Religionsrechtliche Implikationen des nordrhein-westfälischen Bestattungsgesetzes
Herausforderungen und Reformbedarf - Teil 1
Religionsrechtliche Implikationen des nordrhein-westfälischen Bestattungsgesetzes
Herausforderungen und Reformbedarf - Teil 1

Das BestG NRW enthält zahlreiche Vorschriften, die in religionsrechtlicher Hinsicht von Belang sind. Diese Normen oder zumindest ihr herkömmliches Verständnis sind bisweilen kritikwürdig. Das gilt etwa für die Beschränkung der Friedhofsträgerschaft auf korporierte Religionsgemeinschaften (§ 1 Abs. 2), die Beleihung gemeinnütziger religiöser Vereinigungen mit Friedhofserrichtung und -betrieb (§ 1 Abs. 5), den Prüfungsumfang bei Errichtung und Erweiterung kirchlicher Friedhöfe (§ 2), die – der Entwidmung (§ 3 Abs. 2) vorausgehende – Widmung kirchlicher Friedhöfe, die Rechtsnatur kirchlicher Friedhofssatzungen und darauf gegründeter Kirchenrechtsakte (§ 4 Abs. 1), die Festlegung von Grabnutzungszeiten (§ 4 Abs. 2), die Bestattung unter Berücksichtigung des religiösen Empfindens (§ 7 Abs. 2), den hinsichtlich Totgeburten bestehenden Widerspruch zwischen § 14 Abs. 2 (Bestattung) und § 8 Abs. 2 (Verbrennung) und schließlich die Aschenbeisetzung (§ 15 Abs. 5 und 6). Die insofern den Religionsgemeinschaften, namentlich den Kirchen, zukommenden Freiräume sind oftmals größer, bisweilen aber auch kleiner als gemeinhin angenommen.
I. Einführung
Mit dem 2003 in Kraft getretenen und 2014 novellierten Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz, BestG)1 verfügt NRW über eine der fortschrittlichsten Kodifikationen des Friedhofs- und Bestattungswesens in Deutschland. Das vorangegangene „ungewöhnlich emotional beladene Gesetzgebungsverfahren“2 zeugt von gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen in einer „für jedermann bedeutsame[n] Materie“3. Das BestG „bricht […] verkrustete Strukturen auf“4 und belegt damit, dass „sich die Thematik des Friedhofs- und Bestattungswesens dynamisch entwickelt“5: Nunmehr „weht hier ein frischer Wind durch eine Materie, die sich sonst durch ein spezifisches Beharrungsvermögen auszeichnet“.6
Dieser „frische Wind“ zeigt sich gerade auch an den Normen, die religionsrechtlich von Belang sind – sei es für zu Lebzeiten religiös gebundene Verstorbene oder für religiöse Vereinigungen. Die religionsrechtlich bedeutsamen Vorschriften des BestG oder zumindest ihr herkömmliches Verständnis sind indes nicht über jeden Zweifel erhaben. Diesen Zweifeln soll im Folgenden nachgegangen werden – und zwar gerade auch sub specie „kirchliche Friedhöfe“, machen diese doch 40 % des Friedhofsbestands in NRW aus.7 Für die jüdischen Friedhöfe in NRW8 gelten die hier gewonnenen Einsichten mutatis mutandis.
II. „Friedhof“ (§ 1): Begriff und Zweck
§ 1 regelt die Trägerschaft von „Friedhöfen“, ohne zu bestimmen, was ein Friedhof ist und welchem Zweck er dient. Darin unterscheidet sich das BestG NRW von den Friedhofs- und Bestattungsgesetzen fast aller anderen Bundesländer, die den Friedhofszweck wenn nicht explizit, so doch mittelbar regeln (nämlich in den Vorschriften zur Anlegung von Friedhöfen oder in der Ermächtigung zum Erlass von Friedhofssatzungen). Da der Friedhofszweck in NRW nicht normiert ist, greift man insofern für gewöhnlich auf eine Formulierung des Reichsgerichts zurück: Demnach dienen Friedhöfe „der Ermöglichung einer angemessenen und geordneten Leichenbestattung und der dem pietätvollen Gedenken der Verstorbenen entsprechenden würdigen Ausgestaltung und Ausstattung des der Totenbestattung gewidmeten Grundstücks“9. Modern reformuliert: „Der allgemeine Friedhofszweck […] besteht in der geordneten und würdigen Bestattung der Toten, einem ungestörten Totengedenken sowie in der Gewährleistung einer ungehinderten Leichenverwesung innerhalb der Ruhezeiten.“10
Die Nichtregelung des Friedhofszwecks hat die Friedhofspraxis und die Rechtsprechung bislang vor keine großen Probleme gestellt. Gleichwohl erscheint eine Normierung sinnvoll. Denn der Friedhofszweck ist für Friedhofssatzungen maßgeblich (1.) und zudem einem Wandel unterworfen (2.).
