Gesundheitspolitik im Koalitionsvertrag 2025
Ist die Koalition zu kurz gesprungen oder wird der Reformstau aufgelöst?
Gesundheitspolitik im Koalitionsvertrag 2025
Ist die Koalition zu kurz gesprungen oder wird der Reformstau aufgelöst?

Der Koalitionsvertrag 2025 lässt keinen Zweifel an den Herausforderungen, denen sich das Gesundheitswesen gegenübersieht: Ausgabendruck, demografischer Wandel, sektorenübergreifende Versorgungslücken und bürokratische Überlastung. In der Sache jedoch bleibt das Regierungspapier häufig vage – und riskiert, an der selbst gesetzten Ambition einer „verlässlichen Versorgung“ zu scheitern.
Finanzierung der GKV: Stillstand im neuen Gewand
Eine Expertenkommission soll die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung lösen – ohne verbindliche Vorgaben. So lobenswert der interdisziplinäre Ansatz erscheint, so deutlich fällt die Kritik aus juristischer Sicht aus: Angesichts einer strukturellen Finanzlücke ist das politische Signal der Untätigkeit fatal. Es fehlt nicht an Analysen, sondern an Entscheidungen. Statt fiskalpolitischer Konkretisierung: vertagte Verantwortung.
Vertragsarztrecht: Strukturbruch durch Primärarztsystem
Mit dem Primärarztsystem bei freier Arztwahl wagt sich die Koalition an ein zentrales Versorgungsmodell. Es könnte die Tür öffnen für mehr Steuerung – oder für mehr Frustration, wenn begleitende Strukturreformen ausbleiben. Auch Hybrid-DRGs, sektorengleiche Jahrespauschalen und die Flexibilisierung des Quartalsbezugs werden genannt – ihre juristische Umsetzung aber bleibt unerörtert. Besonders kritisch: Der Balanceakt zwischen Pauschalierung und Individualisierung in einem System, das auf Bedarfsdeckung und nicht auf Pauschalbeträge angelegt ist.
Investoren-MVZ: Transparenz statt Strukturreform
Das angekündigte iMVZ-Regulierungsgesetz soll für mehr Klarheit über Eigentumsverhältnisse und Mittelverwendung sorgen. Ein begrüßenswerter Schritt – aber keiner, der die Versorgungsrealität entscheidend prägen wird. Die Debatte um Gemeinwohlverpflichtung, Standortbindung und Sicherstellungsbeitrag bleibt offen. Juristisch bleibt damit ein zentrales Problem ungelöst: Wem dient das System – dem Kapital oder der Kuration?
Krankenhausstruktur: Ein Flickenteppich in neuem Zuschnitt
Die Koalition setzt auf Kontinuität bei der Krankenhausreform, insbesondere in ländlichen Regionen. Positiv ist der geplante Sonderfonds für Transformationskosten. Aber erneut bleibt es bei Fragmenten: Ein integratives Strukturgesetz fehlt ebenso wie eine stringente Definition der Daseinsvorsorge. Wer Versorgungssicherheit sichern will, darf sich nicht in Ausnahmen verlieren. Die gesetzliche Regelung bis Sommer 2025 erscheint als politische Zielmarke – nicht als Umsetzungsrealität.
Bürokratieabbau: Erleichterung mit Bagatellgrenze
Mit der geplanten 300-Euro-Grenze bei Regressprüfungen und der Vereinfachung von Heil- und Hilfsmittelverordnungen trifft die Koalition einen Nerv – insbesondere unter praktizierenden Ärzten und Therapeuten. Hier zeigt sich, dass praxisnahe Lösungen auch ohne Systemumbruch möglich sind. Doch der strukturelle Reformbeitrag bleibt begrenzt: Es sind Korrekturen im Kleinen, nicht der große Wurf.
Was fehlt? Eine juristische To-do-Liste
Die Leerstellen wiegen schwer: keine klaren Leitlinien zur sektorengleichen Versorgung, keine Neuausrichtung der Bedarfsplanung mit epidemiologischer Grundlage, keine Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Die Finanzierung alternativer Versorgungsformen bleibt unberührt, ebenso die rechtliche Klärung von Trägermodellen im Spannungsfeld zwischen öffentlichem Auftrag und privatrechtlichem Interesse. Auch die Digitalisierung wird erwähnt – jedoch ohne juristisch belastbare Umsetzungspfade.
Fazit: Reformrhetorik ohne rechtliche Fundierung
Der Koalitionsvertrag sendet wichtige Impulse, doch deren juristische Substanz bleibt dünn. Die angekündigten Vorhaben sind in Teilen innovativ – ihre Umsetzung aber ungewiss. Weder die Selbstverwaltung noch die Vertragspartner im SGB V erhalten die nötige Klarheit, um mit regulatorischer Sicherheit planen zu können. Für die nächste Legislatur ist daher klar: Es braucht keine neuen Kommissionen, sondern gesetzgeberische Konsequenz. Der rechtspolitische Diskurs muss sich dieser Aufgabe stellen.
Wenn Versorgungssicherheit mehr sein soll als ein politisches Versprechen, muss sie juristisch definiert und strukturell gesichert werden. Die aktuelle Koalition ist – bei aller Ankündigungsfreude – bisher zu kurz gesprungen.