02.09.2019

„digitale gesellschaft. digitale staedte.“

Rückblick auf den BAYERISCHEN STÄDTETAG 2019 in Augsburg

„digitale gesellschaft. digitale staedte.“

Rückblick auf den BAYERISCHEN STÄDTETAG 2019 in Augsburg

© Bayerischer Städtetag
© Bayerischer Städtetag

Am 10. und 11. Juli 2019 tagte der BAYERISCHE STÄDTETAG 2019 in Augsburg. Die Jahrestagung stand unter dem Titel „digitale gesellschaft. digitale städte.“ Der Bayerische Städtetag weist damit auf einen Veränderungsprozess in der Gesellschaft und in den Städten hin, der von vielen ExpertInnen als die vierte große Medienrevolution nach dem Erlernen der Sprache, der Entwicklung der Schrift und der Erfindung des Buchdrucks begriffen wird: Die Digitalisierung.

Mitten in einer Medienrevolution

Der Tagungstitel zeigt auf, dass der digitale Wandel zu allererst eine gesellschaftliche Entwicklung ist. Smartphones, Tablets, Online-Shopping, Twitter und Instagram beschleunigen unser Leben. Sie können unsere Lebensführung verbessern. Sie machen unser Leben aber auch komplexer. Die Einfachheit und Schnelligkeit der privaten Lebensführung wird schnell als Erwartungshaltung an die Städte und Gemeinden adressiert. Sie treibt die Städte zum Wandel und zur Implementierung smarter und digitaler Dienste.

Der Tagungstitel bringt auch zum Ausdruck, dass die Städte bereit sind, sich zu verändern. Nicht überall und nicht um jeden Preis: Die Digitalisierung darf keinen Menschen zurücklassen, und: Bisweilen hören Verwaltungen den Vorwurf, schwerfällig zu sein. Andererseits rechtfertigt diese Schwerfälligkeit – oder anders ausgedrückt „Sorgfältigkeit“ – das den Kommunalverwaltungen entgegengebrachte Vertrauen und deren Verlässlichkeit.


Tatsächlich befinden wir uns mitten in einer Medienrevolution. Es finden sich auch Parallelen zur Vergangenheit. Mit der Entwicklung der Sprache ließen sich Informationen in einer Gruppe leichter und schneller austauschen. Die Einführung der Schrift machte Informationen auch Personen zugänglich, die nicht im Augenblick der Äußerung zugegen waren. Durch die Erfindung des Buchdrucks konnten in bislang nicht gekannter Eile die Informationen vervielfältigt werden und einer breiten Masse zur Verfügung gestellt werden. Die Entwicklung des Smartphones und Tablets bildet die Grundlage für soziale Medien und für einen physisch unbeschränkten Austausch von Informationen und Meinungen.

Und wie beim Buchdruck werden die Vorzüge eines unlimitierten Informations- und Meinungsaustausches mit Sorgen und Ängsten begleitet: Wer garantiert die Echtheit einer Information, die (früher) in einem Druckwerk vervielfältigt wurde oder (heute) auf Twitter, Instagram und Co gepostet werden? Wie dämmt man die Gefahr von demokratie- und staatsfeindlichen Hetzschriften ein?

Der Digitale Wandel ist zu komplex, ihn in der ganzen Bandbreite zu erfassen oder ihn in Konzepte und Pläne zu packen. Der Digitale Wandel fordert weit mehr als die Erfindung des Buchdrucks Kreativität und Gestaltungswillen. Und den Mut, gelegentlich zu scheitern (Trial and error).

In einem Fachprogramm auf vier Themenstationen zum Digitalen Rathaus, zur Digitalen Schule, zur Digitalen Mobilität und zur Digitalen Gesundheit und Pflege haben knapp dreißig Aussteller einen kleinen Ausschnitt der technischen Möglichkeiten präsentiert, die bereits heute auf dem Markt sind. Der Chefredakteur der c´t, Dr. Jürgen Rink, warnte in seinem Fachvortrag „Die digitale Revolution steht noch bevor!“. Prof. Dr. Sami Haddadin, der die Tagungsrede hielt, ist ein international anerkannter Experte in den Bereichen der Robotik und Maschinenintelligenz. Er steht stellvertretend für die Innovationskraft der Wissenschaft und Wirtschaft und die schnell fortscheitenden technischen Möglichkeiten.

Städte müssen ein richtiges Maß finden zwischen Entschleunigung und Beschleunigung von Kommunikationsprozessen

Scheinbar im starken Kontrast stehen die Städte und Gemeinden mit ihren papierlastigen Verwaltungsvorgängen, mit beschränkten Öffnungszeiten und der allseits zitierten Bürokratie: Wenn ein Auto mit einem Klick gekauft werden kann, warum funktioniert das nicht bei der Zulassungsstelle? Wenn eine Anmeldung bei Facebook bequem vom Sofa erfolgen kann, warum klappt das nicht bei der Stadt? Warum sind Stadtplatz, ÖPNV und Stadtbibliothek nicht so intelligent vernetzt wie mein Wohnzimmer?