1. Friedhofszweck und Friedhofssatzung
Jede Friedhofssatzung hat sich innerhalb der durch den Friedhofszweck gezogenen Grenzen zu bewegen.11 Aus dem Friedhofszweck ergibt sich also der zulässige Inhalt einer Friedhofssatzung.12 Insofern erfahren kommunale und kirchliche Satzungsgeber vom Gesetzgeber keine Hilfestellung. Aus einer Normierung des Friedhofszwecks könnte „immerhin geschlossen werden […], welche äußersten Nutzungsgrenzen für Friedhöfe bestehen“13. Dass Fragen des Friedhofszwecks bei der Lösung von friedhofsbezogenen Nutzungskonflikten eine Rolle spielen,14 zeigt sich insbesondere beim – die Gerichte häufig beschäftigenden – Streit um die Zulässigkeit von Gestaltungsvorschriften. Das Recht des Grabnutzungsberechtigten zur Grabgestaltung darf nur so weit beschränkt werden, als dies der Verwirklichung des Friedhofszwecks dient, der auf eine würdige, die Totenandacht nicht störende Grabgestaltung zielt.15 Gestaltungsvorschriften müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein, um den Friedhofszweck zu verwirklichen.16
Sog. allgemeine Gestaltungsvorschriften beanspruchen Geltung für alle Grabstätten eines Friedhofs und „sind zulässig, wenn und soweit sie durch den Friedhofszweck geboten“ und „erforderlich sind, um eine der Würde des Ortes entsprechende Gestaltung der Grabstätten sicherzustellen und den Friedhofsbenutzern die ungestörte Totenandacht zu ermöglichen“17 (und wenn sie die Leichenverwesung nicht behindern).
Auch die sog. besonderen (synonym: zusätzlichen) Gestaltungsvorschriften, mit denen ein Friedhofsträger rein ästhetische Vorstellungen verfolgt, müssen mit dem Friedhofszweck vereinbar sein und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen.18 Bloße Zweckvereinbarkeit lässt die Rechtsprechung bei kirchlichen Monopolfriedhöfen nicht genügen: „[Es] bleiben dem [kirchlichen] Friedhofsträger strengere Gestaltungsanforderungen, als sie zur Erreichung des unmittelbaren Friedhofszwecks – nämlich einer würdigen, die Totenandacht nicht störenden Grabgestaltung – erforderlich sind, auf sog. Monopolfriedhöfen verwehrt, sofern [dort] nicht gestaltungsfreie Friedhofsflächen vorgesehen oder [andernorts] angemessen zu erreichen sind, auf denen auch eine von den ästhetischen Vorstellungen des Friedhofsträgers abweichende Grabmalgestaltung zulässig ist.“19
Richtet sich die Zulässigkeit satzungsrechtlicher Friedhofsnutzungsregelungen (wie z. B. Gestaltungsvorschriften) daher maßgeblich nach dem Friedhofszweck, so ist es misslich, dass dieser im BestG nicht umschrieben wird. Dieses Desiderat der Gesetzgebung wird durch neuere Entwicklungen noch offenkundiger.
