Die Ausweisung von Windenergiegebieten in Sachsen
planungsrechtliche und methodische Vorgaben für eine sachgerechte räumliche Windenergieplanung
Die Ausweisung von Windenergiegebieten in Sachsen
planungsrechtliche und methodische Vorgaben für eine sachgerechte räumliche Windenergieplanung
Die Träger der Regionalplanung und gemäß § 245 e Abs. 5 BauGB auch die Gemeinden sind gehalten, Windenergiegebiete nach § 2 Nr. 1 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes (WindBG) auszuweisen. Nach Maßgabe von § 4 a SächsLPlG hat jeder Regionale Planungsverband für seine Planungsregion bis zum 31. Dezember 2027 mindestens 2,0 % seiner Fläche in Form von Vorranggebieten für Windenergienutzung festzulegen. Dies setzt einen administrativen, aber auch politischen „Kraftakt“ voraus.1 Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die rechtlichen und methodischen Anforderungen und enthält einen Vorschlag für eine sachgerechte räumliche Windenergieplanung durch die Regionalen Planungsverbände.
I. Die gesetzliche Neukonzeption der raumplanerischen Steuerung von Windenergieanlagen
Mit den im Jahre 2022 – im Baugesetzbuch, Raumordnungsgesetz und Windenergieflächenbedarfsgesetz – eingeführten Regelungen hat der Bundesgesetzgeber für die raumplanerische Steuerung von Windenergieanlagen eine grundlegend neue Konzeption aufgesetzt: So ist die neue Rechtslage durch eine Flächenzielvorgabe2, die gesetzliche Entprivilegierung der Windenergieanlagen im Außenbereich (§ 35 BauGB) bei Erfüllung der Flächenziele3 gekennzeichnet und umgekehrt durch eine Öffnung des gesamten Außenbereichs4 für gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierte Windenergieanlagen bei nicht fristgerechter Erfüllung des Flächenbeitragswertes in der jeweiligen Region.
Das frühere Steuerungskonzept der Raumordnungsklausel des § 35 Abs. 3 Satz 2, 3 BauGB („Konzentrationsflächen“; „Darstellungsprivileg“) mit regelmäßig innergebietlicher Vorrang- und außergebietlicher Ausschlusswirkung5 wurde zugunsten einer Positivplanung6 verabschiedet, die unmittelbar keine raumplanerische Ausschlusswirkung herbeiführt (sondern bei Erreichen des Flächenbeitragsziels „lediglich“ eine Entprivilegierung) und folglich auch keine regionsumfassende „Ausschlusskonzeption“ bedingt. Die Erschwerung der Vorhabenzulassung (regelmäßig praktisch: der Ausschluss) ist in diesem Konzept bei rechtsdogmatisch präziser Betrachtung nur mittelbare Folge der Vorrangplanung im Regionalplan (wenn und solange dieser die Flächenziele erreicht und die Feststellung gemäß § 5 Abs. 1 WindBG Bestand hat) im Zusammenwirken mit dem gesetzlichen Entprivilegierungsbefehl (§ 249 Abs. 1 BauGB). Insofern schlägt die Zielausweisung im Regionalplan nicht unmittelbar auf die Vorhabenzulassung durch, wie es das Bundesverwaltungsgericht indessen früher bei der Steuerung von Windenergieanlagen über § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB formulierte. Die Ausweisung von Windenergiegebieten hat somit eine unmittelbare Rechtsfolge, nämlich die Vorrangwirkung innerhalb (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ROG), und mittelbare Folgen, nämlich bei Erreichung des Flächenbeitragsziels innerhalb des Gebiets die gesetzliche Privilegierung der Windenergievorhaben und außerhalb der Gebiete den Wegfall der Privilegierung gemäß § 249 Abs. 1 BauGB. Diese Feststellung ist nicht banal oder gar „formaljuristischer“ Natur. Sie ist vielmehr Ausdruck des Paradigmenwechsels, den der Bundesgesetzgeber bewusst und sehr dezidiert herbeigeführt hat.
