsvorschriften durch den Landkreis leiden. Die Regelung sichert die notwendige Transparenz. Erschwernisse für die Nutzerinnen und Nutzer treten nicht ein.30

IV. Niedersachsen auf dem Weg in das digitale Zeitalter

Mit der Umstellung auf die digitale Verkündung ist das Land Niedersachsen für seine Gesetze und Verordnungen einen konsequenten Schritt in das das digitale Zeitalter gegangen. Die ersten Erfahrungen mit der digitalen Verkündung der niedersächsischen Kommunen zeigen, dass auch dieser Weg fehleranfällig ist und daher besonders sorgfältig beschritten werden muss.

Zweifel an der Ausgestaltung einzelner Aspekte des digitalisierten Verfahrens bleiben.31 Das ist keine niedersächsische Besonderheit und gilt auch für verwandte Regelungen zur Digitalisierung. So werden die ebenfalls zum 01.01.2024 in Kraft getretenen erweiterten Möglichkeiten zur digitalen Beteiligung im Verwaltungsverfahren (§§ 27 a bis 27 c VwVfG)32, die u. a. grundsätzlich eine ergänzende Bekanntmachung im Internet als zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung vorsehen (§ 27 a Abs. 1 Satz 1 VwVfG), als Zwischenstand des aktuellen Ringens zwischen möglichst umfassender Digitalisierung von Verwaltungsverfahren einerseits und dem Anspruch zur Gewährleistung flächendeckender rechtssicherer Planungs- und Genehmigungsverfahren bewertet.33 Komplikationen treten auf, wenn das Fachrecht qualifizierte Anforderungen bspw. an die Veröffentlichung von Plänen stellt.34

Das ändert nichts an dem Erfordernis, die Digitalisierung des Verwaltungsverfahrens und die elektronische Verkündung konsequent voranzutreiben. Der niedersächsische Landesgesetzgeber hat bisher die notwendige Geschmeidigkeit gezeigt, auf Probleme zeitnah zu reagieren. Er wird auch weiterhin gefordert bleiben.35

Der Beitrag stammt aus den NdsVBl. Heft 9/2924.

 

Prof. Dr. Hubert Meyer

Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Niedersächsischen Landkreistages und Mitglied der Redaktion der NdsVBl.
n/a