Neuordnung der Pfarreistrukturen im Erzbistum Köln
Anforderungen und Grenzen nach kirchlichem und staatlichem Recht
Neuordnung der Pfarreistrukturen im Erzbistum Köln
Anforderungen und Grenzen nach kirchlichem und staatlichem Recht

Angesichts aktueller Planungen zur Auflösung aller im Erzbistum Köln gegenwärtig bestehenden 514 katholischen Pfarreien und deren Zusammenlegung zu weit unter 100 Großpfarreien wird in dem vorliegenden Beitrag untersucht, inwieweit die entsprechende bischöfliche Organisationsgewalt durch das kirchliche und staatliche Recht eingehegt und begrenzt ist. Im Ergebnis verstößt ein im Oktober 2023 durch den Kölner Erzbischof verkündetes Fusionsmodell gegen „Leitplanken des Kirchenrechts”, letztere geschärft im Jahre 2020 durch eine Instruktion der vatikanischen Kleruskongregation. Nicht beachtet wird vor allem, dass auf die spezifische Situation jeder einzelnen Pfarrei abzustellen ist, die Aufhebung einer Pfarrei nur Ultima Ratio sein kann und allgemeiner Priestermangel und Einnahmerückgänge der Kirche keine legitimen Auflösungsgründe sind. Erörtert wird überdies die staatliche Mitwirkung an der Veränderung von Kirchengemeinden als Körperschaften des öffentlichen Rechts unter Beachtung des grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirche und der bis heute noch geltenden Konkordate mit dem preußischen Staat und dem Deutschen Reich. Die beschränkten Handlungsmöglichkeiten des Landes gegen kirchenrechtlich bedenkliche Auflösungsentscheidungen werden aufgezeigt.
A. Einleitung
Die katholische Kirche ist in vielen ihrer deutschen Diözesen massiv dabei, ihre über Jahrhunderte gewachsene örtliche organisatorische Basis de facto zu beseitigen: die Pfarrei. In unterschiedlichen Ausprägungen wird das Ziel verfolgt, deutlich größere pastorale Einheiten zu schaffen angesichts von Priestermangel, starken Mitglieder- und dadurch Einnahmerückgängen sowie schwindender Bereitschaft, sich in der durch Missbrauchsskandale krisengeschüttelten Kirche noch aktiv einzubringen. In den 1970er-Jahre setzten die deutschen Bischöfe zur Bewältigung des schon damals wachsenden Priestermangels zunächst auf die Errichtung von Pfarrverbänden und damit auf eine engere Kooperation rechtlich aber weiterhin selbstständig bleibender Pfarrgemeinden.1 Seit den letzten zehn Jahren wird dieses Konzept jedoch in immer mehr Diözesen aufgegeben und stattdessen die seinerzeit noch verworfene Zusammenlegung von Pfarreien zu Großpfarreien propagiert. Die durchgängig von den Bistumsspitzen ausgehenden „Top-down”-Prozesse treffen allerdings auf ein Kirchenvolk, das – nicht zuletzt bei den noch in Gremien engagierten Gläubigen – diese grundlegende Strukturveränderung vor Ort nicht mehr kritiklos hinnimmt, sondern auf angemessene Beteiligung und Mitsprache pocht. Vor allem in ländlichen Regionen regt sich erheblicher Widerspruch dagegen, die Ortschaften um ihre Pfarrei und damit einen elementaren Bezugspunkt dörflichen Lebens zu entkleiden und sie in Großpfarreien von mitunter 15 und noch mehr ehemals selbstständigen Pfarreien aufgehen zu lassen.
Während in der Diözese Würzburg solche Pläne aufgrund großer Widerstände vor Ort aufgegeben,2 im Bistum Trier bereits beschlossene Großpfarreien 2019 aufgrund Intervention des Vatikans sogar rückgängig gemacht wurden,3 treibt der Kölner Erzbischof Woelki in seinem Sprengel die großräumige Entpfarrlichung unbeirrt voran. Im Oktober 2023 hat er klargestellt, dass er als Ergebnis längerer Beratungen an einer Pfarreistruktur mit einer überschaubaren Zahl von Großpfarreien festhält, auch wenn er als „Kompromisslösung” bereit ist, unter bestimmten Bedingungen als Übergangslösung vereinzelt kleinere Einheiten von dann immer noch meist fünf zusammengelegten ehemaligen Pfarreien hinzunehmen. Er bezeichnet dies expressis verbis als seine Entscheidung,4 und beruft sich damit unausgesprochen auf c. 515 § 2 des Codex Iuris Canonici (CIC), wonach das Recht, Pfarreien einzurichten und aufzuheben, „allein Sache des Diözesanbischofs” ist, nach vorheriger Anhörung des Priesterrats.