Die gesetzliche Entprivilegierung der Windenergieanlagen, die die Regionalplanung gewissermaßen durch Feststellung des Erreichens des Flächenziels „aktiviert“, ist im praktischen Ergebnis freilich der früheren Ausschlusswirkung stark angenähert; ein nicht privilegiertes Vorhaben ist im Außenbereich regelmäßig unzulässig.7 Daran vermag auch § 2 EEG und das darin geregelte überragende öffentliche Interesse nichts zu ändern, da hiermit nicht die Unterscheidung zwischen privilegierten und nicht privilegierten Vorhaben eingeebnet werden sollte.8 Diese Rechtsfolge wird aber nicht mehr durch den Regionalplan gesetzt, sondern ipso iure durch das Bundesgesetz. Dies soll die Entlastung der Regionalplanung9 von dem Erfordernis herbeiführen, die Ausschlusswirkung für das gesamte Plangebiet planerisch zu rechtfertigen, etwa indem – wie von der Rechtsprechung bisher gefordert wurde10 – ein regionales Ausschlusskonzept zu entwickeln war („weiche“ und „harte“ Tabuzonen). Außerdem ist die Nichteinbeziehung einer bestimmten Fläche im Planungsraum unschädlich; es kommt also nicht darauf an, ob und welche sonstigen Flächen im Planungsraum für die Ausweisung von Windenergiegebieten geeignet sind.11
II. Vorgaben für die Planungsmethodik
Weder die Rechtsprechung noch die rechtswissenschaftliche und rechtspraktische Literatur12 (einschließlich der Arbeitshilfen des Bundes13 und des Landes Niedersachsen14) haben die Frage, in welchen konkreten methodischen Schritten die Planung der Windenergiegebiete zu vollziehen ist, bisher im Einzelnen durchdrungen. Auch die Gesetzesmaterialien – insbesondere die Begründung zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/2355)15 – enthalten keine konkreten Vorgaben für die Planungsmethodik. Einige Eckpunkte für die erforderlichen Planungsschritte lassen sich den vorliegenden Materialien, Unterlagen und Kommentierungen sowie Fachpublikationen aber durchaus entnehmen. Im Übrigen verfügen die Planungsträger – in Ermangelung von einschränkenden Vorgaben – über einen weiten Gestaltungsspielraum.
Auszugehen ist zunächst von der Legaldefinition der Windenergiegebiete in § 2 Nr. 1 WindBG als raumordnerische Vorranggebiete16 für die Windenergie und von der Regelung in § 249 Abs. 6 Satz 1 BauGB, wonach die Ausweisung von Windenergiegebieten (§ 2 Nr. 1 WindBG) „nach den für die jeweilige Planungsebenen geltenden Vorschriften“ erfolgt. Die Ausweisung dieser Gebiete wird somit zunächst als Planung eingeordnet und diese ist an die Einhaltung der für die Raumordnungsplanung geltenden Vorschriften für Gebietsausweisungen allgemein gebunden.17 Insofern ist eine Rückkehr zu den grundsätzlichen Anforderungen an die Planung18 gewollt und auch sinnvoll.
1. Flächenbeitragswerte als Paradigma (ohne strikten Durchsetzungsanspruch)
Die Flächenbeitragswerte nach § 3 WindBG19 – hier: 2 % der Fläche der Region – wirken zweifellos in tatsächlicher Hinsicht weitreichend auf die Planungsmethodik ein, jedoch stets in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten. Allein aus den Flächenbeitragswerten ergeben sich keine strikten Bindungen für die Standorte bzw. die Lage der Windenergiegebiete im Planungsraum.20 Insofern ist der Flächenbeitragswert im Prinzip vergleichbar mit dem früher jeweils am Ende des planerischen Prozesses stehenden Gebot, der Windenergie im Außenbereich „substanziell Raum“ zu geben.21 Der Gesetzgeber hat dies nun flächenbezogen-quantitativ kodifiziert und paradigmatisch „vor die Klammer gezogen“.
Hinzuweisen ist darauf, dass die 2 % nach der bundesrechtlichen Konzeption nicht gleichsam „whatever it takes“ auf der Ebene der Regionalplanung erreicht werden müssen, sondern – wenn dieses Ergebnis unter den gegebenen Bedingungen schlechterdings nicht planerisch abwägbar wäre – auch unterschritten werden könnte; dann allerdings um den „Preis“ der Privilegierung der Windenergievorhaben im gesamten Außenbereich der Region. Dass dieses Ergebnis – soweit möglich – abgewendet werden soll und der Regelungsauftrag in § 4 a SächsLPlG insofern auch definitiv ist, bedarf keiner Erläuterung.
