Neue Diskussionen um die Prüfung der Verfassungstreue
Neue Hürden für Rechtsextreme Bewerber
Neue Diskussionen um die Prüfung der Verfassungstreue
Neue Hürden für Rechtsextreme Bewerber

Ein angehender Rechtsreferendar wird vom juristischen Vorbereitungsdienst ausgeschlossen – nicht wegen strafbarer Handlungen, sondern wegen seiner Mitgliedschaft in als rechtsextrem eingestuften Organisationen. Das VG Koblenz bestätigt die Entscheidung des OLG mit Verweis auf fehlende Verfassungstreue. Einzelfall oder Präzedenzfall?
Der indirekte Auslöser
Einem Antragsteller, der nach bestandenem 1. Juristischen Staatsexamen einen Antrag auf Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst als Rechtsreferendar gestellt hatte, verwehrte das zuständige OLG Koblenz die Einstellung unter Verweis auf rechtsextreme Positionen des Antragstellers. Dieser war Mitglied der ‚Jungen Alternative für Deutschland‘ und des Vereins ‚Ein Prozent e.V.‘. Beide Organisationen werden seit dem Frühjahr 2023 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Mittlerweile ist auch die Gesamtpartei AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft worden.
Das OLG Koblenz begründete die Verweigerung der Übernahme in das juristische Referendariat mit ‚fehlender Verfassungstreue‘ des Bewerbers. Das von dem Bewerber angerufene VG Koblenz versagte gegen die Entscheidung des OLG Koblenz den beantragten einstweiligen Rechtsschutz (Beschluss vom 9.5.2025 – 5L 416/25 KO). Das Rheinland-Pfälzische Landesgesetz über die juristische Ausbildung und das Landesbeamtengesetz knüpften den Antritt des juristischen Vorbereitungsdienstes und die Berufung der Bewerber in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf an das Merkmal der ‚persönlichen Eignung‘ der Bewerber. Rechtsreferendare/innen müssten sich u.a. durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen.
Das VG prüfte auf individueller Basis die Äußerungen und Verhaltensweisen des Antragstellers, die in ihrer Gesamtschau nach Ansicht des Gerichts hinreichend belegten, dass die notwendige Verfassungstreue und damit die persönliche Eignung für das Referendariat nicht gegeben seien.
Unterlegt waren die Ermessensentscheidungen der Gerichte nicht zuletzt mit der gutachterlichen Einschätzung der Verfassungsschützer über die gesichert rechtsextreme Ausrichtung beobachteter Organisationen.
Schon in der Vergangenheit wurden Bewerbern für Referendariate die Zulassungen verweigert, aber durch die Einstufungen des Verfassungsschutzes gewinnt die Diskussion an Dynamik. Man fragt sich, welche Rechts- und Rechtsfolgenqualität eine derartige Einstufung für eine große Oppositionspartei wie die AfD und deren Mitglieder haben könnte oder sogar haben müsste. Einige Bundesländer – darunter Rheinland-Pfalz – prüfen, ob eine Einstellung in den Staatsdienst für Kandidaten/innen mit einer AfD-Vita opportun ist oder verweigert werden sollte. Andere verweisen darauf, dass Begriffe wie ‚gesichert rechtsextrem‘, ‚nicht verfassungstreu‘, ‚persönlich ungeeignet‘, ‚gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet‘ nicht kumuliert und als Synonyme benutzt werden dürften, um über den Weg faktischer Berufs- und Ausbildungsverbote eine Art individualisierte Parteiächtung herbeizuführen, obwohl weder ein Partei- noch ein Parteienfinanzierungsverbot der AfD zu erwarten wäre und zahlreiche Landesverbände der AfD – anders als die Gesamtpartei – nicht als ‚gesichert rechtsextrem‘ eingestuft seien. Außerdem sei der Verfassungsschutz eine Behörde und Teil der Exekutive, während das BVerfG über Maßnahmen nach Art. 21 GG zu entscheiden hätte, wobei Einschätzungen des Verfassungsschutzes keine Vorabentscheidungswirkung, sondern lediglich eine Indizwirkung hätten.
Das BVerwG und die Verfassungstreue
Am 10.10.2024 urteilte das BVerwG (2 C 15.23) in einem ähnlich gelagerten Fall, dass ein Juraabsolvent und Funktionsträger der rechtsextremen Partei ‚Der III. Weg‘ keinen Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst in Bayern erhalten müsse.