B. Katholische Pfarrei und Kirchengemeinde – zwei rechtliche Seiten einer Medaille
Nach c. 515 § 1 CIC ist eine katholische Pfarrei eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche, d. h. einer Diözese, auf Dauer errichtet und deren Seelsorge einem Priester anvertraut ist. Sie besitzt kirchenrechtlich gemäß c. 515 § 3 CIC Rechtspersönlichkeit und ist damit der unterste kirchenrechtlich selbstständige kirchliche Teilverband.5
Das staatliche Recht verwendet in Deutschland nicht den Begriff Pfarrei, sondern denjenigen der Kirchengemeinde. Dies geht einerseits zurück auf bis heute fortgeltende Bestimmungen im Preußischen Konkordat mit dem Heiligen Stuhl von 1929 (Art. 3 Satz 2) und im Reichskonkordat von 1933 (Art. 12 Satz 2, 13 Satz 1).6 Beide Konkordate statuieren ein staatliches Mitwirkungsrecht bei der Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden, und zwar mit der Direktive, dass hierfür entsprechende Richtlinien mit den Diözesanbischöfen zu vereinbaren sind. Auf beide Konkordate fußt in NRW die „Vereinbarung über die staatliche Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung katholischer Kirchengemeinden” vom 21.11.1960.7 Da im Konkordat getroffene Regelungen gemäß c. 3 CIC denjenigen des Codex unbedingt vorgehen,8 ist auch im Geltungsbereich der Konkordate für den kirchlichen Bereich die Gleichsetzung der „Pfarrei” mit der „Kirchengemeinde” rechtlich bindend. Zudem ist das Erzbistum Köln Vertragspartnerin der Mitwirkungsvereinbarung und hat damit durch eigene Rechtsetzung die Terminologie Kirchengemeinde als Konkordatsvorgabe übernommen. Diese war aber auch schon vor den Konkordaten staatlicherseits als Bezeichnung eingeführt, nämlich im bis heute in NRW derzeit noch fortgeltenden preußischen „Gesetz über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens (VVG)” vom 24.07.1924 i. d. F. vom 17.06.2003.9 Auch diesbezüglich hat das Erzbistum Köln die Terminologie Kirchengemeinde in seinen Ausführungsvorschriften hierzu, der „Geschäftsanweisung für die Verwaltung des Vermögens in den Kirchengemeinden und Gemeindeverbänden der Erzdiözese Köln”10, adaptiert.11 Beide Begriffe Pfarrei und Kirchengemeinde sind also hinsichtlich ihres rechtlichen Gehalts identisch.12
Jede katholische Kirchengemeinde ist nach staatlichem Recht, Art. 140 GG i. V. m. Art 137 Abs. 5 Satz 1 WRV, eine selbstständige Körperschaft des öffentlichen Rechts.13 Überdies bekräftigt Art. 13 des Reichskonkordats, dass neben den Bistümern auch die katholischen Kirchengemeinden Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Gemäß § 1 Abs. 1 VVG haben diese einen Kirchenvorstand als vertretungsbefugtes Organ, der außerdem das Vermögen verwaltet. Dabei wird in dieser Bestimmung der Begriff Kirchengemeinde verkürzt auch mit demjenigen der „Gemeinde” gleichgesetzt.14 Und in den §§ 21 bis 27 VVG, die den Zusammenschluss von Kirchengemeinden zu Kirchenverbänden regeln, wird fast durchweg nur der verkürzte Begriff Gemeinde verwendet, einschließlich der Kapitelüberschrift „Gemeindeverbände”. Diese Begrifflichkeit „Gemeindeverbände” verwendet auch die VVG-Geschäftsanweisung des Erzbistums (Art. 7, Art. 24 Abs. 1). Die Gleichsetzung Kirchengemeinde und Gemeinde bedeutet letztlich, dass damit auch die Begriffe Pfarrei und Gemeinde staats- wie kirchenrechtlich bislang gleichbedeutend sind, worauf noch zurückzukommen sein wird. Letzteres zeigt sich obendrein darin, dass im kirchlichen Bereich meist synonym auch die Bezeichnung „Pfarrgemeinde” verwendet wird.15
C. Das Kölner Modell zur Zusammenlegung von Pfarreien
I. Vorarbeiten des „Pastoralen Zukunftsweges”