2. Erweiterung des Friedhofszwecks
Herkömmlich und vorrangig dienen Friedhöfe kulturellen Zwecken (scil. würdiger Totenbestattung und pietätvollem Totengedenken) und der Abwehr von Gesundheitsgefahren bei der Leichenverwesung. Hinzu kommen weitere Zwecke bzw. Funktionen, nämlich solche ökologischer, sozialer und kommunikativer Art:20 Friedhöfe sind aufgrund ihrer naturnahen Gestaltung Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten. Als öffentliche Grünanlage ist der Friedhof gemeinhin Ort der Erholung, „gleichsam Ruhestätte im doppelten Wortsinn“21. Hinzutritt dessen Funktion als Ort der Begegnung und Kommunikation. Erholungssuchende und Spaziergänger sind Friedhofsnutzer.22 In deren Handlungsfreiheit darf der Friedhofsträger nur insoweit eingreifen, als dies zur Verwirklichung der – gesetzlich nicht normierten – Friedhofszwecke „öffentliche Grünanlage“ und „Bestattung/Totengedenken“ notwendig ist.23
Der Friedhofszweck „öffentliche Grünanlage“ ist auch gebührenrechtlich von Belang: Die Kosten der Pflege des sog. öffentlichen Grüns darf der Friedhofsträger nicht auf die gebührenpflichtigen Grabnutzungsberechtigten abwälzen. Es ist ebenso üblich wie geboten, diese Kosten bei der Gebührenkalkulation unberücksichtigt zu lassen und aus allgemeinen Haushalts-, d. h. Steuermitteln zu bestreiten.24 Das gilt auch für kirchliche Friedhöfe:25 Die „Finanzierung eines Grünanteils aus […] Kirchensteuermitteln“ mag zulässig,26 ja geboten sein – einfach zu bewerkstelligen ist sie jedoch nicht, wenn und weil die Kirchensteuereinnahmen als Diözesan- oder Landeskirchensteuer27 nicht unmittelbar der den Friedhof betreibenden Kirchengemeinde zufließen. Die den Kommunen, nicht aber den Kirchengemeinden offenstehende, „grünpolitisch“28 motivierte Querfinanzierungsmöglichkeit bewirkt eine gleichheitswidrige Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil kirchlicher Friedhofsträger.29
Wie dem auch sei: Der „Multifunktionalität des Friedhofs“30 muss auch ein kirchlicher Friedhofsträger in seiner Satzung gerecht werden – bis auf Weiteres freilich ohne Hilfestellung durch den Gesetzgeber und ohne befriedigende Finanzierungsmöglichkeit.
III. Gemeindliche Gewährleistungspflicht (§ 1 Abs. 1)
„Die Gemeinden gewährleisten, dass Tote […] auf einem Friedhof bestattet und ihre Aschenreste beigesetzt werden können“ (§ 1 Abs. 1). Diese Gewährleistungspflicht ist subsidiär31 bzw. suspendiert, d. h., sie verlangt nicht nach einer Anlage eines gemeindlichen Friedhofs, wenn und solange es in der Gemeinde einen noch nicht vollständig belegten kirchlichen Friedhof gibt. Ist – nur, aber auch immerhin – ein kirchlicher Friedhof vorhanden, der allen Gemeindeeinwohnern ohne Rücksicht auf ihr Bekenntnis offensteht („Monopolfriedhof“), so ist die Gemeinde nicht verpflichtet, einen eigenen Friedhof anzulegen. Wohl aber wird die Gemeinde im Falle eines entsprechenden kirchlichen Verlangens kommunalpolitisch kaum umhinkommen, sich an den Unterhaltskosten eines defizitären kirchlichen Monopolfriedhofs finanziell zu beteiligen.32
IV. Korporierte Religionsgemeinschaften als Friedhofsträger (§ 1 Abs. 2)
„Gemeinden und Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, dürfen Friedhöfe […] anlegen und unterhalten“ (§ 1 Abs. 2).
1. Die Kirchengemeinde – (k)eine „Religionsgemeinschaft“?
Eine „Religionsgemeinschaft“ (Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG, Art. 14, 19 ff. Verf. NRW) bzw. – synonym – „Religionsgesellschaft“ (Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 ff. WRV) ist nach herkömmlicher Ansicht „ein Verband […], der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst“.33
Katholische wie evangelische Kirchengemeinden vermögen aufgrund ihrer Eingliederung in einen sie beherrschenden Oberverband (Diözese, Landeskirche) die begriffsnotwendige „allseitige Erfüllung“ der bekenntnismäßigen Aufgaben nicht zu leisten oder auch nur zu bezwecken.34 Die Kirchengemeinde als „der zentrale Ort des kirchlichen Wirkens“35 ist zwar zur alltäglichen, aber nicht zur allseitigen Erfüllung der kirchlichen Aufgaben bestimmt.36 Entscheidungen in Fragen von Bekenntnis, Lehre und Grundorganisation obliegen nicht den Kirchengemeinden. Auf der Grundlage des traditionellen Begriffsverständnisses sind – was dessen Anhänger durchweg verkennen37 – Kirchengemeinden keine Religionsgemeinschaften (sondern nur deren „lokale Untergliederungen“38).