Der Rechtsbegriff der persönlichen Eignung für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse sei hinreichend bestimmt und knüpfe an die beamtenrechtlich geforderte Verfassungstreuepflicht an, die beim Antragsteller nicht gegeben sei. Der Bewerber verfolge aktiv verfassungsfeindliche Ziele, propagiere diese und negiere in Wort, Schrift und Verhalten die Grundwerte der Verfassung. Wer die Mindestanforderungen geforderter Loyalitätspflichten gegenüber dem Dienstherrn nicht erbringe, müsse nicht in ein Referendariat übernommen werden. Eine solche nach individueller Prüfung ergangene Entscheidung sei nicht ermessensfehlerhaft.
Es spiele keine Rolle, dass die Partei, deren rechtsextreme Ausrichtung einen wesentlichen Anteil an der Einstufung des Klägers als verfassungsfeindlicher Aktivist habe, nicht verboten sei. Das Parteienprivileg des Art. 21 II GG wirke nicht so, dass Parteimitglieder, Funktionäre und Anhänger von dem Privileg des ‚Nichtverbotenseins‘ dergestalt partizipierten, dass ihnen ein Zugang zu öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen offenstehe.
Es bestehe auch kein Wertungswiderspruch zu § 7 Nr. 6 BRAO, dass die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen ist, wenn die antragstellende Person die freiheitlich demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft. Das Bekenntnis zur Verfassungstreue leitet sich für das Referendariat direkt aus der Verfassung ab, während die BRAO von unterschiedlichen Lebenssachverhalten und unterschiedlichen Normgebern geprägt ist. Referendare wirkten unmittelbar in den verschiedensten Bereichen auf Seiten der Justiz im Rahmen rechtlicher Auseinandersetzungen mit, so dass es gerechtfertigt erscheint, dass Rechtssuchende darauf vertrauen können, dass keine Verfassungsfeinde in ihren justiziellen Angelegenheiten auf Seiten des Staates mitwirken. Rechtsanwälte seien zwar Organe der Rechtspflege, § 1 BRAO, aber primär Parteivertreter. Gleichbehandlungsgebote hinsichtlich der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und zum Referendariat könne es somit nicht geben.
Zweifel und die Überbleibsel des Radikalenerlasses
Bei der Handhabung der Verfassungstreueprüfung bei Übernahme in den juristischen Vorbereitungsdienst bleiben zahlreiche Zweifel.
Bislang sind die abgelehnten Bewerber um das Rechtsreferendariat in keinem Fall endgültig gescheitert, sondern wurden in anderen Bundesländern nach Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen angenommen. Sicher, es handelt sich um Einzelfallprüfungen mit dem üblichen Ermessensrahmen, der unterschiedliche Entscheidungen zulässt. Fraglich bleibt allerdings, ob es sich bei der unterschiedlichen Behandlung gleicher Sachverhalte um einen Sieg der Rechtsstaatlichkeit handelt oder um eine fast an Willkür grenzende unterschiedliche Gewichtung von Indizien verfassungswidriger Gesinnung und Betätigung.
Zweifelhaft auch die unterschiedliche Wertung bei der Zulassung zur Anwaltschaft und der Zulassung zum Referendariat. Es sind zahlreiche Anwaltszulassungen erfolgt, obwohl eine derart offenkundig rechtsextreme Gesinnung und Meinungsmache vorlag, dass der Zugang zu einem Referendariat unmöglich gewesen wäre. Warum, so fragt sich mit gutem Recht der Verfassungsgerichtshof in Sachsen (BeckRS 2022, 30244 ff.), der angerufen wurde, weil dem bayerischen III-Weg-Funktionär auch in Sachsen der Zugang zum Rechtsreferendariat verweigert wurde, sollten für die Ausbildung zu einem Beruf höhere Maßstäbe gelten als für den Zugang zu diesem. Hier überzeugen die Argumente der Verwaltungsgerichte wenig, zumal als weiterer Punkt hinzukommt, dass für eine weite Palette juristischer Berufe ein Abschluss als ‚Volljurist‘ gefordert wird und damit auch ein Zweites Staatsexamen, das nach einem zwingenden Rechtsreferendariat abgelegt werden muss. Das Referendariat berechtigt gerade nicht nur zu beamtenrechtlichen und staatstragenden hoheitlichen Funktionen bei Justiz und Verwaltung in den höheren Diensten, sondern auch als Jurist in Verbänden, Vereinen und der freien Wirtschaft. Eine Versagung dieses zweiten Ausbildungsschrittes wäre ein gravierender und nicht zu kompensierender Eingriff in die wesentlichen Facetten der Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit aus Art. 12 GG.