2. Ausweisung von Windenergiegebieten und planerische Abwägung
Aus dem Verweis des § 249 Abs. 6 Satz 1 BauGB auf die allgemeinen Anforderungen an Raumplanungen folgt zunächst, dass das Gebot sachgerechter Abwägung (§ 7 Abs. 2 Satz 1 ROG) zu beachten ist. Über das Abwägungsgebot kommen – wie auch sonst bei der Raumplanung – die Grundsätze der Raumordnung (§ 2 ROG) zur Anwendung. § 2 EEG, der ein überragendes öffentliches Interesse am Ausbau der Erneuerbaren Energien postuliert und zugleich eine relative Gewichtungsvorgabe enthält22, vermag die Abwägung nicht obsolet zu machen (Es bedarf einer Abwägung!23) und kann auch nicht alle Raumwiderstände überwinden; insofern ist zu sehen, dass die Flächenziele und die dazu im Windenergieflächenbedarfsgesetz und § 249 BauGB geregelten Maßgaben für den Sektor der Windenergie die abstrakten Vorgaben des § 2 EEG ausformen.24 Dennoch ist § 2 EEG für die planerische Abwägung natürlich von erheblicher Bedeutung.25
Grundsätzlich muss der Abwägungsvorgang die erkennbar berührten Belange ermitteln, sachgerecht bewerten und die erkennbaren Konflikte lösen, wobei der nachgelagerten Vorhabenzulassungsebene die Bewältigung einzelner grundsätzlich als lösbar erkannter Konfliktaspekte anheimgegeben werden kann. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG sind bei der Abwägung auch private Belange zu berücksichtigen. Der Charakter der Raumplanung als zusammenfassende, überörtliche und fachübergreifende Planung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ROG) berechtigt den Planungsträger dazu, das Privatinteresse an der Nutzung der Windenergie auf geeigneten Flächen verallgemeinernd zu unterstellen und typisierend in die Abwägung einzustellen.26 Somit bedarf es also nicht des Nachweises, dass die von der Privilegierung ausgeschlossene Fläche „nachweisbar und konkret“ Gegenstand raumplanerischer Abwägung war.27
Auch wenn es letztlich nicht um die Rechtfertigung des Ausschlusses von Windenergieanlagen im Planungsraum geht, bedarf es schon wegen des gesamträumlichen Charakters der Regionalplanung weiterhin eines „Kriteriensets“, das die Ausschlussgebiete und die Kriterien für eine positive Flächenauswahl steuert28, mithin in der Synthese der für und gegen die Ausweisung eines Windenergiegebiets anzuführenden Kriterien einer planerischen Konzeption.29 Dies bedingt seitens der in ihren Aufgaben berührten Fachbehörden und Träger öffentlicher Belange einer passgenauen Zuarbeit an den Träger der Regionalplanung.30 Die Akademie für Raumentwicklung (ARL) hat jüngst an die Träger öffentlicher Belange und Fachbehörden appelliert, das „Gemeinschaftswerk“ der Flächensicherung für Windenergie dadurch zu unterstützen, dass zeitnah ein Datenaustausch erfolgt, um die Regionalplanungsebene in den Stand zu setzen, möglichst schnell die konfliktarmen Flächen zu identifizieren. Die Regionalplanung sei in besonderer Weise auf bessere Qualität und höhere Geschwindigkeit der „Zulieferung“ durch die Partner angewiesen, was letztlich bedeute die benötigten Daten „zeitgerecht, passgenau und digital“ zur Verfügung zu stellen.31
3. Kategoriale Entscheidung für Vorranggebiete
Durch § 4 a Abs. 2 Satz 2 SächsLPlG ist geklärt, dass die Windenergiegebiete zielförmig durch Vorranggebiete (§ 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ROG) auszuweisen sind. Vorranggebiete sind Gebiete, die für bestimmte raumbedeutsame Funktionen oder Nutzungen vorgesehen sind und andere raumbedeutsame Funktionen oder Nutzungen in diesem Gebiet ausschließen, soweit diese mit den vorrangigen Funktionen oder Nutzungen nicht vereinbar sind. Auch aus der Gesetzesbegründung des Bundes zum Windenergieflächenbedarfsgesetz ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit den Windenergiegebieten eine dauerhafte, wirksame Sicherung der Flächen für die Belegung mit Windenergieanlagen intendierte.32
4. Charakterisierung der Ausweisung von Windenergiegebieten als „Positivplanung“; Ausschluss des Erfordernisses, die geeignetsten Gebiete auszuwählen
