05.09.2019

EuGH kippt Honorarregelungen der HOAI

Europarechtswidrigkeit der Mindest- und Höchstsatzregelungen der HOAI

EuGH kippt Honorarregelungen der HOAI

Europarechtswidrigkeit der Mindest- und Höchstsatzregelungen der HOAI

Europarechtswidrigkeit der Mindest- und Höchstsatzregelungen der HOAI. | © artefacti - stock.adobe.com
Europarechtswidrigkeit der Mindest- und Höchstsatzregelungen der HOAI. | © artefacti - stock.adobe.com

Nachfolgender Beitrag befasst sich zusammenfassend mit der Entscheidung des EuGH; in zwei weiteren Beiträgen in den nächsten Ausgaben des PUBLICUS werden die Entscheidung und deren Auswirkungen vertieft.

 Mindest- und Höchstsatzregelungen der deutschen HOAI verstoßen gegen Europarecht. Zu diesem Ergebnis kommt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 4.7.2019 – Rs. C-377/17. Er hat dazu folgenden Leitsatz formuliert:

„Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. g und Abs. 3 Richtlinie 2006/123/EG verstoßen, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.“


Die Argumentation des EuGH

Der EuGH führt aus, dass Honorar-Mindestsätze grundsätzlich dazu beitragen können, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu gewährleisten. Dieses Ziel werde in der HOAI aber nicht in der erforderlichen kohärenten Weise erreicht, weil die Planungsleistungen außer von Architekten und Ingenieuren auch von anderen, nicht reglementierten Dienstleistungsanbietern erbracht werden können, die keine entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen haben. Der EuGH verneint aus diesem Grund die Zulässigkeit der Mindestsatzregelungen. Die Honorar-Höchstsätze hält der EuGH für europarechtswidrig, weil weniger einschneidende Maßnahmen möglich sind, z. B. könnten den Auftraggebern Preisorientierungen für die verschiedenen von der HOAI genannten Kategorien von Leistungen zur Verfügung zu gestellt werden.

Handeln des Gesetzgebers geboten

Der Gesetzgeber ist nach dem Urteil des EuGH verpflichtet, die HOAI so zu gestalten, dass die Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 (Dienstleistungsrichtlinie) erfüllt werden. Nach dem Urteil des EuGH kommen insbesondere folgende sechs Maßnahmen in Betracht:

Der Gesetzgeber verzichtet generell auf Preisvorgaben und preisgestaltende Regelungen. Er gibt den Vertragsparteien lediglich Hinweise zu häufigen Leistungsbildern, um effektive Leistungsbeschreibungen als Kernelemente der Planungsverträge mit Architekten, Ingenieuren und Projektsteuerern sicherzustellen.

Die Verbindlichkeit der bisherigen preisgestaltenden Regelungen wird aufgegeben. Wie schon jetzt für Besondere Leistungen und für Beratungsleistungen werden den Vertragsparteien lediglich unverbindliche Preisempfehlungen vorgeschlagen.

Das Erbringen von Planungsleistungen wird bestimmten, speziell qualifizierten Berufsständen vorbehalten. Damit wird die vom EuGH im Bereich der Mindestsätze gerügte Inkohärenz der deutschen Regelung – der der in diesem Bereich allein ausschlaggebende Grund für die Stattgabe der Klage war – beseitigt (Randnummern 92 und 93 des EuGH-Urteils).

Der Gesetzgeber stellt, insbesondere hinsichtlich hoher Honorare wie von der Kommission und vom EuGH angesprochen , Preisorientierungen für die verschiedenen in der HOAI genannten Kategorien von Leistungen zur Verfügung (Randnummer 95 des EuGH-Urteils).

Der Gesetzgeber entwickelt ein Modell, in dem statt von einem Mindestsatz von einem Regelsatz ausgegangen wird. Dieser Regelsatz könnte und sollte die bisherigen Mindestsätze aufgreifen. Möglich wäre es zu regeln, dass von ihm durch Vereinbarung abgewichen werden kann, wenn dies aufgrund nachvollziehbarer Umstände angemessen ist, z. B. in der Höhe nach oben bei besonders schwierigen Planungsleistungen oder nach unten bei Linienbauwerken.

Gegebenenfalls findet der Gesetzgeber – nach Anhörung der Kammern und Verbände – weitere Möglichkeiten, die Ziele des Art. 15 der Richtlinie 2006/123 zu erreichen. Das Handeln des Gesetzgebers bleibt abzuwarten.