Was also tun gegen Extremisten im Vorbereitungsdienst und welche Maßnahmen sollten eingeleitet werden, um eine einheitliche Handhabung in allen Bundesländern zu ermöglichen?
Diskutiert werden eine Anpassung der Vorschriften für den Zugang zur Anwaltschaft und die Harmonisierung der verschiedenen Juristenausbildungsgesetze, um alle Regelungsbereiche, die derzeit noch für Divergenzen bei der Prüfung von persönlicher Eignung und Verfassungstreue sorgen, einander anzupassen. Bisherige Initiativen waren auf Bundesebene oder den Landesebenen erfolglos geblieben.
Tatsächlich erinnert die Gesinnungsprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst auf deren Verfassungstreue an den sogenannten ‚Radikalenerlass‘ vom 28. Januar 1972. Bund und Länder sahen im militanten Linksextremismus eine Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und installierten eine Extremismusüberprüfung, um Verfassungsfeinde vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Instrument war eine bundesweit einheitliche Auslegung und Anwendung des damals geltenden § 35 BRRG, wonach sich Beamte durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Erhalt einzutreten hatte.
3,5 Millionen Regelanfragen beim Verfassungsschutz und Einzelfallprüfungen in dreizehn Jahren führten zu uneinheitlichen Beurteilungen, zu Nichteinstellungen, Entlassungen und Stigmatisierung. Vielfach sprach man von einer hysterischen Gesinnungshatz und Zuständen wie zu Zeiten der Kommunistenjagd der McCarthy-Ära in den USA. Mitgliedschaften in als verfassungsfeindlich beurteilten Organisationen und Parteien reichten aus, um einen Zweifel an demokratischer Gesinnung zu begründen, es sei denn, die betroffenen Personen konnten den Gegenbeweis antreten. Faktische Berufsverbote resultierten aus den Überprüfungen.
1985 endete die umstrittene Praxis in den meisten Bundesländern und auf Bundesebene.
Das BVerfG hatte mit seinem Beschluss vom 22.5.1975 (2 BvL 13/73) die Praxis der Regelanfragen und die daraus resultierenden Folgen für die Betroffenen für verfassungsgemäß erachtet. Zweifel an der Verfassungstreue aufgrund von Indizien sollten zu einer Prognoseentscheidung mit weiten Ermessensspielräumen führen. Die Regelanfrage sei ein taugliches Element, um die Verfassungstreue von Anwärtern, Beschäftigten im öffentlichen Dienst und Ruheständlern zu eruieren.
Die Entscheidung war hoch umstritten. Abweichende Voten mehrerer Richter formulierten das Unbehagen, das die Entscheidung mit sich brachte.
Wie es weitergeht
Auch wenn es keine Regelanfragen beim Verfassungsschutz mehr gibt, um Verfassungsfeinde zu entlarven, ist die Situation rund um die Abwehr verfassungsfeindlicher Elemente zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht minder brisant.
Das Instrumentarium, das zur Überprüfung verfassungsfeindlicher Bestrebungen bereitsteht, ist seit den Zeiten des Radikalenerlasses nicht tauglicher geworden. Unbestimmte Rechtsbegriffe wie die viel beschworene ‚charakterliche Eignung‘ als Voraussetzung zur Berufung in den öffentlichen Dienst, die Uneinheitlichkeit der zugrunde gelegten Kriterien und deren Wertung in den Ermessenskorridoren, Begründungskriterien diverser Behörden und Gerichte, die sich einer abgemilderten Form der Einschätzung des BVerfG aus dem Jahr 1975 bedienen, und Einstufungen von Parteien und Organisationen durch den Verfassungsschutz als ‚gesichert rechtsextrem‘, ohne klar zu wissen, welche Folgen diese Indizwirkung für alle Beteiligten haben könnte, sind wenig hilfreich.
Was bedeutet es konkret, dass ein Bewerber für den öffentlichen Dienst ‚ein Mindestmaß an Verfassungstreue‘ aufweisen muss? Wie praxistauglich ist dieser vom BVerwG geprägte unbestimmte Rechtsbegriff, der Eingang in die neueste Rechtsprechung gefunden hat?
Es ist hohe Zeit, klare und aufeinander abgestimmte, einheitliche Rechtsgrundlagen für den Umgang mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu schaffen. Gelingt dies nicht, könnten die davon profitieren, die den gesellschaftlichen Konsens herausfordern.