Schon im ersten Jahr nach Amtsantritt als Kölner Erzbischof initiierte Kardinal Woelki 2015 einen Beratungsprozess, wie die Zukunft der katholischen Kirche in seinem Bistum bis zum Jahre 2030 aussehen soll („Pastoraler Zukunftsweg”). Trotz der Leitidee, Kirche zukünftig viel stärker von der Gemeinde her zu denken und zu leben, schälte sich schon bald die Intention der Bistumsleitung heraus, gerade im Gegenteil den örtlichen Gemeinden elementare Verantwortungsbereiche zu nehmen, insbesondere für das Vermögen und ihre Außenvertretung. Einerseits hieß es: „Wir denken und handeln subsidiär.” Und: „Wir wollen als Kirche nahe bei den Menschen bleiben. Dazu stärken wir das Engagement vor Ort: Pfarreien und Gemeinden verfügen über ein freieres Budget und greifen auf professionelle Beratung zurück.” Andererseits entwickelte man eine neue verklärende Formel von der „Vielfalt der Gemeinden unter dem ‚Dach’ der Pfarrei” und erläuterte diese wie folgt: „Wenn auch bislang oft im gleichen Wortsinn gebraucht, ist bei diesem Ansatz der Gemeinde sachlich die Pfarrei zu unterscheiden: Diese stellt die pastorale Einheit unter Leitung eines Pfarrers dar und ist zugleich Körperschaft öffentlichen Rechts; unter ihrem ‚Dach? kann sich dann die Vielfalt der Gemeinden entfalten.”16 Diese seit 2019 in den Bistumspapieren verfolgte Konzeption unterscheidet also zwischen der Gemeinde und einer Pfarrei, zwei – wie aufgezeigt – nach staatlichem und geltendem kirchlichem Recht nicht unterschiedlich verwendete Bezeichnungen.
II. Bischöfliche Entscheidung zur Errichtung von Großpfarreien
Nach Rückkehr von Kardinal Woelki aus einer vorübergehenden persönlichen Auszeit im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der kirchlichen Missbrauchsskandale war 2022 der Beratungsprozess zu einer Neuordnung der Pfarreistrukturen wieder aufgenommen worden. Mit einer Entscheidung vom 24.10.2023 hat der Kardinal die Beratungen auf Diözesanebene zu einem vorläufigen Schlusspunkt hinsichtlich der anzustrebenden künftigen Strukturen gebracht. Das nunmehr verfolgte Kölner Fusionsmodell knüpft daran an, dass im Erzbistum Köln bereits zum 01.09.2023 formal 67 „Pastorale Einheiten” gemäß c. 374 § 2 CIC als neue seelsorgerische Untergliederungen unter der Leitung eines Leitenden Pfarrers errichtet wurden, ohne allerdings gleichzeitig deren Rechtsform festzulegen.17 Nach dem Willen des Kardinals sollen „alle Pastoralen Einheiten bis Ende 2032 in einem individuell gestalteten, schrittweisen Prozess zu jeweils einer Pfarrei fusioniert werden, die aus vielen lebendigen Gemeinden besteht, in denen der Glaube weiterhin vor Ort gelebt und gefeiert wird”. Wie schon seit Beginn des „Pastoralen Zukunftsweges” wird versichert, „diese Gemeinden werden die maßgeblichen, vom Erzbistum unterstützten Orte des kirchlichen Lebens in den Pastoralen Einheiten sein”.18 Allerdings sei in den Beratungen auch deutlich geworden, dass sich viele Menschen das kirchliche Leben in so großen Strukturen nur schwer vorstellen könnten. Daher solle unter bestimmten Voraussetzungen die alternative Möglichkeit bestehen, als kleinere Variante eine Zusammenlegung nur auf der Ebene der derzeitigen Seelsorgebereiche vorzunehmen, und zwar bis Ende 2030. Diese neu entstehenden, immer noch großen Pfarreien sollen dann in der „Pastoralen Einheit” bis 2032 eine „Pfarreiengemeinschaft” in Form eines Kirchengemeindeverbands als gemeinsamen Rechtsträgers bilden.19 Bei dieser nunmehr auch als „Spurwechsel” bezeichneten abgespeckten Lösung sollen allerdings noch kleinere Zusammenschlüsse als auf Seelsorgebereichsebene nicht zugelassen werden. Eine „Pastorale Einheit”, die heute beispielsweise aus 15 Kirchengemeinden in drei Seelsorgebereichen besteht, würde dann zu einem Kirchengemeindeverband aus drei Großpfarreien werden.