In der Gesetzesbegründung, die von den Gerichten später bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Regionalplans als wichtiger Auslegungsaspekt (historische Auslegung, teleologische Auslegung) zugrunde zu legen ist, wird zwar nicht positiv definiert, welche methodischen Schritte bei der Ausweisung von Windenergiegebieten abzuarbeiten sind. Es lassen sich aber Anhaltspunkte gewinnen, dafür, was ggf. nicht bis ins Einzelne zu prüfen ist: Der Verzicht auf ein an Tabuzonen orientiertes Planungskonzept für die gesamte Region und die gesetzgeberisch gewollte Senkung des „Rechtfertigungsdrucks“33 des Plangebers durch Ausrichtung auf eine Positivplanung lassen sich in den Gesetzesmaterialien gut belegen. So heißt es in der Gesetzesbegründung (Einzelbegründung zu § 249 Abs. 2 BauGB) zu den Anforderungen wie folgt:
„Ferner ist künftig nicht mehr erforderlich – und für die Ebene der Flächennutzungsplanung auch nicht mehr möglich –, zur Steuerung der Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 Absatz 1 Nummer 5 BauGB, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, eine Ausschlusswirkung durch Planung zu bewirken. Die Rechtfertigung des Plans soll sich nunmehr auf die positiv für die Windenergie ausgewiesenen Flächen beschränken können. Der Wegfall der Privilegierung folgt direkt aus dem Gesetz, wie Satz 3 klarstellt. Dadurch wird auch ein gesamträumliches Planungskonzept in seiner bisherigen Form, mit dem im Einzelnen auch die Ausschlusswirkung im übrigen Außenbereich gerechtfertigt werden musste und an das deswegen hohe Anforderungen gestellt wurden, künftig nicht mehr erforderlich sein.“34
Weiter ist der Gesetzesbegründung (Einzelbegründung zu § 249 Abs. 6 BauGB) Folgendes dazu zu entnehmen:
„Absatz 6 enthält eine ergänzende Regelung zur Planerhaltung. Sie soll sicherstellen, dass im Rahmen einer gesetzlichen Überprüfung nach der Umstellung auf eine Positivplanung bei Windenergiegebieten keine unangemessen hohen Anforderungen im Hinblick auf eine vergleichende Betrachtung zur Eignung sonstiger Flächen im Planungsraum gestellt werden. Für die Rechtswirksamkeit des Planes soll es ausreichen, dass die diesbezüglich gewählte planerische Methodik sowie das Ergebnis nachvollziehbar sind. Eine bestimmte Planungsmethodik, etwa in Form bestimmter Planungsschritte einer vergleichenden Betrachtung kann nicht verlangt werden.“35
Daraus ist zusammenfassend abzuleiten, dass der Gesetzgeber für die Positivplanung selbst auch ein methodisches Konzept für erforderlich erachtet, dessen Detailliertheit aber im Hinblick auf die sachgerechte Abwägung in Richtung der Evaluierung und Auswahl geeigneter Gebiete reduziert sein kann. An die Stelle des früheren schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzepts tritt damit gleichsam eine willkürfreie, letztlich sachgerechte Abwägung im Hinblick auf die Suche geeigneter Gebiete, in denen Windenergieanlagen Vorrang haben sollen. Dieses Konzept muss auch nicht zwingend auf den gesamten Außenbereich in der Region bezogen sein, wenngleich dieser umfassende räumliche Zugriff sicherlich sinnvoll ist. Das Planungskonzept muss somit leisten, dass nachvollziehbar dokumentiert wird, welche Sachkriterien dafür leitend waren, dass ein bestimmtes Gebiet als Windenergiegebiet mit Vorrangwirkung als geeignet angesehen wurde (Eignungs- und Vorrangbegründung). Es genügt hier die sachliche Nachvollziehbarkeit; die Anforderungen an die Ermittlung der Ausschluss- und Eignungsbelange dürften nicht überspannt werden.36 Nicht belegt werden muss, dass dieses Gebiet einem anderen Gebiet vorgezogen worden ist. Es muss also kein horizontaler Eignungsvergleich durchgeführt werden. Die Eignungsfeststellung hat – da es sich um ein Vorranggebiet handelt – ergänzend zu § 2 EEG aus spezifisch auf die konkrete Situation bezogenen Kriterien heraus zu erfolgen, mithin solchen, die den Vorrang gegenüber anderen in § 2 ROG als Grundsätze der Raumordnung benannten Belangen nachvollziehbar belegen.
