Kirchliche Selbstbestimmung im Arbeitsrecht
Das BVerfG schlägt ein neues Kapitel auf
Kirchliche Selbstbestimmung im Arbeitsrecht
Das BVerfG schlägt ein neues Kapitel auf

Handelt es sich bei der Nichtberücksichtigung einer Bewerbung bei der Diakonie um eine Diskriminierung wegen Konfessionslosigkeit? Eine Frage, die EuGH, BVerfG und BAG beschäftigen.
Seit 2013 beschäftigt dieser Fall die Arbeitsgerichte, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Eine konfessionslose Sozialpädagogin bewarb sich in 2012 erfolglos auf eine von der Diakonie ausgeschriebene Referentenstelle für das Projekt ‚Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention‘. Die Diakonie hatte als Einstellungsvoraussetzung u.a. die Zugehörigkeit zu einer protestantischen Kirche verlangt.
Die nicht berücksichtigte Bewerberin wertete die Nichtberücksichtigung zum Vorstellungsgespräch als Diskriminierung wegen ihrer Konfessionslosigkeit und klagte seit 2013 durch die Instanzen auf Entschädigung.
2018 befasste sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit dem Fall und legte dem EuGH im Weg eines Vorabentscheidungsverfahrens Fragen zur Wirkung des Unionsrechts im zu entscheidenden Fall vor. Der EuGH stellte fest, die Kirchen hätten zwar die Befugnis bei Einstellungen mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängende Anforderungen zu stellen, jedoch müsse diese Bedingung bei der ausgeschriebenen Tätigkeit ‚eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellen‘.
Das BAG urteilte danach, die Diakonie habe nach dem Prüfungsraster des EuGH die Religionszugehörigkeit nicht pauschal zur Einstellungsvoraussetzung machen dürfen und sprach der Klägerin eine Entschädigung zu.
Die Verfassungsbeschwerde der Diakonie hatte Erfolg. Das BVerfG urteilte am 29. September (2 BvR 934/19), das BAG habe in verfassungswidriger Weise dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht die ihm von der Verfassung zugesprochene Bedeutung zugemessen.
Die Rechtsgrundsätze
Von unionsrechtlicher Seite sind der grundsätzliche Vorrang des Unionsrechts, die maßgeblichen Normen der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG und Art. 17 AEUV zu nennen, der unionsvertraglich festlegt, dass die Union den Status von Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten und deren Rechtsvorschriften achtet und diesen Status nicht beeinträchtigt.
Der nationale, verfassungsrechtlich verankerte, Maßstab des religiösen Selbstbestimmungsrechts ist in Art. 4 I, II, 140 GG und Art. 137 III, S. 1 WRV niedergelegt, wonach jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ordnet und verwaltet.
Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass die in der Gleichbehandlungsrichtlinie unionsrechtlich verfügten Kriterien zur Diskriminierungskontrolle Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein müssen, denn auch Kirchen bewegen sich trotz ihres Sonderstatus im Rahmen der für alle geltenden Gesetze.
Konfessionsbedingte Ungleichbehandlungen bei Einstellungen oder Kündigungen durch kirchliche Einrichtungen sind mit der Richtlinie in Einklang, wenn die Religionszugehörigkeit im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit für eine Glaubensgemeinschaft eine berufliche Anforderung ist, die von der Kirche als wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt definiert werde und damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, was nationale Gerichte überprüfen dürfen.
Der Problembereich
Unionsrecht und deutsches Verfassungsrecht bilden sich ergänzend den Rechtsrahmen einer Zweistufenprüfung.
Das BVerfG ist dem Argument der Diakonie, der EuGH habe mit der Erarbeitung des Kriterienkatalogs zur gerichtlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit der Einstellungsanforderungen, die die kirchliche Einrichtung in der Stellenausschreibung formulierte, ultra vires, also mit fehlender Kompetenz, geurteilt, nicht gefolgt.
Der EuGH habe in Bezug auf die Gleichbehandlungsrichtlinie keinen Absolutheitsanspruch erhoben, sondern die zweite Ebene der Rechtmäßigkeitsprüfung im Einklang mit Art. 17 AEUV eröffnet. Zwischen den Ergebnissen beider Prüfungsschritte sei sodann von dem prüfenden nationalen Gericht eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen.