In einem vom Erzbischof unterzeichneten „Statut für die Entwicklung der Pastoralen Einheiten im Erzbistum Köln” vom 24.01.202420 hat die Bistumsleitung hohe Hürden für den „Spurwechsel” aufgestellt. Über einen Antrag auf diese Wechseloption ist danach in der „Pastoralen Einheit” abzustimmen und nicht – was naheläge – in den heutigen Seelsorgebereichen, auf deren kleinerer Ebene nach diesem Alternativmodell eine Zusammenlegung von Pfarreien möglich sein soll. Bei der Abstimmung hat jeder Seelsorgebereich einer „Pastoralen Einheit” drei Stimmen, verteilt auf den Pfarrgemeinderat, die Verbandsvertretung des Kirchengemeindeverbands und das Pastoralteam des Seelsorgebereichs. In deren jeweiligen Gremien ist über das Abstimmungsverhalten Beschluss zu fassen. Erforderlich für die Stellung eines Antrags ist eine Mehrheit von 4/5 der Stimmen, also acht von neun Stimmen.21 Selbst wenn also in einer „Pastoralen Einheit” die Stimmberechtigten von zwei Seelsorgebereichen für eine Zusammenlegung der Pfarreien auf dieser Ebene votieren, in einem dritten hingegen nicht, wäre ein Antrag abgelehnt. Gleichfalls ist bedenklich, dass ein Pastoralteam, wenn es schon auf der Ebene der „Pastoralen Einheit” gebildet ist, eine Sperrminorität hat, also einen Antrag allein verhindern kann. Eine Weisungsfreiheit der pastoral Beschäftigten ist im Übrigen im Statut nicht geregelt. Kommt bis zum 30.06.2025 kein Antrag zustande, bleibt es bei der großen Lösung, also der Errichtung einer einzigen Großpfarrei auf der Ebene der „Pastoralen Einheit”.
III. Das „Aus” für alle 514 bestehenden Pfarreien und die Folgen
Das verkündete Fusionsmodell bedeutet in beiden Varianten die Auflösung ausnahmslos aller aktuell 514 Pfarreien22 im Erzbistum Köln. Das hatte der Diözesanpastoralrat, das gemäß c. 511 CIC zentrale Beratungsgremium des Erzbischofs aus 75 Klerikern sowie haupt- und ehrenamtlichen Laien, mit einem deutlichen mehrheitlichen Votum für das Modell eines „dynamischen Sendungsraums” verhindern wollen. Danach sollte in jeder „Pastoralen Einheit” individuell entschieden werden, entweder nur noch eine zentrale Pfarrei zu bilden oder aber die im Kölner Bistum derzeit bestehenden 177 Seelsorgebereiche23, wie teilweise schon geschehen, zu Kirchengemeindeverbänden aus mehreren Pfarreien auszubauen. Die heutigen Pfarreien sollten nach diesem Modell so lange bestehen bleiben, wie sie lebensfähig und vor Ort gewollt sind, anderenfalls hätte die Fusion mit einer benachbarten Pfarrei, nicht aber eine Fusion des ganzen Sendungsraums erfolgen sollen. In einer vom Kölner Generalvikariat im Frühjahr 2023 durchgeführten E-Mail-Umfrage, adressiert an alle Pastoralen Dienste, Verwaltungsleitungen, Kirchenvorstände, Pfarrgemeinderäte und Ortsausschüsse im Bistum, hatten sich von 122 Rückmeldungen 100 für das Modell des „dynamischen Sendungsraums” und nur fünf für die Bistumsvorgabe „Pfarrei der Zukunft” ausgesprochen. Die restlichen Eingaben sprachen sich fast ausschließlich ebenfalls gegen das Bistumsmodell aus.24
Der Erzbischof ist dem nicht gefolgt, verweist dabei insbesondere auf ein anders lautendes, sein Modell unterstützendes Votum des Kirchensteuer- und Wirtschaftsrats des Erzbistums. Er sieht aber wohl in der jetzt eingeräumten alternativen Möglichkeit, nur die Kirchengemeinden in einem (ein Drittel kleineren) Seelsorgebereich zu einer Pfarrei zu fusionieren, ein Entgegenkommen gegenüber dem Diözesanpastoralrat und anderen kritischen Stimmen. Er spricht wörtlich in seinem Schreiben von einer „Kompromisslösung”. Doch ist dies ein Scheinkompromiss. Es bleibt bei der Auflösung aller derzeit existierenden Kirchengemeinden und der Zwangsfusion zu Großpfarreien; nur die Größenordnungen können, sofern die dafür aufgebauten hohen Hürden überhaupt genommen werden, etwas kleiner ausfallen.