Nach dem vorzugswürdigen verfassungsnormgetreuen Begriffsverständnis ist die „Religionsgemeinschaft“ eine – Anhänger einer Religion als Zugehörige umfassende – Vereinigung, deren zentrale und selbst definierte Aufgabe die gemeinschaftliche (nicht aber unbedingt allseitige) Pflege der Religion ist.39 Auch unter Zugrundelegung dieser Begriffsbestimmung sind Kirchengemeinden keine Religionsgemeinschaften: Ihnen mangelt es an der Selbstdefinition der Aufgabe „Religionspflege“.40
Kirchengemeinden, auch soweit sie Friedhofsträger sind, unterfallen demgemäß nicht dem Verfassungsbegriff der „Religionsgemeinschaft“. Wohl aber handelt es sich bei ihnen um „Religionsgemeinschaften“ i. S. v. § 1 Abs. 2: Kirchengemeinden, nicht aber deren Oberverbände (Diözesen, Landeskirchen), sind seit jeher Friedhofsträger und sollen es nach dem Willen des Bestattungsgesetzgebers zweifelsohne auch künftig sein. Sie verfügen auch über den von § 1 Abs. 2 für die Friedhofsträgerschaft geforderten Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“.
Zur Beseitigung dieser terminologischen Friktion zwischen Verfassungs- und einfachem Recht empfiehlt es sich, in § 1 Abs. 2 de lege ferenda von „Religionskörperschaften [des öffentlichen Rechts]“ zu sprechen. Unter diesen Terminus können zwanglos auch Kirchengemeinden und andere kirchliche Friedhofsträger41 subsumiert werden (z. B. Kirchengemeindeverbände,42 Kirchenkreise,43 Friedhofszweckverbände,44 bischöfliche Stühle und Ordensgemeinschaften45).
2. Die Beschränkung der Friedhofsträgerschaft auf Körperschaften des öffentlichen Rechts
a) Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV
Die de lege ferenda vorgeschlagene Verwendung des Terminus „Religionskörperschaft“ in § 1 Abs. 2 kommt zwar bei der de lege lata bestehenden Limitierung der Friedhofsträgerschaft auf Körperschaften in Betracht, nicht aber auf der Grundlage der gegenteiligen und vorzugswürdigen Literaturmeinung: Denn die gesetzliche Beschränkung der Friedhofsträgerschaft von Religionsgemeinschaften auf solche Vereinigungen, „die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind“ (§ 1 Abs. 2), verstößt bei Lichte besehen gegen die Verfassungsgarantie des religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und ist daher verfassungswidrig:46
Anlage und Betrieb von Friedhöfen gehören zu den kircheneigenen „Angelegenheiten“ i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV.47 Kirchliche Friedhöfe sind „Stätten der Verkündigung und der christlichen Auferstehungshoffnung“.48
Dem staatlichen Interesse an einer ordnungsgemäßen Bestattung auf kirchlichen Friedhöfen kann (und muss) im Rahmen der Schrankenklausel des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV hinreichend Rechnung getragen werden. Bei der notwendigen verhältnismäßigen Abwägung zwischen der staatlichen Gemeinwohlverantwortung für das Friedhofswesen einerseits und der kirchlichen Eigenständigkeit andererseits erweisen sich die einschlägigen staatlichen Vorschriften (insbesondere des Bestattungs-, Gesundheits- und Baurechts) durchweg als dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken ziehende „für alle geltende Gesetze“ i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV.49 Das gilt aber nicht für die – unverhältnismäßige – Regelung des § 1 Abs. 2 mit ihrer Beschränkung auf Körperschaften des öffentlichen Rechts: Eine religionsgemeinschaftliche (und auch eine weltliche) Entität ist ungeachtet ihrer Organisationsform zur Errichtung eines Friedhofs befugt, sofern sie nur die Gewähr dafür bietet, den Friedhof entsprechend den „für alle geltenden Gesetzen“ anzulegen und dauerhaft (vgl. § 1 Abs. 5), d. h. für die Dauer der Ruhe- bzw. Verwesungszeit, zu betreiben.50
b) Entkräftung von Gegenargumenten
An dieser Beurteilung vermögen die von den Vertretern der traditionellen Ansicht vorgebrachten Argumente nichts zu ändern: Die in der Gesetzesbegründung enthaltene Feststellung, durch die fragliche Beschränkung des Kreises potenzieller Friedhofsträger werde „der langfristige Bestand von Friedhofsanlagen sichergestellt, [was] bei anderen Trägern […] nicht im gleichen Umfang gewährleistet“ wäre,51 ist eine bloße Vermutung. Sie suggeriert, es bestehe die Möglichkeit, „dass ein privater Wettbewerber das gesamte Friedhofswesen einer Gemeinde übernehmen will oder soll. Die Errichtung und der Betrieb einer alternativen Bestattungsmöglichkeit oder eines einzelnen privaten Friedhofs neben anderen kommunalen und kirchlichen Friedhöfen stellt [indes] keine Gefahr für eine umfassende Gewährleistung eines funktionsfähigen Friedhofswesens dar“.52 Dass „ein Privater sein Handeln in der Regel gewinnorientiert ausrichtet und damit [!] vielfach [!] nicht die Gewähr für den langfristigen Bestand einer Friedhofsanlage bieten kann“,53 mag zutreffen oder auch nicht (z. B. bei einem religiösen Verein). Jedenfalls kann (und muss) jene „Gewähr für […] den langfristigen Bestand“ durch mildere Mittel als das der ausnahmslosen Vorenthaltung der Friedhofsträgerschaft geleistet werden (z. B. durch Grundbucheintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zugunsten der Gemeinde54). Auch ist die Sorge vor einer „Vielzahl von Friedhöfen“ nichtkirchlicher bzw. privater Träger55 angesichts der heute auf etlichen kommunalen und kirchlichen Friedhöfen bestehenden Überkapazitäten und der damit einhergehenden Unwirtschaftlichkeit des Friedhofsbetriebs nicht begründet.