Ob dies – innerhalb des Gebiets – iterativ oder deduktiv oder als Mix beider Methoden erfolgt, dürfte ohne Belang sein, solange das schlussendlich ausgewählte Gebiet für die windenergetische Nutzung geeignet ist (keine harten Restriktionen entgegenstehen), willkürfrei und im Übrigen sachgerecht ermittelt worden ist. Ob der Plangeber diese Auswahl ausgehend von den Potenzialflächen durch stufenweise Subtraktion weicher Restriktionsflächen ermittelt hat oder ausgehend von „gegriffenen“ Gebieten – gleichsam addierend – einer positiven Eignungsfeststellung unterworfen hat, dürfte dagegen nicht von entscheidender Bedeutung sein, solange die Vorgehensweise konzeptionell rückgebunden an sachliche, raumbezogene Kriterien erfolgt.
Über die Wirksamkeit des Planes (und den Ausschluss künftiger Pläne mit Höhenbeschränkungen) hinausgehend enthält das Windenergieflächenbedarfsgesetz indes keine spezifischen Anforderungen an die Eignung der als Vorranggebiete ausgewiesenen Flächen.37 Es besteht insbesondere keine Verpflichtung des Planungsträgers, die am besten geeigneten Flächen auszuweisen.38 Im Rahmen der hinter den Flächenbeitragswerten stehenden Flächenanalysen ist „eingepreist“ worden, dass ca. 30 % der ausgewiesenen Flächen sich letztlich als nicht nutzbar erweisen und auf diesen keine Windenergieanlagen errichtet werden.39
Es dürfte allerdings davon auszugehen sein, dass Gerichte zukünftig – wie bisher auch – nachprüfen werden, ob sich die Windenergie innerhalb der ausgewiesenen Flächen regelmäßig und nicht nur im Einzelfall durchsetzen können wird.40 Zwar hat die frühere Rechtsprechung diese Anforderung dem Gebot entnommen, der Windenergie innerhalb der Konzentrationszonen „substanziell Raum“ zu verschaffen und nicht nur eine „Verhinderungs-“ oder „Alibi“-Planung zu betreiben. Da die Rechtsprechung diese Anforderung aus der grundsätzlichen Privilegierung der Windenergieanlagen im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB abgeleitet hatte und es auch kompatibel mit den generellen planerischen Anforderungen an die Eignung von Vorrangausweisungen ist, dürfte diese Anforderung als (innergebietlich-typisierendes) Prüfkriterium fortbestehen.41
Für die Methodik der Ausweisung von Windenergiegebieten ergibt sich daraus Folgendes:
a) Grundsätzlich sollten – als Folge des Abwägungsgebotes42 – im ersten Schritt ungeeignete Standorte ausgeschlossen werden (vormals: „harte Tabuzonen“). Für den Planungsraum außerhalb der Potenzialgebiete bedarf es keiner Untersuchung in der Tiefe, um – wie vormals – zu bestimmen, ob einzelne Flächen als „harte“ oder „weiche“ Tabuflächen auszuschließen sind.43
b) In einem zweiten Schritt ist für die gesamte Region eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und aus den Potenzialgebieten eine Auswahlentscheidung zwischen den nach Zahl und Größe geeigneten Standorten zu treffen, die einerseits das Gewicht der Nutzung der Windenergie als überragend wichtiger Gemeinwohlbelang (§ 2 EEG) – in der Zusammenschau mit den Privateigentümerbelangen – in den Blick nimmt und andererseits die Grundsätze der Raumordnung (§ 2 ROG), also etwa soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische, kulturelle und die Verteidigung betreffende Aspekte, die sich anhand von „weichen“ Restriktionskriterien typisierend abbilden lassen.44 Hier ist zu beachten, dass auch der beschriebene Ausschlussvorgang letztlich nur ein technischer Planungsvorgang ist, der im Ergebnis eine Positivplanung zum Gegenstand hat und intendiert.