Auswirkungen des Urteils auf bestehende Verträge

Unmittelbare Auswirkungen auf das Honorar bestehender Verträge hat das Urteil des EuGH nicht, denn die Dienstleistungsrichtlinie hat keine direkte Wirkung zwischen privaten Parteien. Allerdings ist das nationale Recht in einer derartigen Konstellation möglichst europarechtskonform anzuwenden. In der Zusammenschau bedeutet das: Bei den bisherigen Verträgen bleibt es bei dem vereinbarten Honorar unabhängig davon, ob es gesamtvertragsbezogen unter dem Mindestsatz oder über dem Höchstsatz der HOAI liegt. Die Auftraggeber können demzufolge nicht mehr geltend machen, es liege eine unzulässige Höchstsatzüberschreitung vor. Die Planer können sich nicht mehr auf eine unzulässige Mindestsatzunterschreitung berufen. Ist z. B. die Honorarzone zu niedrig, bleibt es dennoch bei dieser. Ist im Vertrag der Mittelsatz vereinbart, muss dieser bezahlt werden. Muss der Vertrag angepasst werden, gilt hinsichtlich der neu zu vereinbarenden Leistungen und deren Honorierung Vertragsfreiheit.

Haben die Vertragsparteien bei Auftragserteilung keine schriftliche Honorarvereinbarung getroffen, könnte die Auffassung vertreten werden, über § 7 Abs. 5 HOAI, der nicht Gegenstand der EuGH-Entscheidung war, werde fingiert, dass die HOAI-Mindestsätze vereinbart seien. Da § 7 Abs. 5 HOAI jedoch auf den vom EuGH zitierten § 7 Abs. 1 HOAI verweist, der die vom EuGH verworfene Mindestsatzregelung enthält, erscheint dieser Weg nicht gangbar. Vielmehr ist eine fehlende Honorarvereinbarung nun – ohne Bindung an die vom EuGH verworfenen Mindestsätze – nachzuholen. Einigen sich die Vertragsparteien nicht, wird man zum Mindestsatz gelangen, aber nicht über § 7 Abs. 5 HOAI, sondern über § 650q Abs. 1 i. V. mit § 632 Abs. 2 BGB, der auf den Gesichtspunkt der üblichen Vergütung abstellt.

Haben die Parteien eine stufenweise Auftragserteilung vereinbart, wonach der Auftraggeber über die beauftragten Leistungen hinaus weitere Leistungen abrufen kann, so ist zu differenzieren. Ist für diese Leistungen ein Preis bereits vereinbart, so gilt dieser fort. Ist ein Preis noch nicht vereinbart, obliegt es den Parteien, ohne Bindung an die Mindestsätze über die Honorarhöhe zu verhandeln.

Auswirkungen des Urteils auf künftige Verträge

Der EuGH hat die Regelungen der HOAI nicht insgesamt, sondern nur den Bereich der verbindlich vorgegebenen Mindest- und Höchstsätze für europarechtswidrig erklärt. Die Vertragsparteien können z. B. zur Leistungsbeschreibung weiterhin auf die Leistungsbilder der HOAI Bezug nehmen. Hinsichtlich des Honorars müssen die öffentlichen Auftraggeber bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Gesetzgeber neue Regelungen erlassen hat, in Vergabeverfahren darauf achten, dass sie die Einhaltung der Mindest- und Honorarhöchstsätze nach HOAI nicht verlangen dürfen. Die öffentlichen Auftraggeber können im Rahmen ihrer Ausschreibung aber vorgeben, dass das Honorar zwecks Vergleichbarkeit entsprechend der HOAI-Methodik angeboten wird. Sie sollten dabei klarstellen, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI unter- oder überboten werden können.

Die Honorare sollten möglichst von Anfang an betragsmäßig bestimmt oder bestimmbar vereinbart werden. Unzulässig ist es, bei der Vergabe von Architekten- oder Ingenieurleistungen ein Angebot allein deshalb abzulehnen, weil es unterhalb der Mindestsätze oder über den Höchstsätzen liege.

Da der EuGH seine Entscheidung auf die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit stützt, gelten seine Ausführungen auch für alle Verträge über Architekten- und Ingenieurleistungen unterhalb der EU-Schwellenwerte.

 

Michael Stemmer

Direktor a.D. beim Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband, München
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