Die Kopplung der Friedhofsträgerschaft an die Innehabung des Körperschaftsstatus kann weder mit dem mutmaßlich auch staatlichen Charakter des kirchlichen Friedhofswesens gerechtfertigt werden56 noch damit, dass kirchliche Friedhofsträger „für eine hoheitliche Aufgabe verantwortlich sind“57: Anlage und Betrieb kirchlicher Friedhöfe sind nicht staatliche, sondern kircheneigene Angelegenheiten (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV) und zudem nicht Ausdruck staatsabgeleiteter Hoheitsgewalt (siehe unten IX. 1).
Am Verdikt der Verfassungswidrigkeit des Körperschaftserfordernisses in § 1 Abs. 2 vermag der Umstand nichts zu ändern, dass nicht korporierten („gemeinnützigen“) Religionsgemeinschaften nach § 1 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 „Errichtung und Betrieb von Friedhöfen“ gemeindlicherseits übertragen werden können. Denn jene Übertragung ermöglicht nicht die Trägerschaft eines Friedhofs und kann zudem von Friedhofsprätendenten nicht beansprucht werden.
c) Konsequenzen
Steht die Verfassungswidrigkeit bereits fest, so muss nicht mehr der – vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW)58 verneinten – Frage nachgegangen werden, ob die durch § 1 Abs. 2 intendierte Beschränkung auch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) privater Friedhofsprätendenten verletzt. Dahingestellt sei zudem, ob die Beschränkung der Friedhofsträgerschaft auf inländische Gemeinden und Religionsgemeinschaften unter Ausschluss von Unternehmen und Religionsgemeinschaften aus dem EU-Ausland gegen die Gewährleistung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 49, 56 AEUV) verstößt.59
Die aus der Verfassungswidrigkeit folgende Teilnichtigkeit des § 1 Abs. 2 dürfte denjenigen Verfechtern des Status quo kein Problem bereiten, die „das überkommene Recht der öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften, in eigener Trägerschaft Friedhöfe anzulegen [und] zu unterhalten“, in Normen wie § 1 Abs. 2 lediglich „bestätigt“ sehen,60 jenen Vorschriften also eine bloß deklaratorische Natur zubilligen.
Wenn und weil (korporierte oder – richtig: – alle) Religionsgemeinschaften (einfachrechtlich oder – richtig: – verfassungsunmittelbar) das Recht haben, im Rahmen des „für alle geltenden Gesetzes“ (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV) eigene Friedhöfe anzulegen und zu unterhalten, ist es den Gemeinden als konkurrierenden Friedhofsträgern im Falle der Existenz eines kirchlichen Friedhofs nicht gestattet, die Benutzung des gemeindlichen Friedhofs durch satzungsförmige Anordnung eines Benutzungszwangs zur Pflicht zu machen.61
V. Leichenhallen kirchlicher Friedhofsträger (§ 1 Abs. 3)
Friedhöfe sollen über Leichenhallen verfügen (§ 1 Abs. 3). Die Anordnung eines Benutzungszwangs für kirchliche (wie auch für kommunale) Leichenhallen ist unzulässig.62 Kirchlichen (auch: Monopol-)Friedhofsträgern fehlt es insofern bereits an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Die in § 4 Abs. 1 Satz 1 ausgesprochene Satzungsermächtigung ist trotz ihres offenen Wortlauts63 nicht hinreichend. Ist man anderer Ansicht, so gilt es festzustellen, dass die Anordnung eines Benutzungszwangs die Berufsfreiheit privater Bestattungsunternehmer, die eigene Leichenhallen betreiben, verletzen würde.64
Der Beitrag stammt aus den NWVBl. Heft 7/2024 und wird fortgesetzt.