c) In einem dritten Schritt ist (ggf. wiederholend) zu prüfen, ob durch Ausschluss einzelner weicher Restriktionskriterien oder durch „Abschwächung“ des Restriktionskriteriums weitere Bereiche für die Windenergie geöffnet werden können. Hierbei wird es sich um Flächen bzw. Kriterien handeln, die bei der jeweiligen Betrachtung unter Abwägung sämtlicher Belange (unter Berücksichtigung der Ausbauziele, § 2 EEG etc.) einer Öffnung für Windenergie zugänglich sind. Dieser Schritt wird insbesondere dann erforderlich sein, wenn der Vorgang im Ergebnis nicht zu einer im Hinblick auf das 2 %-Flächenbeitragsziel „auskömmlichen“ Gebietskulisse geführt hat. Bei der Anwendung des „Kriteriensets“ ist der Plangeber nicht – wie nach früherem Recht – an eine regionsweit einheitliche Vorgehensweise gebunden. Wenn sachliche, raumbezogene Gründe für eine differenzierende Anwendung der Kriterien sprechen, kann es für Teilräume der Gesamtregion vertretbar sein, eine differenzierende Priorisierung bestimmter Ausschlusskriterien vorzunehmen. Dies ist letztlich eine Frage der sachgerechten Analyse, planerischen Bewertung und Abwägungsbegründung.
d) Innerhalb der Windenergiegebiete muss prognostisch davon auszugehen sein, dass sich die Windenergienutzung regelmäßig und nicht nur im Einzelfall durchsetzt.45 Es bedarf einer Verwirklichungsprognose.
5. Anwendungspraktisches Beispiel: Regionalplanung des Regionalverbandes Ostwürttemberg
Aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu raumordnerischen Festlegungen im Zusammenhang mit Vorranggebieten für Windenergie besteht ein gewisser „Erfahrungsvorlauf“ der Regionalplanung in Baden-Württemberg. § 11 Abs. 7 Satz 1 HS 2 LPlG Bad.-Württ. regelte schon vor dem Inkrafttreten des neuen Bundesrechts, dass Standorte für regional bedeutsame Windkraftanlagen nur als Vorranggebiete festgelegt werden können; die gleichzeitige Festlegung von Ausschlussgebieten war nicht möglich. Dementsprechend stellt die Ausweisung entsprechender Vorranggebiete in Baden-Württemberg bereits seit einigen Jahren die raumordnerische Regel dar.
Beispielhaft sei hier etwa die Planung des Regionalverbandes Ostwürttemberg herangezogen. Im Jahr 2014 stellte dieser eine Teilfortschreibung Erneuerbare Energien zum Regionalplan Ostwürttemberg auf (abrufbar unter der Webpräsenz des Regionalverbandes46). Der Regionalverband hatte seinerzeit einen umfassenden, der Planung zugrunde gelegten Kriterienkatalog erarbeitet, im Zuge dessen unterschiedliche Belange jeweils mit unterschiedlichen Unterkategorien identifiziert wurden. Dabei wurde jeweils festgelegt, ob es sich um (restriktive) Ausschlusskriterien, Abwägungskriterien (die zu einem planerischen Ausschluss führen können) und Prüfkriterien (solche, die im Einzelfall jeweils zu prüfen sind) handelt.47 Diese Methodik wird im Wesentlichen nun auch der aktuellen Teilfortschreibung des Regionalplans – Ausbau der Erneuerbaren Energien – zugrunde gelegt (das Infoblatt hierzu ist ebenfalls auf der Webpräsenz des Regionalverbandes abrufbar48). Avisiert ist ein vierstufiges Vorgehen nach folgendem Schema49, das am Ende des Beitrags abgedruckt ist.