Befremdlich erscheint vor allem der Versuch, die deutliche Reduzierung von ortsnahen Gestaltungsspielräumen mit der Argumentation zu rechtfertigen, die Ortsgemeinden und damit vor allem die dort ehrenamtlich Engagierten von Verwaltungsarbeit und finanzieller Verantwortung zu entlasten und damit Letzteren mehr Zeit für die Mitwirkung im pastoralen und karitativen Bereich zu ermöglichen. Gemeinde vor Ort leben zu können, ist elementar darauf angewiesen, über die dafür notwendigen finanziellen und sächlichen Ressourcen (Kirchengebäude, Pfarrheim, Pfarrbücherei) verfügen zu können. Den Ortsgemeinden soll indes gezielt der Rechtsstatus als Pfarrei und Körperschaft des öffentlichen Rechts genommen, hierdurch die bisherigen gemeindlichen Kirchenvorstände aufgelöst und das bisherige Pfarrvermögen aus der örtlichen Verfügungsgewalt entzogen werden. Die Herabstufung der Pfarrei in eine im Codex nicht vorgesehene „Gemeinde ohne Rechtspersönlichkeit” würde darüber hinaus zwangsläufig recht bald zu einer spürbaren Verringerung der pfarrlichen Sorge für die dortigen Gläubigen führen. Denn wenn keine kanonische Pflicht mehr zur Bestellung eines Priesters und Gewährleistung einer seelsorgerischen Betreuung explizit für diese Teil-„Gemeinde” besteht, den dortigen Gläubigen vielmehr nach dem CIC nur noch eine seelsorgerische Betreuung als Teil einer x-fach zahlenmäßig aufgeblähten Großpfarrei zusteht, können diese Gläubigen einen ortsbezogenen pastoralen Dienst, vor allem eine gemeinsame Feier der Sonntagsmesse in ihrer bisherigen Pfarrgemeinschaft und Pfarrkirche, nicht mehr nach den cc. 528 und 529 CIC einfordern. Zugespitzt: Die Gläubigen und nicht zuletzt hierbei die ehrenamtlich vor Ort Engagierten mutieren zu Antrags- und Bittstellern in überdimensionierten Großpfarreien, deren Verantwortliche in den Gremien mit den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten nur bedingt vertraut sein können und auch eine geringere Bindung hierzu haben. Erreicht wird das Gegenteil des vom Bistum angeblich Gewünschten: keine Stärkung des Engagements, sondern dessen Abbau. Gerade in ländlichen Pfarrgemeinden, die in der Vergangenheit das Rückgrat der katholischen Kirche bildeten, droht ein irreparabler Traditions- und Vertrauensbruch. Die Frage stellt sich, ob der im Erzbistum Köln geplante unnachsichtige Kahlschlag der Pfarreien und die Schaffung von unpersönlichen Großpfarreien mit kirchlichem Recht vereinbar sind.