Hier hat sich das BVerfG nicht aufs ‚Glatteis führen lassen‘. Natürlich war es dem 2. Senat nicht entgangen, dass der Generalanwalt beim EuGH sehr deutlich zu erkennen gegeben hatte, die berufliche Anforderung der Konfessionszugehörigkeit sei deutlich diskriminierend, weil die ausgeschriebene Referententätigkeit verkündungsfern sei und den Glaubensbereich mit den gesteigerten Loyalitätspflichten nicht im Kern berühre. Ultra vires seien die Einlassungen des EuGH dennoch nicht, weil lediglich unionsrechtliche Parameter gewertet würden und die zweite Prüfungsstufe mit ihrem eigenen Erwägungskorridor unberührt geblieben sei.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Wir erinnern uns, dass das BVerfG schon einmal in einer höchst umstrittenen Entscheidung, als es um den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB und die Frage verbotener Staatsfinanzierungen ging, die ‚ultra vires- Keule‘ gegen den EuGH geschwungen hatte und eisiges Schweigen der Gegenseite erntete. Es war klug, bei der Frage kirchlicher Selbstbestimmungsrechte die ‚ultra vires-Drohung‘ nicht noch einmal zu bemühen.
BVerfG: Das BAG hätte das christliche Selbstverständnis berücksichtigen müssen
Auf das Wesentliche heruntergebrochen, bescheinigt das BVerfG dem BAG eine zu spärliche Berücksichtigung des christlichen Selbstverständnisses und der Wesenheit der christlichen Dienstgemeinschaft im konkreten Fall vor. Faktisch habe das BAG sein Verständnis, beruhend auf EuGH-Kriterienvorgaben aus der unionsrechtlichen Prüfungsebene, an die Stelle der eigenständigen Regelungsüberlegungen der Diakonie gesetzt. Natürlich sei klar, dass vom Gärtner, über den Hausmeister, dem Organisten, bis hin zum Chefarzt in Tendenzbetrieben nicht jeder lockere Beschäftigungszusammenhang bis hin zum inneren Verkündungskern gleichen Loyalitätsanforderungen genügen müsse.
Welche Anforderungen allerdings erfüllt sein müssten, definiere auf der zweiten, nationalen Prüfungsebene autonom die Kirche kraft ihrer Einschätzungsprärogative. Maßstab sei gerade nicht die nachvollziehbare Einschätzung ‚eines billig und gerecht Denkenden‘, sondern das innerkirchliche Ethos und die daraus resultierenden Mitarbeiterrichtlinien und anderen Vorgaben.
Diese Prüfungsebene in der gerichtlichen Kontrolle sei vom BAG nicht ausreichend gewürdigt worden. Das Urteil des BAG sei nach Art. 95 II BVerfGG aufzuheben und die Sache an das BAG zurückzuverweisen.
Fazit
‚BVerfG stärkt kirchliches Selbstbestimmungsrecht‘. Schlagzeilen wie diese, die häufig im Zusammenhang mit der BVerfG-Entscheidung zu lesen sind, sind zumindest missverständlich. Es geht gerade nicht um eine Ausweitung des kirchlichen Entscheidungsbereichs in eigenen Angelegenheiten, sondern um eine verfassungskonforme Berücksichtigung kirchlicher Selbstbestimmung und kirchlichen Selbstverständnisses bei der Abwägung zwischen unionsrechtlich und national geregelten Rechtspositionen.
Bei der Zurückverweisung der Angelegenheit an das BAG bleibt offen, wie das BAG bei gehöriger Berücksichtigung aller relevanter Positionen entscheiden wird.
Spannend ist auch, ob und wie zur Sprache kommen wird, dass die generelle Voraussetzung einer evangelischen Kirchenmitgliedschaft seit Anfang 2024 aus der Mitarbeiterrichtlinie der Kirche gestrichen wurde und ob die Diakonie den Standpunkt aufrechterhält, dass zumindest in 2012 für die inkriminierte Referentenstelle eine Kirchenmitgliedschaft ‚erforderlich und wichtig‘ war.
Dem BAG wird die Aufgabe zukommen, wohlabgewogen und die Abwägungsspielräume verfassungsgemäß nutzend zu einem Ergebnis zu kommen.
Eines ist sicher – in der Haut des BAG möchte man nicht stecken.