Zunächst wurden Eignungskriterien formuliert, mithin Gebiete, die aufgrund bestimmter Eigenschaften in besonderem Maße für den Ausbau der Windenergie geeignet sind. Sodann werden Kriterien definiert, welche aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die Errichtung von Windenergieanlagen ausschließen. Im Anschluss werden Bereiche ermittelt, welche zur Konfliktvermeidung mit anderen Belangen vorsorglich planerisch ausgeschlossen werden. Zuletzt werden Belange definiert, die zwar mit der Windenergie in Konflikt stehen können, aber im Einzelfall der Prüfung zugänglich sind (sog. Prüfkriterien).50 Aus diesen Kriterien hat sich dann die Suchraumkulisse für Vorranggebiete „herauskristallisiert“. Diese Methodik dürfte auch für andere Planungsträger unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Region adaptierbar sein.
III. Zusammenfassung
Die Regionalen Planungsverbände verfügen bei der Ausweisung von Windenergiegebieten über einen weiten (planerischen) Gestaltungsspielraum. Sie sind hierbei an das Gebot sachgerechter Abwägung (§ 7 Abs. 2 ROG) gebunden, was neben der Einbeziehung des § 2 EEG auch die Grundsätze der Raumordnung (§ 2 ROG) mit umfasst. Das 2 %-Ziel macht eine planerische Abwägung nach § 7 Abs. 2 ROG und ein Auswahlkonzept nicht obsolet. Es spricht indes nichts gegen eine kombinierende Methodik, die iterative und deduktive Elemente kombiniert. Insofern können die von den Gemeinden unter Nutzung der Flexibilisierungsklauseln51 ausgewiesenen Windenergiestandorte grundsätzlich übernommen werden.
Auch wenn es schlussendlich nicht um die Rechtfertigung des Ausschlusses von Windenergieanlagen im Planungsraum geht, bedarf es in der Synthese der für und gegen die Ausweisung eines Windenergiegebiets anzuführenden Kriterien einer planerischen Konzeption. Grundsätzlich sollten – als Folge des Abwägungsgebotes (§ 7 Abs. 2 ROG) – im ersten Schritt ungeeignete Standorte ausgeschlossen werden (vormals: „harte Tabuzonen“). In einem zweiten Schritt ist für die gesamte Region eine Bestandsaufnahme zu treffen und aus den Potenzialgebieten eine Auswahlentscheidung zwischen den nach Zahl und Größe geeigneten Standorten zu treffen, die einerseits das Gewicht der Nutzung der Windenergie als überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (§ 2 EEG) – in der Zusammenschau mit den Privateigentümerbelangen – in den Blick nimmt und andererseits die Grundsätze der Raumordnung (§ 2 ROG), also etwa soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische, kulturelle und die Verteidigung betreffende Aspekte, die sich anhand von „weichen“ Restriktionskriterien typisierend abbilden lassen. Hier ist zu beachten, dass auch der beschriebene Ausschlussvorgang nur ein technischer Planungsvorgang ist, der im Ergebnis eine Positivplanung zum Gegenstand hat und intendiert. Insbesondere im Fall, dass dieser Vorgang im Ergebnis nicht zu einer im Hinblick auf das 2 %-Flächenwertziel „auskömmlichen“ Gebietskulisse führt, ist in einem dritten Schritt (ggf. wiederholend) zu prüfen, ob durch Ausschluss einzelner weicher Restriktionskriterien oder durch Abschwächung des Restriktionskriteriums das Flächenbeitragsziel erreicht werden kann. Dabei wird es sich um Flächen bzw. Kriterien handeln, die bei der jeweiligen Betrachtung unter Abwägung sämtlicher Belange einer Öffnung für Windenergie zugänglich sind.
Im Rahmen der Abwägung müsste nicht zwingend für die gesamte Planungsregion ein einheitliches Abwägungskonzept „durchgehalten“ werden; es wäre mit sachlichen Erwägungen durchaus zulässig, für Teile der Region an spezifischen Ausschlusskriterien festzuhalten oder umgekehrt diese zugunsten anderer Ausschlusskriterien zurücktreten zu lassen. Dies ist letztlich eine Frage der Analyse und Begründung.
Entnommen aus den SächsVBl. Heft 8/2024.