D. Zur Aufhebung und Zusammenlegung von Pfarreien nach Kirchenrecht
Das Recht eines Diözesanbischofs, Pfarreien zu errichten, aufzuheben oder zu verändern, ist nach dem Wortlaut der Ermächtigungsvorschrift c. 515 § 2 CIC nicht an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, außer an der Einhaltung der Verfahrensvorschrift, vorher den Priesterrat der Diözese zu hören. Zwar schweigt die Vorschrift über die Gründe für eine kirchenrechtlich wirksame Auflösung und Zusammenlegung von Pfarreien, doch ergeben sich diese und damit auch die Grenzen der bischöflichen Gestaltungsmacht aus weiteren kanonischen Bestimmungen sowie aus einschlägigen vatikanischen Dekreten und apostolischen Schreiben, insbesondere der Instruktion der Kongregation für den Klerus „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche” vom 29.06.2020 (Pfarreiinstruktion)25 und den in der deutschen Diskussion bisher kaum beachteten vorangegangenen Verfahrensrichtlinien der Kleruskongregation über die Änderung von Pfarreien.26 Ansonsten hat das höchste vatikanische Gericht als Maxime verkündet, der Diözesanbischof könne „nach seinem klugen Ermessen, aber ohne Willkür vorgehen”.27
I. Ausrichtung der Pfarreistrukturen auf das „Heil der Seelen”
Dass die bischöfliche Befugnis zur Veränderung von Pfarreien nicht völlig frei ausgeübt werden kann, hat bereits das Zweite Vatikanische Konzil 1965 in seinem, vom damaligen Papst Paul VI. verkündeten („promulgierten”) Dekret „Christus Dominus. Über die Hirtenaufgabe der Bischöfe” (Art. 32) festgelegt.28 Darin wird zwar schon den Diözesanbischöfen die später dann in 1983 in Kraft getretene neue CIC-normierte Gestaltungsmacht zugesprochen, wie die gesamte Ausübung ihres apostolischen Amtes sei diese aber auf das „Heil der Seelen” ausgerichtet.29 In der Zusammenschau des Dekrets zielt dies darauf ab, eine so vollkommen wie nur mögliche Seelsorge nahe an den Menschen in dafür adäquaten funktionsfähigen christlichen Gemeinden zu gewährleisten. Seit dem Konzil hat sich die Sichtweise durchgesetzt, dass Pfarreien keine Verwaltungsbezirke, sondern vornehmlich gekennzeichnet sind durch die Gemeinschaft von Gläubigen, was sich auch in c. 515 § 1 CIC widerspiegelt.30 In Ausführungsbestimmungen zu den Konzilsbestimmunen hat Papst Paul VI. dementsprechend – zur Erhaltung lebendiger Gemeinschaften – festgelegt, es seien alle Anstrengungen zu unternehmen, um Pfarreien, in denen die apostolische Tätigkeit wegen der Überzahl der Gläubigen, des zu großen Territoriums oder aus anderen Gründen nur schwer oder weniger wirksam ausgeübt werden kann, angemessen aufzuteilen. Umgekehrt sollten zu kleine Gemeinden zusammengeschlossen werden, sofern die Situation es erfordert und die Umstände es zulassen.31
Daran hat 2004 eine ebenfalls bis heute gültige Vorgabe der vatikanischen Kongregation für die Bischöfe, die in der römischen Kurie für alle deren Angelegenheiten zuständig ist, angeknüpft. In dem Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe „Apostolorum Successores”32, einem bindenden Ausführungsdekret gemäß cc. 31, 32 CIC,33 wird herausgestellt, die diözesane Organisation der Pfarreistruktur müsse sich darum bemühen, „dass die Gläubigen eine wirkliche kirchliche Gemeinschaft bilden können, die sich trifft, um die Eucharistie zu feiern […], und bei der den Hirten eine persönliche Kenntnis der Gläubigen möglich ist, sodass sie ihnen eine beständige pastorale Hilfe gewähren können”. Die pastoralen Strukturen seien den Erfordernissen der Seelsorge anzupassen. Wenn das „Heil der Gläubigen” dazu rate, müsse der Bischof die Teilung von zu großen Pfarreien oder die Vereinigung von kleinen Pfarreien, die Errichtung von neuen Pfarreien oder von Zentren für die Seelsorge für nicht territorial bestimmte Gemeinschaften, wie auch eine völlige Neuorganisation der Pfarreien ein und derselben Stadt in Angriff nehmen. Die Ermöglichung oder die Förderung der Hirtensorge ist also das ausschlaggebende Kriterium; Aspekte der Verwaltung hingegen können keine Grundlage für Strukturveränderungen bieten.34
Den gesamten Beitrag entnehmen Sie unseren NWVBl. Heft 10/2024.