Die Einfachheit und Schnelligkeit der Lebensführung der „digitalen gesellschaft“ weckt Erwartungen an die „digitalen städte.“ Aber: Städte müssen ein richtiges Maß finden zwischen Entschleunigung und Beschleunigung von Kommunikationsprozessen mit den Bürgerinnen und Bürgern, zwischen der notwendigen Offenheit gegenüber neuen Technologien und der gebotenen Zurückhaltung einer seriösen und verantwortungsvollen Verwaltung, zwischen der Erschließung neuer Datenquellen und Veredelung von Daten und dem Schutz von Daten und persönlichen Interessen. Städte dürfen nicht zu Getriebenen der Interessen der Wirtschaft werden und müssen Chancen und Gefahren neuer technischer Innovationen behutsam abwägen.

Für die Städte und Gemeinden sind Veränderungsprozesse nicht neu

Und viele Prozesse laufen parallel. Man braucht nicht weit in die Vergangenheit zu blicken:

2012 beim BAYERISCHEN STÄDTETAG in Schweinfurt lautete das Tagungsthema „Bürgerbeteiligung zwischen Marktplatz und Internet“. Der Wissensvorsprung der Verwaltung und Politik nimmt durch eine zunehmende Erhebung und Offenlegung von Daten und Informationen ab. Wissen als Grundlage politischer Entscheidungsprozesse steht einer breiteren Masse der Gesellschaft zur Verfügung. Mehrere Stimmen sehen darin eine solide Basis für eine viel stärkere Verankerung direktdemokratischer Instrumente. Manche sehen sogar die Legitimation der Stadt- und Gemeinderäte in Frage gestellt. Diese Auffassung teile ich nicht. Die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in kommunalpolitische Entscheidungen in Kombination mit direktdemokratischen Instrumenten ist ein wichtiges und unverzichtbares Instrument der kommunalen Entscheidungsfindung. Andererseits kann die Steigerung individueller Teilhabemöglichkeiten gerade zu einer Schwächung der Hörbarkeit der Teile der Bürgerinnen und Bürger führen, die aus unterschiedlichen Gründen weiterhin in der analogen Welt verhaftet sind. Aufgabe der Kommunalpolitik ist es aber, die Interessen Aller zu vertreten. Dazu gehören auch und besonders diese, die in der digitalen Welt nicht „existieren“ (wollen). Deshalb wird auch zukünftig die demokratisch legitimierte Kommunalpolitik mit Bürgermeistern und Stadtrat eine tragende Rolle spielen.

2015 beim BAYERISCHEN STÄDTETAG in Passau stand der „Demografische Wandel“ im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Digitalisierung ist im Zusammenspiel mit den großen Einflussfaktoren der Globalisierung, der Demografie, des wirtschaftlichen und sozialen Wandels und des Klimawandels zentraler Treiber der Entwicklung hin zu einer Gesellschaft 5.0.

2017 in Rosenheim lautete das Tagungsthema „Mobilität und Stadtentwicklung“. Die Digitalisierung bringt enorme Chancen für die Mobilität in den Städten, Gemeinden und Regionen.

Die Städte und Gemeinden gehen dieses Bündel an Herausforderungen selbstbewusst an. Digitale Transformation, also der Prozess, unsere Städte an neue Rahmenbedingungen anzupassen, ist nichts Neues. Vielmehr entspricht es dem Streben der Städte und Gemeinden, für ihre Bürgerinnen und Bürger noch attraktiver und „kommunaler“ zu werden. Die Städte müssen sich nicht neu erfinden.

Der Denkprozess hörte mit der Abschlussrede des diesjährigen STÄDTETAGS nicht auf. Dies wurde auch dadurch verbildlicht, dass kein Tagungspapier in Druckfassung erstellt wurde. Stattdessen hat der Bayerische Städtetag den staedtetag.blog bereits im Juni 2019 im Internet eingerichtet. Darin beleuchten eine Vielzahl von Autorinnen und Autoren mit Fachbeiträgen unterschiedlichste Aspekte der Digitalisierung und teilen eigene Erfahrungen. Dieser Austausch, das Voneinander Lernen ist ein tragendes Prinzip der digitalen, smarten Stadt und des BAYERISCHEN STÄDTETAGS. Dies war so in der früheren analogen Welt seit 1896 – und das wird weit hinaus über unser 125-jähriges Jubiläum im Jahr 2021 so bleiben.

 

Bernd Buckenhofer

Geschäftsführer des Bayerischen Städtetags, München
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